Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 14. November 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht erfülle.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 16. Juli 1992 zur Post gegebene Berufung des Beschwerdeführers.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung als verspätet zurück. Begründend führte sie aus, gemäß § 63 Abs. 5 AVG seien Berufungen innerhalb von zwei Wochen nach erfolgter Zustellung einzubringen. Die Zustellung an den Beschwerdeführer sei rechtswirksam am 21. Jänner 1992 durch Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 ZustellG erfolgt, der letzte Tag für die fristgerechte Einbringung der Berufung wäre somit der 4. Februar 1992 gewesen. Aus den der belangten Behörde vorliegenden Meldezetteln sei ersichtlich, daß der Beschwerdeführer am 13. Jänner 1991 vom Unterkunftgeber seiner letzten bekannten Wohnadresse in X "nach S" (ohne genaue Adresse) abgemeldet worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich jedoch "nicht diesem Vermerk entsprechend" verhalten, sondern er habe sich am 10. Februar 1992 an der Adresse Y polizeilich angemeldet, ohne zuvor in S gemeldet gewesen zu sein. Im Hinterlegungszeitpunkt (21. Jänner 1992) sei somit weder eine polizeiliche Meldung der aktuellen Wohnanschrift des Beschwerdeführers vorgelegen noch sei es der zustellenden Behörde gemäß § 8 Abs. 2 ZustellG ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, eine neue Abgabestelle zu eruieren. Die anders lautenden Berufungsausführungen gingen somit "ins Leere".
Gegen diesen Bescheid der belangten Behörde richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In seiner Berufung im Verwaltungsverfahren hatte der Beschwerdeführer noch behauptet, ihm sei von einem Landwirt in S die Unterkunft in Y zur Verfügung gestellt worden, von welchem Umstand die Behörde von Seiten des neuen Unterkunftgebers unverzüglich verständigt worden sei. Zur Bescheinigung dieses Vorbringens hatte der Beschwerdeführer die Landwirte J und M G in S als Auskunftspersonen angeboten. Dem war die belangte Behörde jedoch nicht nachgekommen, sondern sie hat ausdrücklich festgestellt, daß eine polizeiliche Anmeldung des Beschwerdeführers in S nicht erfolgt sei. Aus der Meldeauskunft der Gemeinde X sei zwar ersichtlich gewesen, daß der Beschwerdeführer von seinem Unterkunftgeber in X nach "S" abgemeldet worden sei, jedoch habe er sich nicht "diesem Vermerk entsprechend" verhalten.
Die belangte Behörde ging demnach davon aus, daß Nachforschungen der Behörde erster Instanz bei der Meldebehörde in S vor der verfügten Hinterlegung ohne Zustellversuch beim Postamt X zu keinem Ergebnis geführt hätten, somit eine Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 2 ZustellG nicht ohne Schwierigkeiten hätte festgestellt werden können. Die Unterlassung der Meldeanfrage bei der zuständigen Meldebehörde für S sah die belangte Behörde demnach mangels Relevanz für die Feststellung einer neuen Abgabestelle als nicht rechtswidrig an.
Dem kann nicht gefolgt werden:
§ 8 Zustellgesetz lautet:
"§ 8 (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."
Der Beschwerdeführer hatte Kenntnis von dem anhängigen Asylverfahren, welches ja über seinen Antrag eingeleitet und in dem er am 11. Oktober 1991 von der Behörde erster Instanz einvernommen worden war. Dem Akteninhalt ist zu entnehmen, daß die Adresse des Beschwerdeführers, die zum Zeitpunkt seiner Einvernahme im Asylverfahren erster Instanz noch auf Z lautete, infolge einer mitgeteilten Änderung auf X, also auf die der Behörde vor Erlassung des Bescheides erster Instanz zuletzt bekannte Adresse geändert worden war. Seiner Pflicht, die neuerliche Änderung dieser Abgabestelle der Behörde entsprechend § 8 Abs. 1 Zustellgesetz mitzuteilen, war der Beschwerdeführer erst mit dem bei der Behörde am 20. Februar 1992 eingelangten Schriftsatz nachgekommen. Die Abmeldung des Beschwerdeführers von der Adresse in X erfolgte lediglich mit dem Hinweis, verzogen nach "S".
Aus der Sicht der belangten Behörde war der Rückschein über die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an der ihr zuletzt bekanntgegebenen Adresse des Beschwerdeführers in X nicht erkennbar fehlerhaft ausgefüllt. Daß eine (nicht im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG gemeldete) Änderung der Abgabestelle auf Grund des vom Zusteller verfaßten postalischen Vermerkes für die Behörde nicht erkennbar war, geht grundsätzlich zu Lasten der Partei (so der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 1986, Zl. 85/02/0282 = Slg. Nr. 12.152/A). Nach ständiger Rechtsprechung hat aber die Behörde jedenfalls mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle auszuforschen, wozu jedenfalls eine Anfrage bei der Meldebehörde der letzten Abgabestelle gehört (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. September 1995, Zl. 94/19/1280, und vom 30. April 1997, Zl. 95/01/0551 und 96/01/0287, mwN). Im vorliegenden Fall ergab sich für die Behörde erster Instanz auf Grund des von ihr eingeholten Meldezettels der Hinweis "verzogen nach S". Im Sinne der vorangeführten Judikatur wäre der Behörde damit jedenfalls als (weiterer) Ausforschungsversuch einer neuen Abgabestelle die Meldeanfrage bei der zuständigen Meldebehörde für S zumutbar gewesen. Demnach stellt sich die hier maßgebliche Rechtsfrage, ob die von der Behörde erster Instanz ohne die ihr zumutbare Meldeanfrage betreffend S verfügte Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch gemäß § 8 i.V.m. § 23 ZustG ungeachtet des Umstandes rechtswidrig war, daß die Anfrage bei der Meldebehörde für S mangels einer dort erfolgten polizeilichen Meldung des Beschwerdeführers ohnehin erfolglos gewesen wäre.
Dies ist zu bejahen:
Die Ermächtigung der Behörde gemäß § 8 Abs. 2 ZustG, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, hat nicht nur zur Voraussetzung, daß die unverzügliche Mitteilung über die Änderung der Abgabestelle unterlassen wurde, sondern auch, daß eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Ohne - wenn auch durch "einfache Hilfsmittel" (so RV 162 BlgNR. 15. GP, 10) - versucht zu haben, die (neue) Abgabestelle auszuforschen, darf von § 8 Abs. 2 ZustG kein Gebrauch gemacht werden. Die durch § 8 Abs. 2 ZustG der Behörde erlaubte einfache Zustellung durch Hinterlegung darf somit die Behörde nicht veranlassen, gar nicht zu versuchen, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle auszuforschen (vgl. dazu auch die zu § 8 Abs. 2 ZustG in Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze2, E 31, zitierte hg. Judikatur).
Eine Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch ist somit nur dann mit der Wirkung der Zustellung ausgestattet, wenn die Behörde ergebnislos den ihr zumutbaren und ohne Schwierigkeiten zu bewältigenden Versuch unternommen hat, eine (neue, andere) Abgabestelle festzustellen. Ansonsten bewirkt in diesen Fällen die Hinterlegung nicht die Rechtswirksamkeit der Zustellung. Daran ändert auch nichts, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, daß die der Behörde zumutbar gewesenen Ausforschungsversuche ergebnislos verlaufen wären. Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit. Die belangte Behörde hätte demgemäß mangels Vorliegens eines rechtswirksam erlassenen Bescheides die Berufung nicht wegen Verspätung zurückweisen dürfen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens ergibt sich daraus, daß nach dem VwGG lediglich die Vorlage von zwei Beschwerdeausfertigungen und einer Bescheidausfertigung erforderlich waren.
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