Normen
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, ist am 15. Juni 1996 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist. Er wurde am 17. Juni 1996 aus Anlass seiner beabsichtigten Ausweisung von der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See und in weiterer Folge am 19. Juni 1996 im Hinblick auf einen erhobenen Asylantrag vom Bundesasylamt einvernommen. Am 1. Juli 1996 stellte er den Antrag, gemäß § 54 FrG die Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei und nach Ungarn festzustellen.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland (der belangten Behörde) vom 28. Jänner 1997 wurde auf Grund dieses Antrages gemäß § 54 Abs. 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer "in der Türkei Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe im Falle der Abschiebung unterworfen zu werden". Seine Abschiebung in die Türkei und nach Ungarn sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt zulässig.
Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass die "letzte persönliche niederschriftliche Aussage" des Beschwerdeführers von ihrem Inhalt her alle seine vorherigen Angaben relativiere bzw. für unerheblich erkläre. Er habe nämlich vor dem Bundesasylamt am 19. Juni 1996 auf nochmalige Frage, was ihn letztendlich zur Flucht aus der Türkei veranlasst hätte, angegeben, dass er in der Türkei nicht hätte richtig leben können; seine Arbeitszeit wäre von 06.00 bis 19.00 Uhr gewesen, sein Lohn hätte lediglich DM 150,-- betragen, die Kosten für eine Wohnung hätten sich auf DM 100,-- belaufen. Außerdem habe der Beschwerdeführer als Gründe für das Verlassen seiner Heimat angeführt, dass er eine Familie hätte gründen und sich ein Auto hätte leisten wollen, sowie dass er nahezu ein Jahr vor seiner Ausreise von zwei Polizisten verprügelt worden wäre, weil er von ihnen das Vorzeigen ihrer Dienstausweise verlangt hätte. Die Frage, ob das seine Fluchtgründe wären, habe der Beschwerdeführer ausdrücklich mit "Ja" beantwortet, was zeige, dass es sich dabei nicht um unüberlegte oder missverstandene Äußerungen handle. Wenn in schriftlichen Eingaben des bevollmächtigten Vertreters des Beschwerdeführers "andere Fluchtgründe" wie angebliche politische regimefeindliche Betätigung, Volks- und Glaubensgruppenzugehörigkeit oder Verweigerung des Militärdienstes ins Treffen geführt würden, so sei den zitierten Aussagen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Vorzug zu geben. Aber auch seinen niederschriftlichen Angaben vor der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 17. Juni 1996 könne Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen werden. Sei es schon wenig wahrscheinlich, dass jemand nach Istanbul ziehe, um dem Militärdienst zu entgehen, und dann dort an Demonstrationen gegen die Polizei teilnehme, so erscheine es gänzlich unglaubwürdig, dass diese Person von der Polizeibehörde festgenommen, zwei Wochen inhaftiert und dann freigelassen werde, ohne dass sie (der Beschwerdeführer) dem Militärdienst zugeführt werde.
Würde man - so die belangte Behörde weiter - dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers folgen und sich einzig auf "im Falle einer Rückkehr wahrscheinliche, ortstypische Abläufe" stützen, so würde dies bedeuten, dass ohne individuelle Prüfung des persönlichen Vorbringens jedem Fremden auf die bloße Behauptung, er sei türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger einer bestimmten Minderheit, Abschiebungsschutz zu gewähren wäre. Den Berufungsausführungen mangle es an Erläuterungen, welche "Indizien für das Bestehen einer Bedrohung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 leg. cit. aufscheinen".
Wenn sie (die belangte Behörde) somit zu dem Ergebnis gelange, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt zulässig sei, so könne sie "naturgemäß hinsichtlich Abschiebungshindernisse nach Ungarn zu keinem anderen Ergebnis kommen".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene Beschwerde mit dem Begehren, den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hilfsweise wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, aufzuheben.
Über diese Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zunächst ist klarzustellen, dass der angefochtene Bescheid den eingangs wiedergegebenen Antrag des Beschwerdeführers nach § 54 Abs. 1 FrG zur Gänze erledigt. Zwar ist sein, in Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung gefasster Spruch insoweit irreführend, als zunächst nur auf die Türkei und in der verbalen Umschreibung nur auf den Tatbestand des § 37 Abs. 1 FrG abgestellt wird; die nachfolgende Aussage ("Ihre Abschiebung in die Türkei und nach Ungarn ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zulässig.") und die Zitierung auch des § 37 Abs. 2 FrG lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass über den gesamten Antrag des Beschwerdeführers abgesprochen werden sollte.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 97/21/0286).
Zutreffend macht der Beschwerdeführer in der vorliegenden Beschwerde geltend, dass sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit seinem Berufungsvorbringen auseinander gesetzt hat. Dieses Vorbringen ging u.a. - zusammengefasst - dahin, dass der Beschwerdeführer als abgelehnter Asylwerber kurdischer Abstammung ohne gültigen Reisepass für den Fall seiner Abschiebung in die Türkei damit rechnen müsse, bereits an der Grenze in Polizeihaft genommen, überprüft und befragt zu werden; dabei komme es regelmäßig zu Folterungen und Misshandlungen und mitunter auch zum "Verschwinden" der betroffenen Personen. Das ergebe sich auf Grund einer Fülle greifbarer und allgemein zugänglicher Berichte, wobei der Beschwerdeführer im Einzelnen Berichte von
amnesty international und namentlich genannter "Gutachter" für Verfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten ins Treffen führt.
Soweit erkennbar erachtete die belangte Behörde dieses Vorbringen als irrelevant, weil andernfalls jedem Fremden auf Grund der bloßen Behauptung, er sei türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger einer bestimmten Minderheit, ohne individuelle Prüfung seines persönlichen Vorbringens, Abschiebungsschutz zu gewähren wäre.
Mit dieser Auffassung verkannte die belangte Behörde das Gesetz. Soweit sie eine "individuelle Prüfung des persönlichen Vorbringens" jedes Fremden in den Vordergrund stellt, ist es wohl richtig, dass es im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG auf die spezifische Situation des jeweiligen Antragstellers ankommt. Dieser kann eine maßgebliche Gefährdung jedoch nicht nur durch Verweis auf ihm bereits widerfahrene Verfolgungshandlungen aufzeigen. Es genügt, wenn er glaubhaft macht, dass ihm im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag umfassten Staat nunmehr eine Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Eine solche Gefahr muss zwar individuell vom konkreten Antragsteller zu gewärtigen sein; eine entsprechende Prognose kann jedoch auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. abermals das zuvor genannte hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999).
Mit dem oben wiedergegebenen Berufungsvorbringen hat der Beschwerdeführer eine hier relevante Gefährdung - drohende Folter unterfällt zweifelsfrei § 37 Abs. 1 FrG - aus seiner Position als (im Fall seiner Abschiebung) ohne gültigen Reisepass in die Türkei zurückkehrender, im Ausland abgewiesener Asylsuchender kurdischer Abstammung abgeleitet. Naturgemäß konnte er eine ihm für den Fall seiner Abschiebung drohende Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG, die aus dieser Position resultiert, nicht auf Grund ihm selbst widerfahrener Ereignisse darlegen; dass der Beschwerdeführer die Türkei bereits einmal verlassen hätte und als abgelehnter Asylwerber in seinen Heimatstaat abgeschoben worden wäre, ist im Verwaltungsverfahren nicht hervorgekommen. Davon ausgehend war er aber realistisch betrachtet auf die Wiedergabe von Erkenntnisquellen beschränkt, die die Situation vergleichbarer Personen darstellen. Das hat er mit seinem Berufungsvorbringen in ausreichend deutlicher Weise getan, sodass die belangte Behörde im Hinblick darauf verpflichtet gewesen wäre, sich mit diesem Vorbringen auseinander zu setzen und hiezu Ermittlungen anzustellen. Wenn sie dem entgegenhält, dass der Bezug auf "wahrscheinliche, ortstypische Abläufe" die Konsequenz hätte, dass ohne individuelle Prüfung des persönlichen Vorbringens jedem Fremden auf die bloße Behauptung hin, er sei türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger einer bestimmten Minderheit, Abschiebungsschutz zu gewähren wäre, so verkennt sie, dass der Beschwerdeführer ein weit darüber hinausgehendes Vorbringen erstattet hat. Im Übrigen ist ihr mit der Beschwerde zu entgegnen, dass es unabhängig von der Zahl und vom Vorbringen anderer Antragsteller im Verfahren nach § 54 FrG allein darauf ankommt, ob die vom konkreten Fremden geltend gemachten Gefahren § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG unterfallen und ob sie ihm - aus welchem Grund immer - mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen.
Indem die belangte Behörde, ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, Ermittlungen und darauf fußende Feststellungen zur Behandlung abgeschobener Personen in der konkreten Situation des Beschwerdeführers in der Türkei unterlassen hat, hat sie ihren Bescheid mit einem sekundären Verfahrensmangel behaftet. Dieser Verfahrensmangel erfasst auch ihren Ausspruch Ungarn betreffend, weil sie ihre Beurteilung bezüglich dieses Staates erkennbar unter dem Gesichtspunkt vorgenommen hat, dass dem Beschwerdeführer bei einer Weiterschiebung von Ungarn in die Türkei keine maßgebliche Gefahr drohe. Der angefochtene Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 1. Juli 1999
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