VwGH 97/06/0002

VwGH97/06/000224.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des M in F, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 7. November 1996, Zl. Ve1-550-2525/1-1, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. JF, F, 2. AF, F, 3. Gemeinde F, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
ROG Tir 1994 §38 Abs3 litb;
ROG Tir 1994 §38 Abs3;
VwRallg;
AVG §8;
ROG Tir 1994 §38 Abs3 litb;
ROG Tir 1994 §38 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.160,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit einem am 16. März 1994 bei der Behörde eingelangten Ansuchen beantragten der Erst- und die Zweitmitbeteiligte (Bauwerber) die Erteilung der Baubewilligung für den Zubau eines Wohnhauses mit Keller und Garage zum bestehenden nach dem Konsens aus 1966 zum Teil als Tischlerei benützten Gebäude auf der GP 59/2, KG F, wobei im neu zu errichtenden Gebäude auch betrieblich zu nutzende Räume vorgesehen sind. In der über dieses Ansuchen anberaumten Verhandlung vom 28. November 1995 sprach sich der Beschwerdeführer gegen die Bewilligung des Bauvorhabens aus, unter anderem führte er aus, es komme zu einer unzulässigen Erweiterung der betrieblichen Tätigkeit (Tischlerei) - eine derartige Erweiterung sei im Wohngebiet nicht zulässig. Die Pläne seien nicht ausreichend und zum Teil unrichtig. Aus der Beschreibung sei nicht ersichtlich, welche Räumlichkeiten tatsächlich der privaten Nutzung bzw. der betrieblichen Nutzung zuzuordnen seien. Die Errichtung von gewerblich genutzten Räumlichkeiten unmittelbar an der Grundgrenze sei unzulässig, die Benützung dieser Räumlichkeiten stelle eine erhebliche Brandgefahr für die Anrainer dar.

Nach der Bauverhandlung holte der Bürgermeister Stellungnahmen des Tiroler Gemeindeverbandes zur Zulässigkeit einer Betriebserweiterung im Wohngebiet sowie eine Auskunft des Amtes der Tiroler Landesregierung ein. In der zuletzt genannten Auskunft vom 13. Mai 1996 wurde ausgeführt, mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 15. Februar 1967 seien eine Abricht-Dicktenhobelmaschine, eine kombinierte Kreissäge-Fräsmaschine, eine Bandschleifmaschine, eine Langlochbohrmaschine sowie diverse Kleinmaschinen und eine Furnierpresse genehmigt worden. Dieser Maschinenbestand sei im wesentlichen noch gegeben, sei jedoch mittlerweile durch eine Tischkreissäge, eine Bandschleifmaschine (Kantenschleifmaschine), einen Kantenautomaten, eine Furnierkreissäge und einen Kettenstämmer erweitert worden. Aufgrund dieses erweiterten Maschinenbestandes könne davon ausgegangen werden, daß es sich im gegenständlichen Fall um eine geringfügige Erweiterung der betrieblichen Tätigkeit handle. Von einer wesentlichen Erweiterung der Produktion könne allerdings nicht gesprochen werden. Es folgen Ausführungen zur Belästigung durch Lärm, Luftverunreinigung, Geruch oder Erschütterung.

Mit Schreiben vom 28. Mai 1996 teilte der Bürgermeister dem Beschwerdeführer und anderen Anrainern mit, daß weitere Stellungnahmen und Gutachten sowie planliche Unterlagen vorgelegt worden seien und den Parteien Gelegenheit zur Einsichtnahme und Stellungnahme eingeräumt werde.

Mit Schriftsatz vom 19. Juni 1996 äußerte sich der Beschwerdeführer dazu ablehnend, insbesondere führte er aus, es sei eine erhebliche Erweiterung der betrieblichen Tätigkeit festzustellen, wie sich schon in der Gegenüberstellung der ursprünglichen, mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 15. Februar 1967 genehmigten Maschinen mit der nunmehrigen Erweiterung ergebe. Die Immissionen, insbesondere Lärmbelästigungen, darüber hinaus auch Einwirkungen durch Staub, Schadstoffe und Geruch, seien unzumutbar.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 2. August 1996 wurde den Bauwerbern die beantragte Baubewilligung erteilt. Die Einwendungen des Beschwerdeführers und anderer Anrainer wurden als unbegründet abgewiesen.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers und einer weiteren Anrainerin wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 25. September 1996 insofern Folge gegeben, als der erstinstanzliche Bescheid insofern abgeändert wurde, als festgestellt wurde, daß die Pläne des Planungsbüros Atelier F., in welchen verschiedene Änderungen dargestellt worden und Teile des Bauvorhabens in oranger und gelber Farbe gekennzeichnet seien, nicht Bestandteil des Bescheides seien und lediglich der Plansatz, bezeichnet mit "Baueingabe", beinhaltend Pläne für Grundriß, Kellergeschoß, Grundriß Erdgeschoß, Grundriß Obergeschoß, Schnitt A - A und Ansichten sowie der Lageplan des D.I. H.E. vom 11. Juli 1994 Bescheidbestandteile seien.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers und einer weiteren Anrainerin hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 7. November 1996 als unbegründet abgewiesen. Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, das Bauvorhaben sei gemäß § 38 Abs. 3 TROG 1994 zulässig, weil die Erweiterung der betrieblichen Tätigkeit als geringfügig anzusehen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Sowohl der Gemeindevorstand als auch die belangte Behörde haben die Zulässigkeit des Bauvorhabens nach § 38 Abs. 3 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1994 geprüft, weil das Gebäude nach dem Flächenwidmungsplan im Wohngebiet liege und es durch die geplanten Baußmaßnahmen zu einer betrieblichen Erweiterung eines bestehenden Tischlereibetriebes komme.

Diese Bestimmung lautet:

"(3) Bestehen auf Grundflächen, die als Wohngebiet oder gemischtes Wohngebiet gewidmet sind, rechtmäßig bereits Gebäude für andere als die im Wohngebiet bzw. im gemischten Wohngebiet zulässigen Betriebe oder Einrichtungen, so dürfen darauf auch Gebäude für diese Betriebe bzw. Einrichtungen errichtet werden, wenn dies

a) gegenüber dem Zeitpunkt der Widmung als Wohngebiet bzw. gemischtes Wohngebiet zu einer nur geringfügigen Erweiterung des Baubestandes und der betrieblichen oder sonstigen Tätigkeit führt und

b) weder eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit noch eine gegenüber dem in lit. a genannten Zeitpunkt größere Belästigung der Bevölkerung, insbesondere durch Lärm, Luftverunreinigungen, Geruch oder Erschütterungen und auch keine unzumutbare Verkehrsbelastung bewirkt."

§ 38 Abs. 3 leg. cit. spricht in seinem lit. b Nachbarn ein Mitspracherecht und einen Immissionsschutz dahingehend zu, daß weder eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit noch eine gegenüber dem Zeitpunkt der Widmung als Wohngebiet bzw. gemischtes Wohngebiet größere Belästigung insbesondere durch Lärm, Luftverunreinigungen, Geruch oder Erschütterungen und auch keine unzumutbare Verkehrsbelastung bewirkt wird. Da der Beschwerdeführer rechtzeitig seine diesbezüglichen Einwendungen erhoben hat, waren die Baubehörden schon aus diesem Grund gehalten, sich mit der Frage der Widmungskonformität des Bauvorhabens auseinanderzusetzen.

Um überprüfen zu können, ob gegenüber dem Zeitpunkt der Widmung als Wohngebiet (mit dem Flächenwidmungsplan aus 1979) eine geringfügige Erweiterung des Baubestandes und der betrieblichen oder sonstigen Tätigkeiten eintritt, ist es zunächst erforderlich, festzuhalten, welcher - baubehördlich genehmigte - Baubestand und welcher - gewerbebehördlich genehmigte - Betrieb zum Zeitpunkt der Erlassung des Flächenwidmungsplanes vorhanden war. Nur eine Gegenüberstellung zwischen dem zum Zeitpunkt der Widmung genehmigten Bestand und dem nunmehr beabsichtigten Projekt läßt eine Beurteilung dahingehend zu, ob es sich einerseits um eine nur geringfügige Erweiterung des Baubestandes und der betrieblichen oder sonstigen Tätigkeit handelt und andererseits, ob eine größere Belästigung der Bevölkerung bewirkt werden wird. Ohne eine derartige Gegenüberstellung ist eine abschließende Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 38 Abs. 3 TROG vorliegen, nicht möglich.

Im Beschwerdefall fehlen nachvollziehbare Feststellungen dahingehend, was im Zeitpunkt der Widmung als Wohngebiet konsentierter Bestand (hinsichtlich des Baubestandes und der betrieblichen bzw. sonstigen Tätigkeit) war. Die im Akt einliegende Stellungnahme der Tiroler Landesregierung vom 13. Mai 1996 an den Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde bezieht sich auf einen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 15. Februar 1967. Sie führte dazu, wie oben dargestellt, aus, daß 1967 eine Abricht-Dicktenhobelmaschine, eine kombinierte Kreissäge-Fräsmaschine, eine Bandschleifmaschine, eine Langlochbohrmaschine sowie diverse Kleinmaschinen und eine Furnierpresse genehmigt worden seien. Dieser Maschinenbestand sei im wesentlichen noch gegeben, sei jedoch mittlerweile durch eine Tischkreissäge, eine Bandschleifmaschine (Kantenschleifmaschine), einen Kantenautomaten, eine Furnierkreissäge und einen Kettenstämmer erweitert worden. Es ist auch nicht erkennbar, ob die mittlerweile vorgenommene betriebliche Erweiterung durch die zusätzlichen Maschinen schon vor der Erlassung des Flächenwidmungsplanes 1979 vorhanden (und behördlich bewilligt) war oder ob diese betriebliche Erweiterung eine solche ist, die nach der Bewilligung des gegenständlichen Bauvorhabens erst einer gewerblichen Betriebsanlagengenehmigung zugeführt werden soll, oder ob infolge der beabsichtigten Erweiterung des Baubestandes mit darüber hinausgehenden maschinellen Erweiterungen zu rechnen ist.

Die prozentuelle Ermittlung der flächenmäßigen Betriebserweiterung, die der von den Bauwerbern beauftragte Gutachter vorgenommen hat und die vom Amtssachverständigen nur in rechnerischer Hinsicht überprüft wurde, wurde mit 21,62 % im Verhältnis zum Bestand angegeben. Sie ist schon deshalb nicht überprüfbar, weil die Behörde keine Feststellungen dahingehend getroffen hat, welcher Bestand - aufgeteilt nach Wohnnutzung und Nutzung für den Tischlereibetrieb - zum Zeitpunkt der Festsetzung der Widmung konsentiert war. Überdies wurden der Silo-Heizraum und der dazugehörende Lagerraum der Ermittlung der Betriebserweiterung nicht zugrundegelegt, obwohl die Heizung sowohl der privaten als auch der betrieblichen Nutzung dient. Die Ansicht, der Silo-Heizraum und der dazugehörige Lagerraum seien bei der Ermittlung der Betriebserweiterung deshalb VÖLLIG AUßER ACHT zu lassen, weil diese Heizmöglichkeit AUCH der privaten Wohnnutzung zuzurechnen ist, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage; in einem derartigen Fall ist der prozentuelle Anteil betrieblicher und privater Nutzung zu ermitteln und der entsprechende Prozentsatz sodann bei der Ermittlung der Betriebserweiterung zu berücksichtigen. Schließlich vermag der Verwaltungsgerichtshof die Annahme, eine flächenmäßige Betriebserweiterung von 21,62 % sei im Verhältnis zum Bestand als eine "geringfügige Erweiterung" im Sinne des § 38 Abs. 3 lit. a TROG zu werten, nicht zu teilen. Eine Erweiterung von über 20 % stellt immerhin eine Erweiterung um mehr als ein Fünftel dar. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich bei der Bestimmung des § 38 Abs. 3 TROG um eine Ausnahmebestimmung handelt, die bestehenden, nicht der Widmung entsprechenden Betrieben unter den genannten Voraussetzungen eine Erweiterung in einem Gebiet ermöglichen sollen, in dem sie aus raumordnungsrechtlichen Gründen keinesfalls neu errichtet werden könnten, kann diese Bestimmung, wie jede Ausnahmebestimmung, nicht extensiv ausgelegt werden. Die Wortfolge "nur geringfügige Erweiterung" stellt einen unbestimmten Gesetzesbegriff dar, der der Interpretation bedarf. Es widerspricht aber schon dem allgemeinen Sprachgebrauch, bei einer Erweiterung von über 20 % von einer "geringfügigen Erweiterung" sprechen.

Da die belangte Behörde dies verkannte und auch nicht erkannte, daß das Verfahren auf Gemeindeebene ergänzungsbedürftig geblieben ist und überdies bei der Ermittlung der flächenmäßigen Betriebserweiterung Flächen nicht miteinbezogen wurden, die auch betrieblich genützt werden, belastete sie den Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren betrifft Stempelgebühren für nicht erforderliche Bescheidausfertigungen.

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