VwGH 95/20/0222

VwGH95/20/022210.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. März 1995, Zl. 4.345.305/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, ist am 30. Oktober 1994 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 2. November 1994 einen Asylantrag gestellt. Den von einem Rechtsanwalt verfaßten Asylantrag begründete die Beschwerdeführerin damit, daß sie mit ihren beiden Kindern nach Österreich habe flüchten müssen, weil ihr Heimatdorf von Regierungstruppen niedergebrannt worden sei. Im Zuge der Erstürmung des Dorfes sei ihr Onkel, der Obmann der PKK gewesen sei, erschossen worden. Aufgrund der Zugehörigkeit der gesamten Familie G zur PKK seien sämtliche Mitglieder der Familie extremer Verfolgung ausgesetzt gewesen. Diese Verfolgung habe ihren Höhepunkt in der "Erstürmung und Niederbrennung des Dorfes" gefunden.

Bei ihrer niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt gab sie zu ihren Fluchtgründen - zusammengefaßt - an: Die Kurden würden beschimpft und geschlagen. Vor ungefähr einem Monat sei ihr Haus in ihrem Heimatort niedergebrannt worden; sie wüßte allerdings nicht von wem. Im Dorf hätten damals mehrere Häuser gebrannt. Sie sei damals in der Nacht aufgewacht und habe gerade noch mit ihren Kindern aus dem Haus laufen können. Von der Regierung sei behauptet worden, daß die PKK dafür verantwortlich gewesen sei. Es dürften aber wohl die Soldaten gewesen sein. Es habe damals keine Kämpfe gegeben und es sei "nichts weiter festzustellen gewesen, lediglich die Häuser brannten". Ihr Onkel sei bereits vor diesem Vorfall von Unbekannten im Dorf erschossen worden. Er sei auch nicht Obmann der PKK gewesen, sondern früher Bürgermeister des Heimatdorfes, der die PKK unterstützt habe.

Auf die diesbezüglichen Widersprüche zum schriftlichen Asylantrag befragt, erklärte die Beschwerdeführerin, daß diese mit Verständigungsschwierigkeiten bei Verfassung des Schriftstückes durch ihren Anwalt zusammenhingen. Diese Übersetzungsschwierigkeiten wurden von der bei der Einvernahme anwesenden Rechtsvertreterin bestätigt.

Die Beschwerdeführerin erklärte weiters, sie persönlich würde in der Türkei von den Behörden nicht gesucht, jedoch sei sie von Soldaten getreten, beschimpft und an den Haaren gerissen worden. Behördliche Maßnahmen seien gegen sie nicht gesetzt geworden, sie sei auch nie inhaftiert worden. Ihr Mann sei jedoch seit ca. einem halben Jahr vor ihrer Ausreise unter Druck gesetzt worden, die Funktion eines Dorfwächters zu übernehmen. Ihr Mann habe sich jedoch geweigert, weshalb er kaum nach Hause gekommen sei. Auf die Frage, ob nach ihrem Ehemann gefahndet werde, gab die Beschwerdeführerin zur Antwort, daß dies der Fall sei, weil er der Zusammenarbeit mit der PKK verdächtigt werde. Er sei "in letzter Zeit aus diesen Gründen" gesucht worden.

Auf den Vorhalt, daß kein Grund zur Annahme bestehe, daß sie oder ihr Mann im gesamten Gebiet der Türkei verfolgt würden, erklärte die Beschwerdeführerin, daß es "auch im Westen der Türkei nicht anders" sei. Die Folgen einer Rückkehr beschrieb die Beschwerdeführerin wie folgt: "Wenn mein Mann nicht bei mir ist, kann ich nirgends anders als in meinem Dorf leben und dort hätte ich wieder dieselben Probleme".

Mit Bescheid vom 8. November 1994 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin ab. Darin führte die Behörde aus, die Asylgewährung setze voraus, daß gegen den Asylwerber selbst gerichtete, konkrete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden müssen. Die geschilderte Zerstörung des Hauses bzw. des Heimatdorfes der Beschwerdeführerin sei nicht glaubwürdig. Selbst wenn man davon ausginge, die von ihrer mündlichen Schilderung abweichenden Angaben im schriftlichen Asylantrag seien auf Übersetzungsfehler zurückzuführen, ergebe sich aus der Niederschrift ein weiterer schwerwiegender Widerspruch. Sie habe zunächst angegeben "es gab keine Kämpfe, es war nichts weiter festzustellen, lediglich die Häuser brannten". Nach Vorhalt des Widerspruchs zu dem Vorbringen im schriftlichen Asylantrag habe die Beschwerdeführerin erklärt, es seien "schon auch Schüsse zu hören gewesen". Derartige Widersprüche stellten ein Indiz für unwahre Angaben dar.

Im übrigen habe sie angegeben "ich persönlich werde nicht gesucht, aber wenn mein Mann gefaßt wird, müßte ich ins Dorf zurückkehren und alles ginge weiter". Damit habe sie bestätigt, keiner konkret gegen ihre Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Die angeblichen Mißhandlungen durch Soldaten im Dorf seien nicht glaubhaft dargestellt worden. Ihre Aussagen seien vage und nichtssagend.

Auch die Schilderungen über die Flucht seien unglaubwürdig.

Selbst im Falle des Zutreffens der angegebenen Schikanen durch einzelne Soldaten könne nicht von einer dem türkischen Staat zuzurechnenden Verfolgungshandlung gesprochen werden. Es sei nicht davon auszugehen, daß alle in der Türkei lebenden Kurden durch den türkischen Staat verfolgt würden. Die Beschwerdeführerin sei keinesfalls in der gesamten Türkei der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt gewesen. Es wäre für sie möglich gewesen, sich in einem anderen Teil der Türkei, z.B. in einer Großstadt, aufzuhalten. Dazu hatte das Bundesasylamt festgestellt, daß die Beschwerdeführerin vor Verlassen der Türkei eine Nacht in Istanbul verbracht habe.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen, nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. März 1995 wurde die gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen und damit die Asylgewährung versagt.

In der Begründung übernahm die belangte Behörde "die Sachverhaltsfeststellung und die zutreffende rechtliche Beurteilung" des Bescheides des Bundesasylamtes und führte ergänzend aus: Es lägen keine Umstände vor, die die Annahme rechtfertigten, daß sich die geltend gemachten Beeinträchtigungen auf das gesamte türkische Staatsgebiet bezögen. Die Beschwerdeführerin hätte jedenfalls in einem anderen Teil der Türkei Schutz vor etwaigen Verfolgungen finden können. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die Beschwerdeführerin "nicht sogar schon während ihres Aufenthaltes in Istanbul" Schutz gefunden haben soll. Im Fall der Beschwerdeführerin deute nichts darauf hin, daß sie bei einer eventuellen Rückkehr in ihre Heimat, insbesondere in ein Gebiet, in dem die allgemein sich aus der Natur eines Ausnahmezustandes ergebenden Einschränkungen nicht zu befürchten sind, aus Konventionsgründen einer asylrechtlich relevanten Verfolgungshandlung ausgesetzt wäre. Der zugleich mit der Berufung vorgelegte Zeitungsartikel sei von der belangten Behörde geprüft worden, jedoch hätten sich daraus keine Anhaltspunkte einer die Beschwerdeführerin betreffenden asylrelevanten Verfolgung ergeben.

Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin nach Asylantragstellung laut ihren eigenen Angaben über einen Vertreter bei den türkischen Behörden um die Ausstellung eines Personalausweises ersucht und einen solchen mit Datum "29.11.1994" ausgestellt erhalten. Damit liege auch der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 (iVm Art. 1, Abschnitt C, Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention) vor, weil sie sich freiwillig dem Schutz ihres Heimatstaates unterstellt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der belangten Behörde kann nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie ausgehend von den niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin in erster Instanz zu dem Ergebnis gelangte, daß sie nicht einer unmittelbar gegen sie selbst gerichteten asylrechtlich relevanten Verfolgungshandlung ausgesetzt war. Die geschilderten Mißhandlungen (sie sei von den Soldaten getreten, beschimpft und an den Haaren gerissen worden) geben die (zweifellos schwerwiegenden) allgemeinen Beeinträchtigungen der Bewohner in den Gebieten wieder, wo sich unmittelbar die Kämpfe zwischen der türkischen Armee und den Angehörigen der PKK zutragen, jedoch kann daraus allein eine asylrechtlich relevante Verfolgung aus Konventionsgründen nicht abgeleitet werden. Die Beschwerdeführerin, die selbst politisch nie aktiv war, war nach ihren eigenen Angaben (mit Ausnahme der geschilderten Mißhandlungen durch einzelne Soldaten, die jedoch nicht mit einer ihr unterstellten politischen Gesinnung oder mit der ihres getöteten Onkels in Zusammenhang stehen) nie behördlich verfolgt worden. Die Beschwerdeführerin stützte sich im wesentlichen darauf, daß sie deshalb aus ihrem Heimatdorf geflüchtet sei, weil ihr Ehemann zunehmend (innerhalb der letzten sechs bzw. sieben Monate vor Ausreise) dem Druck ausgesetzt gewesen sei, im Heimatdorf die Funktion eines Dorfwächters zu übernehmen, was dieser abgelehnt habe. In diesem Zusammenhang hat die belangte Behörde in Einklang mit dem Bundesasylamt darauf hingewiesen, daß nach ständiger hg. Rechtsprechung ohne Hinzutreten weiterer Umstände aus Verfolgungsmaßnahmen, die sich gegen andere Familienangehörige richten, nicht auf die Verfolgung eines dieser Familie angehörenden Asylwerbers geschlossen werden kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0806). Daß die Beschwerdeführerin asylrechtlich relevante Maßnahmen aufgrund ihrer Verwandtschaft mit ihrem Onkel, der als früherer Bürgermeister ihres Heimatdorfes die PKK unterstützt habe, oder aber wegen der Weigerung ihres Ehemannes, Dorfwächter zu werden, zu befürchten gehabt hätte, läßt sich ihren Angaben in erster Instanz nicht entnehmen. Im übrigen wurde vom Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, daß die Furcht wegen der Weigerung, die Funktion eines Dorfwächters zu übernehmen, verfolgt zu werden, nicht als eine Verfolgung aus Konventionsgründen angesehen werden könne (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. April 1996, Zl. 96/20/0010, mwN). Die Auffassung der belangten Behörde, aus dem von der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren vorgelegten Zeitungsartikel könne eine gegen sie selbst gerichtete, konkrete Verfolgungshandlung nicht abgeleitet werden, kann somit nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Annahme der belangten Behörde, sie habe innerhalb der Türkei, namentlich in Istanbul, eine inländische Fluchtalternative gefunden, wendet, wird übersehen, daß von einer derartigen Verfolgungssicherheit innerhalb des Heimatstaates der Beschwerdeführerin bereits die Behörde erster Instanz ausgegangen war und dagegen in der Berufung nichts vorgebracht wurde. Diese Auffassung mußte die belangte Behörde angesichts der Schilderungen der Beschwerdeführerin über die von ihr erlittenen Beeinträchtigungen, die ihre Wurzel in der Lage ihres Heimatdorfes in unmittelbarer Nähe des Kampfgebietes zwischen dem türkischen Militär und den Angehörigen der PKK haben, nicht als rechtswidrig ansehen. Wenn die Beschwerdeführerin dagegen in ihrer Berufungsschrift keine konkreten Einwände erhob, so bestand für die belangte Behörde keine Veranlassung, weitergehende Ermittlungen dahingehend anzustellen, ob die Beschwerdeführerin entgegen der Auffassung der Behörde erster Instanz dennoch der Gefahr der behördlichen Verfolgung ausgesetzt war. Die diesbezüglich nun erstmals in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erhobenen Einwände verstoßen gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot.

Ob die belangte Behörde im Hinblick auf die Ausstellung eines Personalausweises sich zu Recht auf § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991 berufen hat, kann dahingestellt bleiben.

Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verorndung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte