VwGH 97/19/1670

VwGH97/19/167026.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der 1977 geborenen I I in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Februar 1997, Zl. 118.773/9-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §1;
B-VG Art103 Abs4;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §65;
VwGG §42 Abs2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z2;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §1;
B-VG Art103 Abs4;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §65;
VwGG §42 Abs2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 21. Mai 1996 bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz durch ihren Rechtsvertreter einen Antrag auf Feststellung, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt sei. Begründet wurde der Antrag damit, die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, sei Angehörige eines Arbeitnehmers, auf den die Vorausetzungen der Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates zuträfen.

Am 10. September 1996 erging durch die Bezirkshauptmannschaft Bregenz eine Erledigung folgenden Wortlautes:

"B e s c h e i d

Herr Rechtsanwalt Dr. W hat am 21.5.1996 einen Feststellungsantrag betreffend dem Aufenthaltsrecht von Frau I, geb. 1977, bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz eingebracht. Über diesen Antrag ergeht aufgrund der Verordnung des Landeshauptmannes, LGBl. Nr. 32/1993 folgender

S p r u c h

Gemäß §§ 1, 3, 4, 6 Abs. 2 und 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. Nr. 466/92, in der geltenden Fassung i. V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/92, in der geltenden Fassung, wird der Antrag abgewiesen."

Begründend führte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz aus, der Antrag der Beschwerdeführerin hätte gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) vom Ausland aus gestellt werden müssen, im übrigen sei der Sichtvermerksversagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) verwirklicht.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung "an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, in eventu für den Fall der Zurück- oder Abweisung dieser Berufung durch die Sicherheitsdirektion, an das Bundesministerium für Inneres." In der Begründung der Berufung brachte die Beschwerdeführerin u.a. vor, sie habe bei der Behörde erster Instanz beantragt festzustellen, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt sei. Die Behörde erster Instanz verantworte daher den Fehler, nicht über den Feststellungsantrag entschieden zu haben, der zudem gerade nicht auf das Aufenthaltsgesetz gestützt sei. Es werde daher beantragt, "den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, daß festgestellt wird, daß die Berufungswerberin in Österreich aufenthaltsberechtigt ist."

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 18. November 1996 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen. Dieser Bescheid wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 97/21/0013, wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Bereits am 14. Februar 1997 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung der Beschwerdeführerin "gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes und § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 des Fremdengesetzes sowie § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes" ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, es stehe fest, daß die Beschwerdeführerin mit einem Touristensichtvermerk, gültig bis zum 15. September 1995, nach Österreich eingereist sei und ihren damit begonnenen Aufenthalt nach mit dem vorliegenden Antrag auf Aufenthaltsbewilligung habe verlängern wollen. Sie sei weiterhin im Bundesgebiet aufhältig. Aufgrund des weiterhin bestehenden unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seien die Sichtvermerksversagungsgründe nach § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 FrG verwirklicht.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 29. September 1997, B 799/97-17, abgelehnt und mit Beschluß vom 29. Oktober 1997, B 799/97-20, antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie von der Beschwerdeführerin ergänzt. Sie erachtet sich in folgenden Rechten verletzt:

"* Recht der Feststellung ihrer (assoziationsrechtlichen)

Aufenthaltsberechtigung

* Recht auf Gesetzmäßigkeit anzuwendender Normen

* Recht auf gesetzliche Determinierung staatlichen Handelns * Recht auf gesetzgeberisches Handeln zur Durchführung

europäischer Normen"

In der Sache vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, da ihr Ehegatte seit Jahren in Österreich erwerbstätig sei, erfülle er jedenfalls die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 und sei daher in Österreich "assoziationsintegriert", somit unbeschränkt aufenthalts- und arbeitsmarktzugangsberechtigt. Damit komme auch der Beschwerdeführerin eine assoziationsrechtliche Aufenthaltsberechtigung zu. Insbesondere sei es rechtswidrig, daß die belangte Behörde den von der Beschwerdeführerin ausdrücklich und ausschließlich auf Europarecht gestützten Feststellungsantrag nach dem Aufenthaltsgesetz behandelt und entschieden habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die Behörde erster Instanz hat mit ihrem Bescheid vom 10. September 1996 den von ihr als "Feststellungsantrag" betreffend das Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin bezeichneten Antrag unter Berufung auf die Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg LGBl. Nr. 32/1993 und die §§ 1, 3, 4, 6 Abs. 2 und 5 Abs. 1 AufG sowie § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. Sie wurde dabei, wie sich aus der Zitierung der entsprechenden Bestimmungen des AufG und der Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaften zur Entscheidung nach dem Aufenthaltsgesetz, LGBl. Nr. 32/1993, ergibt, als Aufenthaltsbehörde (§ 6 Abs. 4 AufG) tätig. Daraus folgt, daß eine derartige der Bezirkshauptmannschaft zuzurechnende (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997, Zl. 96/19/3389) Entscheidung hinsichtlich des Instanzenzuges als erstinstanzliche Entscheidung des Landeshauptmannes im Sinne des Art. 103 Abs. 4 B-VG anzusehen ist, weshalb in dieser Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung der Instanzenzug mangels anderer bundesgesetzlicher Regelung an den zuständigen Bundesminister, im vorliegenden Fall an den Bundesminister für Inneres, geht. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, an die der Beschwerdeführer seine Berufung primär richtete, war unzuständige Behörde.

Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Abs. 2 leg. cit. die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte. Aufgrund der Rückwirkung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juni 1997 ist bei der Überprüfung des angefochtenen Bescheides jedenfalls davon auszugehen, daß zur Zeit seiner Erlassung durch die belangte Behörde kein die Berufung des Beschwerdeführers zurückweisender Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mehr vorlag.

Der belangten Behörde kam daher als der im Instanzenzug zuständigen Berufungsbehörde jedenfalls die funktionelle Zuständigkeit zur Überprüfung der Berufung auf ihre Zulässigkeit zu.

Im vorliegenden Fall war "Sache" des Berufungsverfahrens der - nach dem eindeutigen Wortlaut des Spruches erfolgte - Abspruch der Behörde erster Instanz über den Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin. Dies ungeachtet des Umstandes, daß sich die Behörde erster Instanz auf die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes berufen hatte (die Erwähnung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG erfolgte offensichtlich nur im Zusammenhang mit der Verweisung in § 5 Abs. 1 AufG auf in § 10 Abs. 1 FrG umschriebene Sichtvermerksversagungsgründe). Der Berufungsantrag der Beschwerdeführerin, der angefochtene Bescheid möge dahin abgeändert werden, daß festgestellt wird, daß die Berufungswerberin in Österreich aufenthaltsberechtigt ist, bewegte sich demnach innerhalb der "Sache" des Verfahrens vor der Behörde erster Instanz, weshalb ein zulässiger Berufungsantrag vorliegt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Entscheidung über den Antrag auf Feststellung, ein Fremder halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, die Fremdenpolizeibehörde, für eine solche über einen Antrag auf Feststellung, er sei zur Begründung eines Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet berechtigt, aber die Aufenthaltsbehörde zuständig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997, Zl. 96/19/3389, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Da die Beschwerdeführerin in ihrem Berufungsschriftsatz ausdrücklich der Behörde erster Instanz vorwarf, sie habe nicht über den von ihr festgestellten Feststellungsantrag entschieden, der sich gerade nicht auf das Aufenthaltsgesetz stützte, und überdies auf die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg als "in Fremdensachen" sachlich in Betracht kommende Oberbehörde der Bezirkshauptmannschaften Bezug nahm, hatte die belangte Behörde davon auszugehen, es handle sich beim Antrag der Beschwerdeführerin um einen Antrag auf Feststellung, sie halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Über einen solchen Antrag hätte aber die Bezirkshauptmannschaft Bregenz im Namen des Landeshauptmannes von Vorarlberg - somit als Aufenthaltsbehörde - nicht entscheiden dürfen. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, von Amts wegen die oben aufgezeigte Unzuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde zur Erledigung des Antrages der Beschwerdeführerin als Aufenthaltsbehörde aufzugreifen und den Bescheid der Behörde erster Instanz ersatzlos aufzuheben. Anschließend wäre es Sache der Behörde erster Instanz gewesen, über den unerledigten Antrag der Beschwerdeführerin, sie halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, als zuständige Fremdenpolizeibehörde zu entscheiden. Indem die belangte Behörde als hiefür zuständige Berufungsbehörde die ersatzlose Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides unterließ und eine meritorische Entscheidung über den von den Fremdenpolizeibehörden zu beurteilenden Feststellungsantrag traf, belastete sie ihren eigenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Hiedurch verletzte sie auf einfachgesetzlicher Ebene das Recht der Beschwerdeführerin auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung. Diese Verletzung der Behördenzuständigkeit war vom Verwaltungsgerichtshof ungeachtet einer Möglichkeit der Verletzung sonstiger subjektiv-öffentlicher Rechte von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Da Fragen des Gemeinschaftsrechts für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes nicht entscheidungserheblich waren, hatte eine Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 177 EGV zu entfallen.

W i e n , am 26. Juni 1998

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