VwGH 94/14/0124

VwGH94/14/012430.11.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des H U in V, vertreten durch Dr. Gerhard Prett und Dr. Klaus Fattinger, Rechtsanwälte in 9500 Villach, Ringmauergasse 8, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten (Berufungssenat I) vom 30. Juni 1994, GZ 135 - 5/92, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer 1990, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §289 Abs1;
BAO §303 Abs4;
BAO §305 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
BAO §289 Abs1;
BAO §303 Abs4;
BAO §305 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.220,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war bis zum 31. Dezember 1990 als Einzelunternehmer auf dem Gebiet des Holzhandels tätig. Zu diesem Stichtag brachte er seinen Betrieb in die neu gegründete U GmbH ein. Für den Zeitraum 1988 bis 1990 fand eine abgabenbehördliche Prüfung statt. In seinem Bericht vom 18. Februar 1992 traf der Prüfer u.a. folgende Feststellung:

Tz 15: Der Beschwerdeführer habe mit Kaufvertrag vom 29. November 1983 die näher bezeichnete Liegenschaft erworben und als notwendiges Betriebsvermögen in die Bilanz aufgenommen. Ab Jänner 1989 seien wesentliche Teile der Liegenschaft vermietet worden. Der Beschwerdeführer habe die dadurch notwendig gewordene Entnahme des Gebäudes aus dem Betriebsvermögen zu Unrecht erst im Zeitpunkt der Betriebseinbringung zum 31. Dezember 1990 vorgenommen. Bei der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 1 EStG könne nur notwendiges Betriebsvermögen einbezogen werden. Für die Zurechnung zum notwendigen Betriebsvermögen seien die Zweckbestimmung des Wirtschaftsgutes sowie die Besonderheiten des Betriebes maßgebend. Durch die Vermietung wesentlicher Teile der Liegenschaft sei der betrieblich genutzte Teil nur mehr von untergeordneter Bedeutung. Das gesamte Gebäude sei daher zum 31. Dezember 1988 dem Privatvermögen zuzurechnen. Dieser Vorgang führe zur Versteuerung der stillen Reserven des nunmehr in den Betriebvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG nicht mehr einzubeziehenden Wirtschaftsgutes.

Damit zusammenhängend stellte der Prüfer in Tz 30 seines Berichtes fest, dass der Beschwerdeführer seit dem Jänner 1989 auf Grund eines Mietvertrages mit der L GmbH Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erziele. Der Pachtzins sei bisher in die Gewinnermittlung des Gewerbebetriebes mit einbezogen worden. Da eine Zahlung der Miete im Prüfungszeitraum nicht erfolgt sei, habe der Beschwerdeführer in den Bilanzen zum 31. Dezember 1989 und 31. Dezember 1990 eine entsprechende Aktivpost eingestellt. Der vereinbarte Mietzins sei gemäß § 19 EStG als jährlich zugeflossen anzusehen. Ein Betrag sei dem Abgabepflichtigen nicht nur dann zugeflossen, wenn dieser an ihn bar ausbezahlt werde, sondern es genüge, wenn der Empfänger in der Lage sei, darüber wirtschaftlich zu verfügen. Dies sei gegenständlich der Fall gewesen. Im vorliegenden Mietvertrag werde unter Punkt 5 ausgeführt, dass der Mietzins grundsätzlich monatlich im Vorhinein jeweils bis zum 5. Tag des Monats an den Vermieter zu bezahlen sei. Im Punkt 9 werde als Auflösungsgrund des Mietverhältnisses u.a. ein Zahlungsverzug des Mieters von mehr als zwei Monaten angegeben. Gesellschafter des Mieters, der L GmbH, seien zu 95 % Mitglieder der Familie des Beschwerdeführers, wobei der Beschwerdeführer selbst mit 50 % am Stammkapital beteiligt sei. Aus dem beschriebenen Sachverhalt ergebe sich ein gewisses Naheverhältnis zwischen Mieter und Vermieter. Dies werde insbesondere dadurch bekräftigt, dass das Mietverhältnis trotz Nichteinhaltung der wesentlichen Vertragspunkte fortgesetzt worden sei. Im Hinblick auf die für die Beurteilung abgabenrechtlicher Sachverhalte maßgebende wirtschaftliche Betrachtungsweise gelte der vereinbarte Mietzins als zugeflossen.

Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ entsprechend geänderte Bescheide.

In der gegen die Einkommen- und Gewerbesteuerbescheide 1988 und 1989 erhobenen Berufung vom 8. April 1992 brachte der Beschwerdeführer zunächst vor, die Liegenschaft sei erst ab 2. Januar 1989 vermietet worden, so dass die Entnahmehandlung nicht in das Jahr 1988, sondern in das Jahr 1989 falle. Mit Eingabe vom 23. April 1992 änderte der Beschwerdeführer seinen Berufungsantrag. Die im Streit stehende Liegenschaft sei - wie ursprünglich erklärt - im Jahr 1990 in das Privatvermögen überführt worden. Da der Beschwerdeführer Mehrheitsgesellschafter der mietenden L GmbH gewesen sei, sei das "Werk wirtschaftlich betrachtet weiterhin gewerblich genutzt" worden. Der Grund für diese Vorgangsweise sei gewesen, dass der Fuhrpark durch Absatzschwierigkeiten stark habe reduziert werden müssen, dadurch seien Service, Wartung und Reparatur dieses Fuhrparkes stark vermindert worden. Es sei daher auch die Werkstätte für fremde Lkws im Rahmen der L GmbH genutzt worden. Am 31. Dezember 1990 sei die Einzelfirma des Beschwerdeführers aufgelöst und teilweise in eine neu gegründete Gesellschaft mbH eingebracht worden. Da der Beschwerdeführer auch die Pension beantragt habe, stünde zu diesem Zeitpunkt der halbe Steuersatz zu.

Über entsprechende Nachfrage erläuterte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 5. Mai 1992 den berufungsgegenständlichen Sachverhalt. Die in Rede stehende Liegenschaft sei seit dem Erwerb im November 1983 bis zum Abschluss des Mietvertrages mit der L GmbH ausschließlich durch die Einzelfirma des Beschwerdeführers (Holzexport) genutzt worden. Sämtliche Lkws des Beschwerdeführers seien in der Montagehalle gewartet worden. Auch seien Holzlieferungen zwischengelagert und sämtliche verwaltungstechnischen Angelegenheiten in diesem Gebäude abgewickelt worden. Wie im Schreiben vom 23. April 1992 ausgeführt, sei ein Teil der Halle später an die Firma L GmbH vermietet worden. Da sich diese erst konstituiert habe, habe es in den Jahren 1989 und auch Anfang 1990 noch keine sehr umfangreiche Geschäftstätigkeit gegeben. Wie bereits mitgeteilt, sei der Beschwerdeführer zu 50 % Gesellschafter der L GmbH, so dass bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise keine Übernahme in das Privatvermögen vor dem 31. Dezember 1990 erfolgt sei.

Der Prüfer gab zu der so ergänzten Berufung am 21. Mai 1992 eine Stellungnahme ab. Das Berufungsbegehren erscheine begründet, da der Beschwerdeführer durch seine Stellung beim Bestandnehmer Einfluss auf diesen habe nehmen können. Die Entnahme aus dem Betriebsvermögen zum 31. Dezember 1988 sei somit nicht gerechtfertigt. Er verwies dazu auf einige Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters nahm er eine Neuberechnung der Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1988 bis 1990 vor.

Das Finanzamt brachte die Stellungnahme des Prüfers dem Beschwerdeführer zur Kenntnis. Dieser verzichtete auf eine Gegenäußerung.

Wie dem Beschwerdeführer telefonisch angekündigt nahm das Finanzamt mit Bescheid vom 30. Juli 1992 das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer 1990 gemäß § 303 Abs. 4 in Verbindung mit § 303 Abs. 1 lit. c BAO wieder auf und erließ einen neuen Gewerbesteuerbescheid für dieses Jahr. Zur Begründung führte das Finanzamt lediglich aus, dass in der Stellungnahme des Prüfers "aus unerklärlichen Umständen" der Gewinn aus Gewerbebetrieb für die Berechnung der Gewerbesteuer 1990 zu niedrig ausgewiesen sei. Das Finanzamt habe daher eine entsprechende Richtigstellung vorgenommen.

Der Ansicht des Prüfers folgend gab das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom 19. August 1992 dem Rechtsmittel für die Jahre 1988 und 1989 statt.

Mit Schreiben vom 21. August 1992 erhob der Beschwerdeführer Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 1990. Es seien weder neue Tatsachen noch Beweismittel hervorgekommen. Da auch keine Vorfragen anhängig gewesen seien und sämtliche Tatsachen im Betriebsprüfungsverfahren besprochen worden seien, werde der Antrag gestellt, den Wiederaufnahmebescheid ersatzlos aufzuheben.

Das Finanzamt erließ eine abweisende Berufungsvorentscheidung. Im Zuge der Berufungserledigung betreffend die Jahre 1988 und 1989 sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers von Seiten der Behörde Glauben geschenkt und seien die Bescheide dementsprechend berichtigt worden. Diese geänderte Sachverhaltsbeurteilung stelle eine Klärung einer in Bezug auf das Veranlagungsverfahren 1990 wesentlichen Vorfrage dar. Gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO sei der Wiederaufnahmsgrund der abweichenden Vorfragenbeurteilung gegeben.

In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz entgegnete der Beschwerdeführer, dass keine Vorfrage im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. c BAO vorliege. Es handle sich vielmehr um eine Rechtsfrage.

Die belangte Behörde wies die Berufung ab. Der Einwand des Beschwerdeführers, es läge keine Vorfrage im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. c BAO vor, treffe zu, doch seien neue Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO hervorgekommen. Der Prüfer sei bisher davon ausgegangen, dass wesentliche Teile der Liegenschaft an die L GmbH vermietet und die Eigennutzung nur im untergeordneten Ausmaß erfolgt sei. Mit Schriftsätzen vom 23. April und 5. Mai 1992 habe der Beschwerdeführer aber dargelegt, dass er nur Teile der Halle vermietet habe und er seinen Fuhrpark, wie auch die Wartungen, Services und Reparaturen der Lkws, weiterhin, wenn auch in eingeschränktem Maße, betreibe. Erst durch die Kenntnis dieser Tatsachen habe sich eine neue, rechtlich zu beurteilende Situation ergeben. Anders als ursprünglich angenommen, habe die Eigennutzung des Gebäudes durch den Beschwerdeführer in einem höheren als dem bisher angenommenen - untergeordneten - Ausmaß stattgefunden, so dass die Entnahme des Gebäudes zum 31. Jänner 1988 zu Unrecht erfolgt sei. Dass sämtliche Tatsachen im Zuge des Berufungsverfahrens besprochen worden seien, könne dem Akt nicht entnommen werden. Auch der Zusammenhang zwischen den Rechnungsjahren gebiete im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz nicht nur die Jahre 1988 und 1989, sondern auch das Folgejahr 1990 richtig zu stellen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist gemäß § 303 Abs. 4 BAO unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Während der Beschwerdeführer vorbringt, im Berufungsverfahren für die Jahre 1988 und 1989 seien keine neuen Tatsachen hervorgekommen, vertritt die belangte Behörde die Ansicht, insbesondere das Vorbringen, die L GmbH habe zunächst keine "sehr umfangreiche" Geschäftstätigkeit entfaltet, sei für das Finanzamt ausschlaggebend gewesen, einerseits der Berufung für die Jahre 1988 und 1989 Folge zu geben und andererseits das Jahr 1990 wieder aufzunehmen. Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens übersehen dabei Folgendes:

Dem gesamten erstinstanzlichen Verfahren kann nicht einmal ansatzweise entnommen werden, dass das Finanzamt bei Verfügung der Wiederaufnahme vom Hervorkommen neuer Tatsachen ausgegangen ist. Der Wiederaufnahmsbescheid wurde vielmehr mit dem Hinweis auf den Wiederaufnahmsgrund der abweichenden Vorfragenentscheidung begründet. Selbst in der Stellungnahme des Betriebsprüfers vom 21. Mai 1992 findet sich nicht der geringste Hinweis darauf, dass die Berufung neues Vorbringen enthalten habe. Für seine geänderte rechtliche Beurteilung beruft sich der Prüfer lediglich darauf, der Beschwerdeführer habe durch seine Stellung beim Bestandnehmer Einfluss auf diesen nehmen können. Diese Einflussmöglichkeit war bereits den Feststellungen des Prüfungsberichtes vom 18. Februar 1992 über das besondere Naheverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und der mietenden L GmbH zu entnehmen. Dass die Überlegungen der belangten Behörde über mögliche für das Finanzamt neue Tatsachen nicht zutreffen, erhellt auch die Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes. Darin wird in unmissverständlicher Weise ausschließlich auf den Wiederaufnahmsgrund der abweichenden Vorfragenbeurteilung Bezug genommen.

Der belangten Behörde ist zwar zuzustimmen, wenn sie meint, es sei ihre Aufgabe, einen mangelhaften Bescheid erster Instanz zu ergänzen bzw. richtig zu stellen. Nicht berechtigt die Bestimmung des § 289 Abs. 1 BAO die Abgabenbehörde zweiter Instanz jedoch dazu, den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmsgrund durch einen anderen - ihrer Meinung nach zutreffenden - zu ersetzen. Aufgabe der Berufungsbehörde bei Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch das Finanzamt ist es daher zu prüfen, ob dieses das Verfahren aus den von ihm gebrauchten Gründen wieder aufnehmen durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmsgründen zulässig gewesen wäre. Die Beschränkung der Berufungsbehörde auf die Sache des Verfahrens erster Instanz schließt es aus, dass jene neue Wiederaufnahmsgründe heranzieht und solcherart an Stelle der Behörde, die gemäß § 305 Abs. 1 BAO zuständig ist, aus anderen Gründen die Wiederaufnahme bewilligt. Verstößt die Berufungsbehörde gegen diese Beschränkung auf die Sache des erstinstanzlichen Verfahrens, belastet sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor, muss die Berufungsbehörde den vor ihr angefochtenen Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben. Am Finanzamt liegt es dann, ob es etwa von der Berufungsbehörde entdeckte andere Wiederaufnahmsgründe aufgreift und zu einer (auch) neuerlichen Wiederaufnahme heranzieht (siehe hiezu die hg. Erkenntnisse vom 14. Mai 1991, 90/14/0262, und vom 12. April 1994, 90/14/0044).

Bei diesem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist auf den in der Gegenschrift enthaltenen Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Dezember 1990, B 783/89-9, nicht mehr einzugehen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich demnach als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. November 1999

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