VwGH 94/13/0089

VwGH94/13/008922.2.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 14. Februar 1994, GZ H 3127/1/2-IV/4/94, betreffend Zuzugsbegünstigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
BAO §20;
B-VG Art130 Abs2;
EndbesteuerungsG 1993;
EStG §103 Abs3;
EStG 1988 §103 idF 1992/448;
EStG §103;
EStG §112a;
SteuerreformG 1993 Art1 Z65;
SteuerreformG 1993;
VwRallg;
AVG §56;
BAO §20;
B-VG Art130 Abs2;
EndbesteuerungsG 1993;
EStG §103 Abs3;
EStG 1988 §103 idF 1992/448;
EStG §103;
EStG §112a;
SteuerreformG 1993 Art1 Z65;
SteuerreformG 1993;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zum Sachverhalt wird auf das Vorerkenntnis vom 29. September 1993, Zl. 93/13/0163, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 17. Juni 1993, GZ H 3127/1/2-IV/4/93, mit dem das Ansuchen des Beschwerdeführers um Gewährung einer Zuzugsbegünstigung im Sinne des § 103 EStG 1988 sowie des § 10 VermStG 1954 allein hinsichtlich Einkommensteuer abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Nach dem Erkenntnis hatte sich die belangte Behörde mit dem Anbringen des Beschwerdeführers in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern den Bescheid ausschließlich mit einem Hinweis auf die "europäische Integration" begründet.

Mit dem den Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens bildenden Bescheid vom 14. Februar 1994, GZ H 3127/1/2-IV/4/94, wurde das Ansuchen vom 16. März 1993 um Erteilung einer Zuzugsbegünstigung gemäß § 103 EStG 1988 sowie § 10 VermStG 1954 erneut abgewiesen. Begründet wurde der Bescheid zunächst damit, daß es eines der steuerrechtlichen "Kernanliegen" der europäischen Integration sei, wettbewerbsschädliche Steuerunterschiede in den Mitgliedsstaaten abzubauen. Es erscheine mit dem "Geist der Steuerneutralität" unvereinbar, daß Staaten versuchen, einander begüterte Steuerpflichtige durch großzügige Steuergeschenke abzuwerben. Dies gelte nicht nur für Bürger der Europäischen Union selbst, sondern auch für Bürger aus "Übersee", die sich in Staaten der Union niederlassen wollen. Diese Erwägungen der europäischen Integration hätten den Anlaß gegeben, den Grundtatbestand der Zuzugsbegünstigung aus dem Rechtsbestand zu entfernen. Gesetzgeberische Maßnahmen dieser Art seien bei der Ermessensübung zu berücksichtigen.

Weiters verwies die belangte Behörde auf die Endbesteuerung bestimmter Kapitaleinkünfte. Damit sei für den vermögenden Personenkreis ein Effekt erzielbar, der "teilweise sogar zu günstigeren Ergebnissen führt als die seinerzeitige Standardzuzugsbegünstigung".

Der belangten Behörde seien keine Umstände bekannt geworden, die im Hinblick auf im Zuge der Vorbereitung der Steuerreform 1994 erkennbar werdenden und im Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides nunmehr allgemein bekannten Willen des Gesetzgebers eine positive Ermessensübung rechtfertigen könnten.

In der an den Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Bundesminister für Finanzen erstattete eine Gegenschrift und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 103 Abs. 1 EStG 1988 lautete in der ursprünglichen Fassung (Die Änderung des § 103 EStG 1988 durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 448/1992 bezog sich lediglich auf die Einfügung eines Abs. 4):

Zuzugsbegünstigung

"§ 103. (1) Bei Personen, die ihren Wohnsitz aus dem Ausland ins Inland verlegen und hier, ohne erwerbstätig zu werden, ihre Verbrauchswirtschaft nach Art und Umfang in einer für das Inland nützlichen Weise einrichten, kann der Bundesminister für Finanzen für einen bestimmten Zeitraum die Besteuerung abweichend von den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anordnen.

Für diese Anordnung gilt folgendes:

Nach der Bestimmung des § 10 Vermögensteuergesetz 1954 konnte der Bundesminister für Finanzen unter mit denen des § 103 EStG 1988 aF vergleichbaren Voraussetzungen eine von den Bestimmungen des Vermögensteuergesetzes abweichende Besteuerung anordnen.

Durch das Steuerreformgesetz 1993, BGBl. Nr. 818, wurde § 103 EStG 1988 folgendermaßen geändert:

"§ 103. (1) Bei Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft und Forschung dient und aus diesem Grund im öffentlichen Interesse gelegen ist, kann der Bundesminister für Finanzen für die Dauer des im öffentlichen Interesse gelegenen Wirkens dieser Personen steuerliche Mehrbelastungen bei nicht unter § 98 fallenden Einkünften beseitigen, die durch die Begründung eines inländischen Wohnsitzes eintreten. Das öffentliche Interesse ist für jedes Veranlagungsjahr durch eine Bescheinigung des Bundesministers für Finanzen nachzuweisen.

(2) Abs. 1 ist auf Personen, die den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen aus Österreich wegverlegt haben, nur dann anzuwenden, wenn zwischen diesem Wegzug und dem Zuzug mehr als zehn Jahre verstrichen sind."

Als § 112a EStG 1988 wurde durch das Steuerreformgesetz 1993, BGBl. Nr. 818, eingefügt:

"§ 112a. § 103 ist in der Fassung BGBl. Nr. 448/1992 weiterhin anzuwenden, wenn eine Zuzugsbegünstigung bereits erteilt worden ist oder wenn die Erteilung einer Zuzugsbegünstigung schriftlich in Aussicht gestellt worden ist."

Nach Art. I Z. 65 sub-Z. 1 Steuerreformgesetz 1993 sind die (übrigen) Bestimmungen des Steuerreformgesetzes 1993, sofern nichts anderes bestimmt ist, wenn die Einkommensteuer veranlagt wird, erstmalig bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1994 anzuwenden.

Ein Zuzugsbegünstigungsbescheid ist nach § 103 EStG 1988 alter Fassung für einen bestimmten Zeitraum zu erlassen. Im Hinblick auf die grundsätzliche Bestimmung des § 2 Abs. 1 EStG 1988, wonach der Einkommensteuer das Einkommen zugrunde zu legen ist, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat, ist dieser Zeitraum im Sinne des § 103 EStG 1988 jeweils auf ein entsprechendes Kalenderjahr zu beziehen.

Die Bestimmung des § 103 EStG nF ist im Sinne des Art. I Z. 65 SteuerreformG 1993 im Falle der Veranlagung der Einkommensteuer "erstmalig bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1994" anzuwenden. Bei verständiger Würdigung dieser Übergangsbestimmung bedeutet dies, daß § 103 EStG nF erstmals für solche Zeiträume präjudiziell ist, die nach dem 31. Dezember 1993 gelegen sind.

Für den Beschwerdefall folgt daraus, daß über die Bewilligung einer Zuzugsbegünstigung für den am 30. Jänner 1992 zugezogenen Beschwerdeführer jedenfalls hinsichtlich des Kalenderjahres 1993 nach den Bestimmungen des § 103 EStG 1988 aF abzusprechen war. Von dieser Rechtslage ist die belangte Behörde auch bei Erlassung des nunmehr angefochtenen Bescheides ausgegangen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis Zl. 93/13/0163 ausgesprochen hat, ist unter dem bei der Ermessensübung maßgeblichen Sinn nur der Sinn der jeweils anzuwendenden Rechtsnorm, also die aus dem betreffenden Gesetz hervorleuchtende Absicht des Gesetzgebers zu verstehen. Keine Bedeutung kommt hingegen bei der Frage nach dem Sinn der Norm anderen, damit nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehenden Vorschriften oder auch nur möglicherweise wirksam werdenden gesetzlichen oder gesetzesgleichen Bestimmungen zu. An diese Rechtsauffassung ist gemäß § 63 VwGG - wonach im Falle der Stattgabe einer Beschwerde die Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen - sowohl die belangte Behörde als auch der Gerichtshof selbst für den Beschwerdefall gebunden.

Die belangte Behörde stützt ihre neuerlich abweisende Entscheidung auf den - im Zeitpunkt der Bescheiderlassung angestrebten - Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und auf die Änderung der Bestimmungen über die Zuzugsbegünstigung durch das SteuerreformG 1993. Damit hat die belangte Behörde aber gegen die Vorschrift des § 63 VwGG verstoßen und den Ersatzbescheid ebenfalls mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet.

Soweit die Behörde mit dem angefochtenen Bescheid (erstmalig) über das Ansuchen betreffend Zuzugsbegünstigung im Bereich der Vermögensteuer (zum 1. Jänner 1993) entschieden hat, hat es die belangte Behörde auch diesbezüglich unterlassen, bei ihrer Entscheidung vom Ermessen im Sinne des § 10 VermStG Gebrauch zu machen, und damit auch insoferne den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Soweit sich die belangte Behörde auf die europäische Integration beruft, ist dabei überdies nicht erkennbar, welcher Zusammenhang zwischen der Niederlassung eines seinerzeit aus rassischen und politischen Gründen verfolgten Mitbürgers in seinem Heimatland und der europäischen Integration bestehen könnte.

Wenn sich die belangte Behörde auf einen Willen des Gesetzgebers des Steuerreformgesetzes 1993 stützt, so übersieht sie, daß die Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens sich selbstverständlich nur auf das im jeweiligen Rechtsfall anzuwendende Gesetz, nicht aber auf ein erst für künftige Zeiträume geltendes Gesetz beziehen kann.

Da die Bestimmung des § 103 EStG 1988 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 448/1992 jedenfalls bis einschließlich des Veranlagungsjahres 1993 anzuwenden war, kann auch keine Rede davon sein, das Endbesteuerungsgesetz, BGBl. Nr. 11/1993, habe die "Aufrechterhaltung von Zuzugsbegünstigungen obsolet" gemacht. Da der Gesetzgeber bei Einführung der sogenannten Endbesteuerung keine Veranlassung gesehen hat, § 103 EStG 1988 zu ändern, kann kein Zweifel am Geltungsbereich der letztgenannten Gesetzesstelle bestehen.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist der Umstand, ob mit dem Herkunftsland des Beschwerdeführers ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, für die Anwendung des § 103 EStG aF nicht von Bedeutung; nach Abs. 3 dieser Gesetzesstelle konnte eine Zuzugsbegünstigung auch bei Aufrechterhaltung des ausländischen Wohnsitzes gewährt werden. Zutreffend wird von der belangten Behörde auch eingeräumt, daß der Beschwerdeführer das Vorliegen einer Doppelbesteuerung gar nicht behauptet hat.

Obwohl dies im Vorerkenntnis ausdrücklich als Rechtswidrigkeit angesehen wurde, hat es die belangte Behörde auch im Ersatzbescheid unterlassen, sich in irgendeiner Weise mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen. Die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides prävaliert allerdings gegenüber dieser neuerlichen Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Wenn die belangte Behörde schließlich darauf hinweist, der Beschwerdeführer habe seinen Wohnsitz nach Österreich verlegt, ohne daß ihm eine Zusage auf Gewährung einer Zuzugsbegünstigung erteilt worden wäre, so entsprach die Erteilung einer solchen Zusage zwar offenkundig einer Verwaltungsübung (vgl. dazu Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, § 103, Rz. 14); eine solche Zusage war aber im Gesetz - jedenfalls bis zum SteuerreformG 1993 (vgl. nunmehr § 112a EStG 1988) - nicht vorgesehen, sodaß ihr auch keine rechtliche Bedeutung zugekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Ersatz von Stempelgebühren beschränkt sich auf die Gebühr für zwei Beschwerdeausfertigungen und die Beilagengebühr in der tatsächlich entrichteten Höhe von S 30,--.

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