Normen
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Februar 1993 wurde der Berufung des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, der am 27. September 1990 in das Bundesgebiet eingereist war und am 28. September 1990 um Asyl angesucht hatte, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 20. März 1991, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, abgewiesen.
Nach den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid hat der Beschwerdeführer, der diesen Feststellungen in der Beschwerde nicht entgegentritt, in seiner am 15. März 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung angegeben, in seiner Heimat Mitglied der "All India Sikh Student Federation" (AISSF) gewesen zu sein, wobei es sich bei dieser Organisation um eine in Indien verbotene handle, weil sie für die Unabhängigkeit des Punjab eintrete und daher gegen die "offizielle" indische Regierung gerichtet sei. Die Polizei habe von seiner Mitgliedschaft zu dieser Partei erfahren, woraufhin nach ihm gefahndet worden sei. Als Angehöriger dieser Organisation habe er im Falle einer Festnahme mit dem "Erschießen" zu rechnen, er habe sich deshalb bei anderen Parteimitgliedern versteckt gehalten und sich aus Angst vor einer Inhaftierung zur Flucht entschlossen. Die Sikh würden in Indien von der "offiziellen Regierungsmacht" verfolgt, eine Rückkehr nach Indien sei unmöglich, weil er dort festgenommen würde und mit der Todesstrafe zu rechnen hätte.
In seiner gegen den abweislichen erstinstanzlichen Bescheid gerichteten Berufung bekräftigte er diese Angaben und führte aus, er habe große Angst vor einer Rückkehr in sein Heimatland, denn dort erwarte ihn eine "sehr hohe Freiheitsstrafe, wenn nicht noch Schlimmeres".
Die belangte Behörde begründete ihre abweisliche Entscheidung im wesentlichen damit, den Konflikten in Indien lägen Unterschiede ethnischer und religiöser Natur zugrunde, wobei die Mitgliedschaft bei einer politischen Gruppierung alleine ebensowenig wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (auch religiösen) Minderheit allein Grund für die Anerkennung als Flüchtling sein könne. Indien habe eine rechtsstaatliche, die grundlegenden Menschenrechte garantierende Verfassung, es herrsche Glaubens-, Meinungs-, Presse- und Niederlassungsfreiheit. Parteien, Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen u.a. könnten sich frei organisieren. Zwar sei die "All India Sikh Student Federation" (AISSF) im März 1984 für illegal erklärt worden. Dieses Verbot sei jedoch offiziell bereits im April 1985 wieder aufgehoben worden. Es handle sich bei dieser Gruppierung zwar um eine radikale Studentenorganisation, jedoch nicht mehr um eine verbotene Partei. Die AISSF bilde den Nährboden verschiedener Terrororganisationen, wodurch ihre Mitglieder schnell in Verdacht geraten könnten, an derartigen Aktionen beteiligt zu sein. Sollte die Polizei deshalb nach dem Beschwerdeführer gesucht haben, weil er in Verdacht stände, ebenfalls an terroristischen Agitationen beteiligt gewesen zu sein, sei klarzustellen, daß es sich dabei um rein kriminelle Delikte handle, auf Grund derer man in jedem rechtsstaatlichen Land strafrechtlich verfolgt werde und die auch in Mitgliedsstaaten der Genfer Konvention mit Strafe bedroht seien. Würde eine derartige Anschuldigung zu Unrecht gegen den Beschwerdeführer erhoben, begründe dies allein noch nicht die Annahme eines politischen Aspektes des Verfahrens. Es könne ihm vielmehr zugemutet werden, sich wie jeder andere Staatsbürger wie in jedem anderen Staat, dem Gericht zu stellen und die aufgebotenen Beweismittel zu entkräften. In Indien gebe es eine unabhängige Gerichtsbarkeit, welche Individualrechte schütze. Die Gerichtsbarkeit in Indien genieße einen guten Ruf, die Gerichtsverfahren würden vom "Country Report of Human Practices for 1984" generell als fair bezeichnet. Der Angeklagte in diesem Verfahren habe das Recht auf einen regierungsunabhängigen Verteidiger und verfüge über Beschwerdemöglichkeit auf allen Ebenen des juristischen Systems. Im übrigen wäre der Beschwerdeführer, wäre er tatsächlich als Staatsfeind oder Krimineller bekannt gewesen, nicht in der Lage gewesen, problemlos und legal auszureisen.
In seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer nun geltend, daß er sich nicht bloß auf die Zugehörigkeit zu einer politischen oder ethnischen Gruppe (hier: der Sikh) berufen habe - welcher Umstand für sich allein auch seiner Ansicht nach für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht ausreichen würde -, sondern daß er konkret vorgebracht habe, daß nach ihm wegen seiner Mitgliedschaft zur AISSF gefahndet werde und dieser Umstand deswegen seine Anerkennung als politischer Flüchtling rechtfertige, weil in Indien entgegen den Ausführungen der belangten Behörde Verfolgungshandlungen gegen Mitglieder der AISSF gesetzt würden. Der Beschwerdeführer bestritt insbesondere, wegen krimineller Delikte gesucht zu werden, Fahndungsgrund sei ausschließlich seine Mitgliedschaft bei der AISSF.
Die belangte Behörde qualifizierte die Partei, der der Beschwerdeführer in seinem Heimatland angehört hat, als "radikale Studentenorganisation", die den "Nährboden verschiedener Terrororganisationen" darstelle. Sie legt jedoch die Grundlage dieser Feststellung, die sie auch dem Beschwerdeführer im Rahmen der Einräumung des Parteiengehörs nicht vorgehalten hat, nicht offen. Offenbar distanziert sie sich auch selbst von der Feststellung, es handle sich seit 1985 nicht mehr um eine verbotene Partei, schränkt sie dies doch immerhin durch das Wort "offiziell" ein. Unbeantwortet bleibt die Frage nach den tatsächlichen Verhältnissen. Der Beschwerdeführer hat bereits anläßlich seiner Erstbefragung angegeben, allein auf Grund seiner Mitgliedschaft bei dieser Organisation ohne Hinzutreten ihm konkret vorwerfbarer krimineller Aktivitäten verfolgt worden zu sein, was im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls grundsätzlich nicht gegen eine Anerkennung als Konventionsflüchtling spricht, soferne nicht der Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt F der Konvention vorliegt (vgl. u.a. auch hg. Erkennnis vom 10. März 1993, Zl. 92/01/0882 und die dort angeführte Vorjudikatur). Daß letzteres der Fall wäre, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Auch wenn der Beschwerdeführer - was expressis verbis dem Akteninhalt nicht zu entnehmen ist - der Teilnahme an terroristischen Aktionen zu Unrecht verdächtigt worden wäre, würde dies nicht bedeuten, daß darauf beruhenden Maßnahmen gegen ihn der Charakter einer Verfolgung aus Konventionsgründen (insbesondere aus dem der politischen Gesinnung) jedenfalls genommen wäre. Davon könnte nur gesprochen werden, wenn die Durchführung eines Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Prinzipien gewährleistet wäre, wie erst dann davon ausgegangen werden könnte, daß der Beschwerdeführer einer rein strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt wäre und demnach der Aspekt, daß diese auch mit Konventionsgründen im Zusammenhang stünde, so sehr in den Hintergrund treten würde, daß von einer verpönten Verfolgung aus Konventionsgründen nicht mehr die Rede sein könnte (vgl. hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, 92/01/0986). Der Beschwerdeführer hat bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, im Falle seiner Festnahme mit dem "Erschießen" rechnen zu müssen, womit nichts anderes als ein außerhalb rechtsstaatlicher Prinzipen liegendes Vorgehen gegen ihn verstanden werden muß. Die Begründung des angefochtenen Bescheides, der Beschwerdeführer habe im Falle seiner Belastung mit dem Vorwurf terroristischer Agitationen die Pflicht, sich wie jeder andere Staatsbürger wie in jedem anderen Staat dem Gericht zu stellen und die aufgebotenen Beweismittel zu entkräften, geht daher an seinem Vorbringen vorbei, abgesehen davon, daß das von der belangten Behörde für diese Annahme herangezogene Beweismittel ("Country report of human practices for 1984"), welches sich nicht in den Verwaltungsakten befindet, bereits aus dem Jahre 1984 stammt und sich daraus nicht ergibt, daß es die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides herrschenden tatsächlichen Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers widerspiegelt. Die Ermittlung der derzeitigen Verhältnisse wäre aber deshalb von Relevanz, weil der Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren Behauptungen aufgestellt hat, die diese Sicht zumindest in Frage stellen. Auch hätte dem Beschwerdeführer hiezu Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen. Zu Unrecht vertritt die belangte Behörde die Auffassung, sie habe die von ihr erstmals herangezogenen Umstände, insbesondere die von ihr angenommenen derzeitigen Verhältnisse im Heimatstaat des Beschwerdeführers, diesem entgegen der Vorschrift des § 45 Abs. 3 AVG nicht vorzuhalten gehabt. Darin liegt aber jedenfalls eine inhaltliche Rechtswidrigkeit, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 1 VwGG führt, zumal auch nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Möglichkeit der legalen Ausreise grundsätzlich nicht gegen die Anerkennung als Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 AsylG 1991 spricht.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 104/1991.
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