Normen
AVG §8;
BauO Wr §10 Abs2;
BauO Wr §134a litd;
BauO Wr §5 Abs6;
BauO Wr §70 Abs1;
BauO Wr §71;
VwRallg;
AVG §8;
BauO Wr §10 Abs2;
BauO Wr §134a litd;
BauO Wr §5 Abs6;
BauO Wr §70 Abs1;
BauO Wr §71;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind u.a. Miteigentümer des Grundstückes Nr. .n1 Baufläche, S-Gasse 24/W-Gasse 67, der Liegenschaft EZ nn1, Grundbuch Hernals.
Mit Eingabe vom 27. März 1995 beantragte die mitbeteiligte Partei die Erteilung der baubehördlichen Genehmigung für die Errichtung eines Fahrgastunterstandes mit City-Light-Vitrine vor dem Grundstück Nr. n2 der Liegenschaft EZ nn2 Grundbuch Hernals, W-Gasse 69. Die Beschwerdeführer wurden zur mündlichen Verhandlung vom 8. Mai 1995 persönlich geladen. Der Erstbeschwerdeführerin konnte die Ladung jedoch nicht zugestellt werden. In der Niederschrift über die Verhandlung wurde festgehalten:
"Die Wartehalle wird in einem Abstand von 9 m zum Haltestellenbereich (vor ONr. 67) errichtet. Der Vorderabstand wird auf 1,20 m (Abstand Gehsteig Vorderkante-Seitenteil) reduziert.
...
Die Pläne werden zur Korrektur rückgemittelt."
Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer waren zur Verhandlung nicht erschienen.
Die Erstbeschwerdeführerin wurde für eine Verhandlung am 29. Juni 1995 mit dem Gegenstand
"Ansuchen um Erteilung der Bewilligung gemäß § 71 der BO für Wien für die Errichtung eines Fahrgastunterstandes mit City-Light-Vitrine in Wien 17., W-Gasse vor ONr. 67, Linie X Richtung P-Gasse (Station H-Straße/W-Gasse)"
geladen. Zur mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 1995 erschien der Verwalter der Liegenschaft EZ nn1 KG Hernals unter Berufung auf eine Vollmacht vom 1. Jänner 1993, welche auch eine Bevollmächtigung zur Vertretung "in sämtlichen baubehördlichen Verfahren, insbesondere in meiner (unserer) Eigenschaft als Anrainer im Bewilligungsverfahren" enthält. Diese schriftliche Vollmacht ist von sämtlichen Beschwerdeführern unterfertigt. In der Niederschrift über die Verhandlung vom 29. Juni 1995 ist festgehalten:
"Der Vertreter der Anrainer erhebt folgende Einwände gegen die Errichtung des geplanten Fahrgastunterstandes:
Es wird seitens der Anrainer die Meinung vertreten, daß es sich durch die im Zuge der ersten Verhandlung vom 9.5.95 erfolgte Verschiebung des Fahrgastunterstandes um eine erhebliche Änderung des ursprünglichen Bauvorhabens handelt.
...
Der geplante Fahrgastunterstand stellt ein Bauhindernis für künftige Bauvorhaben auf der Liegenschaft W-Gasse Nr. 67 dar.
...
Durch die zu errichtende Wartehalle wird eine Wertminderung der dahinterliegenden Geschäftsräume sowie der an der Fassade befindlichen Schaukästen befürchtet bzw. erwartet. Außerdem wird eine Beeinträchtigung der Verwertbarkeit der hinter dem Fahrgastunterstand befindlichen Werkstatt im Kellergeschoß, deren Zugang sich ebenfalls hinter dem Fahrgastunterstand befindet, erwartet.
..."
Schon mit Schreiben vom 9. Mai 1995 hatte der zuständige Architekt auftragsgemäß den Plan für die beantragte Bauanlage mit dem nunmehr vorgesehenen Standort vor dem Haus W-Gasse 67 vorgelegt.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, vom 13. Juli 1995 wurde der mitbeteiligten Partei "gemäß § 71 der Bauordnung für Wien (...) auf jederzeitigen Widerruf" die beantragte Bewilligung für die Errichtung einer 5,58 m x 1,35 m großen Wartehalle, "bestehend aus Stahlrahmen mit einer Verglasung aus Einscheibsicherheitsglas, einem Dach aus Aluminium, Verbundpaneelen und einer in der Rückwand befindlichen Leuchtvitrine" unter Hinweis auf die vorgelegten Planunterlagen erteilt. Die Einwendungen der Beschwerdeführer wurden teilweise als unzulässig zurückgewiesen, teilweise wurden die Beschwerdeführer mit ihren Einwendungen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
In der gegen den Bewilligungsbescheid erhobenen Berufung wendeten die Beschwerdeführer ein, aufgrund der wesentlichen Änderung des Bauvorhabens hätte es eines neuen Baubewilligungsantrages bedurft. Wäre von vornherein der Standort des gegenständlichen Bauwerkes vor dem Haus W-Gasse 67 festgestanden, hätten sich die Beschwerdeführer entsprechend vorbereiten und darlegen können, daß die hinter dem Wartehaus gelegenen Geschäftsräume im Haus W-Gasse 67 dadurch beeinträchtigt seien, daß der Lichteinfall sich verringere und sich überdies eine verminderte Bebaubarkeit bzw. Umbaumöglichkeit und Benutzbarkeit dieser Geschäftsräume, insbesondere der im Souterrain befindlichen Werkstatt, ergebe. Der Zugang zu dieser Werkstatt befinde sich hinter dem Fahrgastunterstand, der nunmehr von der Baubehörde erster Instanz bewilligt worden sei.
Mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 30. April 1996 wurde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen. Die Errichtung einer Wartehalle der hier zu beurteilenden Art bedürfe einer Bewilligung nach der Wiener Bauordnung. Gemäß § 71 dürfen der Bewilligung durch dieses Gesetz gegebene subjektiv-öffentliche Rechte nicht entgegenstehen, es sei denn, daß der Berechtigte der Bewilligung ausdrücklich zugestimmt habe oder gemäß § 42 AVG als der Bewilligung zustimmend anzusehen sei. Es sei daher zu prüfen gewesen, inwieweit die Beschwerdeführer im Verfahren Gelegenheit gehabt hätten, Einwendungen bezüglich der Verletzung eines durch die Bauordnung gegebenen subjektiv-öffentlichen Rechtes zu erheben. In der mündlichen Verhandlung, zu welcher die Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen worden seien, sei bekanntgegeben worden, daß die Wartehalle, welche ursprünglich auf Höhe der Grundstücksgrenze zu den Häusern W-Gasse 67 und 69 vorgesehen gewesen sei, auf den Standort vor dem Haus Nr. 69 (gemeint offensichtlich Haus Nr. 67) verschoben worden sei. Falls durch diese im Rahmen des Verfahrens vorgenommene Standortänderungen eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens eingetreten sei, sei eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs durch das Berufungsverfahren geheilt, da die Beschwerdeführer in der Berufung die Möglichkeit gehabt hätten, ohne Präklusion ihre Einwendungen vorzubringen. Die nunmehr vorgebrachten Einwendungen seien jedoch unter keine der im § 134a BO aufgezählten subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte einzuordnen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht, "daß kein Fahrgastunterstand vor unserer Liegenschaft 1170 Wien, W-Gasse 67 errichtet wird", verletzt. Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer seien zur Verhandlung am 8. Mai 1995 "in Angelegenheit W-Gasse vor ONr. 69" geladen worden. Da diese Angelegenheit nicht ihre Liegenschaft betroffen habe, seien sie zur Verhandlung nicht erschienen. Erst durch Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides hätten sie Kenntnis vom geänderten Verfahrensgegenstand erhalten. Durch diese Vorgangsweise der Behörde sei ihnen die Möglichkeit genommen worden, im Rahmen des Ortsaugenscheines ihre Einwendungen vorzubringen. Im Hinblick auf diese Vorgehensweise wäre daher jedenfalls eine neuerliche mündliche Verhandlung vor Ort angebracht gewesen, umso mehr als die Änderung des Bauvorhabens aufgrund der zwingenden Bestimmungen der Wiener Bauordnung keinesfalls während der Bauverhandlung erfolgen könne. Durch eine solche Vorgangsweise werde zum einen der Instanzenzug abgeschnitten, zum anderen auch der Zweck einer mündlichen Verhandlung hintangehalten. Im gegenständlichen Fall handle es sich um einen Bau auf öffentlichem Grund. Das Recht auf Zugang sei schon dem verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf Eigentum zu entnehmen. Die Verringerung des Lichteinfalles sei als Immission zu werten. Schon aus den Bestimmungen des Baurechtes, die Abstandsflächen vorsehen, lasse sich ersehen, daß die aufgrund zu enger Bebauung erfolgenden Effekte unerwünscht seien.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 70 Abs. 1 der Bauordnung für Wien (BO) ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn durch das Bauvorhaben subjektiv-öffentliche Nachbarrechte berührt werden können (§ 134a).
Gemäß § 71 leg. cit. kann die Behörde Bauten, die vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können, sei es wegen des bestimmungsgemäßen Zweckes der Grundfläche, sei es, weil in begründeten Ausnahmefällen die Baulichkeit den Bestimmungen dieses Gesetzes aus sachlichen Gegebenheiten nicht voll entspricht, auf eine bestimmte Zeit oder auf Widerruf bewilligen. Für sie gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes insofern nicht, als nach Lage des Falles im Bescheid auf die Einhaltung dieser Bestimmungen verzichtet worden ist. Der Bewilligung dürfen durch dieses Gesetz gegebene subjektiv-öffentliche Rechte nicht entgegenstehen, es sei denn, daß der Berechtigte der Bewilligung ausdrücklich zugestimmt hat oder gemäß § 42 AVG als der Bewilligung zustimmend anzusehen ist.
Gemäß § 134a BO werden subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, u. a. durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutz dienen, begründet:
d) Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien;
Die Beschwerdeführer sind Miteigentümer eines Grundstückes, welches einem mit einer bewilligungspflichtigen baulichen Anlage (§ 60 Abs. 1 lit. b BO) zu bebauenden Grundstück im Sinne des § 134 Abs. 3 BO benachbart ist. Die Miteigentümer benachbarter Liegenschaften sind nach dieser Gesetzesstelle dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben. Weist ein Nachbar der Behörde nach, daß er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach § 134 Abs. 3 zu erlangen, kann er gemäß Abs. 4 dieser Gesetzesstelle seine Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die Bauführung auch nach dem Abschluß der mündlichen Bauverhandlung bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§ 124 Abs. 2) vorbringen und ist vom Zeitpunkt des Vorbringens dieser Einwendungen an Partei; eine spätere Erlangung der Parteistellung (§ 134 Abs. 3) ist ausgeschlossen. Solche Einwendungen sind vom Nachbarn binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für ihre Erhebung bei der Behörde einzubringen, die die Bauverhandlung anberaumt hat.
Ob die Standortverschiebung der der Beschwerde zugrunde liegenden baulichen Anlage eine wesentliche Projektsänderung darstellt, bedarf schon deshalb keiner näheren Erörterung, weil der in der Ladung zur mündlichen Verhandlung für den 29. Juni 1995 angeführte Standort W-Gasse 67 mit dem in der Folge im Bewilligungsbescheid umschriebenen übereinstimmt. In der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 1995, zu welcher zwar nur die Erstbeschwerdeführerin persönlich geladen worden ist, haben sämtliche Beschwerdeführer durch ihren mit einer schriftlichen Vollmacht ausgewiesenen Vertreter Einwendungen gegen das in der Folge bewilligte Bauprojekt erhoben. Entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht beziehen sich diese Einwendungen auch auf subjektiv-öffentliche Nachbarrechte im Sinne des § 134a BO. Der Hinweis, der geplante Fahrgastunterstand stelle ein Hindernis für zukünftige Bauvorhaben auf der Liegenschaft W-Gasse 67 dar, beinhaltet nämlich den Vorwurf eines Verstoßes gegen Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien im Sinne des § 134a lit. d in Verbindung mit § 5 Abs. 6 und § 10 Abs. 2 BO. Ausgehend von ihrer - als unrichtig erkannten - Rechtsansicht hat aber die belangte Behörde kein Ermittlungsverfahren darüber abgeführt, ob ein solcher Verstoß gegen subjektiv-öffentliche Nachbarrechte der Beschwerdeführer durch das bewilligte Bauvorhaben tatsächlich bewirkt wird.
Haben die Nachbarn in Einwendungen subjektiv-öffentliche Rechte geltend gemacht, dann kommt eine baubehördliche Bewilligung nach § 71 BO wie im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 27. Oktober 1981, Zl. 81/05/0007, vom 6. November 1984, Zl. 84/05/0101, BauSlg.Nr. 326, vom 13. Dezember 1988, Zl. 88/05/0187, BauSlg.Nr. 1232, vom 29. September 1992, Zlen. 89/05/0030, 0031, und vom 22. Juni 1993, Zl. 92/05/0261), weil der letzte Satz dieser Gesetzesstelle die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des durch die Baubewilligung in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten betroffenen Nachbarn voraussetzt.
Aus diesen Gründen war daher der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.
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