VwGH 95/15/0196

VwGH95/15/019631.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Dr. Johann Mayerhofer und Dr. Herbert Handl, Rechtsanwälte in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 12/D 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 12. Oktober 1995, Zl. GA 8 - 1998/95, betreffend Jahresausgleich 1993, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §34 Abs4;
EStG 1988 §34 Abs6;
EStG 1988 §34 Abs8;
VwRallg;
EStG 1988 §34 Abs4;
EStG 1988 §34 Abs6;
EStG 1988 §34 Abs8;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer machte für das Jahr 1993 wegen der auswärtigen Berufsausbildung seiner Kinder außergewöhnliche Belastungen gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 geltend.

Das Finanzamt lehnte mit dem Jahresausgleichsbescheid die Anerkennung der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung ab, weil der Ausbildungsort im Einzugsbereich des Wohnortes gelegen sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er aus, der Schulbesuch seiner Kinder in Wiener Neustadt stelle eine finanzielle Belastung dar. Er ersuche daher für die Monate September bis November 1993 pro Monat und Kind den Pauschbetrag von S 1.500,-- anzuerkennen.

Das Finanzamt führte in seiner abweisenden Berufungsvorentscheidung aus, bei Schülern, die innerhalb von 25 Kilometer keine adäquate Ausbildungsmöglichkeit hätten, stelle der Besuch einer mehr als 25 km vom Wohnort entfernten Schule mit Unterbringung in einem Internat eine auswärtige Berufsausbildung dar. Erfolge keine Unterbringung in einem Internat, sondern treten die Kinder die tägliche Heimreise zum Wohnsitz der Eltern an, entstünden keine Mehraufwendungen und der Pauschalbetrag für Berufsausbildung außerhalb des Wohnortes könne nicht gewährt werden.

In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz führte der Beschwerdeführer aus, seine Kinder hätten regelmäßig bis in die Nachmittagsstunden Unterricht, sodass eine Heimreise zum Mittagessen nicht möglich sei. Die Züge der Bahn würden nur stündlich verkehren. Oft habe der Unterricht zu solch einer ungünstigen Zeit geendet, dass die Kinder eine Stunde auf den nächsten Zug hätten warten müssen.

In Beantwortung einer Anfrage durch die belangte Behörde gab der Beschwerdeführer weiters bekannt, sein Wohnhaus sei vom nächstgelegenen Bahnhof ca. 4 km, davon 1 km bergauf, entfernt. In der kalten Jahreszeit und bei Schlechtwetter würden die Kinder mit dem Privatauto gefahren. Sonst würden die Kinder ein Fahrrad benützen, das wegen der Steigung teils geschoben werden müsse. Die Fahrtdauer per Fahrrad bergab betrage ca. 10 Minuten, bergauf ca. 25 Minuten. Die Kinder würden morgens vom nächstgelegenen Bahnhof um 07.14 Uhr wegfahren. Unterrichtsbeginn für die Tochter sei um 07.45 Uhr, für den Sohn um 07.55 Uhr. Der Sohn sei fast jeden Tag um ca. 13.46 Uhr in dem dem Wohnort nächstgelegenen Bahnhof angekommen. Die Abfahrtszeiten der Tochter vom Bahnhof Wiener Neustadt am Nachmittag lägen zwischen 13.38 Uhr und

17.36 Uhr. Die Kinder müssten vom Bahnhof Wiener Neustadt zur Schule 20 Minuten (Sohn) bzw. 7 Minuten (Tochter) zurücklegen. Der Beschwerdeführer legte einen Stundenplan der Tochter sowie den Fahrplan der ÖBB vor.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung führte die belangte Behörde nach kurzer Darstellung des Verwaltungsgeschehens und auszugsweiser Wiedergabe des § 34 EStG 1988 aus, der Sohn des Beschwerdeführers sei im Streitjahr 16 Jahre alt gewesen und besuche die HAK in Wiener Neustadt. Die in diesem Jahr 15-jährige Tochter des Beschwerdeführers besuche in Wiener Neustadt das BORG. Die Wegstrecke zwischen Wohnhaus des Beschwerdeführers und Bahnhof Wiener Neustadt betrage ca. 11 km. Die Fahrtdauer vom Wohnhaus zum nächstgelegenen Bahnhof betrage nach den Angaben des Beschwerdeführers 10 Minuten (bergab) bzw. 25 Minuten (bergauf von der Schule nach Hause). Die Reisezeit mit dem Zug betrage ca. 8 Minuten. Die Zugsverbindung ab dem dem Wohnort nächstgelegenen Bahnhof bis zum Bahnhof Wiener Neustadt sei stündlich gegeben. Vom Bahnhof Wiener Neustadt zum BORG habe die Tochter eine Gehzeit von 7 Minuten und der Sohn zur HAK von 20 Minuten zurückzulegen. Bei der Tochter des Beschwerdeführers sei von einer Gesamtdauer des Weges Wohnhaus Schule von 25 Minuten bzw. retour 40 Minuten auszugehen. Beim Sohn betrage dieselbe Strecke 38 Minuten und bei der Rückkehr 53 Minuten. Die Berechnung der Dauer der Wegstrecke sei für die anstrengendere Version (Fahrt mit dem Fahrrad) vorgenommen worden, sie verkürze sich entsprechend, wenn die Kinder mit dem Privatauto zum nächstgelegenen Bahnhof gebracht würden. Ein Schulweg von max. 53 Minuten sei für Kinder, die sich nicht mehr im Pflichtschulalter befänden, durchaus zumutbar. Die Schule befinde sich daher im Einzugsbereich des Wohnortes des Beschwerdeführers, sodass allfällige Aufwendungen (Mittagessen für die Kinder) zu keiner außergewöhnlichen Belastung führen könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer macht unter Hinweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geltend, die belangte Behörde hätte nicht nur die Fahrtzeiten, sondern auch die entsprechenden Wartezeiten feststellen müssen sowie erörtern müssen, welche Zeit die Kinder im Falle der Zurücklegung der Strecke zum nächstgelegenen Bahnhof zu Fuß benötigten.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 gelten Aufwendungen für die Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes dann als außergewöhnliche Belastung, wenn im Einzugsbereich des Wohnortes keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit besteht. Diese außergewöhnliche Belastung wird durch Abzug eines Pauschbetrages von S 1.500,-- pro Monat der Berufsausbildung berücksichtigt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa zuletzt das Erkenntnis vom 22. September 2000, 98/15/0098, m.w.N.) werden Aufwendungen für eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes (§ 34 Abs. 8 EStG 1988) aus dem Titel der Unterhaltsverpflichtung getragen. § 34 Abs. 8 EStG 1988 trifft eine Regelung für jene Mehraufwendungen (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1995, 93/15/0104) im Rahmen der Unterhaltspflicht, die durch die auswärtige Berufsausbildung erwachsen. Demnach erfolgt die steuerliche Berücksichtigung der Mehraufwendungen auf Grund auswärtiger Berufsausbildung des Kindes durch einen Pauschbetrag pro Monat der Berufsausbildung. Eine Kürzung der gesetzlichen Pauschbeträge um einen Selbstbehalt im Sinne des § 34 Abs. 4 leg. cit. erfolgt nicht (Abs. 6 zweiter Rechtsfall), doch steht dem Steuerpflichtigen andererseits auch kein Wahlrecht dahin zu, etwa nachweisbare höhere Kosten geltend zu machen.

Bei der Beurteilung des Einzugsbereiches im Sinne des § 34 Abs. 8 EStG 1988 müssen das Alter des Kindes sowie die zur Verfügung stehenden Verkehrsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Nach der zitierten Rechtsprechung lässt sich der Begriff "Einzugsbereich des Wohnortes" am ehesten mit der Zumutbarkeit der täglich zurückzulegenden Wegstrecke und der dafür mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufzuwendenden Zeit umschreiben. Als zumutbar ist ein Verhalten anzusehen, das von einer für das spezifische Verhalten repräsentativen Anzahl von Menschen, die sich in gleicher oder ähnlicher Situation befinden, erwartet werden kann. Bei Prüfung dieser Frage ist vom menschlichen Erfahrungsgut auszugehen, d. h. es ist das konkrete Verhalten von Menschen in vergleichbaren Fällen zu erforschen. Die Zumutbarkeit in diesem Sinne kann jedoch nicht nach schematisierten Kriterien, die auf die Besonderheit des Einzelfalles keine Rücksicht nehmen, beurteilt werden. Da sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Zeitaufwand für Fahrten zwischen Wohnung und Schule nicht auf die bloße Fahrzeit beschränkt, sind bei der Beurteilung, ob die Bewältigung der Entfernung vom Wohnort zur Schule und zurück einem Schüler zumutbar ist, auch Wartezeiten auf das öffentliche Verkehrsmittel und auf den Schulbeginn bzw. auf den Beginn der Rückreise nach Schulende zu berücksichtigen. Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Zeitaufwand nur für die Fahrtdauer berücksichtigt, nicht aber die behaupteten und nach der dargestellten Judikatur zu beachtenden Wartezeiten. Die belangte Behörde hat dabei die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. Oktober 2000

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