VwGH 96/01/0296

VwGH96/01/029617.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerden 1. des Bedri Nura, geboren am 6. Februar 1959, und 2. der Drita Osmani verehelichte Nura, geboren am 17. Juni 1962, beide in Hainfeld, beide vertreten durch Dr. Peter Schobel, Rechtsanwalt in St. Pölten, Herrengasse 4, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 6. März 1996,

Zlen. 4.338.461/11-III/13/96 (Erstbeschwerdeführer) und 4.338.495/5-III/13/96 (Zweitbeschwerdeführerin), betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige der "Jugosl. Föderation", die am 17. März 1992 in das Bundesgebiet eingereist sind, haben die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 27. April 1992, mit denen festgestellt worden war, daß sie nicht Flüchtlinge seien, mit Berufung bekämpft.

Nach der mit hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1995,

Zlen. 94/01/0445, 0446, wegen der rechtsirrigen Anwendung des Asylgesetzes 1991 ausgesprochenen Behebung ihrer über diese Berufungen ergangenen Bescheide vom 21. Dezember 1993 wies die belangte Behörde mit Bescheiden vom 6. März 1996 die Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG neuerlich ab.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, jeweils Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden, wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Erstbeschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 1. April 1992 angegeben, er gehöre der albanischen Minderheit im Kosovo an und sei seit 1991 Mitglied der LDK. Er habe bei der Ausübung seiner Religion keine Schwierigkeiten gehabt, sei aber wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen öfter von der Polizei verhört worden. Im Juni 1991 sei ihm ein Einberufungsbefehl zugestellt worden, den er aber nicht angenommen habe, weil ihm bekannt gewesen sei, daß er sofort an die Front versetzt und gezwungen worden wäre, auf seine Landsleute zu schießen.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat bei ihrer Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 30. März 1992 angegeben, sie gehöre der albanischen Minderheit im Kosovo an und sei nie Mitglied einer politischen Partei oder Organisation gewesen. Sie habe ihre Religion uneingeschränkt ausüben können, habe aber wegen ihrer Abstammung bereits mehrmals unter den Benachteiligungen, die sich aus der Zugehörigkeit des Kosovo zu Jugoslawien ergäben, zu leiden gehabt, weshalb sie mit der Unabhängigkeitsbewegung sympathisiere. Der Erstbeschwerdeführer - ihr damaliger Lebensgefährte - habe, als am 10. März 1992 die serbische Militärpolizei dessen Dorf umstellt und alle wehrfähigen Männer festgenommen und "in die Armee gesteckt" habe, entfliehen können. Der Erstbeschwerdeführer habe beschlossen, nicht in den Krieg zu ziehen, weil er als Albaner davon nicht betroffen sei. Da sie schwanger gewesen sei und beim Erstbeschwerdeführer habe bleiben wollen, sei sie mit ihm geflohen.

In ihren Berufungen bekräftigten die Beschwerdeführer ihre Aussagen vor der Behörde erster Instanz. Zusätzlich machte der Erstbeschwerdeführer sinngemäß geltend, er habe in seinem Dorf Probleme mit den serbischen Behörden gehabt, weil bei einem bewaffneten Zusammenstoß mit der serbischen Polizei zwei Personen verletzt worden seien.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung des Erstbeschwerdeführers damit begründet, daß weder die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe allein noch die Beschränkung der Abhaltung von Demonstrationen als Gründe für die Anerkennung als Flüchtling gewertet werden könnten. Die Festnahme oder Anhaltung von Teilnehmern an verbotenen Demonstrationen stellten sich nicht als Verfolgungshandlungen dar. Im Hinblick darauf, daß der Erstbeschwerdeführer behauptet habe, lediglich Mitglied der albanisch-demokratischen Partei und somit bloß in untergeordneter Rolle politisch aktiv gewesen zu sein, sei nicht zu erwarten, daß er deshalb künftig verfolgt werde. Auch habe der Erstbeschwerdeführer nicht einmal angedeutet, daß seine Parteimitgliedschaft den Behörden seines Heimatlandes überhaupt bekannt geworden bzw. von diesen mißbilligt worden sei. Die Einberufung zum Militärdienst stelle generell keine Verfolgung dar, da die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei. Dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers könnten keine Anhaltspunkte dafür entnommen werden, daß mit seiner Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen sei; seine Beweggründe, den Militärdienst nicht abzuleisten, könnten die Gewährung von Asyl nicht rechtfertigen. Im Zusammenhang damit stellte die belangte Behörde die Praxis der jugoslawischen Militärbehörden bei der Einberufung dar und verwies darauf, daß weder bei der Einberufung noch bei der Strafverfolgung an ethnischen Kriterien anknüpfende Unterscheidungen getroffen würden. Auch hätten sich die Truppen der "ehemaligen SFRJ" beginnend mit Ende April 1992 aus Bosnien-Herzegowina zurückgezogen, sodaß die Befürchtung des Erstbeschwerdeführers, im Fall seines Aufgreifens an der Front eingesetzt zu werden, nun nicht mehr mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimme. Dieser Umstand sei aber nicht von Entscheidungsrelevanz gewesen.

Die Abweisung der Berufung der Zweitbeschwerdeführerin hat die belangte Behörde damit begründet, daß sie keine Umstände vorgebracht habe, die auf eine individuelle Verfolgung durch staatliche Institutionen hindeuteten. Sie habe vielmehr deutlich gemacht, daß der Grund für das Verlassen ihres Heimatlandes die Zwangsrekrutierung des Erstbeschwerdeführers, der sich dieser habe entziehen können, gewesen sei. Weder die im Heimatland der Zweitbeschwerdeführerin ausgebrochenen kriegerischen Handlungen noch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe könnten zur Anerkennung als Flüchtling führen. Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention setze voraus, daß staatliche Maßnahmen nach dem Willen des Verfolgers den Verfolgten in einer von der Konvention geschützten Eigenschaft treffen sollten.

Der belangten Behörde ist zunächst darin beizupflichten, wenn sie hinsichtlich beider Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit der hg. Rechtsprechung (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1997, Zl. 96/01/0455, mit weiteren Judikaturhinweisen) davon ausgegangen ist, daß die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe allein die Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht zu rechtfertigen vermöge. Die Beschwerdeführer haben in dieser Hinsicht im Verwaltungsverfahren lediglich allgemeine Unbilden, denen die albanische Volksgruppe im Kosovo ausgesetzt sei, ins Treffen geführt.

Auch hinsichtlich der vom Erstbeschwerdeführer geltend gemachten Teilnahme an Demonstrationen und der deswegen erfolgten Einvernahmen befindet sich die belangte Behörde auf dem Boden der ständigen hg. Rechtsprechung, wenn sie diesen Umständen Asylrelevanz nicht beigemessen hat (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993,

Zlen. 93/01/0348, 0349).

Da der Erstbeschwerdeführer im Verwaltungsverfahren keine Umstände geltend gemacht hat, die darauf hindeuten würden, daß seine Mitgliedschaft bei der LDK den Behörden bekannt bzw. daß er wegen dieser Mitgliedschaft Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder deswegen Verfolgung habe befürchten müssen, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie diese Mitgliedschaft für sich allein nicht als für die Flüchtlingseigenschaft des Erstbeschwerdeführers sprechenden Grund gewertet hat.

Die belangte Behörde konnte sich auch auf die hg. Judikatur stützen, wenn sie davon ausgegangen ist, daß die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde oder in denen davon auszugehen ist, daß dem Asylwerber aus diesen Gründen eine - im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A). Anders als in dem Fall, der dem angeführten Erkenntnis des verstärkten Senates zugrunde lag, hat der Beschwerdeführer weder bei seiner Ersteinvernahme noch in seiner Berufung Ausführungen, die auf das Vorliegen von in dem Versuch, ihm einen Einberufungsbefehl zuzustellen, liegender Verfolgung im Sinne obiger Judikatur hindeuten würden, gemacht und insbesondere aus seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe nicht abgeleitet, er müsse wegen dieser Volkszugehörigkeit Verfolgung während der Ableistung des Militärdienstes befürchten. Soweit er in der Beschwerde geltend macht, seine Einberufung zum Militärdienst sei vor dem Hintergrund zu sehen, daß er an Demonstrationen beteiligt und Mitglied der albanisch demokratischen Partei gewesen sei, bringt er damit erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Mutmaßungen zum Ausdruck, für die in seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren keine Anhaltspunkte zu erkennen sind. Damit ist der Erstbeschwerdeführer der ihm obliegenden, sich aus den §§ 37 und 39 AVG ergebenden Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren nicht nachgekommen. Das verwaltungsgerichtlichen Verfahren kann aber nicht dazu dienen, im Verwaltungsverfahren unterlaufene Versäumnisse hinsichtlich der Pflicht der Partei, an der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes mitzuwirken, nachzuholen (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, Wien 1996, S. 239, zitierte Judikatur).

Der in der Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin erhobene Vorwurf, die belangte Behörde habe es bei Beurteilung des Vorbringens der Zweitbeschwerdeführerin unterlassen, auf die Verfolgung des Erstbeschwerdeführers und das sich daraus ergebende Durchschlagen dieser Verfolgung auch auf die Zweitbeschwerdeführerin bzw. auf die Absicht der Behörden ihres Heimatlandes, durch eine gegen sie gerichtete Verfolgung Druck auf den Erstbeschwerdeführer auszuüben, Bedacht zu nehmen, geht schon angesichts des Umstandes, daß die belangte Behörde zu Recht das Vorliegen einer Verfolgung des Erstbeschwerdeführers verneint hat, ins Leere.

Soweit die Beschwerdeführer in Ausführung der Verfahrensrüge der belangten Behörde vorwerfen, sie habe ihnen keine Möglichkeit zur Berufungsergänzung eingeräumt, ist ihnen entgegenzuhalten, daß sie während der Anhängigkeit des Berufungsverfahrens nicht gehindert gewesen wären, in entsprechenden Eingaben an die belangte Behörde ihnen wesentlich erscheinende Ergänzungen ihres Berufungsvorbringens geltend zu machen. Zu einer eigenen Aufforderung, die Berufung zu ergänzen, war die belangte Behörde nicht verpflichtet.

Die sich sohin als unbegründet erweisenden Beschwerden waren gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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