Normen
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §26;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §26;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.840,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem - in Rechtskraft erwachsenen - Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 3. November 1982 war gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 und 2 lit. b und § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, (FrPolG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.
Begründet war dieser Bescheid damit worden, daß der Beschwerdeführer viermal rechtskräftig gerichtlich verurteilt und dreimal wegen Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden wäre. Überdies ginge er keiner geregelten Arbeit nach und lebte vom Einkommen seiner Gattin.
2. Nachdem dem Beschwerdeführer in der Folge zahlreiche Vollstreckungsaufschübe (nach der Aktenlage: in Form von Sichtvermerken gemäß § 6 Abs. 1 FrPolG), zuletzt einer mit Gültigkeitsdauer bis 31. Oktober 1993, erteilt worden waren, stellte er mit Schreiben vom 30. November 1993 einen Antrag auf Aufhebung des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes.
3. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 21. April 1994 wurde dieser Antrag gemäß § 26 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Erstbehörde habe die Abweisung des Antrages auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes neuerlich straffällig geworden und wie folgt rechtskräftig verurteilt worden wäre: mit Urteil des Bezirksgerichtes Baden vom 10. August 1983 wegen § 88 Abs. 1 und 4 StGB zu einer Geldstrafe, mit Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 30. Oktober 1986 wegen § 88 Abs. 1 und 4 StGB zu einer Geldstrafe, mit Urteil des Bezirksgerichtes Baden vom 29. Jänner 1987 wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 20 Tagen und mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 27. Juni 1990 wegen §§ 229 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten. Diese Straftaten wären ein Indikator für eine latente sozialschädliche Neigung des Beschwerdeführers zu Verstößen gegen das Rechtsgut der körperlichen Sicherheit und Integrität. Die Gründe, die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblich gewesen wären, wären somit nicht weggefallen und wäre dem Antrag daher keine Folge zu geben gewesen.
Nach Wiedergabe des Berufungsvorbringens und der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde aus, daß das Aufenthaltsverbot wegen mehrerer gerichtlich strafbarer Handlungen erlassen worden sei. Die Verwirklichung strafgesetzlicher Tatbestände zähle zu den schwerwiegendsten Verstößen gegen die hiesige Rechtsordnung. Dadurch werde die öffentliche Ordnung und Sicherheit erheblich und nachhaltig beeinträchtigt. Der Beschwerdeführer habe wiederholt gegen das Rechtsgut des fremden Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit verstoßen. Dadurch sei schon allein aufgrund dieser mehrmaligen rechtskräftigen Verurteilungen, die zudem noch im Strafregister der Bundespolizeidirektion Wien aufschienen, kein Wegfall der Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, gegeben. Trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes seien vom Beschwerdeführer neuerlich gerichtlich strafbare Handlungen begangen worden, die zu vier rechtskräftigen Verurteilungen geführt hätten. Allein dadurch wäre die Erlassung eines neuerlichen Aufenthaltsverbotes gerechtfertigt gewesen. Die Erstbehörde sei sohin zu Recht davon ausgegangen, daß die Gründe für die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nicht weggefallen wären.
Zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei der Beschwerdeführer arbeitslos gewesen und habe sich seit 11 Jahren im Bundesgebiet aufgehalten. Er sei verheiratet gewesen, Gattin und ein Kind lebten in Österreich. Die Gattin sei für den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers aufgekommen. Das zweite Kind des Beschwerdeführers sei im Jahr 1983 geboren worden. Aufgrund eines Arbeitsunfalles im Jahr 1993 sei der Beschwerdeführer nun nicht mehr voll erwerbsfähig und beziehe eine Versehrtenrente. Diese Rente sei vorläufig gewährt worden, weil die Entwicklung der Unfallfolgen noch nicht abschließend beurteilt werden könne.
Hinsichtlich seiner privaten und familiären Verhältnisse sei keine wesentliche Änderung eingetreten, zumal er nicht durchgehend beschäftigt gewesen sei und seine Gattin überwiegend für ihren eigenen und den Lebensunterhalt der beiden Kinder gesorgt habe. Durch die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei dem Beschwerdeführer der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet verwehrt. Eine Aufenthaltnahme in seinem Heimatstaat sei dadurch nicht zwingend vorgesehen. Auf die kriegerischen Auseinandersetzungen im Heimatland des Beschwerdeführers sei sohin bei der Entscheidung über die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nicht Bedacht zu nehmen.
Von den öffentlichen Sicherheitsinteressen (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung) könne nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes immer dann gesprochen werden, wenn besonders schutzwürdige Rechtsgüter, wie Leben, Gesundheit, Freiheit oder Vermögen bedroht werden. Von diesem weiten Begriff der öffentlichen Sicherheit gehe auch das Fremdengesetz aus. Es müsse demnach als rechtskonform angesehen werden, wenn überall dort, wo die öffentliche Sicherheit durch einen Fremden gefährdet werde, mit dem Institut des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten, dem Wohl und dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dienenden Ziele vorgegangen werde.
Das Aufenthaltsverbot sei aufgrund der gerichtlich strafbaren Handlungen verhängt worden und habe der Beschwerdeführer somit jederzeit davon ausgehen müssen, daß er bei neuerlichen Verstößen mit der Erteilung weiterer Vollstreckungsaufschübe nicht rechnen könne. Daran vermöge auch der Umstand, daß er sich bereits 23 Jahre im Bundesgebiet aufhalte, und nunmehr offensichtlich (zu ergänzen: auf Grund eines schweren Unfalles) nicht mehr in der Lage wäre, gerichtlich strafbare Handlungen zu begehen, nichts zu ändern. Im Rahmen der ihr obliegenden Verpflichtung zur Abwägung der für und gegen die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen und privaten Interessen sei die belangte Behörde zur Ansicht gelangt, daß die offenkundig sozialschädigende Neigung des Beschwerdeführers zur Negierung der österreichischen Rechtsvorschriften die Beibehaltung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten erscheinen lasse. Die Beeinträchtigung des Familienlebens des Beschwerdeführers und die Auswirkung der Nichtbehebung des Aufenthaltsverbotes seien evident und würden als nicht unerheblich gewertet. Aus den dargelegten Gründen sei dennoch der Berufung keine Folge zu geben gewesen.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluß vom 27. September 1994, B 1004/94, ablehnte und die Beschwerde unter einem dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Begehren geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahren vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 26 FrG nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zugunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 95/18/1309).
2.1. Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, daß in seinem Fall sämtliche Voraussetzungen vorlägen, die ein Aufenthaltsverbot unzulässig machten. Die belangte Behörde habe übersehen, daß schon seit Jahren kein Grund mehr für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes vorläge. "Der Ordnung halber" werde festgehalten, daß er sich "seit Bescheiderlassung der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 3. März 1994 bis zum heutigen Tage" keiner weiteren strafbaren Handlung schuldig gemacht habe, und die letzte strafgerichtliche Verurteilung nunmehr bereits viereinhalb Jahre zurückliege. Es sei jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Fremdengesetzes am 1. Jänner 1993 nicht mehr verurteilt worden. Die letzte glimpfliche Verurteilung liege - wie ausgeführt - schon viereinhalb Jahre zurück. Des weiteren werde darauf hingewiesen, daß die einzige Verurteilung, die als "bestimmte Tatsache" im Sinn des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG gewertet werden könnte, schon 12 Jahre zurückliege und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Fremdengesetzes bereits endgültig nachgesehen worden sei.
2.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.
Zunächst ist festzuhalten, daß die der Erlassung des Aufenthaltsverbotes zugrundeliegenden gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers noch nicht getilgt sind (vgl. § 4 Abs. 1 und 2 iVm § 3 Abs. 1 Z. 2 Tilgungsgesetz 1972), daher noch immer dem Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG subsumiert werden können. Im übrigen stünde selbst eine inzwischen eingetretene Tilgung einer Berücksichtigung der den besagten Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten im Rahmen der Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens gemäß § 18 Abs. 1 FrG nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1996, Zl. 94/18/0786). Darüber hinaus erfüllen die vier weiteren - unbestrittenen - Verurteilungen des Beschwerdeführers, jeweils wegen Vergehens gegen die körperliche Integrität (und damit auf der gleichen schädlichen Neigung beruhend) jedenfalls den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG, darüber hinaus aber auch jenen des § 18 Abs. 1 FrG.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist das in der Beschwerde ins Treffen geführte Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit Erlassung des Bescheides erster Instanz über seinen Antrag gemäß § 26 FrG und der Umstand, daß die letzte strafgerichtliche Verurteilung im Jahr 1990 erfolgt ist, ohne Relevanz.
3.1. Die Beschwerde bringt vor, im angefochtenen Bescheid sei jener Passus in § 19 FrG unbeachtet geblieben, demzufolge ein Aufenthaltsverbot nur zulässig sei, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zeile dringend geboten sei. Es sei absolut nicht erkennbar, worin die in § 19 FrG geforderte Dringlichkeit im vorliegenden Fall bestehen solle. Abgesehen davon, daß die letzte, bereits endgültig (nachgesehene), Verurteilung des Beschwerdeführers schon viereinhalb Jahre zurückliege, wäre der Beschwerdeführer - wie im Verwaltungsverfahren dargelegt - aufgrund eines schweren Unfalls auf die Pflege seiner Frau angewiesen und körperlich nicht mehr in der Lage, strafbare Handlungen gegen die körperliche Sicherheit zu begehen.
3.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg, macht doch der Beschwerdeführer seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes hinzugekommene Umstände geltend, die bei der Abwägung mitzuberücksichtigen sind. Die fehlende Bedachtnahme auf diese Gesichtspunkte im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung gemäß § 19 FrG ist von Relevanz, weil nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei einem Unterbleiben dieses Versäumnisses zu einem anderen (für den Beschwerdeführer günstigen) Ergebnis hätte kommen können.
4. Bereits diese der belangten Behörde bei Anwendung des § 19 FrG unterlaufene Rechtswidrigkeit führt - ohne daß es noch einer Prüfung der Zulässigkeit der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes nach § 20 leg. cit. bedurfte - zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Antrages (§ 59 Abs. 1 VwGG) - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. Dezember 1998
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)