Normen
ABGB §1332;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 impl;
ABGB §1332;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 impl;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 17. November 1995 gab die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung einem Antrag des Berufungswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 24. Mai 1995 keine Folge. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 9. Februar 1996 abgewiesen und der Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend abgeändert, daß der Antrag vom 13. Oktober 1995, mit welchem die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist begehrt worden war, als verspätet zurückgewiesen wurde.
Dieser Bescheid wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates vom 20. Juni 1996 gemäß § 52a Abs. 1 VStG mit der Begründung aufgehoben, daß die Berufung des Beschwerdeführers zu Unrecht zurückgewiesen worden sei. Zugleich wurde mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers aber deswegen abgewiesen, weil sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist nicht berechtigt gewesen sei.
Insoferne wurde der angefochtene Bescheid im wesentlichen damit begründet, daß der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers bei Abfassung der Berufung des Beschwerdeführers den im Computer seiner Kanzlei eingespeicherten Text einer Berufung in einer anderen Angelegenheit als Vorlage benützt habe. Diese Musterberufung sei mit handschriftlichen Ausbesserungen versehen und dem Sekretariat des Rechtsanwaltes zur Vornahme von Ausbesserungen im Computer übergeben worden. Diese Ausbesserungen seien unter dem Speichernamen "MN1-11" durchgeführt und die solcherart erstellten Schriftstücke dem Rechtsanwalt neuerlich vorgelegt worden, wobei in diesen Schriftstücken jeweils die Aktenzahl und die Behörde unrichtig bezeichnet gewesen seien. Der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers habe daraufhin nach Durchsicht die Korrektur der Aktenzahl und der Behörde angeordnet; hiebei sei die Änderung der Behörde nicht auftragsgemäß durchgeführt worden. Als der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bei weiterer Überprüfung dies bemerkt habe, sei über abermaligen Auftrag diese Änderung am PC durchgeführt worden, wobei jedoch die neuen Speichernamen "M1-11" im Computer verwendet worden seien. In der Folge seien vom Rechtsvertreter die ausgebesserten Behördenadressen überprüft und noch kleinere Korrekturen angebracht worden. Da es bereits nach 19.00 Uhr gewesen sei und keine Sekretärin mehr anwesend gewesen sei, sei es Sache des Konzipienten des Rechtsanwaltes gewesen, die Korrekturen am PC durchzuführen. Dabei seien jedoch die Korrekturen in den ursprünglich unter "MN1-11" gespeicherten Texten, anstelle in den die richtige (Behörden-)Bezeichnung enthaltenden, unter "M1-11" gespeicherten Texten vorgenommen worden. Die in der Folge dem Rechtsanwalt vorgelegten Reinschriften der Berufungen seien von diesem unterfertigt worden, ohne daß der Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt das Rubrum auf Seite 1 noch einmal überprüft habe. Die Berufung sei deshalb an eine unrichtige Behörde adressiert und abgesendet worden, sodaß die Berufungsfrist versäumt worden sei.
Die Voraussetzungen zur Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG seien im Falle des Beschwerdeführers nicht erfüllt. Das Abrufen eines (unrichtigen) Textes auf dem PC, welches durch einen Angestellten der Kanzlei erfolge, stelle, zufolge der der letzten Korrektur vorangegangenen Überprüfung des gesamten Schriftstückes durch den Rechtsanwalt, nicht ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, welches auf kein Verschulden oder nur einen minderen Grad des Versehens zurückzuführen sei. Das Versehen eines Kanzleibediensteten stelle für einen Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, das ohne sein Verschulden die Einhaltung der Frist verhindere, wenn ihm selbst im gegebenen Zusammenhang nicht eine leichte Fahrlässigkeit - sei es als culpa in eligendo, sei es als culpa in custodiendo - unterlaufen sei.
Zwar sei ein PC im Zusammenhang mit der Erstellung schriftlicher Texte als zeitsparendes, technisches Hilfsmittel äußerst praktikabel, es sei im Ergebnis jedoch unerheblich, auf welche Weise ein vom Verantwortlichen zu unterfertigendes Schriftstück hergestellt werde. Es bedürfe keiner Erörterung, daß es gegenständlich völlig unerheblich sei, ob beispielsweise ein Rechtsanwalt selbst Benutzererfahrung habe oder nicht, weiters, wie der innerbetriebliche Ablauf bei Bedienung des Gerätes durch unterschiedliche Personen oder auf welche Weise die Sicherung aktueller bzw. die Löschung nicht aktueller Texte geregelt sei. Rechtlich erheblich sei im gegenständlichen Fall ausschließlich der Umstand, daß der den Berufungsschriftsatz unterfertigende Rechtsanwalt die Reinschrift vor deren Unterfertigung zu prüfen habe, und zwar den gesamten Schriftsatz, also auch das Rubrum auf der ersten Seite. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß die Einbringungsstelle in einem früheren Konzept überprüft und für richtig befunden worden sei. Enthalte der Schriftsatz mangels einer Prüfung eine falsche Einbringungsstelle, weshalb das Rechtsmittel verspätet bei der richtigen Stelle einlange, so seien die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht gegeben. Der Umstand, daß ein Rechtsanwalt bei Unterfertigung eines Schriftsatzes nur die gegenüber dem letzten Konzept vorgenommenen Korrekturen, nicht hingegen den gesamten Schriftsatz überprüfe, und damit übersehe, daß zufolge des Abrufens eines nicht aktuellen Textes auf dem PC anläßlich der letzten Korrektur eine falsche Einbringungsstelle auf dem Berufungsschriftsatz aufscheine, stelle keinen minderen Grad des Versehens dar.
Im Falle eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibe die Partei an den im Antrag vorgebrachten Wiedereinsetzungsgrund gebunden und sei im Berufungsverfahren eine Auswechslung dieses Grundes rechtlich unzulässig. Der Sachverhalt sei daher sowohl von der Behörde erster Instanz, als auch von der belangten Behörde, ausschließlich rechtlich zu beurteilen gewesen, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben habe können. Abgesehen davon, daß eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs im Berufungsverfahren saniert werden könne, sei festzustellen, daß die Behörde erster Instanz den Grundsatz des Parteiengehörs gegenständlich nicht verletzt habe, weil dieser Grundsatz den Rechtsanspruch der Partei zum Inhalt habe, zum Ergebnis der Beweisaufnahmen zwecks Wahrung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen Stellung zu nehmen. Da aber der vom Antragsteller vorgebrachte Sachverhalt zugrunde gelegt und lediglich rechtlich zu beurteilen gewesen sei, seien keinerlei Beweisaufnahmen erforderlich, welche im Zuge des Parteiengehörs noch einmal vorgehalten hätten werden müssen.
Die zugleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhobene Berufung des Beschwerdeführers sei daher als verspätet zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach dem AVG für verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Zl. 1212/76 = Slg. Nr. 9226/A) trifft das Verschulden des Parteienvertreters bei der Wiedereinsetzung die Partei. Das Verschulden eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber unterlassen hat (vgl. den hg. Beschluß vom 29. Juni 1993, Zl. 93/08/0140, mit weiteren Nachweisen).
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde nicht berücksichtigt habe, daß die unrichtige Bezeichnung der Behörde in der von seinem Rechtsanwalt eingebrachten Berufung durch ein Zusammentreffen geringfügiger Mißgeschicke von zwei Sekretärinnen und des Konzipienten seines Rechtsanwaltes verursacht worden sei. Alle diese Personen seien immer verläßliche Mitarbeiter in der Kanzlei des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers gewesen. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe den Auftrag zur Erhebung einer Berufung erst am Tag vor Ablauf der Berufungsfrist erhalten. Die im Beschwerdefall durch das Zusammenwirken mehrerer Personen gemeinsam verursachten Fehler seien bei außergewöhnlichem Streß und Arbeitsüberlastung leicht zu verstehen und beruhten daher auf einem minderen Grad des Versehens. Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers könne auch nicht die Verletzung der ihm nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten vorgeworfen werden. Die Behördenbezeichnung im Rubrum der vorbereiteten Berufung habe er vielmehr zweimal kontrolliert. Es sei daher eine Überspannung der Überwachungspflicht des Rechtsanwaltes, eine nochmalige vollständige Kontrolle der durch den ansonsten verläßlichen Konzipienten hergestellten Reinschrift zu verlangen. Bei jeder Unterfertigung eine umfassende Kontrolle der Reinschrift zu verlangen, würde die Überwachungspflicht des unterzeichnenden Rechtsanwaltes weit überspannen.
Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Zwar darf ein Rechtsanwalt die Vornahme bestimmter Arbeitsgänge innerhalb seiner Kanzlei, wie etwa das Kuvertieren, die Postaufgabe oder die Berechnung von Fristen seinen Kanzleiangestellten überlassen, und stellt ein Versehen eines Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dann ein Ereignis gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber nachgekommen ist (vgl. etwa dazu die hg. Erkenntnisse vom 25. Juni 1992, Zl. 92/09/0043, und vom 18. Oktober 1995, Zl. 95/21/0190). Davon zu unterscheiden ist jedoch die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit eines vom Rechtsanwalt zu unterfertigenden Schriftsatzes, bevor er ihn unterschreibt. Diesbezüglich kann der Rechtsanwalt nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden, und zwar auch dann nicht, wenn er sich bei der Vorbereitung des Schriftstückes technischer Hilfsmittel sowie (besonders) verläßlicher Kanzleikräfte bedient (vgl. etwa die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. März 1991, Zl. 91/07/0015; vom 20. Juli 1992, Zl. 92/18/0301; vom 29. Juni 1993, Zl. 93/08/0140; vom 24. März 1994, Zl. 93/18/0599, und vom 31. Juli 1996, Zl. 96/13/0092, in ähnlich gelagerten Fällen zu dem im vorliegenden Zusammenhang mit § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG gleich zu beurteilendem § 46 VwGG und das hg. Erkenntnis vom 27. März 1996, Zl. 96/15/0028). Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist im vorliegenden Fall vielmehr ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten, wenn er die in seiner Kanzlei vorbereitete Reinschrift des Berufungsschriftsatzes ohne vorhergehende vollständige Kontrolle in der Auffassung unterfertigte, daß er sich bezüglich der Bezeichnung jener Behörde, an welche das Rechtsmittel gerichtet ist, auf seine Kanzleibediensteten verlassen könne, zumal § 63 Abs. 5 AVG besondere Regelungen bezüglich jener Behörde enthält, an welche eine Berufung gerichtet werden muß.
Den Verfahrensrügen des Beschwerdeführers, daß - entgegen den Feststellungen im angefochtenen Bescheid - die Berufungen niemals mit falschen Aktenzahlen bezeichnet gewesen seien, die Korrektur der Behördenbezeichnung im Computer der Kanzlei des Beschwerdevertreters vor dessen Augen durchgeführt und von ihm kontrolliert worden sei, daß die Verwendung von neuen Dateinamen von den bearbeitenden Sekretärinnen weder dem Rechtsvertreter noch seinen Konzipienten mitgeteilt worden sei, sowie schließlich, daß der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers nicht habe ahnen können, daß ihm neuerlich unrichtig adressierte Berufungen vorgelegt worden seien, ermangelt es im Hinblick auf das Vorgesagte an Relevanz.
Die behauptete Rechtsverletzung liegt somit nicht vor. Dies läßt bereits die Beschwerde erkennen. Sie war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
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