VwGH 94/08/0140

VwGH94/08/014016.9.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des E in B, vertreten durch DDr. Wolfgang Doppelbauer, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Richtergasse 4, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Niederösterreich vom 17. Mai 1994, Zl. IVc 7022/7100 B, betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §15 Abs1 Z1 litm;
ArbeitslosenVersAbk BRD 1979 Art7;
AlVG 1977 §15 Abs1 Z1 litm;
ArbeitslosenVersAbk BRD 1979 Art7;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am 19. Mai 1993 beim Arbeitsamt Baden einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld. Nach den dabei vorgelegten Bestätigungen war der Beschwerdeführer in der Zeit vom 2. Jänner 1982 bis 23. März 1992 als Geschäftsführer in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) beschäftigt.

Mit Bescheid vom 23. März 1993 gab das Arbeitsamt dem Antrag gemäß § 7 Z. 2 iVm § 14 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) keine Folge, da der Beschwerdeführer in den letzten 24 Monaten "nur 44 Wochen und 2 Tage arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung" (anwartschaftsbegründende Zeiten) aufweise; es fehlten somit noch 7 Wochen und 5 Tage.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin brachte er im wesentlichen vor, vom 23. März 1992 bis 1. Juni 1992 in der BRD in Untersuchungshaft und anschließend vom 2. Juni 1992 bis 18. Mai 1993 in Strafhaft gewesen zu sein. Auch eine Haftzeit in der BRD stelle gemäß dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung, BGBl. Nr. 392/1979, samt Schlußprotokoll (in der Folge: Abkommen über Arbeitslosenversicherung) - analog zu § 15 Abs. 1 Z. 1 lit. m AlVG - einen rahmenfristerstreckenden Tatbestand dar (vgl. auch Dirschmied, Arbeitslosenversicherungsrecht2, S. 120). Alternativ sei als anwartschaftsbegründende Zeit zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer nach der vorgelegten Bestätigung der Justizvollzugsanstalt Landsberg an der Lech während der Strafhaft an 9 Tagen (26. Juni, 20. bis 24. Juli, 29. und 30. Juli und 4. August 1992) nach § 168 Abs. 3a des (deutschen) Arbeitsförderungsgesetzes beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei. In der übrigen Zeit der Strafhaft sei der Beschwerdeführer infolge Krankheit arbeitsunfähig gewesen, weshalb diese Zeiten rahmenfristerstreckend (§ 15 Abs. 1 Z. 1 lit. k AlVG) zu werten seien.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 1993 legte der Beschwerdeführer ferner - teilweise in Widerspruch zu seinem Vorbringen in der Berufung - eine Bestätigung der Justizvollzugsanstalt Landsberg vor, wonach er vom 11. Juni 1992 bis 18. Mai 1993 außerstande gewesen sei, "Arbeiten von wirtschaftlichem Wert vollschichtig zu verrichten".

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben. Die belangte Behörde vertrat dabei begründend im wesentlichen die Auffassung, § 15 Abs. 1 Z. 1 AlVG stelle nur auf inländische Zeiten ab. Haftzeiten in der BRD seien im Schlußprotokoll zu Art. 7 des Abkommens über Arbeitslosenversicherung nicht genannt. Bei der alternativ vorgetragenen Arbeitsunfähigkeit während der Haftzeit sei zu unterscheiden, ob das Krankengeld vor dem Haftantritt tatsächlich erschöpft worden sei oder ob lediglich der Anspruch infolge gesetzlicher Anordnung zu versagen sei. Der Beschwerdeführer habe in diesem Zusammenhang ein Schreiben der AOK Augsburg vom 29. April 1993 vorgelegt, aus dem eindeutig hervorgehe, daß der Anspruch nicht erschöpft gewesen sei, sondern infolge des Haftantrittes per 23. März 1992 geendet habe. Damit sei nach Auffassung der belangten Behörde eindeutig dokumentiert, daß die Konstruktion einer ex-lege-Erschöpfung keinesfalls zulässig sei, sondern lediglich ein Versagungs- bzw. Ruhensgrund vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird der belangten Behörde zunächst vorgeworfen, sie habe sich nicht mit der Beschäftigung des Beschwerdeführers während seiner Strafhaft in der BRD auseinandergesetzt. Diese Zeiten seien jedoch nach § 14 Abs. 5 AlVG anwartschaftsbegründend. Im übrigen seien diese Zeiten nach Dirschmied, Neuerungen und Neubewertungen in der Arbeitslosenversicherung, DRdA 1993, S. 444 ff, rahmenfristerstreckend. Schließlich hätte es der Feststellung bedurft, ob der Beschwerdeführer nicht vor dem 2. Jänner 1982 in Österreich arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Da die Zeit vom 2. Jänner 1982 bis 18. Mai 1991 nach § 15 Abs. 1 Z. 2 lit. a AlVG rahmenfristerstreckend sei, hätten die österreichischen Zeiten vor dem 2. Jänner 1982 als anwartschaftsbegründend herangezogen werden müssen.

Die belangte Behörde verweist in ihrer Gegenschrift darauf, es sei übersehen worden, daß im Beschwerdefall primär § 14 Abs. 2 AlVG anzuwenden gewesen wäre, weil der Beschwerdeführer schon einmal (im Jahre 1981) Arbeitslosengeld bezogen habe. Danach komme es darauf an, ob der Beschwerdeführer in der Zeit vom 19. Mai 1992 bis 18. Mai 1993 20 Wochen anwartschaftsbegründende Zeiten aufzuweisen habe, was zu verneinen sei, weil er sich in Haft befunden habe.

Im Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 relevant:

Gemäß § 7 Z. 2 AlVG ist die Erfüllung der Anwartschaft Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Nach § 14 Abs. 1 AlVG ist bei der erstmaligen Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.

Nach § 14 Abs. 2 AlVG ist bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches insgesamt 20 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.

Im Gebiet eines anderen Staates ausgeübte Beschäftigungen, die ihrer Art nach im Inland versicherungspflichtig wären, sind nach § 14 Abs. 5 AlVG den Beschäftigungen im Bundesgebiet gleichzuhalten, soweit durch zwischenstaatliche Übereinkommen die Gegenseitigkeit verbürgt ist.

In diesem Zusammenhang ist auf das bereits erwähnte Abkommen über Arbeitslosenversicherung zu verweisen:

Dessen Artikel 7 regelt die "Berücksichtigung von Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind". Nach Abs. 1 der genannten Vorschrift werden Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind, bei der Beurteilung, ob die Anwartschaft erfüllt ist, und bei der Festsetzung der Bezugsdauer (Anspruchsdauer) berücksichtigt, sofern der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates besitzt, in dem der Anspruch geltend gemacht wird, und sich im Gebiet dieses Vertragsstaates gewöhnlich aufhält.

Punkt 9. des Schlußprotokolls bestimmt:

"9. Zu Artikel 7

Wird ein Antrag auf Arbeitslosengeld in Österreich gestellt, dann verlängern sich die Rahmenfristen nach § 14 Abs. 1 bis 3 Arbeitslosenversicherungsgesetz um Zeiträume, in denen der Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland

a) einen geregelten Lehrgang zur beruflichen Fortbildung besucht hat, durch den er überwiegend in Anspruch genommen wurde,

b) Wehr- oder Zivildienst geleistet hat, sofern er vorher in Österreich in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis stand,

  1. c) Krankengeld oder Wochengeld bezogen hat,
  2. d) infolge Krankheit oder Unfall arbeitsunfähig im Sinne des § 15 Abs. 1 Ziffer 1 lit. k und l war."

Nach § 15 Abs. 1 AlVG verlängern sich die Rahmenfristen nach § 14 Abs. 1 bis 3 unter anderem

1. um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Inland

Krankengeld bzw. Wochengeld bezogen hat oder in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht gewesen ist

(lit. j);

nach Erschöpfung des Anspruches auf Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung nachweislich arbeitsunfähig gewesen ist (lit. k); ...

eine Freiheitsstrafe verbüßt hat oder auf behördliche Anordnung in anderer Weise angehalten worden ist (lit. m);

2. um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Ausland beschäftigt gewesen ist (lit. a).

Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß der Beschwerdeführer in der BRD in der Zeit vom 2. Jänner 1982 bis 23. März 1992 einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist. In der Zeit vom 23. März bis 1. Juni 1992 hat er sich in der Justizvollzugsanstalt Landsberg an der Lech in Untersuchungshaft und vom 2. Juni 1992 bis 18. Mai 1993 in Strafhaft befunden. Am 19. Mai 1993 hat er beim Arbeitsamt Baden einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld gestellt.

Zunächst ist - sowohl nach § 14 Abs. 2 als auch nach § 14 Abs. 1 AlVG - zu prüfen, welche anwartschaftsbegründenden Zeiten in der Rahmenfrist (ohne allfällige Verlängerungen nach § 15 AlVG) liegen (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0142, und vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0011).

Da der Beschwerdeführer "im Inland" solche Zeiten weder in der Rahmenfrist vom 19. Mai 1992 bis 18. Mai 1993 noch in der vom 19. Mai 1991 bis 18. Mai 1993 aufweist, ist zu prüfen, ob er - entsprechend den §§ 14 Abs. 5 AlVG - "ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten ..., soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen geregelt ist" aufweist. Maßgebend hiefür ist das bereits genannte Abkommen mit der BRD über Arbeitslosenversicherung. Nach dessen Artikel 7 sind "Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates (im Beschwerdefall: BRD) zurückgelegt worden sind" auf die Anwartschaft anzurechnen. Als solche Zeiten kommen unstrittig die Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers als Geschäftsführer vom 19. Mai 1991 bis 23. März 1992 in Betracht. Damit ist weder die Anwartschaft nach § 14 Abs. 1 noch nach § 14 Abs. 2 AlVG erfüllt. Strittig sind allerdings die Zeiten seiner Beschäftigung während der Haft. Darauf, ob es sich bei ihnen um solche "Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung" handelt, kommt es allerdings nicht an. Denn auch wenn dies zuträfe, so lägen - nach der vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Bestätigung - nur 9 Tage vor. Ihre Hinzurechnung zu den Beschäftigungszeiten als Geschäftsführer reicht aber weder nach § 14 Abs. 2 noch für § 14 Abs. 1 AlVG aus (bei Anwendung nach § 14 Abs. 2 lägen nur diese 9 Tage als anwartschaftsbegründende Zeiten vor).

Im Beschwerdefall ist daher weiter zu prüfen, ob rahmenfristverlängernde Tatbestände nach § 15 AlVG vorliegen. Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang angeführten Haftzeiten in der BRD stellen allerdings nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - im Gegensatz zu der von Dirschmid vertretenen Auffassung - keine solchen Zeiten dar: Sie scheinen weder im § 15 Abs. 1 Z. 2 AlVG noch im Schlußprotokoll zu

Artikel 7 des Abkommens über Arbeitslosenversicherung auf. § 15 Abs. 1 Z. 1 lit. m AlVG normiert eindeutig, daß sich die Rahmenfristen um Zeiträume einer Anhaltung im Inland verlängern; dies läßt keine Auslegung dahingehend zu, daß der Gesetzgeber bei dieser Bestimmung auch einen Aufenthalt außerhalb des Bundesgebietes im Auge gehabt hätte (vgl. das Erkenntnis vom 26. September 1989, Zl. 88/08/0163).

Da somit in den Rahmenfristen des § 14 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AlVG im Beschwerdefall keine rahmenfristverlängernden Tatbestände liegen, sind die an sich rahmenfristverlängernden Tatbestände vor dem 19. Mai 1991 irrelevant (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 26. Mai 1986, Zl. 85/08/0206, und vom 19. September 1989, Zl. 89/08/0166, sowie das bereits genannte Erkenntnis vom 30. September 1994).

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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