VwGH 94/20/0793

VwGH94/20/07937.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. September 1994, Zl. 4.344.932/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, der am 17. August 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 25. August 1994 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt als Grund für die Ausreise aus seinem Heimatland angegeben, er habe die irakische Armee, in der er seit 1. Oktober 1986 als Soldat gedient habe, kurz vor der beabsichtigten Invasion in Kuwait unerlaubt verlassen. Er habe sich während des Golfkrieges in Bagdad aufgehalten und sich anschließend dem Schiitenaufstand im Süden des Iraks angeschlossen, wo er u.a. an einer Straßenblockade teilgenommen habe. Deshalb sei er 1992 verhaftet und für nahezu eineinhalb Jahren im Gefängnis in Bagdad inhaftiert gewesen. Ihm sei die Zusammenarbeit mit der schiitischen Opposition im Lande vorgeworfen worden, weshalb er während seiner Inhaftierung regelmäßig mißhandelt (mit Stromkabeln geschlagen) worden sei. Er habe ständig damit rechnen müssen, vom Geheimdienst umgebracht zu werden. Es seien täglich Gefangene in den Hof hinausgeführt und dort - von den anderen Gefängnisinsassen wahrnehmbar - erschossen worden. Im Juli 1993 sei ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen. Anschließend habe er sich im Süden des Iraks mittels gefälschter Dokumente aufhalten können, weshalb er - auch bei fallweisen Besuchen in Bagdad - keine Probleme mit den Behörden gehabt habe. Als er nach ca. einem Jahr erkannt habe, daß sich seine Hoffnung, das Regime Saddam Husseins würde zusammenbrechen, nicht erfüllen werde, sei er aus dem Irak geflüchtet. Wegen seiner Desertion von der irakischen Armee sei er während seiner Haft nicht belangt worden.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. September 1994 wurde die gegen den abweislichen Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. August 1994 erhobene Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen und damit die Asylgewährung versagt.

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung darauf, daß die Angaben des Beschwerdeführers nicht geeignet seien, seine Flüchtlingseigenschaft im Sinn des § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 zu begründen. Die Einberufung zum Wehrdienst bzw. die bei Verweigerung drohende Bestrafung sei nicht als asylrelevante Verfolgung zu werten; vielmehr sei Wehrdienstverweigerung auch in klassisch demokratischen, rechtsstaatlichen Ländern mit Strafe bedroht. Eine deswegen drohende, auch strenge Strafe stelle keinen Asylgrund dar. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Mißhandlungen während seiner Inhaftierung könnten nicht dem Staat zugeordnet werden. Es handle sich dabei um Übergriffe von einzelnen Gefängniswärtern. Der Beschwerdeführer habe sich nach seiner Flucht aus dem Gefängnis noch ca. ein Jahr im Irak aufgehalten. Dies beweise, daß die irakischen Behörden an seiner Person kein Interesse gehegt hätten, weil er andernfalls im Zuge einer intensiven Fahndung sicher verhaftet worden wäre. Von einer wohlbegründeten Furcht könne nur dann gesprochen werden, wenn die Zustände im Heimatland aus objektiver Sicht dergestalt seien, daß dem Asylwerber ein weiterer Verbleib unerträglich geworden sei. Angesichts des einjährigen Aufenthaltes im Irak nach der Flucht aus dem Gefängnis könne dies nicht angenommen werden; eine aktuelle Verfolgungsgefahr sei nicht vorgelegen. Allgemeine Hinweise über die gesellschaftlichen Zustände im Irak seien nicht geeignet, eine gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete Verfolgungshandlung zu bescheinigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat zutreffend auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen, wonach die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstelle. Eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung wird in diesem Sinne grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes könnte die Furcht wegen Einberufung zum Militärdienst nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen wiegen würde (vgl. hiezu insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Daß dem Beschwerdeführer aus in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen eine härtere Bestrafung als anderen Staatsangehörigen gedroht hätte, hat er im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht. Er hat vielmehr in seiner niederschriflichten Befragung erklärt, daß er während seiner Haft aufgrund der Teilnahme an Aktionen der schiitischen Opposition nicht wegen seiner Desertion von der irakischen Armee belangt worden sei. Soweit er nunmehr in der Beschwerde geltend macht, es sei die ihm im Fall seiner Rückkehr drohende Bestrafung deshalb als Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 anzusehen, weil die damals bevorstehende militärische Aktion (Einmarsch in Kuwait), mit der sich der Asylwerber nicht habe identifizieren wollen, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt worden sei, kann die Beurteilung dieser Rechtsfrage im hier vorliegenden Fall deshalb dahingestellt bleiben, weil die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß die auch von ihr selbst herangezogenen Aussagen des Beschwerdeführers in erster Instanz keine asylrechtliche Relevanz aufwiesen. Es entspricht zwar die Auffassung der belangten Behörde, daß Umstände, die sich schon längere Zeit vor der Ausreise ereignet haben, nicht mehr beachtlich sind, weil die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bis zur Ausreise andauern muß (vgl. für viele andere das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0716) der ständigen Judikatur des Gerichtshofes. Jedoch besteht der für die Annahme einer aktuellen Verfolgungsgefahr erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen den behaupteten Mißhandlungen und dem Verlassen des Landes auch bei länger zurückliegenden Ereignissen dann, wenn sich der Beschwerdeführer während seines bis zur Ausreise noch andauernden (hier ca. einjährigen) Aufenthaltes im Lande verstecken oder sonst durch Verschleierung seiner Identität (etwa durch Verwendung von gefälschten Dokumenten wie im hier vorliegenden Fall) der Verfolgung einstweilen entziehen konnte. Ab welcher Dauer eines derartigen Aufenthaltes Zweifel am Vorliegen einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung begründet erscheinen mögen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Die angegebene Dauer von ca. 1 Jahr kann für sich allein betrachtet, ohne Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte, unter den gegebenen Umständen nicht die Schlußfolgerung rechtfertigen, daß der Beschwerdeführer nicht mehr aus Furcht vor Verfolgung durch die staatlichen Behörden das Land verlassen habe.

Da die belangte Behörde in Verkennung des rechtlichen Gehaltes der Aussage des Beschwerdeführers, er habe sich während seines noch einjährigen Aufenthaltes nach seiner Flucht aus dem Gefängnis mit gefälschten Dokumenten im Irak aufgehalten, die vor seiner Flucht aus dem Gefängnis geschilderten Ereignisse lediglich mangels zeitlichen Konnexes als nicht geeignet bezeichnete, eine aktuelle Verfolgungsgefahr darzutun, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Die Behauptung im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer habe keine direkt gegen ihn selbst gerichtete Verfolgungshandlung behauptet, geht - wie in der Beschwerde mit Recht ausgeführt wird - völlig am Inhalt seiner Aussage vorbei, wonach er am schiitischen Aufstand gegen das herrschende Regime Saddam Husseins nach dem Golfkrieg teilgenommen und deshalb ohne weiteres Verfahren bis zu seiner Flucht aus dem Gefängnis ca. eineinhalb Jahren inhaftiert, sowie dabei regelmäßig von den Gefängniswärtern geschlagen worden sei. Der Annahme der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer behaupteten Mißhandlungen könnten nicht den Behörden seines Heimatlandes zugerechnet werden, diese stellten lediglich Übergriffe einzelner Organe dar, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil in der Bescheidbegründung nicht dargetan wird, auf welcher Sachverhaltsgrundlage diese Ansicht beruht.

Die belangte Behörde hat damit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Da aber die aufgezeigte Rechtswidrigkeit des Inhaltes jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994; die Barauslagen waren im gesetzlich erforderlichen Ausmaß zuzusprechen.

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