VwGH 98/01/0258

VwGH98/01/025817.2.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des K, geboren am 5. November 1967, vertreten durch Dr. Werner Pennerstorfer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Herrengasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Februar 1998, Zl. 201.613/0-V/14/98, betreffend Asylgewährung und Feststellung gemäß § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §32 Abs1;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §32 Abs1;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsangehöriger, ist am 6. Dezember 1997 in das Bundesgebiet eingereist. Seinen Asylantrag vom 7. Dezember 1997, beim Bundesasylamt eingelangt am 16. Dezember 1997, wies dieses mit Bescheid vom 8. Jänner 1998 gemäß § 6 Z. 1 und 2 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab (Spruchpunkt I.); zugleich sprach das Bundesasylamt aus, daß die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ägypten gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Der Bescheid des Bundesasylamtes wurde dem Beschwerdeführer am 13. Jänner 1998 zugestellt. Am 14. Jänner 1998 erhob er hiegegen Berufung, der der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 2. Februar 1998 "gemäß § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Asylgesetz 1997" keine Folge gab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 6 AsylG bestimmt unter der Rubrik "Offensichtlich

unbegründete Asylanträge" folgendes:

"§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen läßt, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder

5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe besteht."

Der mit der Überschrift "Abgekürztes Berufungsverfahren" versehene § 32 AsylG hatte in seiner ursprünglichen Fassung folgenden Wortlaut:

"§ 32. (1) Gegen Bescheide, mit denen Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder aus den Gründen der §§ 4 und 5 wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen worden sind, kann nur binnen zwei Tagen nach Zustellung Berufung erhoben werden. Fällt diese Berufungsfrist in die Sicherung einer Zurückweisung, so ist diese jedenfalls während des ungenützten Ablaufes dieser Frist zulässig. Eine abgesonderte Berufung gegen eine Feststellung gemäß § 8 ist in solche Fällen nur insoweit möglich, als das Bestehen einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 FrG behauptet wird. Eine abgesonderte Berufung gegen Bescheide, mit denen in diesen Fällen der Asylerstreckungsantrag Angehöriger als unbegründet abgewiesen wurde, ist nicht zulässig, doch gelten solche Bescheide durch eine Berufung gegen die Entscheidung über den Asylantrag als im selben Umfang angefochten.

(2) Der Berufung ist stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet oder es bestehe aus den Gründen der §§ 4 und 5 Unzuständigkeit, nicht zutrifft. In diesen Fällen hat die Berufungsbehörde die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Die zurückweisenden Asylerstreckungsbescheide sind gleichzeitig als überholt aufzuheben. Hat der angefochtene Bescheid auch eine Feststellung gemäß § 8 enthalten, hat die Berufungsbehörde ihrerseits eine solche Feststellung zu treffen.

(3) Über die Berufung ist binnen vier Arbeitstagen nach dem Tag des Einlangens bei der Berufungsbehörde zu entscheiden. Wird die Berufung während der Sicherung einer Zurückweisung eingebracht, so ist diese entsprechend länger zulässig."

Mit Erkenntnis vom 11. Dezember 1998, G 210/98 u.a., kundgemacht im Bundesgesetzblatt am 4. Februar 1999 (BGBl. I Nr. 41/1999), hat der Verfassungsgerichtshof die in § 32 Abs. 1 erster Satz AsylG enthaltene Wortfolge "als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder" als verfassungswidrig aufgehoben. Dies begründete er - unter Anlehnung an sein Erkenntnis vom 24. Juni 1998, G 31/98 u.a., mit dem er bereits die in der genannten Bestimmung enthaltene Wendung "§ 4 und" aufgehoben hatte - zusammenfassend damit, daß eine bloß zweitägige Berufungsfrist den Erfordernissen nicht entspreche, welche an die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung sowohl unter dem Aspekt rechtsstaatlicher Grundsätze als auch unter dem Blickwinkel des Art. 11 Abs. 2 B-VG zu stellen seien.

Im genannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof weiters ausgesprochen, daß die aufgehobene Gesetzesstelle nicht mehr anzuwenden sei, wovon - so ausdrücklich die Entscheidungsgründe - u. a. die bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts anhängigen Verfahren erfaßt sind. Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet das, daß der hier angefochtene Bescheid und das ihm zugrundeliegende Verwaltungsverfahren gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG im Lichte der durch den Entfall der Wortfolge "als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder" in § 32 Abs. 1 AsylG bereinigten Rechtslage zu prüfen ist.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0435, Slg. Nr. 14.102/A, ausgesprochen hat, kann er im Fall der Aufhebung einer für die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes relevanten Verfahrensbestimmung durch den Verfassungsgerichtshof, die in dem seinem Beschwerdefall zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren anzuwenden war, die Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes bzw. des zu dessen Erlassung führenden Verwaltungsverfahrens an der bereinigten Rechtslage nicht in gleicher Weise vornehmen wie im Fall der Aufhebung einer materiellen Rechtsvorschrift. Während im letzteren Fall im nachhinein beurteilt werden kann, ob der angefochtene Bescheid der durch die Aufhebung geschaffenen Rechtslage entspricht, kann eine solche Beurteilung im Fall der Aufhebung einer solchen Verfahrensvorschrift nicht gleichermaßen vorgenommen werden. Für eine solche (fiktive) Beurteilung wäre es nämlich erforderlich, anhand der bereinigten Rechtslage zu prüfen, wie das Verwaltungsverfahren unter Annahme der Geltung der sich nunmehr ergebenden Rechtslage abgelaufen wäre. Eine derartige lediglich auf Mutmaßungen stützbare Vorgangsweise wäre jedoch mit der Funktion des Verwaltungsgerichtshofes als Kontrollinstanz, die auch die Rechtmäßigkeit von Bescheiden im Hinblick auf ihr Zustandekommen in einem rechtmäßigen Verfahren zu prüfen hat, nicht vereinbar.

Diese Überlegungen, die bezüglich einer für die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes - und für die Erstattung von Vorbringen - relevanten Verfahrensbestimmung (in concreto § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991) angestellt wurden, treffen gleichermaßen auf die hier in Frage stehende Regelung der Berufungsfrist zu. Rückblickend betrachtet wäre dem Beschwerdeführer für die Erhebung seiner Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Jänner 1998 die zweiwöchige Berufungsfrist des § 63 Abs. 5 AVG (zufolge § 23 AsylG) zur Verfügung gestanden. Tatsächlich war er jedoch auf dem Boden der seinerzeit bestehenden Rechtslage verhalten, diese Berufung binnen zwei Tagen zu erstatten. Wenn er auch tatsächlich diese Frist eingehalten hat, so darf doch nicht übersehen werden, daß ihn die aus damaliger Sicht gebotene umgehende Einbringung der Berufung möglicherweise aus den im oben genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1998 näher dargestellten Umständen (Sprach-, Verständnis- und Kommunikationsschwierigkeiten) an der Verfassung eines erfolgversprechenderen Rechtsmittelschriftsatzes hinderte. So gesehen kann nach der Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß sich die nunmehr als verfassungswidrig aufgehobene Norm für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers als nachteilig erweist. Unter Zugrundelegung der bereinigten Rechtslage stellt sich das Verwaltungsverfahren damit (nachträglich) als ergänzungsbedürftig dar. Da diese Ergänzungsbedürftigkeit auf einer wegen Verfassungswidrigkeit aufgehobenen Gesetzesbestimmung beruht, belastet sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. das schon erwähnte hg. Erkenntnis vom 25. August 1994). Daran ändert es auch nichts, daß es dem Beschwerdeführer offen gestanden wäre, im Wege einer Berufungsergänzung auch nach Ablauf der ursprünglich zweitägigen Berufungsfrist weiteres Vorbringen zu erstatten, mit dem sich die belangte Behörde auseinanderzusetzen gehabt hätte; infolge der viertägigen Entscheidungsfrist des § 32 Abs. 3 AsylG konnte der Beschwerdeführer nämlich nicht davon ausgehen, daß eine derartige Berufungsergänzung Berücksichtigung finden werde. Im Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot kann aber auch nicht gesagt werden, daß der Beschwerdeführer in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde weiteres, ihm tunlich erscheinendes Vorbringen hätte nachholen müssen. Ohne daß es insoweit auf den Inhalt der Beschwerde ankäme, war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Im fortzusetzenden Verwaltungsverfahren wird es Aufgabe der belangten Behörde sein, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu einer allfälligen Ergänzung seines Berufungsvorbringens zu bieten.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Februar 1999

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