VwGH 96/20/0664

VwGH96/20/06646.11.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des B in Wien, vertreten durch seinen Vater S in der Türkei, dieser vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien VII, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Oktober 1995, Zl. 4.346.452/2-III/13/95, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §13 Abs2;
AVG §10 Abs1;
B-VG Art130 Abs1;
VwGG §26 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
AsylG 1991 §13 Abs2;
AVG §10 Abs1;
B-VG Art130 Abs1;
VwGG §26 Abs2;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der damals 13 Jahre alte Beschwerdeführer reiste am 22. März 1995 in das Bundesgebiet ein und stellte am 29. März 1995 durch seinen in der Türkei verbliebenen Vater, dieser vertreten durch den Beschwerdevertreter, an das Bundesasylamt den Antrag, ihm Asyl zu gewähren und die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Das Bundesasylamt lud den Beschwerdeführer mit Ladungsbescheid vom 10. April 1995 zur Einvernahme im Asylverfahren und stellte diesen Ladungsbescheid dem Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 11 - Amt für Jugend und Familie - 16. Bezirk) zu. Nach in Anwesenheit einer Vertreterin des Magistrates der Stadt Wien durchgeführter Einvernahme wies das Bundesasylamt "gemäß § 13 Abs. 1 AsylG 1991" den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid zurück.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zu Handen des Magistrates der Stadt Wien zugestellt, doch infolge vom Magistrat der Stadt Wien erhobener Berufung mit Bescheid der belangten Behörde vom 16. Oktober 1995, Zl. 4.346.452/1-III/13/95, ersatzlos behoben.

Mit Schriftsatz vom 27. September 1995 stellte der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Vater, dieser vertreten durch den Beschwerdevertreter, den am 3. Oktober 1995 eingelangten Devolutionsantrag an die belangte Behörde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16. Oktober 1995, Zl. 4.346.452/2-III/13/95, wies die belangte Behörde "das Anbringen" mangels Vertretungsbefugnis gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 1991 zurück. Dieser Bescheid ist an den Vater des Beschwerdeführers, zu Handen des Beschwerdevertreters, adressiert und erging gemäß seiner Überschrift "in Erledigung Ihres, im Namen Ihres Sohnes, ... eingebrachten Devolutionsantrages vom 27.09.1995".

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Vater, dieser vertreten durch den Beschwerdevertreter, - nicht aber der Vater selbst - zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der er die Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 2 AsylG 1991 behauptete. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 11. Juni 1996, Zl. B 3707/95-6 u.a., die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie über nachträglichen Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluß vom 30. August 1996, Zl. B 3707/95-8, dem Verwaltungsgerichtshof ab. Nach den Ausführungen in seiner fristgerecht erstatteten Beschwerdeergänzung erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht, nicht durch den Jugendwohlfahrtsträger vertreten zu werden, in seinem Recht auf eine Sachentscheidung und in seinem Recht auf Asylgewährung verletzt. Er bringt einerseits vor, zulässigerweise durch seinen Vater vertreten werden zu können, und behauptet anderseits die Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 2 AsylG 1991.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer fristgerecht erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde vertritt in ihrer Gegenschrift den Standpunkt, alleiniger Bescheidadressat sei der Vater des Beschwerdeführers, die Beschwerde sei hingegen vom minderjährigen Beschwerdeführer selbst erhoben, dem gegenüber der angefochtene Bescheid jedoch "keine Rechtswirkungen" habe entfalten können, "da er nie Adressat desselben war". "Sollte sich der minderjährige Beschwerdeführer in seinem Recht auf Vertretung durch seinen Vater, dieser wiederum vertreten durch den einschreitenden Rechtsanwalt, verletzt erachten, kann nichtsdestoweniger das adäquate Rechtsmittel nicht in der Bekämpfung eines Bescheides, der ihm gegenüber nie wirksam wurde, liegen."

Diese Rechtsansicht ist nicht zu teilen. Gemäß § 26 Abs. 2 VwGG kann die Beschwerde auch dann erhoben werden, wenn der Bescheid zwar nicht gegenüber dem Beschwerdeführer ergangen ist, jedoch dessen ungeachtet geeignet ist, materielle subjektiv-öffentliche Rechte des Beschwerdeführers als Partei zu verletzen, und der Bescheid durch Zustellung an eine andere Verfahrenspartei rechtliche Existenz erlangt hat (vgl. die hg. Erkenntisse vom 8. November 1982, Zl. 82/10/0087, vom 24. Jänner 1984, Zlen. 83/05/0168, 0169, vom 22. Mai 1990, Zl. 89/14/0296 und vom 11. Oktober 1990, Slg. 13.284/A, sowie zuletzt den hg. Beschluß vom 26. Juni 1996, Zl. 93/07/0084).

Der angefochtene Bescheid ist dem Vater des Beschwerdeführers zu Handen des Beschwerdevertreters am 20. Oktober 1995 zugestellt und rechtswirksam geworden.

Die belangte Behörde verneint die Vertretungsbefugnis des Vaters des Beschwerdeführers und weist "das Anbringen" zurück. Daß durch einen solchen Bescheidspruch auch der Beschwerdeführer als behaupteter Machtgeber in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf meritorische Behandlung der in seinem Namen erstatteten Eingabe verletzt werden kann, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg. 11.625/A, ausgesprochen; er hat diese Rechtsansicht in der Folge wiederholt bekräftigt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. April 1988, Zl. 87/11/0131, vom 22. Mai 1990, Zl. 89/14/0296, vom 25. November 1994, Zl. 93/17/0060, und vom 27. April 1995, Zl. 93/17/0061).

Die Beschwerde ist daher zulässig.

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Einbringung des Devolutionsantrages noch nicht 14 Jahre alt; er wurde (wie auch schon bei Stellung des Asylantrages) dabei durch seinen Vater vertreten, der seinerseits dem Beschwerdevertreter Vollmacht erteilt hat.

§ 13 AsylG 1991 lautet:

"(1) Asylwerber, die das 19. Lebensjahr vollendet haben, sind in Verfahren nach diesem Bundesgesetz handlungsfähig. Asylanträge können auch von unbegleiteten Fremden, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, gestellt werden.

(2) Im übrigen obliegt die Vertretung von Asylwerbern, die das 19. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Verfahren nach diesem Bundesgesetz dem örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger, soweit ihre Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können."

Da der Beschwerdeführer zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet hatte, war er gemäß § 13 Abs. 1 erster Satz AsylG 1991 jedenfalls nicht handlungsfähig. Er bedurfte daher zur Vertretung im Asylverfahren eines gesetzlichen Vertreters; dies ist gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 1991 für alle Asylwerber, die das 19. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger, allerdings nur "soweit" die Interessen des Asylwerbers nicht von seinem (sonstigen) gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden können. Da der Vater des Beschwerdeführers als dessen - unbestritten - gesetzlicher Vertreter durch Beauftragung und Bevollmächtigung eines österreichischen Rechtsanwaltes die Interessen des Beschwerdeführers durchaus wahrzunehmen in der Lage war, kommt die subsidiäre gesetzliche Vertretungsregelung des § 13 Abs. 2 AsylG 1991 nicht zum Tragen. Die belangte

Behörde begründete ihre anderslautende Ansicht wie folgt:

"Da die Materialien zum Asylgesetz 1991 im einschlägigen

Kontext ausführen: "Die Formulierung" sofern ihre Interessen nicht von ihrem gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden können "umfaßt nicht nur alle Unbegleiteten, sondern berücksichtigt auch den Fall, in dem die Eltern einen anwaltlichen Vertreter in Österreich zur Stellung des Asylantrages für den Unmündigen beauftragen können.", steht fest, daß die gesetzliche Vertretung sui generis durch den Jugendwohlfahrtsträger im vorliegenden Falle im Asylverfahren der gesetzlichen Vertretung durch die Eltern des Minderjährigen, wie sie sich aus Privatrecht ergäbe, vorgeht und diese ausschließt."

Dieser Schluß, daß die gesetzliche Vertretung "sui generis" die gesetzliche Vertretung durch die Eltern ausschließe, beruht auf einer Fehlinterpretation der korrekt wiedergegebenen Gesetzesmaterialien (270 RV 18. GP 18). Die zitierten Gesetzesmaterialien bekräftigen lediglich den aus dem Gesetzeswortlaut hervortretenden Gehalt, daß Asylwerber, die das 19. Lebensjahr vollendet haben, handlungsfähig im Asylverfahren sind und daß jüngere Asylwerber (mit Ausnahme der Sonderbestimmung des § 13 Abs. 1 zweiter Satz AsylG 1991) dann durch den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger von Gesetzes wegen vertreten werden, wenn ihre Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können. Dies trifft einerseits auf sogenannte "begleitete" Asylwerber nicht zu, anderseits werden durch diese Gesetzesbestimmung, wie auch die Materialien zutreffend hervorheben, jene "Unbegleiteten" "berücksichtigt", deren Eltern einen anwaltlichen Vertreter in Österreich (etwa) mit der Stellung eines Asylantrages beauftragen können und dies - wie im vorliegenden Fall - auch getan haben.

Durch die Verneinung der Vertretungsbefugnis des Vaters des Beschwerdeführers - obwohl seine Vertretungsbefugnis nach dem hier maßgeblichen Heimatrecht unbestritten ist - hat die Behörde zu Unrecht den Devolutionsantrag vom 27. September 1995 nicht dem Beschwerdeführer zugerechnet, sondern als von einer Nicht-Partei erhoben zurückgewiesen. Sie hat damit in Verkennung der Rechtslage dem Beschwerdeführer eine meritorische Behandlung seines Antrages verweigert.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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