VwGH 96/21/0285

VwGH96/21/028517.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde des (am 11. Oktober 1971 geborenen) SB, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in Wien VII, Neubaugasse 12-14, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 1996, Zl. 678.630/3-III/16/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 FrG, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Devolutionswege ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) wurde aufgrund des Antrages des Beschwerdeführers gemäß § 54 FrG festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei in der Bundesrepublik Jugoslawien, in Slowenien, Kroatien und Ungarn gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen im wesentlichen aus, daß der Beschwerdeführer keine konkreten Verfolgungshandlungen gegen seine Person habe glaubhaft darlegen können. In der Bundesrepublik Jugoslawien bestehe grundsätzlich allgemeine Wehrpflicht, nach den gesetzlichen Bestimmungen seien keine ethnischen Unterschiede vorgesehen. Die Musterung erfolge üblicherweise mit 18 Jahren. Die Einberufung des Dienstpflichtigen erfolge durch das in jeder Gemeinde eingerichtete Sekretariat für nationale Verteidigung. Auch in diesem Zusammenhang bestünden keine ethnischen Differenzierungen.

Dem jugoslawischen Gesetzbuch zufolge müßte der Zustand der allgemeinen Mobilmachung und eine drohende Kriegsgefahr herrschen, damit überhaupt eine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen gegen Deserteure und "Refrakteure" gegeben sei. Der Zustand der allgemeinen Mobilmachung sei am 4. Oktober 1991 ausgerufen worden und habe bis zum 26. Mai 1992 gedauert. Dem Beschwerdeführer sei nach seinen Angaben der Einberufungsbefehl im August 1991 ausgefolgt worden. Eine Anwendung der möglicherweise "verschärften" Strafnormen könne für den Beschwerdeführer nicht in Frage kommen. Aufgrund der in diesem Zeitraum vorgekommenen Desertionen und "Refraktionen" sei zwar in mehreren Fällen formal Anklage erhoben worden, jedoch sei mit der Durchführung von Gerichtsverhandlungen vielfach gezögert worden, was auch durch Berichte von Amnesty International bestätigt werde. Die Strafsanktion für eine Verletzung dieser Pflicht sei für alle Staatsbürger der Bundesrepublik Jugoslawien gleich, sodaß die darauf gegründete drohende Sanktion nicht auf eine bestimmte ethnische Zugehörigkeit abstelle. Anzumerken sei, daß die Bestrafungen für Deserteure und "Refrakteure" im Kontext der damaligen militärischen Auseinandersetzungen nicht verschärft worden seien.

Informationen zum Zeitraum Juni bzw. September 1991 besagten, daß Albaner aus dem Kosovo kaum mehr einberufen würden, weil die Armeeführung damit rechne, daß sie im Falle eines Einsatzes ohnehin desertieren oder gar auf ihre (nicht albanischen) Vorgesetzten schießen würden. Mit Rücksicht auf die bezweifelte Loyalität und Zuverlässigkeit würden Angehörige der albanischen Volksgruppe in der Armee lediglich in der Etappe eingesetzt. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß kosovo-albanische Reservisten oder Rekruten in den Kriegsgebieten in Bosnien-Herzegowina oder in der kroatischen Krajina eingesetzt würden. Ebenso würden Kosovo-Albaner nur mehr in technischen Einheiten eingesetzt und nicht an Waffen ausgebildet werden. Der Beschwerdeführer habe keine Gründe darlegen können, weshalb diese generelle Praxis auf ihn nicht zutreffen sollte.

Der Beschwerdeführer habe anläßlich seiner Vernehmung am 10. Mai 1994 ausgesagt, daß er vor seiner Ausreise aus seiner Heimat weder strafrechtlich noch politisch verfolgt worden sei. Auch in der Einvernahme am 16. Februar 1995 habe er nicht glaubhaft machen können, daß sich diese Situation nach seiner Ausreise geändert hätte. Der Beschwerdeführer weise in dieser Aussage zwar darauf hin, daß er den telefonischen Angaben seines Vaters zufolge von der Polizei gesucht werde, jedoch liege weder eine Verurteilung noch ein Haftbefehl gegen ihn vor. Daraus könne somit nicht auf eine aktuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Gefahr geschlossen werden.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, daß er im Falle einer Abschiebung nach Ungarn, Slowenien oder Kroatien von einer Weiterabschiebung nach "Jugoslawien" bedroht sei, sei eine Vermutung, die durch keine auf den individuellen Fall des Beschwerdeführers bezogenen Angaben belegt sei.

Hervorzuheben sei, daß sowohl Ungarn und Slowenien, als auch Kroatien Vertragsstaaten der Konvention vom 28. Juli 1951 sowie des Protokolls vom 31. Jänner 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge seien und somit verpflichtet seien, Flüchtlinge, die unter diese völkerrechtlichen Verträge fallen, gegen die Rückschiebung in ihr Herkunftsland oder unsichere Drittstaaten zu schützen. Da Ungarn diese Verträge innerstaatlich umgesetzt habe, sei gewährleistet, daß in diesem Staat ein Abschiebungsschutz besteht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Der Beschwerdeführer replizierte auf die Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdebehauptung, der bekämpfte Bescheid sei mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften deswegen behaftet, weil die Behörde unter bloßem Verweis auf ihr vorliegende, nicht näher bezeichnete Beweismittel ihre Feststellungen getroffen habe, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, auf die in Fülle vom Beschwerdeführer vorgelegten "Beweismaterialien" einzugehen, führt die Beschwerde nicht zum Erfolg. Diese Behauptung enthält nämlich keine substanziierte Geltendmachung von Gründen, aus denen sich eine inhaltliche Rechtswidrigkeit oder eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ergeben könnte, hinsichtlich des letztgenannten Aufhebungsgrundes überdies keine Darlegung der Relevanz allfälliger Verfahrensmängel. Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, durch Studium von Schriftstücken aus dem Verwaltungsakt zu Schlußfolgerungen darüber zu gelangen, ob überhaupt bzw. welche Sachverhaltsmomente aus diesen Unterlagen von der Behörde hätten berücksichtigt werden müssen und ob eine solche Berücksichtigung von Einfluß auf das Ergebnis des Verfahrens hätte sein können. Es wäre vielmehr Sache des Beschwerdeführers, ein diesbezügliches, entsprechend konkretisiertes Vorbringen in seiner Beschwerde zu erstatten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 96/08/0071).

Die mit dem weitläufigen Vorbringen zum Ausdruck gebrachte Ansicht des Beschwerdeführers, die ihm im Fall seiner Rückkehr in die jugoslawische Föderation dort drohende Gefahr einer Bestrafung wegen seinerzeitiger Wehrdienstverweigerung sei für sich allein eine Bedrohung seiner Freiheit aus Gründen seiner politischen Ansichten im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen. Zur näheren Begründung dieser seiner Rechtsanschauung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 5. April 1995, Zl. 94/18/0496, verwiesen. Daß die drohende Gefahr einer Bestrafung wegen seinerzeitiger Wehrdienstverweigerung eine Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG darstellt, wird angesichts der im Akt dokumentierten Strafdrohung von einem Jahr bis 15 Jahre, Abschaffung der Todesstrafe (Moratorium vom 4. Februar 1993) zu Recht nicht behauptet.

Soweit der Beschwerdeführer hingegen geltend macht, daß die ihm drohende Gefahr einer Bestrafung wegen seinerzeitiger Wehrdienstverweigerung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit größer sei als für andere Staatsangehörige und er darüber hinaus ein unfaires Verfahren und eine erheblich höhere Strafe als andere jugoslawische Staatsbürger zu gewärtigen habe, zeigt er eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Bereits im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer - wie auch in der Beschwerde - vorgebracht, daß diesbezüglich das geltende jugoslawische Strafrecht nicht zwischen Wehrdienstverweigerern verschiedener Ethnien unterscheidet. Er hat allerdings eine davon abweichende gesetzwidrige Praxis behauptet, indem er in der Berufung darauf hingewiesen hat, daß "eben die gesetzlichen Bestimmungen mit der Praxis nicht im Einklang sind", und "Restjugoslawien für Kosovo-Albaner kein Rechtsstaat ist". Dazu hat der Beschwerdeführer umfangreiches Material vorgelegt.

Ausgehend davon durfte sich die belangte Behörde nicht mit der Wiedergabe der Gesetzeslage im Heimatstaat des Beschwerdeführers begnügen, sondern hätte Erhebungen über die behauptete nicht vereinzelt gebliebene, sondern generelle gesetzwidrige Praxis der Behörden im Heimatstaat des Beschwerdeführers pflegen müssen. Auch die Berufung der belangten Behörde auf "Informationen zum Zeitpunkt Juni bis September 1991" ist nicht als ausreichend anzusehen. Angesichts der sich laufend verändernden Verhältnisse in der Bundesrepublik Jugoslawien, welche der EMRK nicht beigetreten ist, genügt eine Beurteilung der Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne der angeführten Gesetzesbestimmungen anhand von fast fünf Jahre alten Informationen keineswegs. Die belangte Behörde hätte vielmehr andere geeignete aktuelle Erkenntnisquellen ihrer Entscheidung zugrundelegen müssen, um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer bei seiner Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien konkret im Sinne § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bedroht sei (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 95/21/0151).

Schließlich ist auch die Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei in Ungarn, Slowenien und Kroatien nicht der Gefahr einer ungeprüften Abschiebung in seinen Heimatstaat ausgesetzt, weil die genannten Staaten Vertragsstaaten der Konvention vom 28. Juli 1951 sowie des Protokolls vom 31. Jänner 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge seien, nicht zu teilen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, daß diese allein aus dem Beitritt eines Staates zur Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitete Annahme unschlüssig ist; zur näheren Begründung genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das oben zitierte Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 95/21/0151, zu verweisen.

Der angefochtene Bescheid war daher infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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