VwGH 96/01/0312

VwGH96/01/03129.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Februar 1996, Zl. MA 61/IV-M 311/94, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art6 Abs2;
SGG §17;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10 Abs1;
StbG 1985 §11;
MRK Art6 Abs2;
SGG §17;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10 Abs1;
StbG 1985 §11;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 20. Februar 1996 wies die belangte Behörde das Ansuchen des Beschwerdeführers um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10 und 11 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, im Ergebnis Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Verleihungsantrages des im Jahre 1962 geborenen Beschwerdeführers damit begründet, daß dieser, ein Staatsangehöriger der Türkei, der seit 1981 ununterbrochen im Bundesgebiet lebe, ledig und als Taxilenker, Geschäftsführer und Gesellschafter tätig sei, mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 29. Juni 1992 wegen Lenkens eines Fahrzeuges in alkoholbeeinträchtigtem Zustand gemäß § 5 Abs. 1 StVO rechtskräftig bestraft (S 8.000,--) und ihm auch die Lenkerberechtigung für vier Wochen entzogen worden sei. In der Evidenz der Bundespolizeidirektion Wien schienen den Beschwerdeführer betreffend zahlreiche Verwaltungsübertretungen auf dem Gebiet der Straßenverkehrsordnung und des Kraftfahrgesetzes auf (seit 1985 etwa 100 Verkehrsübertretungen). Der Beschwerdeführer sei auch am 2. Oktober 1991 wegen § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz angezeigt worden, wobei das Verfahren am 6. April 1992 nach § 17 leg. cit. vorläufig und in der Folge am 6. Mai 1995 vom Strafbezirksgericht Wien endgültig eingestellt worden sei. Da der Beschwerdeführer seit Ende 1992 keine neuen Vormerkungen mehr aufweise, habe kein Verleihungshindernis im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG festgestellt werden können. Eine Prüfung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers, bei der nicht auf eine daraus erkennbare Gefährdung oder schädliche Neigung abgestellt werden müsse, unter dem Blickwinkel des der Behörde eingeräumten Ermessens habe aber unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen ergeben, daß von diesem Ermessen nicht positiv habe Gebrauch gemacht werden können. Bereits das Vorliegen einer ungetilgten Bestrafung nach § 5 Abs. 1 StVO sei ausreichend, um dieses Ermessen nicht positiv ausüben zu können. Unter Bedachtnahme auf die zahlreichen sonstigen Verwaltungsübertretungen und auf das - mittlerweile eingestellte - Verfahren nach dem Suchtgiftgesetz sei ohne weiteres nachvollziehbar, daß es nicht dem öffentlichen Interesse entsprechen könne, einen Bewerber, der bisher eine so geringe Bindung an österreichische Rechtsvorschriften habe erkennen lassen, einzubürgern. Auch würde die Einbürgerung eines Fremden, der gegen eine gesellschaftlich und rechtspolitisch besonders bedeutsame Norm (§ 5 Abs. 1 StVO) verstoßen habe, auf Grund der Signalwirkung, daß ein derartiges für die Allgemeinheit besonders gefährliches Verhalten bei der Aufnahme in den Staatsverband nicht relevant sei, die Wirkung dieser Norm und ihren Schutzzweck eklatant abschwächen und somit den öffentlichen Interessen zuwiderlaufen. Weder der lange Aufenthalt noch die Begleichung aller Steuerrückstände und offenen Geldstrafen könnten das öffentliche Interesse an der Einhaltung gesellschaftlich und rechtspolitisch bedeutsamer Normen wie § 5 Abs. 1 StVO überwiegen.

Der Beschwerdeführer macht in der Beschwerde zunächst geltend, er lebe nicht erst seit 1981, sondern bereits seit seiner Kindheit mit Unterbrechungen in Österreich. Ein Einbürgerungshindernis gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG liege nicht vor, weil die Verkehrsübertretungen zum Großteil die Ges.m.b.H des Beschwerdeführers betroffen hätten; auch sei nicht bedacht worden, daß er als Taxilenker praktisch ständig unterwegs sei. Die Anzeige nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz sei von der belangten Behörde zu Unrecht bei ihrer Ermessensübung herangezogen worden, weil dieses Verfahren endgültig eingestellt worden sei. Insoweit stehe der angefochtene Bescheid in Widerspruch zu Art. 6 "Abs. 3" EMRK, weil der Heranziehung eingestellter Verfahren die Unschuldsvermutung entgegenstehe. Der Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung, dem ""lediglich" eine Promille-Grenze von 0,8 o/oo zugrunde" gelegen sei, rechtfertige insbesondere im Hinblick auf den seit der Kindheit nahezu ununterbrochenen, fast dreißigjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und angesichts der Verleihung der Staatsbürgerschaft an seine inzwischen verstorbene Schwester die negative Ermessensübung nicht. Er habe sich bejahend zur Republik Österreich verhalten und sei gegen ihn weder bei einem inländischen noch bei einem ausländischen Gericht ein Verfahren wegen eines mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatzdeliktes anhängig und sei er auch nicht wegen eines solchen verurteilt worden. Die durch Ermessensübung ausgesprochene Versagung der Staatsbürgerschaftsverleihung lediglich auf Grund von Verwaltungsübertretungen widerspreche bei einer "nahezu oder mehr als" dreißigjährigen Aufenthaltsdauer dem "EU- Rechtsstaatlichkeitsprinzip" und sei "im Hinblick auf die beabsichtigte Eingliederung völkerrechtswidrig". Die unrichtige Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG werde ausdrücklich bekämpft.

Gemäß § 10 Abs. 1 StbG kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat und kein Einbürgerungshindernis nach den Z. 1 bis 8 dieses Absatzes vorliegt. Gemäß § 11 StbG hat sich die Behörde bei der Ausübung des ihr gemäß § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausdrücklich angeführt, daß sie nicht vom Vorliegen eines Verleihungshindernisses gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG ausgehe. Die gegen die Anwendung der zuletzt angeführten Gesetzesbestimmung gerichteten Beschwerdeausführungen gehen daher ins Leere. Vom Verwaltungsgerichtshof ist somit lediglich zu prüfen, ob die belangte Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen im Rahmen der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht hat (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1995, Zl. 95/01/0105, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltene Gegenüberstellung der vom Beschwerdeführer begangenen Verwaltungsübertretungen (etwa 100) und insbesondere der Übertretung gemäß § 5 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung - letztere stellt gemäß der hg. Rechtsprechung wegen der mit dem Betrieb bzw. dem Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand verbundenen besonderen Gefährdung der Sicherheit anderer Straßenverkehrsteilnehmer einen schwerwiegenden Verstoß gegen straßenpolizeiliche Vorschriften dar (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 21. September 1994, Zl. 93/01/1517), weshalb ihr die belangte Behörde zu Recht maßgebliche Bedeutung zugemessen hat - mit den für eine Verleihung ins Treffen geführten Interessen des Beschwerdeführers (langer Aufenthalt in Österreich, mittlerweile erfolgte Begleichung von Abgabenrückständen und offenen Strafen) läßt im Zusammenhang mit dem von der belangten Behörde ebenfalls in ihre Erwägungen einbezogenen Gesamtverhalten des Beschwerdeführers nicht erkennen, daß die belangte Behörde durch die Versagung der angestrebten Verleihung das ihr eingeräumte Ermessen mißbraucht hätte. Insbesondere ist der belangten Behörde zu folgen, wenn sie aus der Vielzahl der vom Beschwerdeführer gesetzten Verstöße gegen der Sicherheit des Straßenverkehrs dienende Vorschriften den Schluß gezogen hat, sein Gesamtverhalten lasse nur eine geringe Bindung an österreichische Rechtsvorschriften erkennen, sodaß es nicht dem öffentlichen Interesse entsprechen könne, den Beschwerdeführer einzubürgern. Dem Einwand des Beschwerdeführers, die Mehrzahl der Verkehrsdelikte habe seine Ges.m.b.H betroffen bzw. sei durch seinen Beruf als Taxilenker bedingt gewesen, ist entgegenzuhalten, daß es sich jedenfalls um Rechtsverletzungen handelt, derentwegen er rechtskräftig bestraft wurde und die ihm daher persönlich zuzurechnen sind.

Der Rüge, die belangte Behörde habe ihrer Entscheidung zu Unrecht das gegen den Beschwerdeführer anhängig gewesene und mittlerweile eingestellte Verfahren nach dem Suchtgiftgesetz zugrundegelegt, ist entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zu Recht davon ausgeht, daß bereits das Vorliegen der ungetilgten Bestrafung nach § 5 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung eine negative Ermessensübung rechtfertige. Die Anführung des Umstandes, daß ein Verfahren nach dem Suchtgiftgesetz, welches unter Anwendung des § 17 Suchtgiftgesetz 1951 eingestellt wurde - der Suchtgiftkonsum des Beschwerdeführers steht nach der Aktenlage außer Streit -, anhängig war, ist im Rahmen der Beurteilung des Gesamtverhaltens eines Einbürgerungswerbers unbedenklich und stellt sich daher nicht als Verstoß gegen die Unschuldsvermutung dar.

Die gegen den angefochtenen Bescheid ins Treffen geführten Verstöße gegen das "EU-Rechtsstaatlichkeitsprinzip" und gegen das Völkerrecht hat der Beschwerdeführer nicht näher konkretisiert. Umstände, die auf eine Verletzung von EU-Gemeinschaftsrecht oder von völkerrechtlichen Grundsätzen hindeuteten, sind weder dem angefochtenen Bescheid noch den Verwaltungsakten zu entnehmen. Eine Verletzung subjekiv-öffentlicher Rechte des Beschwerdeführers ist somit insoweit nicht hervorgekommen.

Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, die Feststellung der belangten Behörde, er halte sich seit 1981 ununterbrochen in Österreich auf, sei unrichtig, weil er seit seiner Kindheit mit Unterbrechungen hier lebe, zeigt er damit - abgesehen davon, daß er auch aus einer längeren Aufenthaltsdauer (sofern diese nicht das Ausmaß von ununterbrochen dreißig Jahren erreicht) nichts für sich gewinnen könnte - keinen Widerspruch zu seinem eigenen Vorbringen auf. Auch ergibt sich aus dem seinem Verleihungsgesuch angeschlossenen Lebenslauf, daß er sich jedenfalls in der Zeit von 1974 bis 1980 nicht in Österreich aufgehalten hat.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag somit insgesamt darin, daß die belangte Behörde angesichts des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers davon ausgegangen ist, seine Einbürgerung entspreche nicht dem öffentlichen Interesse, einen Ermessensmißbrauch oder eine Ermessensüberschreitung nicht zu erkennen.

Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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