VwGH 97/05/0310

VwGH97/05/031024.3.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Marktgemeinde Guntramsdorf, vertreten durch Dr. Peter Kaupa, Rechtsanwalt in Baden, Hauptplatz 17, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. Oktober 1997, Zl. RU1-V-97138/00, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Dipl.Ing. Franz Hirschegger-Ramser in Wiener Neudorf, vertreten durch Dr. Wolf Heistinger, Rechtsanwalt in Mödling, Achsenaugasse 3), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §76 Abs1;
BauO NÖ 1976 §61 Abs1;
BauO NÖ 1976 §61 Abs2;
BauO NÖ 1976 §61 Abs3;
B-VG Art119a Abs5;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §76 Abs1;
BauO NÖ 1976 §61 Abs1;
BauO NÖ 1976 §61 Abs2;
BauO NÖ 1976 §61 Abs3;
B-VG Art119a Abs5;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Marktgemeinde Guntramsdorf hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 1. März 1996, eingelangt bei der beschwerdeführenden Gemeinde am 7. März 1996, beantragte der Mitbeteiligte als Bauwerber die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Kleinwohnhauses mit

4 PKW-Abstellplätzen auf dem Grundstück Nr. 2406/8, KG Guntramsdorf. Das Grundstück liegt im Bauland-Wohngebiet, ein Bebauungsplan existiert für dieses Gebiet nicht. Das Projekt sieht einen Keller, ein Erdgeschoß und ausgebautes Dachgeschoß vor und soll zur Johann-Nestroy-Gasse, gegen die es mit der 10,75 m breiten Schmalseite gerichtet ist, einen Abstand von 7 m aufweisen. Von der nördlichen Grundstücksgrenze wird ein Abstand von 4 m, von der östlichen ein Abstand von 4,82 m und von der südlichen Grundstücksgrenze ein Abstand von 5,75 m eingehalten. Die Gebäudehöhe beträgt 4 m.

Über dieses Ansuchen wurde mit Ladung vom 23. Mai 1996 eine mündliche Verhandlung für den 11. Juni 1996 anberaumt. Bereits vor der Verhandlung sprachen sich die Anrainer gegen das Bauvorhaben aus, sie wiederholten in der mündlichen Verhandlung ihre Einwendungen; die Wohnqualität auf den Liegenschaften würde durch den Lärm beeinträchtigt, die hintere Baufluchtlinie werde nicht eingehalten, die öffentlichen Verkehrsflächen würden zu sehr belastet, die Richtung des Objektes stelle eine einschneidende Veränderung des Orts- und Straßenbildes dar. In der Verhandlung vom 11. Juni 1996 führte der Amtssachverständige aus, gemäß § 120 der Niederösterreichischen Bauordnung könne aus der umliegenden Bebauung die "offene Bauweise" und die Bauklasse I abgeleitet werden. Die umliegende Bebauung bestehe ausschließlich aus Einfamilienhäusern, die entweder mit minimaler Vorgartentiefe von 4 m oder einem Abstand zur hinteren Grundgrenze von ca. 5 m auf dem Grundstück situiert seien. Es lasse sich keine hintere Baufluchtlinie für die Bebauung des gegenständlichen Grundstückes ableiten. Das eingereichte Objekt werde auf dem Grundstück so situiert, daß zu sämtlichen Grundgrenzen die erforderlichen Abstände eingehalten würden und die zulässige Gebäudehöhe von 4 m der Bauklasse I nicht überschritten werde. Die Dachform des Krüppelwalmdaches mit einer Neigung von 35 Grad sei für dieses Siedlungsgebiet durchaus üblich. Aufgrund der Beurteilung des § 120 (NÖ BO) sei das gegenständliche Bauvorhaben unter Vorschreibung diverser Auflagen bewilligungsfähig.

Der Vizebürgermeister stellte als Verhandlungsleiter fest, daß die Anordnung eines Kleinwohnhauses mit 4 Wohneinheiten eine wesentliche Störung des Ortsbildes gemäß § 61 der Niederösterreichischen Bauordnung bewirke, da dieses ausnahmslos in diesem Bereich von Einfamilienhäusern geprägt werde. Er versage aus diesem Grunde die Erteilung der Baubewilligung.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom 2. August 1996 wurde das Ansuchen des Mitbeteiligten gemäß § 100 Abs. 2 in Verbindung mit § 61 und § 120 der Niederösterreichischen Bauordnung (ohne Einholung eines Ortsbildgutachtens) abgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, das projektierte Vorhaben stehe unter Berücksichtigung der charakteristischen Merkmale des vorhandenen Baubestandes, insbesondere der unmittelbaren Umgebung und des umliegenden Ortsteiles, aufgrund seiner Lage, Größe, Proportionen und Bauform mit dem Ortsbild in Widerspruch und bewirke eine erhebliche Störung bzw. Verunstaltung des vorhandenen Baubestandes.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der mitbeteiligten Partei holte die beschwerdeführende Gemeinde ein Ortsbildgutachten des Stadtbaudirektors D.I. Dr. R.E. ein. In seinem Gutachten vom 20. Dezember 1996 führte dieser Gutachter aus, Bezugsgebiet und Beurteilungsraum sei das Gemeindegebiet südlich des Wr. Neustädter Kanals und umschlossen von der Neudorfer-Straße im Osten, der Adalbert Stifter-Gasse im Süden und der Peter-Mitterhofer-Gasse im Westen. Das Bezugsgebiet sei annähernd waagrecht und weise nur an den Grenzen zum Wr. Neustädter Kanal und zur Neudorfer-Straße Böschungen auf. Es werde von der Peter-Mitterhofer-Gasse über die U-förmig angeordnete Johann-Nestroy-Gasse aufgeschlossen. Vom Straßenraum sei das gegenständliche Grundstück nur vom östlichen und nördlichen Ast der Johann-Nestroy-Gasse und mit Einschränkungen von der etwas höher liegenden Neudorfer-Straße einsehbar. Die annähernd regelmäßige Parzellierung führe in überwiegendem Maße zu Grundstücken mit einer Breite von 19 m bis 23 m und einer Tiefe von 30 m bis 38 m. Von den 47 Parzellen seien in den letzten Jahren 40 Parzellen bebaut worden. Die Bebauung bestehe ausschließlich aus Ein- oder Zweifamilienhäusern, wobei bei den nord-süd-orientierten Grundstücken fast einheitlich die Häuser im nördlichen Teil des Grundstückes situiert worden seien. Bei den ost-west-ausgerichteten Grundstücken, mit Ausnahme von 2 Fahnengrundstücken, seien die Häuser in zwei Fällen in der Nähe der Straße, in zwei Fällen im rückwärtigen Grundstücksteil placiert worden. In allen Fällen lasse sich deutlich zwischen einer bebauten Grundstückshälfte und einer als Gartenfreifläche benutzten Grundstückshälfte unterscheiden. Die Häuser seien - bis auf je eine Ausnahme an der Neudorfer-Straße und der Adalbert-Stifter-Gasse - eingeschoßig und gegebenenfalls mit ausgebautem Dachgeschoß. Es herrschten Satteldächer, teilweise mit Krüppelwalm, vor, als Dachdeckungsmaterial seien überwiegend Dachsteine oder Faserzementplatten verwendet worden, wobei dunklere Farbtöne bevorzugt worden seien. Die Fassadenflächen seien durchaus in weiß oder hellen Ockertönen geputzt. Die vorhandene Bebauung schaffe ein Bebauungsschema, wonach das Bauwerk in der einen Hälfte des Grundstückes situiert werde, die zweite Hälfte unbebaut und als Gartenfläche erhalten bleibe. Dabei entstehe jener harmonische Ausgleich zwischen bebauter und unbebauter Grundstücksfläche, wie er für dieses Siedlungsgebiet charakteristisch sei. Das geplante Objekt wäre hinsichtlich seiner Baudetails wie Dachform, Fenstergrößen, Materialwahl durchaus seiner Umgebung angepaßt. Durch seine Größe erstrecke sich das Haus, lediglich durch die - teilweise gesetzlich minimalsten - Seitenabstände eingeschränkt, über den gesamten Bauplatz, wodurch der Anschein einer zeilenartigen Bebauung entstehe. Dieser Eindruck der Längenausdehnung werde noch durch die rhythmische Anordnung der vier Eingangsvordächer und der vier gaupenartigen Dachaufbauten zu beiden Seiten des Satteldaches verstärkt. Diese langgestreckte Bebauung leite den Blick sowohl vom nördlichen wie auch vom östlichen Teil der Nestroy-Gasse bis knapp an das Ende des Grundstückes und lasse dabei jenes für dieses Gebiet so typische Wechselspiel zwischen bebauter und unbebauter Grundstückshälfte vermissen. Das geplante Kleinwohnhaus schiebe sich wie ein Riegel in die durchgehenden Grünbereiche und zerstöre dabei das ausgewogene Verhältnis der gebauten Struktur des Umgebungsgebietes. Diese bauliche Konzentration führe zu einer negativen optischen Beeinflussung der Umgebung, das Bauwerk werde als Fremdkörper empfunden. Unter Berücksichtigung der charakteristischen Merkmale des Umgebungsbestandes scheine das vorliegende Projekt die gesetzlichen Vorschreibungen in bezug auf harmonische Einfügung in das Ortsbild nicht zu erfüllen, und es sei eine erhebliche Störung des vorhandenen Baubestandes zu erwarten.

Dieses Gutachten wurde dem Mitbeteiligten vorgehalten, der sich dazu negativ äußerte und die Ergänzungsbedürftigkeit des Gutachtens bemängelte, insbesondere seien die Abstände der Bauten auf den Parzellen Nr. 2405/28 bis 2406/34 der Johann-Nestroy-Gasse von der Grundstücksgrenze, die an die Nestroy-Gasse grenze, nicht in den Befund aufgenommen worden. Bei Aufnahme dieser Parzellen hätte der Gutachter feststellen müssen, daß einerseits die Tiefenabstände nahezu gleich (wie beim eingereichten Projekt) seien. Weiters hätte der Sachverständige festzustellen gehabt, daß nahezu alle auf den obzitierten Parzellen errichteten Gebäude sehr knapp an die seitliche Grundstücksgrenze (90-grädig zur Nestroy-Gasse) errichtet seien und die Häuser der Parzellen Nr. 2405/28, 2406/29 sowie 2406/31 und 2406/32 sogar aneinander gebaut seien. Es wäre daher festzustellen gewesen, daß der Gesamteindruck der Bebauung Nestroygasse auf jener Straßenseite, auf welcher auch das projektierte Gebäude errichtet werden solle, eine nahezu "geschlossene" Bauweise wiedergebe. Der Altbestand weise weder eine gewisse Bautradition noch eine kulturelle Einheit auf.

In der Folge ergänzte der Stadtbaudirektor sein Gutachten mit Schreiben vom 11. März 1997. Darin führte er u.a. aus, daß die Feststellungen des Mitbeteiligten "einen gänzlich anderen Straßenzug beträfen". Es erübrige sich daher, auf die vermuteten Mängel einzugehen. Die unmittelbare Umgebung der zu bebauenden Parzellen werde durch die Parzellen Nr. 2406/9 und an der südlichen, rechten Seite durch die Parzelle Nr. 2406/7 gebildet. Diese Grundstücke wiesen eine bebaute Fläche von 20,6 bzw. 22 % des Bauplatzes auf, das zu bebauende Grundstück weise hingegen eine bebaute Fläche von 34,5 % aus. Bei der Beurteilung des Ortsbildes sei die Bautradition nur zu berücksichtigen, wenn diese eine kulturelle Einheit bilde. Da diese im Sinne des Gesetzes (noch) nicht vorliege, sei bei der Beurteilung des eingereichten Projektes nur auf eventuelle Störfaktoren eingegangen worden.

Der Beschwerdeführer äußerte sich auch zu dieser Ergänzung des Gutachtens ablehnend.

Mit Bescheid des Gemeinderates der beschwerdeführenden Gemeinde vom 26. Mai 1997 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 2. August 1996 abgewiesen. Zur Begründung wurde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und des Gutachtens des Stadtbaudirektors ausgeführt, letzteres sei schlüssig und nachvollziehbar und entspreche den gesetzlichen Anforderungen. Der Mitbeteiligte sei diesem Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten; zur Ergänzung des Gutachtens habe er sich nicht geäußert. Gleichzeitig wurde dem Mitbeteiligten die Entrichtung eines Betrages von S 6.714,66 an Verfahrenskosten für die Erstellung des Ortsbildgutachtens aufgetragen.

In der dagegen erhobenen Vorstellung wies der mitbeteiligte Bauwerber darauf hin, daß er zur Ergänzung des Gutachtens sehr wohl eine Stellungnahme abgegeben habe und das Ortsbildgutachten nicht schlüssig sei, weil der Gutachter eindeutig festgestellt habe, daß im gegenständlichen Gebiet weder eine Bautradition noch eine kulturelle Einheit vorhanden sei, weshalb das beantragte Projekt auch keine erhebliche Störung des Ortsbildes darstellen könne.

Die belangte Behörde hat hierauf ein Ortsbildgutachten des Amtssachverständigen der Niederösterreichischen Landesregierung vom 11. September 1997 eingeholt. Dieser Gutachter D.I. O. bezog sich auf das Beurteilungsgebiet laut Gutachten des Stadtbaudirektors, zu welchem er insofern eine Ergänzung als erforderlich erachtete, als festgestellt werden müßte, daß sowohl die unmittelbare Umgebung, die angrenzende Straße als auch der umliegende Ortsteil weder eine baukulturelle Einheit darstelle noch ein einheitliches Erscheinungsbild erkannt werden könne. Vielmehr sei der Baubestand als stilistisch und gestalterisch heterogen zu bezeichnen und zeige das vielerorts bekannte "Ortsbild" architektonisch und städtebaulich nicht unproblematischer Rastersiedlungen. Als durchgehendes Gestaltungsprinzip können lediglich ein ein- bis eineinhalbgeschoßhoher Baukörper mit flach- bis steilgeneigten Dachkonstruktionen sowie generell vorhandene seitliche Abstandsflächen nachgewiesen werden. Aus der im Gutachten des Stadtbaudirektors festgestellten Situierung der Objekte ergebe sich ein in der Draufsicht erkennbares Gestaltungsprinzip der Anordnung der einzelnen Baukörper sowie der verbleibenden Frei- bzw. Grünflächen. In diesem Zusammenhang sei erkennbar, daß pro Grundstückseinheit jeweils ein gewisser Prozentsatz der Grundfläche unbebaut sei. Das vom öffentlichen Gut aus erlebbare Orts- bzw. Straßenbild lasse diesen Umstand jedoch nicht (im Original unterstrichen) erkennen. Das Straßenbild prägten lediglich die durch Abstandsflächen getrennten Baukörper, die teils giebel-, teils traufständig situiert seien. Die Anordnung des gegenständlichen Kleinwohnhauses füge sich somit "harmonisch" in das bestehende Straßenbild ein. Da sich die Größe, Proportion und Form des Vorhabens ebenfalls im ortsüblichen Rahmen bewege, sei auch hier kein Widerspruch zum Ortsbild feststellbar. Bei Gegenüberstellung des geplanten Vorhabens mit dem Umgebungsbestand sei daher weder aufgrund der Lage, Größe, Proportion und Bauform noch aufgrund des zu erwartenden Erscheinungsbildes eine erhebliche Störung bzw. Verunstaltung des vorhandenen Baubestandes zu erkennen. Dies aus dem Grund, daß die gestalterische Heterogenität des Umgebungsbestandes absolut vergleichbare architektonische Elemente, wie sie beim geplanten Wohnhaus vorgesehen seien, erkennen lasse. Lediglich die verstärkte Inanspruchnahme der bebauten Grünfläche weiche etwas von der Ortsüblichkeit im Umgebungsbereich ab, dies sei aber im Straßenraum nicht erkennbar und im Grünbereich nicht nur durch die vorhandene Vegetation, sondern auch durch die nicht einheitliche Anordnung der Objekte (hinsichtlich der Grundstückstiefe) nicht als erhebliche Störung im Sinne einer Verunstaltung zu bewerten.

Nach Vorhalt dieses Gutachtens an die beschwerdeführende Gemeinde und den Mitbeteiligten hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 15. Oktober 1997 der Vorstellung des Mitbeteiligten Folge gegeben, den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat zurückverwiesen. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens im wesentlichen ausgeführt, der Bescheid des Gemeinderates weise zwar eine Länge von 16 Seiten auf, seine Begründung beinhalte jedoch lediglich die Wiedergabe des Verwaltungsverfahrens sowie des Gutachtens und seiner Ergänzung. Es werde festgestellt, daß das Gutachten des Stadtbaudirektors schlüssig und nachvollziehbar sei und den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Überdies sei der Beschwerdeführer diesem Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen insbesondere hinsichtlich des Berufungsvorbringens seien für die Vorstellungsbehörde nicht nachvollziehbar gewesen, weshalb sie ein Ortsbildgutachten eingeholt habe, um festzustellen, ob dieser Begründungsmangel wesentlich gewesen sei. Das Ergebnis zeige nun, daß der Gemeinderat bei Vermeidung dieses Mangels durchaus zu einem für den Bauwerber günstigeren Ergebnis hätte kommen können. Somit stelle sich dieser Verfahrensmangel als wesentlich dar; dazu komme noch, daß die Berufungsbehörde dem Bauwerber zwar hinsichtlich der ergänzenden Stellungnahme des Gutachters vom 11. März 1997 das Parteiengehör eingeräumt habe, aber in der Bescheidbegründung nicht auf die rechtzeitige Stellungnahme eingegangen sei, sondern vielmehr sogar aktenwidrig festgestellt habe, daß der Bauwerber diesbezüglich überhaupt keine Stellungnahme abgegeben habe. Zu den vom Gemeinderat vorgeschriebenen Verfahrenskosten sei festzustellen, daß der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 22. Mai 1997 lediglich beschlossen habe, dem Bauwerber Verfahrenskosten vorzuschreiben, ohne jedoch den konkreten Betrag zu nennen bzw. zu beschließen. Liege einem namens einer Kollegialbehörde (Gemeinderat) ausgefertigten Bescheid jedoch kein Beschluß dieser Kollegialbehörde zugrunde, so sei dieser nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als wie von einer unzuständigen Behörde erlassen zu behandeln. Einen Beschluß hinsichtlich der Höhe der Verfahrenskosten von S 6.714,66 habe der Gemeinderat nicht gefaßt, er habe daher seinen Bescheid auch in dieser Hinsicht mit Rechtswidrigkeit belastet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der Gemeinde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Seit 1. Jänner 1997 ist die Niederösterreichische Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, in Kraft. Nach der Übergangsbestimmung des § 77 Abs. 1 leg. cit. sind die am Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Verfahren nach der bisherigen Rechtslage, also nach der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-14, zu Ende zu führen.

Im Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 maßgeblich:

1. § 120 Abs. 3 in der Fassung LGBl. Nr. 8200-9

"(3) In einem Baulandbereich, für den noch kein Bebauungsplan erlassen wurde oder ein vereinfachter Bebauungsplan keine Regelung der Anordnung oder Höhe der Gebäude enthält, ist die Baubewilligung für einen Neu-, Zu- oder Umbau eines Gebäudes zu versagen, wenn dieses Gebäude hinsichtlich seiner Anordnung auf dem Bauplatz oder seiner Höhe in einem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung stehen würde."

"§ 61

Schutz des Orts- und Landschaftsbildes

(1) Vorhaben, die einer baubehördlichen Bewilligung bedürfen, dürfen das Orts- und Landschaftsbild nicht stören. Die Bautradition des Umlandes ist, soweit dieses eine kulturelle Einheit bildet, zu berücksichtigen.

(2) Unter Ortsbild ist die bestehende Eigenart bzw. die im Bebauungsplan vorgesehene Gestaltung der baulichen Ansicht eines Ortes, Ortsteiles oder anderen bebauten Gebietes unter Einschluß der bildhaften Wirkung, die von nicht bebauten Gebieten ausgeht, zu verstehen.

(3) Bei der Beurteilung, ob ein Vorhaben das Ortsbild stört, sind die charakteristischen Merkmale des vorhandenen Baubestandes, und zwar der unmittelbaren Umgebung, der angrenzenden Straße (Straßenbild), des umliegenden Ortsteiles und des gesamten Ortes oder bebauten Gebietes zu berücksichtigen. Dabei ist zu prüfen, ob das Vorhaben auf Grund seiner Lage, Größe, Proportionen und Bauform, der verwendeten Baustoffe, Bauteile und bauchemischen Mittel bzw. des zu erwartenden Erscheinungsbildes als erhebliche Störung oder Verunstaltung des vorhandenen Baubestandes wirkt."

Der Gemeinderat der beschwerdeführenden Marktgemeinde hat zwar nach dem Spruch seines Bescheides die Versagung der Baubewilligung nicht nur auf § 61, sondern auch auf § 120 Abs. 3 NÖ BO 1976 gestützt. Ausführungen dahingehend, inwiefern das beantragte Projekt bezüglich der aufgrund der Novelle LGBl. 8200-9 des § 120 Abs. 3 allein maßgeblichen Kriterien der Anordnung auf dem Bauplatz und der Höhe in einem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung stehen würde, finden sich im Bescheid des Gemeinderates aber nicht. Da alle Gutachter davon ausgehen, daß die offene Bebauung vorherrscht und die Bauklasse I anzunehmen ist, die Anordnung auf den Bauplätzen uneinheitlich ist und jedenfalls keine hintere Baufluchtlinie eingehalten wird, vermag auch der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, inwiefern das Projekt, das die erforderlichen Abstände zu den Grundstücksgrenzen einhält und eine Gebäudehöhe von 4 m aufweist, hinsichtlich seiner Anordnung auf dem Bauplatz oder seiner Höhe in einem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung stehen würde.

Hinsichtlich der Beurteilung, ob das Vorhaben das Ortsbild erheblich stört, hat die belangte Behörde wegen des Begründungsmangels das Verfahren für ergänzungsbedürftig gehalten.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Beurteilung der belangten Behörde, wonach sich die Bescheidbegründung des Gemeinderates in einer bloßen Wiedergabe des Verwaltungsgeschehenes und des Sachverständigengutachtens erschöpfte und lediglich festgestellt wurde, daß das Gutachten schlüssig und nachvollziehbar sei und den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Die Schlüsse, die der Gemeinderat aus dem Gutachten gezogen hat, konnten seinem Bescheid aber nicht entnommen werden. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist die Frage des Ortsbildbegriffes eine Rechtsfrage, die von der Behörde selbst zu beantworten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. April 1992, Zl. 91/06/0153), wobei sie sich auf Gutachten zu stützen hat. Der Gemeinderat ist seiner Begründungspflicht insofern nicht nachgekommen, als er nicht ausgeführt hat, welche rechtliche Beurteilung er aus dem Sachverständigengutachten gezogen hat. Überdies ist er, wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, aktenwidrig davon ausgegangen, daß der Mitbeteiligte zur Ergänzung des Gutachtens keine Stellungnahme mehr abgegeben habe.

Die Gemeindeaufsichtsbehörde ist im Vorstellungsverfahren berechtigt und verpflichtet, selbst den maßgebenden Sachverhalt zu klären, wenn dies für die Beantwortung der Frage, ob eine Rechtsverletzung des Vorstellungswerbers vorliegt, erforderlich ist (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Seite 507 zu E3 zitierte hg. Judikatur).

Die belangte Behörde ging zutreffend davon aus, daß ein Begründungsmangel nur dann zu einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führen kann, wenn er eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides verhindert und bei Vermeidung des Mangels nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde (in diesem Fall der Gemeinderat) zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

Das in Ergänzung des Sachverhaltes eingeholte Gutachten des Amtssachverständigen der Niederösterreichischen Landesregierung legte seiner Beurteilung dasselbe Beurteilungsgebiet zugrunde, von welchem der von der beschwerdeführenden Gemeinde beauftragte Stadtbaudirektor ausgegangen ist.

Sachverhaltsbezogen vermag der Verwaltungsgerichtshof an der Festlegung der Grenzen dieses Beurteilungsgebietes keine Rechtswidrigkeit zu erkennen, zeichnet sich doch dieses Gebiet nicht nur durch eine rasterartige Aufteilung der Grundstücke, sondern auch durch eine insofern einheitliche Bebauung aus, als vorwiegend Ein- bzw. Zweifamilienhäuser errichtet wurden. Genau in diesem Beurteilungsgebiet liegen aber die Parzellen Nr. 2405/28 bis 2406/34, deren Heranziehung der Mitbeteiligte bereits in seiner Stellungnahme vom 13. Februar 1997 (zum Gutachten vom 20. Dezember 1996) gefordert hat. In der Ergänzung seines Gutachtens vom 11. März 1997 hat der Stadtbaudirektor dazu ausgeführt, daß die Feststellungen und Stellungnahme (des Mitbeteiligten) einen "gänzlich anderen Straßenzug" beträfen. Diese Aussage ist insofern unzutreffend, als sich die Parzellen Nr. 2406/8 bis 2406/34 ebenfalls in der U-förmig geführten Nestroy-Gasse befinden und auf derselben Straßenseite wie das geplante Bauprojekt, jedoch noch vor dem Knickpunkt liegen, jedenfalls aber innerhalb des Beurteilungsgebietes. Ein Gutachten, das einerseits ein Beurteilungsgebiet abgrenzt, in einer Stellungnahme aber ausführt, bestimmte Gegebenheiten (in diesem Gebiet) befänden sich in einem "gänzlich anderen Straßenzug", es erübrige sich daher, auf die vermuteten Mängel einzugehen, ist aber zumindest unschlüssig, weil es den auch aus dem Lageplan ersichtlichen Widerspruch, den der Mitbeteiligte zu Recht gerügt hat, nicht aufklärt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem bereits zitierten Erkenntnis vom 9. April 1992 ausgeführt hat, ist ein Ortsbild jedenfalls anhand des (konsentierten) Bestandes zu beurteilen, soweit ihm ein Mindestmaß an gemeinsamer Charakteristik (wenn auch nicht vollständig einheitlich) eigen ist, welche den (notwendigen) Maßstab dafür bildet, ob ein Bauvorhaben dieses Ortsbild erheblich beeinträchtigt. Ein Ortsbild, dem ein solcher Zusammenhang fehle, sodaß ein Bauvorhaben geradezu beliebig in einem Belang als störend, in anderen Belangen jedoch als sich einfügend empfunden werden könne, biete keinen geeigneten Beurteilungsmaßstab.

Im Beschwerdefall hat der von der beschwerdeführenden Gemeinde herangezogene Stadtbaudirektor ausgeführt, daß die vorhandene Bebauung keine kulturelle Einheit bilde. Der Amtssachverständige der Niederösterreichischen Landesregierung hat zu diesem Problemkreis ausgeführt, daß sowohl die unmittelbare Umgebung, die angrenzende Straße als auch der umliegende Ortsteil weder eine baukulturelle Einheit darstelle noch ein einheitliches Erscheinungsbild erkannt werden könne. Vielmehr sei der Baubestand als stilistisch und gestalterisch heterogen zu bezeichnen.

Da gemäß § 61 Abs. 3 letzter Satz NÖ BO 1976 zu prüfen ist, ob das Vorhaben aufgrund seiner Lage, Größe, Proportionen und Bauform, der verwendeten Baustoffe, Bauteile und bauchemischen Mittel bzw. des zu erwartenden Erscheinungsbildes eine erhebliche Störung oder Verunstaltung des vorhandenen Baubestandes bewirkt, wird bei einer stilistisch und gestalterisch heterogenen Bebauung eine erhebliche Störung oder Verunstaltung des vorhandenen Baubestandes mangels Vorliegens eines geeigneten Beurteilungsmaßstabes nur in Extremfällen nachvollziehbar zu begründen sein. Gerade dieses Begründungsdefizit im Bescheid des Gemeinderates hat aber der von der belangten Behörde beauftragte Gutachter aufgezeigt.

Schließlich ist noch festzustellen, daß § 61 Abs. 3 letzter Satz NÖ BO 1976 auf die Wirkung des Vorhabens auf das Ortsbild abstellt. Der Gutachter der Niederösterreichischen Landesregierung hat ausgeführt, daß gerade der Umstand, der im Gutachten des Stadtbaudirektors betont ist, wonach bei den bereits bebauten Grundstücksflächen ein gewisser Prozentsatz der Grundfläche unbebaut ist, vom öffentlichen Gut aus nicht erlebbar ist, daß somit das Orts- bzw. Straßenbild diesen Umstand nicht erkennen läßt. Diese Beurteilung trifft laut Lageplan im Beschwerdefall schon deshalb zu, weil, ausgehend vom öffentlichen Gut, die Grünflächen gerade auch in dem Teil der Nestroy-Straße, den der mitbeteiligte Bauwerber herangezogen hat (Parzellen Nr. 2406/28 bis 2406/34), nicht mehr in Erscheinung treten (sie liegen hinter den Gebäuden) als beim vorgesehenen Bauprojekt. Warum die gemäß § 61 Abs. 3 letzter Satz NÖ BO 1976 geforderte "Wirkung" der Grünflächen des Vorhabens auf das Ortsbild nicht ähnlich zu beurteilen sein sollte, wie jene Wirkung, die der vorhandene Baubestand mit den dahinter liegenden Grünflächen auf den genannten Parzellen entfaltet, hat der von der Beschwerdeführerin beauftragte Gutachter nicht dargelegt, sondern das diesbezügliche Vorbringen des Mitbeteiligten damit abgetan, daß diese Gegebenheiten "einen gänzlich anderen Straßenzug" beträfen.

Aufgrund des von der Vorstellungsbehörde eingeholten Gutachtens konnte diese somit mit Recht davon ausgehen, daß der Begründungsmangel, der dem Bescheid des Gemeinderates zugrundelag, insofern wesentlich war, als der Gemeinderat bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheidergebnis hätte gelangen können.

Zur Vorschreibung der Verfahrenskosten:

Laut vorgelegtem Verwaltungsakt, wie dies insbesondere aus den Unterlagen über die Gemeinderatssitzung vom 22. Mai 1997 hervorgeht, lag dem Bescheid des Gemeinderates hinsichtlich der Vorschreibung der Verfahrenskosten in der Höhe von S 6.714,66 kein Beschluß des Gemeinderates zugrunde, weshalb die belangte Behörde zu Recht diesen Bescheidteil wegen Unzuständigkeit von Amts wegen aufgehoben hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1988, Zlen. 84/06/0097, 0099, u.v.a.). Wenn in der Beschwerde der Gemeinde zu diesem Punkt darauf verwiesen wird, daß zwar die Höhe des Betrages im Protokoll der Sitzung vom 22. Mai 1997 keinen Niederschlag gefunden habe, sich jedoch aus dem Inhalt der Verwaltungsakten insgesamt ergebe, nämlich aus den dort erliegenden Kostennoten, so ist damit für die Gemeinde nichts gewonnen, vermag doch der "Akteninhalt" die erforderliche Beschlußfassung nicht zu ersetzen.

Da sich die Beschwerde somit zur Gänze als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Im Hinblick auf die Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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