Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchteil 1 (Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 30. September 1994 wurde die von der Beschwerdeführerin gegen den ihren Antrag auf Aufenthaltsbewilligung abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. März 1994 erhobene Berufung als verspätet zurückgewiesen, weil letzter Tag für die Einbringung der Berufung der 8. April 1994 gewesen sei. Die Berufung sei jedoch erst am 10. April 1994 zur Post gegeben worden.
In dem daraufhin von der Beschwerdeführerin eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, mit dem die (versäumte) Berufung verbunden wurde, führte die Beschwerdeführerin aus, ihr ausgewiesener Rechtsvertreter habe seiner bislang immer verläßlichen Sekretärin am 8. April 1994 den ausdrücklichen Auftrag erteilt gehabt, die bereits verfaßte Berufung am selben Tag zur Post zu bringen. Die Sekretärin habe das Poststück am 8. April (einem Freitag) auch mitgenommen und die Absicht gehabt, die Postaufgabe durchzuführen. Außerhalb der Kanzlei habe sie eine Bekannte getroffen und im Zuge des gemeinsamen Kaffeehausbesuches schließlich die Postaufgabe vergessen. Tatsächlich habe die Sekretärin die Berufung am Sonntag, dem 10. April 1994, im Postamt Fleischmarkt aufgegeben. Es sei dies die erste derartige Fehlleistung der schon langjährigen Sekretärin des ausgewiesenen Vertreters gewesen. Zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens beantragte die Beschwerdeführerin die Einvernahme der namhaft gemachten Angestellten ihres Rechtsvertreters sowie dessen Befragung selbst.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag ab (Spruchteil 1) und die mit diesem verbundene Berufung wegen entschiedener Sache zurück (Spruchteil 2).
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei deshalb als unglaubwürdig anzusehen, weil dieses der Sachverhaltsannahme in einem näher zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage eines begründeten Wiedereinsetzungsantrages nachempfunden worden sei. Das Vorbringen sei auch nicht schlüssig. Nach der Lebenserfahrung wäre davon auszugehen gewesen, daß die Sekretärin im Falle ihres Versehens den ausgewiesenen Rechtsvertreter davon verständigt hätte. Demgegenüber behaupte die Beschwerdeführerin, daß ihr ausgewiesener Rechtsvertreter erst durch Zustellung des Zurückweisungsbescheides von der Versäumung der Rechtsmittelfrist erfahren habe. Auch die Aufgabe des Poststückes unweit der Rechtsanwaltskanzlei lasse die Begründung im Wiedereinsetzungsantrag als zweifelhaft erscheinen. Vielmehr bestehe der Verdacht, daß die Berufungsschrift die Kanzlei am Freitag gar nicht verlassen habe. Sollte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin unmittelbar nach tatsächlicher Einbringung der Berufungsschrift von der Säumnis Kenntnis erhalten haben, so wäre der Wiedereinsetzungsantrag als verspätet anzusehen. Überdies sei der Wiedereinsetzungsantrag deshalb als verspätet anzusehen, weil dieser erst nach Zurückweisung der Berufung durch den Bundesminister für Inneres eingebracht worden sei.
Die nun neuerlich eingebrachte Berufung sei angesichts des in Rechtskraft erwachsenen Zurückweisungsbescheides wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen.
Dagegen richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde vermischt in einer nicht zulässigen Weise den Begriff der Schlüssigkeit eines Vorbringens zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung einer Verfahrensfrist mit dem der Glaubhaftmachung des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes. Bei der Frage der Schlüssigkeit eines Vorbringens zur Dartuung eines Wiedereinsetzungsgrundes geht es darum, ob der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages dargestellte Sachverhalt überhaupt geeignet erscheint, ein Ereignis im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG nachvollziehbar zu begründen. Gemäß dieser Gesetzesbestimmung ist einer Partei, die durch ein unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Rechtsvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Wenn einem Angestellten des Rechtsvertreters im Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist ein Fehler unterläuft, hat das die Partei selbst nur dann nicht zu vertreten, wenn der Rechtsvertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten nachgekommen ist. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich nach der Übergabe der Poststücke an die Kanzleikraft in jedem Fall von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung zu überzeugen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Februar 1993, Zl. 93/02/0004, und vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0019).
Damit kommt - wie die Beschwerdeführerin zutreffend aufzeigt - dem im Wiedereinsetzungsantrag dargestellten Sachverhalt die grundsätzliche Eignung zu, als schlüssig begründeter Wiedereinsetzungsgrund angesehen zu werden, wobei dieser Sachverhalt vom Wiedereinsetzungswerber auch glaubhaft zu machen ist. Zur Glaubhaftmachung des Sachverhaltes wurde im Wiedereinsetzungsantrag sowohl die Einvernahme der namhaft gemachten Sekretärin als auch die des ausgewiesenen Vertreters angeboten. Diese Bescheinigungsmittel wurden von der belangten Behörde jedoch nicht aufgenommen. Im angefochtenen Bescheid wurden vielmehr Spekulationen über als möglich angesehene andere Sachverhaltsabläufe im Zusammenhang mit der Postaufgabe angestellt, die mangels Aufnahme der angebotenen Bescheinigungsmittel durch nichts belegt sind. Auch die weiteren Ausführungen der belangten Behörde im Zusammenhang mit § 71 Abs. 3 AVG stehen mit der herrschenden Auffassung nicht in Einklang. Die Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages ist nach § 71 Abs. 2 AVG ab Kenntnis der Verspätung des eingebrachten Rechtsmittels zu berechnen. Da die Beschwerdeführerin geltend machte, daß ihr erst mit Zustellung des Zurückweisungsbescheides die Versäumung der Berufungsfrist bekannt geworden sei und sie in diesem Fall naturgemäß erst nach Einbringung der versäumten Berufung den Wiedereinsetzungsantrag erheben konnte, stand diesem § 71 Abs. 2 AVG nicht entgegen. Damit in Übereinstimmung steht auch die Rechtsprechung, daß die Nachholung einer bereits - wenn auch verspätet - gesetzten Prozeßhandlung mit dem Wiedereinsetzungsantrag nicht erforderlich ist.
Da die belangte Behörde das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag als zur Begründung eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht geeignet ansah, war der in Beschwerde gezogene Bescheid in seinem Spruchteil 1 gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben; im übrigen war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, weil über die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Fällen - unabhängig von einem anhängigen, aber noch nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich aufgrund der Aktenlage zu entscheiden ist (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, 85/02/0251).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da der Ersatz von Stempelmarken nur für zwei Beschwerdeausfertigungen und eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides gebührt.
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