VwGH 97/01/0268

VwGH97/01/026814.10.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde 1. des J, 2. des mj. F und

3. des mj. I, alle in Dornbirn, Zweit- und Drittbeschwerdeführer vertreten durch den Erstbeschwerdeführer als ihren gesetzlichen Vertreter, dieser vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 14. Februar 1997, Zl. Ia 370-716/95, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:

Normen

StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §11;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §11;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung (der belangte Behörde) vom 14. Februar 1997 wurden der Antrag des Erstbeschwerdeführers - eines jugoslawischen Staatsangehörigen - vom 24. Juni 1995 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und der damit verbundene Antrag auf Erstreckung der Verleihung auf seine beiden mj. Kinder "gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG)" bzw. "gemäß §§ 17 und 18 StbG" abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, daß der am 10. August 1970 in Bosnien-Herzegowina geborene Erstbeschwerdeführer seit 13. September 1974 ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich habe. Seit 18. August 1990 sei er verheiratet, aus dieser Ehe stammten der am 13. Juli 1993 geborene Zweitbeschwerdeführer und der am 9. November 1995 geborene Drittbeschwerdeführer. Weiters stellte die belangte Behörde fest, daß der Erstbeschwerdeführer nach Beendigung der Schulpflicht den Beruf eines Elektroinstallateurs erlernt habe, als solcher bei einem "inländischen" Unternehmen beschäftigt sei und 1994 ein Jahresbruttoeinkommen von S 313.745,-- bezogen habe.

Der Erstbeschwerdeführer, der mit seiner Familie eine Vier-Zimmer-Wohnung bewohne und auch Mitglied des Fußballclubs Luger Dornbirn sei, sei von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn bisher wie folgt rechtskräftig bestraft worden:

Mit Bescheid vom 21. November 1990 wegen Übertretung der §§ 20 Abs. 2 und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 1.500,--;

mit Bescheid vom 17. Juli 1992 wegen Übertretung der §§ 52 lit. a Z. 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 2.200,--, weil er am 22. Mai 1992 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h überschritten habe (74 km/h gemessene Geschwindigkeit);

mit Bescheid vom 2. Juni 1993 wegen Übertretung der §§ 20 Abs. 2 und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 900,--, weil er am 24. April 1993 die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten habe (71 km/h gemessene Geschwindigkeit);

mit Bescheid vom 11. November 1993 wegen einer Übertretung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 2.500,--;

mit Bescheid vom 14. November 1994 wegen Übertretung der §§ 52 lit. a Z. 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 1.000,--, weil er am 15. September 1994 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten habe (48 km/h gemessene Geschwindigkeit);

mit Bescheid vom 14. November 1994 wegen Übertretung der §§ 52 lit. a Z. 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 1.700,--, weil er am 15. September 1994 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten habe (59 km/h gemessene Geschwindigkeit);

mit Bescheid vom 30. Jänner 1995 wegen Übertretung der §§ 52 lit. a Z. 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 3.000,--, weil er am 18. Oktober 1994 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten habe (76 km/h gemessene Geschwindigkeit).

Der Erstbeschwerdeführer halte sich seit 1974 in Österreich auf und sei damit weitgehend integriert. Er erfülle nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens die allgemeinen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG. Andererseits habe er in den Jahren 1990 bis 1995 wegen der aufgezeigten Verstöße durch die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn bestraft werden müssen. Bei den Übertretungen handle es sich "bis auf einen Fall um Geschwindigkeitsübertretungen mit zum Teil massiven Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit". Der Erstbeschwerdeführer lasse sich trotz der verhängten Geldstrafen nicht davon abbringen, dieselben Verstöße immer wieder zu begehen. Er gebe damit zu erkennen, daß er nicht bereit sei, sich in die österreichische Rechtsordnung einzugliedern. Das durch das Verhalten des Erstbeschwerdeführers negativ berührte öffentliche Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung, insbesondere an der Beachtung der dem Schutz des Lebens dienenden Vorschriften, wiege nach Ansicht der Behörde schwerer als der langjährige Aufenthalt und die damit verbundene weitgehende Integration. Im Hinblick darauf komme eine Ermessensübung im Sinne des § 11 StbG zugunsten des Erstbeschwerdeführers nicht in Betracht. Da er keinen der Tatbestände erfülle, die einen Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gewähren, seien der Einbürgerungsantrag des Erstbeschwerdeführers und demzufolge nach § 18 StbG die damit verbundenen Erstreckungsanträge abzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 StbG kann einem Fremden die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hat (Z. 1) und die weiteren, in den Z. 2 bis 8 im einzelnen angeführten Voraussetzungen erfüllt. Die Entscheidung liegt - sofern die Anforderungen des Abs. 1 erfüllt sind - sodann im Ermessen der Behörde, wobei sich die Behörde bei dessen Ausübung gemäß § 11 leg. cit. von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen hat.

Die belangte Behörde ist im vorliegenden Fall davon ausgegangen, daß der Erstbeschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG erfülle. Sie hat im Rahmen des von ihr daraufhin auszuübenden freien Ermessens ihre Entscheidung jedoch zuungunsten des Beschwerdeführers getroffen.

Im Rahmen der Begründung ihrer Ermessensentscheidung hat die belangte Behörde auf die sieben Verwaltungsübertretungen des Erstbeschwerdeführers Bezug genommen. Dabei handelt es sich bis auf einen Fall - dieser betrifft eine Bestrafung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967, der gemäß den Verwaltungsakten zugrunde lag, daß der Erstbeschwerdeführer als Zulassungsbesitzer eines PKW der Behörde über deren Verlangen nicht bekanntgegeben hatte, von wem das Fahrzeug am 29. Juli 1993 um 23.35 Uhr bei Jenbach auf der Inntalautobahn gelenkt/verwendet worden war - um Geschwindigkeitsüberschreitungen. Diese wurden vom Erstbeschwerdeführer innerhalb eines Zeitraumes von rund fünf Jahren begangen, wobei die letzte Übertretung zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides bereits mehr als zwei Jahre zurücklag.

Wohl trifft es zu, daß auch das Verhalten im Straßenverkehr im Rahmen der Prüfung des Gesamtverhaltens eines Einbürgerungswerbers berücksichtigt werden kann, sodaß gegen die behördliche Vorgangsweise, die Verstöße des Erstbeschwerdeführers gegen straßenpolizeiliche Vorschriften zu seinen Lasten bei der Ermessensentscheidung nach § 11 StbG heranzuziehen, im Grundsatz keine Bedenken bestehen. Wenn der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur in diesem Zusammenhang immer wieder betonte, daß eine derartige Betrachtung im Sinn des Gesetzes liege, so bezog sich das freilich regelmäßig auf Fälle, in denen die Verleihungswerber das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu verantworten hatten (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 11. März 1998, Zl. 97/01/0662, und vom 9. April 1997, Zl. 96/01/0312). Dabei handelt es sich um ein die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maß gefährdendes Verhalten, weshalb diesem Delikt jeweils maßgebliche Bedeutung zugemessen wurde. Dem Erstbeschwerdeführer hingegen liegt eine derartige, als besonders schwer zu qualifizierende Verwaltungsübertretung nicht zur Last; darüber hinaus hat er - wie schon erwähnt - die letzte ihm vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung knapp zweieinhalb Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides begangen, sodaß im Ergebnis die behördliche Schlußfolgerung, er gebe zu erkennen, daß er nicht bereit sei, sich in die - gesamte - österreichische Rechtsordnung einzugliedern, jedenfalls weiterer Begründung bedürfte.

Zugunsten des Erstbeschwerdeführers hat die belangte Behörde seinen langjährigen Aufenthalt und die damit verbundene "weitgehende" Integration gewichtet. Dabei ist allerdings aufklärungsbedürftig, was die belangte Behörde unter "weitgehend" versteht. Den Verwaltungsakten läßt sich entnehmen, daß der Erstbeschwerdeführer vom Kindergarten an seine soziale Ausprägung außerhalb der Familie ausschließlich in Österreich erfahren hat, daß er seit seinem Schulaustritt - im wesentlichen ohne Unterbrechung und offensichtlich mit Erfolg - bei einem österreichischen Arbeitgeber beschäftigt ist, daß er dem örtlichen Fußballverein angehört und daß er die deutsche Sprache einwandfrei, von Einheimischen nicht zu unterscheiden, in Wort und Schrift beherrscht. Darüber hinaus hat der Erstbeschwerdeführer in seinem Verleihungsgesuch angegeben, daß ihn an seine Heimat Jugoslawien "nichts mehr bindet". Dies alles als zutreffend unterstellt, erscheint er aber nicht bloß "weitgehend", sondern vollständig integriert, ist doch eine weitergehende Eingliederung kaum mehr vorstellbar. Von daher wäre aber auch eine eingehendere Begründung erforderlich gewesen, warum diese massiv für den Erstbeschwerdeführer sprechenden Umstände gegenüber den von ihm gesetzten Geschwindigkeitsüberschreitungen zurückzutreten haben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. April 1997, Zl. 95/01/0392, und - insbesondere - vom 14. Dezember 1994, Zl. 93/01/0077).

Im Hinblick auf all diese Gesichtspunkte leidet der angefochtene Bescheid an einem wesentlichen Begründungsmangel. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. Oktober 1998

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