VwGH 96/01/0967

VwGH96/01/096711.11.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des M in Wien, vertreten durch Dr. Gunther Gahleithner, Rechtsanwalt in Wien I, Schottengasse 7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 22. August 1996, Zl. MA 61/IV-G 401/95, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Verleihung der Staatsbürgerschaft und Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z1;
DSG 1978 §1 Abs1;
DSG 1978 §1 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §20;
TilgG 1972 §1;
TilgG 1972 §6;
AVG §69 Abs1 Z1;
DSG 1978 §1 Abs1;
DSG 1978 §1 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §20;
TilgG 1972 §1;
TilgG 1972 §6;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 30. Juni 1994 hatte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, daß er binnen zwei Jahren den Nachweis über sein Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband erbringe.

Mit Bescheid vom 22. August 1996 hat die belangte Behörde

  1. 1. das mit dem oben genannten Bescheid vom 30. Juni 1994 abgeschlossene Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG von Amts wegen wiederaufgenommen und
  2. 2. das Ansuchen des Beschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG abgewiesen.

    Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, daß nach Erlassung des Zusicherungsbescheides hervorgekommen sei, daß der Beschwerdeführer vom Strafbezirksgericht Wien am 24. Oktober 1986 und am 12. Juni 1990 wegen fahrlässiger und am 15. März 1994 wegen vorsätzlicher Körperverletzung jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Da diese Verurteilungen von der Beschränkung der Auskunft gemäß § 6 Tilgungsgesetz umfaßt seien, habe die belangte Behörde erst nach Erlassung des Zusicherungsbescheides davon erfahren. Der Beschwerdeführer habe bei seiner Vernehmung am 14. März 1996 angegeben, die strafgerichtlichen Verurteilungen bewußt verschwiegen zu haben, da er gewußt habe, daß die Verurteilungen die Verleihung der Staatsbürgerschaft erschwert hätten. Es liege daher der Wiederaufnahmstatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG vor.

    Aus den Verurteilungen ergebe sich, daß der Beschwerdeführer die körperliche Unversehrtheit anderer gering achte und daher nach seinem Gesamtverhalten keine Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darzustellen. Aufgrund des somit gegebenen Verleihungshindernisses gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG sei der Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft abzuweisen gewesen.

    Über die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

    Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist.

    Ein "Erschleichen" eines Bescheides liegt dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, daß bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese dann dem Bescheid zugrundegelegt worden sind, wobei Verschweigung wesentlicher Tatsachen dem Vorbringen unrichtiger Umstände gleichzusetzen ist (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 652 ff, E 9 ff zu § 69 AVG, zitierte hg. Judikatur).

    Vorliegend wurde der Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft vom 25. August 1993 von der belangten Behörde am selben Tag niederschriftlich einvernommen. Für die Erstellung der Niederschrift hat die belangte Behörde ein Formular verwendet, welches u.a. folgende Fragestellung vorsieht:

    "Der Antragsteller/Die Antragstellerin (zu 1) erklärt: Ich und

    meine Kinder bin sind nicht nur wie folgt gerichtlich

    bestraft (In- und Ausland):"

In diesem Punkt hat die belangte Behörde den Protokollvordruck nicht ausgefüllt und auch im vorgedruckten Text keine Streichungen vorgenommen. Ein Hinweis auf eine Aussage des Beschwerdeführers über das Vorliegen von gerichtlichen Verurteilungen bzw. eine entsprechende Fragestellung ergibt sich auch aus keiner anderen Stelle der Niederschrift, welche nach der Aktenlage gemäß den Vorschriften des § 14 AVG aufgenommen wurde und daher gemäß § 15 leg. cit. vollen Beweis über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung liefert. Da der Beschwerdeführer somit im Verfahren, das zur Erlassung des Zusicherungsbescheides führte, keine Aussagen zum Vorliegen (bzw. Nichtvorliegen) von gerichtlichen Verurteilungen machte und danach auch gar nicht gefragt wurde, ist die Feststellung der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Vernehmung angegeben habe, keine gerichtlichen Verurteilungen erlitten zu haben, aktenwidrig. Dieser Verfahrensmangel war auch ohne entsprechende Rüge durch die Beschwerde aufzugreifen (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 594 zitierte hg. Judikatur).

Darüberhinaus hat die belangte Behörde insofern die Rechtslage verkannt, als sie die Ansicht vertrat, der Beschwerdeführer sei verpflichtet, seine Verurteilungen, welche unbestritten von der Beschränkung der Auskunft gemäß § 6 Tilgungsgesetz umfaßt sind, im Verfahren zur Verleihung der Staatsbürgerschaft bekanntzugeben. Zwar dürfen solche Verurteilungen, wenn sie der Behörde bekannt werden, bei der Beurteilung des Vorliegens der Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG berücksichtigt werden (vgl. dazu die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach sogar getilgte Verurteilungen zu berücksichtigen sind; etwa das Erkenntnis vom 3. September 1997, Zl. 97/01/0123), doch ist der Verurteilte gemäß § 6 Abs. 5 Tilgungsgesetz nicht verpflichtet, Verurteilungen, welche von der Beschränkung der Auskunft umfaßt sind, außerhalb der in § 6 Abs. 1 Z. 1 bis 3 leg. cit genannten Verfahren bekanntzugeben. Da das Verfahren zur Verleihung der Staatsbürgerschaft im § 6 Abs. 1 Z. 1 bis 3 Tilgungsgesetz nicht genannt ist, bestand für den Beschwerdeführer keine Verpflichtung, seine Verurteilungen der belangten Behörde mitzuteilen. Aufgrund dieses eindeutigen Gesetzeswortlautes schließt sich der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht von Thienel (Österreichische Staatsbürgerschaft, Band II, S. 185), der unter Berufung auf das Gerechtfertigtsein eines derartigen Eingriffes in das Grundrecht auf Datenschutz gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK (siehe § 1 Abs. 1 und 2 Datenschutzgesetz) eine Verpflichtung des Fremden annimmt, auch getilgte Verurteilungen - für welche § 1 Abs. 4 zweiter Satz Tilgungsgesetz regelt, daß der Verurteilte nicht verpflichtet ist, sie anzugeben - der Behörde mitzuteilen, nicht an.

Es ist somit irrelevant, daß der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung am 14. März 1996 angegeben hat, die Verurteilungen - von denen er angenommen habe, daß durch die Bezahlung der Geldstrafe seine Schuld "beglichen" sei - "absichtlich" nicht bekanntgegeben zu haben.

Die belangte Behörde hat daher das Verfahren, das zur Erlassung des Zusicherungsbescheides führte, zu Unrecht wieder aufgenommen.

Da somit der Zusicherungsbescheid im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach wie vor dem Rechtsbestand angehörte, hätte die belangte Behörde die Abweisung des Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft - auch ohne formellen Widerruf des Zusicherungsbescheides - nur darauf stützen dürfen, daß der Beschwerdeführer seit Zusicherung eine der Verleihungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. September 1997, Zl. 96/01/0773). Die Behörde hat jedoch die Abweisung des Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft in Verkennung dieser Rechtslage nur auf strafbare Handlungen gestützt, welche der Beschwerdeführer vor Erlassung des Zusicherungsbescheides begangen hat.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Beschwerde nur in zweifacher und der angefochtene Bescheid lediglich in einfacher Ausfertigung vorzulegen war.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG idF BGBl. I Nr. 88/1997 abgesehen werden.

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