VwGH 95/21/1005

VwGH95/21/100518.5.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, in der Beschwerdesache des BY, (geboren am 24. Juni 1968), in Hohenems, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 23. August 1995, Zl. Frb-4250/94, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens in Angelegenheit eines befristeten Aufenthaltsverbotes, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §69 Abs1 Z2;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §58 Abs2 idF 1997/I/088;
AVG §69 Abs1 Z2;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §58 Abs2 idF 1997/I/088;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 5. Oktober 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 iVm § 21 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen. Die belangte Behörde vertrat hiebei u.a. die Ansicht, daß der Beschwerdeführer am 29. Mai 1990 die Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen offensichtlich nur deshalb eingegangen sei, um einen Befreiungsschein und in weiterer Folge einen Sichtvermerk zu erlangen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 21. Oktober 1994 zugestellt.

Mit Schreiben vom 27. April 1995 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiederaufnahme des Aufenthaltsverbotsverfahrens mit der Begründung, daß seine Frau beim Bezirksgericht Dornbirn über Befragen am 26. April 1995 erklärt habe, daß sie einander kennen und lieben gelernt sowie dann die Ehe geschlossen hätten und daß keine Scheinheirat vorläge. Es seien sohin am 26. April 1995 neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen, die im Aufenthaltsverbotsverfahren ohne sein Verschulden - zur Frage der Scheinheirat sei nie Parteiengehör gewährt worden - nicht hätten geltend gemacht werden können und die allein oder mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23. August 1995 gab die belangte Behörde gemäß § 69 Abs. 1 lit. b (offensichtlich gemeint: Z. 2) AVG dem Antrag auf Wiederaufnahme des Aufenthaltsverbotsverfahrens keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß die nach Abschluß des Aufenthaltsverbotsverfahrens protokollierte Aussage der Ehegattin des Beschwerdeführers keine neu hervorgekommene, sondern eine neu entstandene Tatsache sei, die ein Wiederaufnahmeverfahren nicht ermögliche. Im übrigen wäre selbst bei Berücksichtigung dieser Aussage nach wie vor ein Aufenthaltsverbot auszusprechen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, allenfalls wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

5. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 5. Oktober 1994 hatte der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Mit hg. Beschluß vom 23. Juni 1998, Zl. 95/21/0327, wurde gemäß § 114 Abs. 7 iVm Abs. 4 und § 115 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, diese Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt. Demzufolge ist das Aufenthaltsverbot mit Inkrafttreten des Fremdengesetzes 1997 außer Kraft getreten.

II.

1. Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluß als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, daß der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde. Bei einer Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG ist unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs. 1 und § 56 erster Satz VwGG nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides - im besonderen durch die belangte Behörde oder die allenfalls in Betracht kommende Oberbehörde oder durch den Verfassungsgerichtshof - eingetreten ist (vgl. den hg. Beschluß eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg.Nr. 10.092/A).

§ 33 Abs. 1 VwGG ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluß vom 9. April 1980 dargelegt hat, z.B. auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat. Ob im letzteren Sinn das rechtliche Interesse eines Beschwerdeführers weggefallen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof nach objektiven Kriterien zu prüfen. (Vgl. zum Ganzen etwa den hg. Beschluß vom 21. Dezember 1998, Zl. 95/18/1111, mwN.)

2. Die Wiederaufnahme des Verfahrens hat den Zweck, ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren, dem besondere Mängel anhaften, aus den im Gesetz erschöpfend aufgezählten Gründen aus der Welt zu schaffen und die Rechtskraft des Bescheides zu beseitigen. Sie soll ein bereits abgeschlossenes Verfahren wieder eröffnen, einen Prozeß, der durch einen rechtskräftigen Bescheid bereits einen Schlußpunkt erreicht hat, erneut in Gang zu bringen (vgl. die von Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 1474 zu E 18 zitierte hg. Rechtsprechung). Dieses der Wiederaufnahme ganz allgemein zugrundeliegende Ziel kann im Beschwerdefall nicht (mehr) erreicht werden; der das Verfahren rechtskräftig abschließende Bescheid ist zufolge des genannten hg. Beschlusses vom 23. Juni 1998 gemäß § 114 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes, somit am 1. Jänner 1998 (§ 111 Abs. 1 Fremdengesetz 1997), außer Kraft getreten.

3. Die Beschwerde war daher unter sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die nach § 58 Abs. 2 VwGG vorzunehmende Beurteilung ergibt folgendes: Der Beschwerdeführer stützte seinen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens auf die Aussage seiner Ehegattin vom 26. April 1995 vor dem Bezirksgericht Dornbirn und brachte dazu vor, daß sohin an diesem Tag neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen seien, die im Aufenthaltsverbotsverfahren ohne sein Verschulden - zur Frage der Scheinheirat sei nie Parteiengehör gewährt worden - nicht hätten geltend gemacht weden können und die allein oder mit den sonstigen Verfahrensergebnissen voraussichtlich einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Tatsachen und Beweismittel nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG darstellen, wenn sie bei Abschluß des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, nicht jedoch, wenn es sich um erst nach Abschluß des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt. Eine nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens getätigte gerichtliche Aussage ist somit keine neu hervorgekommene, sondern eine neu entstandene Tatsache, die ein Wiederaufnahmeverfahren nicht ermöglicht (vgl. etwa die von Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren5, zu § 69 Abs. 1 AVG E 19a und 39 zitierte Judikatur). Der Bescheid der belangten Behörde vom 5. Oktober 1994 wurde unbestrittenermaßen dem Beschwerdeführer am 21. Oktober 1994 zugestellt. Nach dem Gesagten konnte somit die Aussage vom 26. April 1995 keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund iS des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG darstellen, sodaß die Beschwerde im Fall einer meritorischen Erledigung abzuweisen gewesen wäre.

Wien, am 18. Mai 1999

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