VwGH 96/21/1012

VwGH96/21/101217.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, in der Beschwerdesache des (am 6. Februar 1964 geborenen) SJ, vertreten durch Dr. Robert Fluck, Rechtsanwalt in Wien VI, Mariahilferstraße 105, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 4. Oktober 1996, Zl. UVS-03/P/26/04701/95, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §3;
AufG 1992 §6 Abs2;
AufG 1992 §6 Abs3;
AufG 1992;
AVG §56;
B-VG Art140;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §17 Abs4;
FrG 1993 §36 Abs2;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
FrG 1993 §82 Abs2;
VerfGG 1953 §85 Abs2;
VStG §6;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;
AufG 1992 §3;
AufG 1992 §6 Abs2;
AufG 1992 §6 Abs3;
AufG 1992;
AVG §56;
B-VG Art140;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §17 Abs4;
FrG 1993 §36 Abs2;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
FrG 1993 §82 Abs2;
VerfGG 1953 §85 Abs2;
VStG §6;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) wurde der Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 82 Abs. 1 Z. 4 i.V.m.

§ 15 Abs. 1 FrG gemäß § 82 Abs. 1 FrG mit einer Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) bestraft, weil er sich vom 21. Juni 1995 bis zum 3. August 1995 in Wien als Fremder, ohne im Besitz eines gültigen Sichtvermerkes, einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Asylgesetz oder einer gültigen Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes zu sein, aufgehalten habe. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen aus, daß die objektive Tatseite nicht bestritten werde. Der Beschwerdeführer versuche darzutun, daß ihn an der Verwaltungsübertretung kein Verschulden treffe, weil er um die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz angesucht habe. Gegen die Abweisung dieses Antrages sei Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben worden. Daraus sei für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, weil für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes eines Fremden eine der im § 15 Abs. 1 FrG genannten Bedingungen bereits erfüllt sein müsse. Der Umstand, daß eine Aufenthaltsbewilligung früher erteilt worden sei bzw. erst angestrebt werde, reiche dafür nicht aus. Im übrigen werde eine behördliche Entscheidung bereits mit der Zustellung des letztinstanzlichen Bescheides rechtskräftig und nicht erst mit einem Erkenntnis eines Höchstgerichtes.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, daß ihm mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Oktober 1996, ihm zugestellt am 11. November 1996, eine Aufenthaltsbewilligung vom 28. Dezember 1994 bis 31. Jänner 1997 erteilt worden sei.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht. Bereits im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß sein am 30. November 1994 gestellter Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zwar im Instanzenzug abgewiesen worden sei, er jedoch gegen den letztinstanzlichen Bescheid eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingebracht habe. Feststellungen über den Stand dieses Verfahrens über den Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers wurden im angefochtenen Bescheid nicht getroffen.

Gemäß § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu S 10.000,-- zu bestrafen, wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15).

Der von dem Beschwerdeführer ins Treffen geführte, im Instanzenzug ergangene Bescheid des Bundesministers für Inneres, mit dem ihm - auch für den gegenständlichen Deliktszeitraum - eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt wurde, erging nach Beendigung des gegenständlichen Strafverfahrens, sodaß die belangte Behörde auf die Bewilligung nicht Bedacht nehmen konnte. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist eine Bestrafung nach § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht nur dann ausgeschlossen, wenn eine Berechtigung nach § 15 FrG vorliegt. Nach der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Bestimmung des § 6 Abs. 3 AufG war der Beschwerdeführer verpflichtet, den Verlängerungsantrag vor Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung zu stellen. Wird über einen solchen rechtzeitig gestellten Antrag nicht vor Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung entschieden, so ist der Fremde bis zum Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung der ersten Instanz zum weiteren Aufenthalt berechtigt (Satz 2 des § 6 Abs. 3 AufG). Wird der den Verlängerungsantrag abweisende letztinstanzliche Bescheid im Aufenthaltsverfahren durch ein Erkenntnis eines Höchstgerichtes aufgehoben und ergeht im entsprechenden Verwaltungsverfahren ein den Verlängerungsantrag bewilligender Ersatzbescheid, dann erhält der Fremde eine durchgehende, daher auch den Zeitraum vom Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung der ersten Instanz bis zur Erlassung des Ersatzbescheides abdeckende Bewilligung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/19/0538). Dieser Rechtsauffassung entspricht auch der vom Beschwerdeführer vorgelegte Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Oktober 1996. Demnach wurde dem Beschwerdeführer für den hier gegenständlichen Deliktszeitraum eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt, sodaß sein Aufenthalt rechtmäßig ist. Die belangte Behörde hatte vom Verfahren über den rechtzeitigen Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers Kenntnis. Ein solches Verfahren führt aber auch dazu, daß der Beschwerdeführer selbst nach der abweisenden Entscheidung der Behörde erster Instanz nicht ausgewiesen werden darf (§ 17 Abs. 4 FrG). Wenn der letztinstanzliche Bescheid in einem solchen Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz für den Beschwerdeführer ebenfalls negativ ausfällt, und einer vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Beschwerde an einen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, kommt dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung zu, die er vor Erlassung dieses Bescheides gehabt hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1997, Zl. 97/18/0045), er darf also nicht ausgewiesen werden. Der mit Bundesgesetz BGBl. Nr. 110/1994 ins Fremdengesetz eingefügte § 17 Abs. 4 hat nach den Gesetzesmaterialien den Zweck sicherzustellen, daß ein Fremder, der rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung gestellt hat, nicht von einer "Abschiebung" bedroht sein soll (151 BlgNR XVIII. GP 17485, insbesonders 17491). Nach dem Fremdengesetz droht einem Fremden die Abschiebung dann, wenn er (u.a.) seiner Verpflichtung zur Ausreise aus Österreich nicht nachkommt (§ 36 Abs. 1 Z. 2 FrG). Gerade eine solche Ausreiseverpflichtung ist aber die Folge einer Ausweisung; nach § 22 FrG hat der Fremde mit Eintritt der Rechtskraft einer Ausweisung die Verpflichtung, unverzüglich aus Österreich auszureisen. Wer nach Erlassung einer Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist, ist - wenn nicht die Abschiebung gemäß § 37 i. V.m. § 54 Abs. 4 FrG unzulässig wäre oder ein Abschiebungsaufschub erteilt worden ist - nach § 82 Abs. 1 Z. 1 FrG zu bestrafen. Der Gesetzgeber wollte daher den Fremden, der rechtzeitig einen Verlängerungsantrag gestellt hat, auch über die Beendigung seines Aufenthaltsrechts mit Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung erster Instanz hinaus vor den gravierenden Folgen (Ausweisung und Bestrafung wegen Nichtbefolgung der Ausreiseverpflichtung) bewahren, wie sie sich zwingend aus der negativen Entscheidung der Behörde erster Instanz ergeben würden. Mit § 17 Abs. 4 FrG hat der Gesetzgeber somit das Verbot ausgesprochen, einen Fremden während anhängigen Verfahrens über den rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz durch Erlassung einer Ausweisung gemäß § 17 FrG zur Ausreise aus dem Bundesgebiet zu verpflichten. Damit wird dem Fremden die rechtliche Befugnis eingeräumt, die Entscheidung auch der Berufungsbehörde und - im Falle der Beschwerdeerhebung bei Verwaltungsgerichtshof oder Verfassungsgerichtshof und bei Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - das Ergebnis der Rechtmäßigkeits- bzw. Verfassungsmäßigkeitskontrolle durch diese Gerichtshöfe abzuwarten. Es kann nicht unterstellt werden, der Gesetzgeber hätte diese - einer effektiven Gewährleistung rechtsstaatlicher Grundsätze dienende Befugnis durch die Regelung unterlaufen, daß schon der bloße Aufenthalt des Fremden während dieses Zeitraumes unter verwaltungsstrafrechtliche Sanktion gestellt ist. Damit entspricht § 17 Abs. 4 FrG den durch das B-VG vorgezeichneten rechtsstaatlichen Grundsätzen, die es verbieten, den Rechtsschutzsuchenden einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen Entscheidung der Behörde erster Instanz zu belasten. Ein ebensolcher enger Zusammenhang besteht aber auch zwischen dem Verlust einer Aufenthaltsberechtigung und der damit drohenden Bestrafung nach § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG wegen nicht (mehr) rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet. Eine an den Grundsätzen der Verfassung orientierte Auslegung gebietet es, § 17 Abs. 4 FrG i. V.m. § 6 VStG dahingehend zu verstehen, daß die Strafnorm des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht die Fälle eines unrechtmäßigen Aufenthaltes eines Fremden erfaßt, die unmittelbar aufgrund des Gesetzes einen Ausweisungsschutz genießen oder aber auf einer solchen Grundlage (§ 36 Abs. 2 i.V.m. § 82 Abs. 2 FrG) im Inland behördlich geduldet sind. Im Ausweisungsverbot des § 17 Abs. 4 FrG muß daher ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund für den Tatbestand des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG gesehen werden (vgl. zur Problematik auch Schrammel, Rechtsfragen der Ausländerbeschäftigung 1995, und das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof vom 30. Juni 1994, VfSlg. 13.831, hinsichtlich der Grenzen der verfassungskonformen Auslegung vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, Slg. Nr. 13.834, vom 12. Oktober 1995, Slg. Nr. 14.318 und vom 17. Juni 1997, B 592/96). Die Wirkung erstreckt sich auch auf Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, in welchen der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Die Auffassung der belangten Behörde, daß der Fremde nach Abweisung seines Antrages auf Aufenthaltsbewilligung durch die letztinstanzliche Behörde jedenfalls wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes bestraft werden dürfte, ist somit verfehlt. In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde Feststellungen über die Einbringung einer Beschwerde und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht getroffen. Damit belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die begehrte Umsatzsteuer war nicht zuzuerkennen, weil diese bereits im Pauschbetrag enthalten ist.

Wien, am 17. Dezember 1997

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