VwGH 94/06/0120

VwGH94/06/012020.10.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des H in M, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 21. April 1994, Zl. A 17 K-6.404/1990-14, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Zustellung von Bescheiden in einer Bausache (mitbeteiligte Partei: Y-GesmbH & Co OHG in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in X), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauRallg;
B-VG Art7 Abs1;
AVG §8;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauRallg;
B-VG Art7 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Landeshauptstadt Graz Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer und sein Bruder waren je zur Hälfte Eigentümer mehrerer Grundstücke in Graz. Die mitbeteiligte Partei (kurz: Bauwerberin) kam bei der Baubehörde erster Instanz um Erteilung einer Abbruch- und einer Baubewilligung hinsichtlich näher bezeichneter Bauvorhaben auf einer angrenzenden Liegenschaft ein. Zu der für den 21. November 1990 anberaumten Verhandlung lud die Behörde (unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG) unter anderem den Beschwerdeführer, wie auch dessen (wie sich aus dem Verfahrensgang ergibt: damals bereits verstorbenen) Bruder (gemeint wohl: dessen Verlassenschaft), wobei die Ladung zuhanden des Abhandlungsgerichtes zugestellt wurde. Der Beschwerdeführer erhob Einwendungen; für die Verlassenschaft nach seinem Bruder erschien niemand zur Verhandlung und es wurden auch namens der Verlassenschaft keine Einwendungen erhoben. Die Verhandlung wurde hinsichtlich der angestrebten Abbruchsbewilligung geschlossen und hinsichtlich der angestrebten Baubewilligung vertagt.

Mit Bescheid vom 30. November 1990 erteilte die Baubehörde der Bauwerberin die begehrte Abbruchbewilligung unter Vorschreibung verschiedener Auflagen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer und seinem Bruder (richtig: seiner Verlassenschaft) zugestellt, bei letzterem zuhanden des Abhandlungsgerichtes.

Hinsichtlich des Baubewilligungsverfahrens wurde für den 5. Dezember 1990 eine weitere Verhandlung anberaumt, zu der unter anderem auch der Beschwerdeführer wie auch dessen Bruder (gemeint: dessen Verlassenschaft), letztere abermals zuhanden des Abhandlungsgerichtes, geladen wurden. Der Beschwerdeführer nahm (durch einen Vertreter) an der Verhandlung teil. Für die Verlassenschaft nach seinem Bruder erschien abermals niemand; namens der Verlassenschaft wurden weiterhin keine Einwendungen erhoben.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 1990 erteilte die Behörde der Bauwerberin eine näher umschriebene Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer, wie auch dessem Bruder (richtig: seiner Verlassenschaft), abermals zuhanden des Abhandlungsgerichtes "zugestellt".

Der Beschwerdeführer erhob gegen beide Bescheide Berufung, die mit Berufungsbescheid vom 7. Februar 1991 hinsichtlich der erteilten Abbruchsbewilligung als verspätet zurückgewiesen, hinsichtlich der Baubewilligung hingegen als unbegründet abgewiesen wurde. Nach der Aktenlage blieb der Berufungsbescheid unbekämpft.

Von der Verlassenschaft nach dem Bruder des Beschwerdeführers wurde kein Rechtsmittel gegen die Bescheide erhoben.

Mit Schreiben vom 27. April 1992 an die Baubehörde erster Instanz brachte der Beschwerdeführer sinngemäß vor, er sei Rechtsnachfolger seines verstorbenen Bruders. Diesem sei "rechtsverbindlich eine Ladung zur Bauverhandlung weder für den Abbruch noch für den Neubau zugestellt" worden. Die Zustellung an das Verlassenschaftsgericht sei "ungültig". Es hätte "ein Verlassenschaftskurator bestellt und zu dessen Handen zugestellt werden müssen". Auch die Zustellung "an den Verlassenschaftsnotar" sei "nicht ordnungsgemäß und daher nichtig". Er begehre die Zustellung beider Bescheide, um dagegen berufen zu können.

Mit Eingabe vom 18. Dezember 1993 wiederholte der Beschwerdeführer das Ersuchen um Zustellung des "Baubescheides".

Mit Bescheid vom 8. März 1994 hat die Baubehörde erster Instanz den Antrag vom 27. April 1992 auf Zustellung beider Bescheide "wegen entschiedener Sache zurückgewiesen". Begründend führte sie aus, daß der Beschwerdeführer und sein Bruder als Miteigentümer der benachbarten Liegenschaft zur Bauverhandlung am 21. November 1990 geladen worden seien. Da das Verlassenschaftsverfahren nach dem zuvor verstorbenen Bruder noch nicht abgehandelt worden sei, sei die Ladung an den Bruder zuhanden des Abhandlungsgerichtes ergangen (es folgt die Darstellung des Verfahrensganges). Gemäß § 61 Abs. 1 letzter Satz der Steiermärkischen Bauordnung (BO) seien zur Bauverhandlung der Bauwerber, der Grundeigentümer, die Planverfasser, der Bauführer und die Nachbarn zu laden. Die Steiermärkische Bauordnung setze den Begriff des Nachbarn als bekannt voraus. Nachbar sei demnach nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Eigentümer (jeder Miteigentümer) eines Grundstückes, welches sich zu dem zu bebauenden Grundstück in einem solchen Naheverhältnis befinde, daß er durch das zu bewilligende Vorhaben in seinen Rechten beeinträchtigt sein könne. Ein Nachbar werde somit aufgrund einer bestimmten Rechtsbeziehung zu einer Sache Parteistellung im Bauverfahren. Einem Bescheid, der ein Bauverfahren abschließe, komme dingliche Wirkung zu, sodaß der Bescheid gegenüber jedem wirke, der entsprechende Rechte an der betroffenen Sache habe. Die Verbundenheit mit einer Sache vermöge für sich allein jedoch keine öffentlichen Rechte und Pflichten zu begründen, weil sich niemals Rechte und Pflichten ausschließlich auf Sachen beziehen könnten: Immer bestünde die Gestaltwirkung nur im Hinblick auf bestimmte Personen. Diese seien allerdings nicht in ihrer Eigenschaft als Persönlichkeit angesprochen, sondern als Zurechnungssubjekt der mit der Sache verbundenen Rechte und Pflichten. Rechtsfolge der Dinglichkeit sei, daß von den öffentlichen Rechten und Pflichten immer derjenige betroffen sei, der die bestimmte Rechtsstellung im Hinblick auf die Sache einnehme, und zwar in jenem Umfang, wie die Rechte und Pflichten dem Vorgänger gegenüber konkretisiert worden seien. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Verwaltungsverfahren und der Erlassung des Abbruchbescheides sowie des Baubescheides seien die näher bezeichneten benachbarten Grundstücke im Miteigentum je zur Hälfte des Beschwerdeführers und dessen Bruders gestanden. "Aufgrund des Todesfalles" des Bruders des Beschwerdeführers sei sodann "während der Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens und vor der Einantwortung die Rechtsposition durch den ruhenden Nachlaß ausgeübt worden". Beide Bescheide seien dem Beschwerdeführer und damaligen Hälfteeigentümer des Nachbargrundstückes gegenüber in Rechtskraft erwachsen. Nunmehr begehre er als Rechtsnachfolger seines Bruders und als nunmehriger Alleineigentümer des Nachbargrundstückes die nochmalige Zustellung beider Bescheide, um dagegen berufen zu können. Wie schon ausgeführt, würden die Rechte und Pflichten der durch ein dingliches Verwaltungsrechtsverhältnis gestalteten Rechtsbeziehung nicht von einer Person auf die andere übertragen, sondern träfen den Nachfolger aufgrund seiner Beziehung zur Sache. Die Nachbarn im Bauverfahren würden nicht in ihrer Eigenschaft als Persönlichkeit angesprochen, sondern als Zurechnungssubjekt der mit der Sache verbundenen Rechte und Pflichten. Die Position werde "mit Einnahme einer bestimmten Rechtsstellung, hier des Eigentums, im Hinblick auf die Sache, erlangt". Die nunmehrige Rechtsstellung als Alleineigentümer der benachbarten Grundstücke räume dem Beschwerdeführer keinesfalls wiederum subjektiv-öffentliche Rechte im Verfahren ein, weil diese Rechte immer mit der Sache verbunden "und im Hinblick auf seine Person durch die Rechtskraft der Bescheide bereits verbraucht" worden seien. Anders ausgedrückt heiße dies, daß der Beschwerdeführer als Alleineigentümer nicht mehr Rechte geltend machen könne, als ihm als Hälfteeigentümer des Nachbargrundstückes "zur Verfügung gestanden" seien. Der Zustellung der Bescheide und der erneuten sachlichen Behandlung der bereits rechtskräftig entschiedenen Sache stehe somit § 68 Abs. 1 AVG entgegen, dessen Sinn es sei, die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache zu verhindern.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er zusammenfassend geltend machte, er könne als ursprünglicher Hälfteeigentümer und nunmehriger Alleineigentümer nicht schlechter gestellt werden, als ein Dritter, welcher als Rechtsnachfolger im Hälfteanteil seines Bruders die Zustellung der Bescheide beantragt hätte. Eine diesbezügliche Ungleichbehandlung der Rechtsnachfolger in der Form, daß der Eigentümer nunmehr beider Liegenschaftsanteile in seinen Rechten eingeschränkt sei, widerspreche dem verfassungsmäßig verankerten Gleichheitsgrundsatz.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben und den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt. Zusammenfassend billigte sie die Erwägungen der Behörde erster Instanz und entgegnete dem Berufungsvorbringen insbesondere, der Gegenstandsfall sei nicht mit dem Fall gleichzusetzen, daß ein Dritter "Rechtsnachfolger des Hälfteeigentums geworden wäre", weil im Fall des Eigentumserwerbes durch einen Dritten abermals "mehrere Zurechnungssubjekte zum Grundstück vorhanden gewesen wären, die jeder für sich alleine die mit dem Grundstück verbundenen Rechte wahrnehmen hätten können". Stünden mehreren Personen Eigentumsanteile an einem Grundstück zu, könnten alle diese Personen für sich die mit dem Grundstück verbundenen Rechte wahrnehmen. Erwerbe nun eine Person Eigentumsanteile an einem Grundstück, an dem ihr noch kein Eigentum zugestanden sei, so trete sie in die Rechte und Pflichten ihres Rechtsvorgängers ein. Hingegen könne eine Person, die schon bestimmte Grundstücksanteile "im Eigentum" habe, durch Erwerb eines größeren Anteiles - immer bezogen auf dingliche Bescheide - nicht mehr Rechte geltend machen, als ihr als Zurechnungssubjekt zur Sache vor Erwerb des weiteren Eigentumsanteiles bereits zugestanden seien.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer hat (unaufgefordert) eine Äußerung zu den Gegenschriften erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 61 Abs. 1 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (BO), LGBl. Nr. 149/1968 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 54/1992, sind zur Bauverhandlung der Bauwerber, der Grundeigentümer, die Planverfasser, der Bauführer und die Nachbarn zu laden. Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung bestimmte, taxativ aufgezählte Einwendungen erheben.

Richtig hat die Behörde erkannt, daß die Steiermärkische Bauordnung den Begriff des Nachbarn als bekannt voraussetzt, und daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Nachbar der Eigentümer - im Falle von Miteigentum jeder Miteigentümer - eines Grundstückes ist, welches sich zu dem zu bebauendem Grundstück in einem solchen Naheverhältnis befindet, daß er durch das zu bewilligende Vorhaben in seinen Rechten beeinflußt sein kann (siehe dazu auch Hauer, Steiermärkisches Baurecht2, Anmerkung 15 zu § 61 BO). Richtig haben die Behörden der Sache nach auch erkannt, daß dem Gesetz eine Graduierung der Rechtsposition des Nachbarn nach Maß seines Miteigentumsanteiles fremd ist. Zwar macht der Beschwerdeführer seinerseits der Sache nach zutreffend geltend, daß der Rechtsnachfolger im Miteigentumsanteil in die Rechtsstellung seines Rechtsvorgängers eintritt, hieraus ist aber im Beschwerdefall nichts zu gewinnen: Der Verwaltungsgerichtshof vermag nämlich nicht zu erkennen, daß die Rechtsstellung des Beschwerdeführers und seines verstorbenen Bruders als Miteigentümer der Nachbargrundstücke in bezug auf ihre Nachbarrechte eine unterschiedliche gewesen wäre (ob dies bei Miteigentum zu ideellen Anteilen überhaupt möglich ist, sei dahingestellt), was auch gar nicht behauptet wird. Der Beschwerdeführer konnte demnach durch die Rechtsnachfolge im Hälfteeigentum seines Bruders in bezug auf seine Rechtsstellung als Nachbar nicht mehr Rechte erwerben, als ihm ohnedies bereits kraft seines Miteigentumsrechtes zustanden. Darin ist auch - wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat - der (von ihm verkannte) entscheidende Unterschied zu einem Dritten zu sehen, der erstmals (Mit-)Eigentum an einer Liegenschaft erwirbt und - unter der Annahme, daß eine gehörige Ladung der Verlassenschaft nicht erfolgt ist - erstmals Gelegenheit erhält, die subjektiv-öffentlichen Rechte als Nachbar geltend zu machen. Diese somit zutreffende rechtliche Beurteilung der belangten Behörde verstößt daher auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Demnach war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Partei war abzuweisen, weil Gegenschriften gemäß § 36 Abs. 4 VwGG (nur) zweifach zu erstatten sind, daher ein Ersatz der für die überzählige Ausfertigung verzeichneten Stempelgebühren nicht zuerkannt werden darf.

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