VwGH 93/16/0045

VwGH93/16/004531.5.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerde der I Z-Sch in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. Dezember 1992, GZ. GA 11-1249/92, betreffend Erbschaftssteuer, zu Recht erkannt:

Normen

BewG 1955 §14 Abs1;
BewG 1955 §14 Abs2;
ErbStG §18;
ErbStG §19 Abs1;
BewG 1955 §14 Abs1;
BewG 1955 §14 Abs2;
ErbStG §18;
ErbStG §19 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

W.Sch. war durch den Konkurs der Allgemeinen Wirtschaftsbank AG (AWB) vermögenslos geworden; deswegen führte er gegen die Republik Österreich Amtshaftungsprozesse wegen Nichterfüllung der bankaufsichtsbehördlichen Pflichten beim Landesgericht für ZRS Wien. Der Klagsbetrag zu 40 b Cg n1/80 betrug (laut Vorbringen der Beschwerdeführerin im Administrativverfahren) S 61.000,--; zu 40 b Cg n2/80 wurden S 10,980.196,-- eingeklagt. Im Jahre 1982 schloß W.Sch. mit Dkfm. Dr. M. eine Vereinbarung, wonach letzterer das volle Kostenrisiko dieser Prozesse übernehme, dafür aber die Hälfte des allenfalls ersiegten Klagsbetrages erhalten solle.

Die Beschwerdeführerin ist testamentarische Erbin nach dem am 3. September 1986 verstorbenen W.Sch. Auf der Basis der Bemessungsgrundlage von S 44.380,-- erließ das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern Wien (im folgenden: Finanzamt) am 6. Juli 1987 den Erbschaftssteuerbescheid. Aufgrund der Erbschaftssteuererklärung samt Beilagen vom 8. November 1989, womit die Restquote der anerkannten Forderung aus dem Konkurs der AWB mit S 350.966,88 und S 43.217,58 bekannt gegeben worden war, wurde das Erbschaftssteuerverfahren wegen Hervorkommens dieser neuen Tatsachen gemäß § 303 ff BAO wieder aufgenommen und mit Bescheid vom 28. Dezember 1989 aufgrund der zusätzlichen Bemessungsgrundlage von S 394.184,-- die Erbschaftssteuer vorläufig (im Hinblick auf den abzuwartenden Prozessausgang in den Amtshaftungsverfahren) neu festgesetzt. Dieser Bescheid blieb unbekämpft.

Im Schreiben vom 9. Dezember 1991 teilte die Beschwerdeführerin über Aufforderung dem Finanzamt mit, daß das Verfahren 40 b Cg n1/80 mit S 43.217,58 und das Verfahren 40 b Cg n2/80 am 22. September 1989 mit S 10,600.000,-- durch Vergleich beendet worden wäre. Die Hälfte des zuletzt genannten Betrages habe die Beschwerdeführerin aufgrund der Vereinbarung aus 1982 an Dkfm. M. weitergeben müssen. Im Zeitpunkt des Todes des Vaters der Beschwerdeführerin sei die Kapitalforderung gegen die Republik wertlos gewesen; erst durch die 1988 und 1989 geschlossenen Vergleiche hätten die Vermögensverluste ihres Vaters teilweise entschädigt werden können.

Am 24. Februar 1992 erging der endgültige Erbschaftssteuerbescheid, wobei der schon im vorläufigen Bescheid durch Ergänzung ermittelten Bemessungsgrundlage von S 438.572,-- der Betrag von S 5,300.000,-- hinzugerechnet wurde.

In ihrer Berufung verwies die Beschwerdeführerin neuerdings auf die geringen Erfolgsaussichten der beiden von ihrem Vater geführten Amtshaftungsprozesse. Dies ginge schon aus der 1982 getroffenen Vereinbarung mit Dkfm. M. hervor. Damals seien die Rechtsfolgen einer unzureichenden Bankenaufsicht ungewiß gewesen. Mit der vollen Realisierung des Ersatzanspruches sei weder im Todeszeitpunkt noch anläßlich der Einantwortung (12. Februar 1987) zu rechnen gewesen. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin errechne sich zum Stichtag der gemeine Wert der Forderung wie folgt:

S

Mit Vergleich vom 22. September 1989 seitens

der Finanzprokuratur anerkannte Forderung 10,600.000

abzüglich Rechtskosten (435.942)

10,164.058

davon entfiellen laut der Vereinbarung vom

28. Jänner 1982 auf Dkfm. Dr. M. (5,082.029)

auf sie entfallender Anteil (Nennwert) 5,082.029

Abschlag gemäß § 10 (2) BewG in Höhe von 75 %

des im Falle eines positiven Prozeßausganges

für sie denkbaren Realisats (3,811.521)

gemeiner Wert zum Stichtag 1,270.508

Mit Berufungsvorentscheidung vom 15. Juni 1992 wies das Finanzamt die Berufung unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 12. Oktober 1989, Zl. 88/16/0050, mit der Begründung ab, der Wert einer zum Todestag des Erblassers bestrittenen oder der Höhe nach ungewissen Forderung sei, wenn im Zeitpunkt der Bescheiderlassung keine Ungewißheit mehr bestehe, mit jenem Betrag anzusetzen, der dem Wert am Stichtag ohne Berücksichtigung der Ungewißheit des Bestehens der Forderung entspreche.

Im Vorlageantrag brachte die Beschwerdeführerin ergänzend vor, die Einbringlichkeit auch nur eines Teiles der Forderungen gegenüber der Republik Österreich wäre zum Zeitpunkt der Einantwortung äußerst ungewiß gewesen, weshalb den Forderungen zu diesem Zeitpunkt kein oder nur ein sehr geringer Wert beigemessen werden könne. Gemäß § 14 BewG seien Kapitalforderungen mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. In dem bekämpften Bescheid sei zu Unrecht nicht auf den Bewertungsstichtag unter Einbeziehung allfälliger werterhellender Ereignisse bis zur Einantwortung bezug genommen worden. Vielmehr habe das Finanzamt den Forderungen zum Zeitpunkt der Einantwortung jenen Wert beigemessen, der dem erst viel später durch den Vergleich mit der Finanzprokuratur realisierten Betrag entspreche. Bewertungsstichtag könne aber nicht der Zeitpunkt der Bescheiderlassung sein. Durch eine derartige Vorgangsweise würde den Vorschriften für die Bewertung von ungewissen Forderungen jeglicher Boden entzogen werden.

Dieser Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 12. Oktober 1989 wurde ausgeführt, daß auch bei einer am Stichtag zweifelhaften Forderung eine nach dem Stichtag eingetretene Klärung der Verhältnisse bei der Bewertung der Forderung auf den Stichtag berücksichtigt werden müsse.

Mit der vorliegenden Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf richtige Ausmittlung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftssteuer verletzt, insbesondere im Recht auf Berücksichtigung der im Zeitpunkt des Todes ihres Vaters (Stichtagsprinzip) bestehenden Unsicherheit hinsichtlich des Prozeßausganges. Sie begehrt Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten

und die Gegenschrift der belangten Behörde vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 18 ErbStG ist für die Wertermittlung, soweit in diesem Gesetze nichts anderes bestimmt ist, der Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld maßgebend. Nach § 19 Abs. 1 leg. cit. richtet sich die Bewertung - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - nach den Vorschriften des Ersten Teiles des Bewertungsgesetzes (Allgemeine Bewertungsvorschriften).

Gemäß § 14 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes 1955 sind Kapitalforderungen, die nicht im § 13 BewG bezeichnet sind, und Schulden mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Bei Forderungen oder Schulden ist daher die Bewertung mit dem Nennwert die Regel, von der nur in Ausnahmefällen - nämlich wenn besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen - eine Abweichung zulässig ist. Abgesehen von den in § 14 Abs. 2 BewG besonders geregeltem Fall der Uneinbringlichkeit werden als weitere Gründe, aus denen von der Bewertung mit dem Nennwert abgewichen werden kann, die Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel oder einer besonders hohen oder einer besonders niedrigen Verzinslichkeit einer Schuld genannt (vgl. hiezu Twaroch-Wittmann-Frühwald, Kommentar zum Bewertungsgesetz, 8. Ergänzungslieferung Jänner 1989, Seite 97 ff).

Im deutschen Rechtsbereich wurde ausgesprochen, daß der Umstand, daß über eine Kapitalforderung ein Rechtsstreit anhängig sei, ihren Ansatz nicht ausschließe. Im Regelfall solle eine vorläufige Veranlagung gemäß § 165 Abs. 1 AO durchgeführt werden und die endgültige Bewertung dann erst nach Abschluß des Rechtsstreites erfolgen. Dieselbe Sachbehandlung würde auch gelten, wenn zwar noch kein Rechtsstreit anhängig sei, der Schuldner jedoch die Rechtmäßigkeit der Forderung bestreite. Schwierigkeiten der Beurteilung einer Rechtsfrage seien für sich allein noch kein besonderer Umstand, der die Bewertung der Kapitalforderung unter ihrem Nennwert rechtfertigen würde (siehe die Nachweise bei Rössler-Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz - Kommentar16, RZ 18 zu § 12 dBewG).

In dem auch von den Verwaltungsbehörden herangezogenem Erkenntnis vom 12. Oktober 1989, Zl. 88/16/0050, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Zitierung deutscher Judikatur ausführlich dargetan, daß der Wert einer bestrittenen Forderung jedenfalls dann, wenn im Zeitpunkt der Veranlagung keine Ungewißheit mehr bestand, mit jenem Betrag anzusetzen sei, den sie am Stichtag OHNE Berücksichtigung der Ungewißheit ihres Bestehens gehabt hätte. Keineswegs sollte mit diesem Erkenntnis, wie Dorazil (Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz3, 453) kritisch anmerkt, der Grundsatz beiseite geschoben werden, daß es für die Bewertung einer Forderung auf die objektiven Verhältnisse am Stichtag anzukommen habe. Es soll vielmehr nicht darauf ankommen, ob die objektiven Verhältnisse am Stichtag schon vollständig feststellbar sind.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von dem mit dem Erkenntnis vom 12. Oktober 1989 beschrittenen Weg abzugehen, zumal im vorliegenden Fall gerade durch den Vergleich bestätigt wurde, daß der Nennwert der Forderungen realistisch war. Dem Umstand, daß die Beschwerdeführerin durch den Vergleich das Verfahren beendete, kommt keine Bedeutung zu, weil der Vergleichsbetrag nicht höher ist als der Klagsbetrag; durch die Heranziehung des geringeren Vergleichsbetrages (und der Kostentragungsregelung) kann die Beschwerdeführerin in keinem Recht verletzt sein.

Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin mit ihrem Hinweis auf das Erkenntnis vom 25. Jänner 1957, Slg. 1582/F. Dort wurde einem Schadenersatzanspruch am Stichtag kein tatsächlicher Vermögenswert beigemessen, weil damals das Schadensausmaß noch gar nicht feststellbar war. Im vorliegenden Fall war das Aumaß des Schadens, dessen Ersatz begehrt wurde, in zwei Leistungsklagen beziffert worden und wurde seit Jahren über diese Forderungen prozessiert.

Auch aus dem Erkenntnis vom 6. Mai 1955, Slg. 1154/F, läßt sich für den Standpunkt der Beschwerdeführerin nichts gewinnen. Dort führte allein der unerwartete Vermögenszuwachs auf seiten des Schuldners nach dem Stichtag zur Anerkennung als nachträglich eingetretener Umstand, welcher am Stichtag noch nicht vorhanden war. Im vorliegenden Fall liegen solche Umstände in der Sphäre des Schuldners, die mit der Rechtsbeziehung zum Gläubiger in keinem Zusammenhang stehen, nicht vor.

Die Beschwerdeführerin legt anläßlich ihrer Verfahrensrüge nicht dar, inwieweit sich durch eine Einsicht in die Prozeßakten neue Tatsachengrundlagen ergeben hätten, aufgrund derer die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG). Sollte die Eigeninitiative der Beschwerdeführerin darin bestanden haben, das unterbrochene Verfahren nach dem Tod ihres Vaters fortzusetzen (die Beschwerde bietet diesbezüglich keinen Anhaltspunkt; Anhaltspunkt mag aber die im Schreiben der Beschwerdeführerin vom 9. Dezember 1991 angegebene neue Geschäftszahl

52c Cg 1062/88) sein, weil es für die Beurteilung der Frage, ob besondere Umstände im Sinne des § 14 BewG vorliegen, auf die Klagserhebung allein nicht ankommen kann (vgl. Rössler-Troll aaO). Nichts anderes gilt, wenn ein durch Klagserhebung in Gang gesetztes Verfahren aus Kostengründen deshalb unterbrochen wird, damit die Rechtsfrage in einem anderen Verfahren mit einem geringeren Streitwert gelöst werden kann.

Von der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien und die vorgelegten Akten des Verwaltungsverahrens erkennen ließen, daß eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ. Dazu kommt, daß es § 36 Abs. 8 VwGG der Beschwerdeführerin erlaubt hätte, sich schriftlich zur Gegenschrift der belangten Behörde zu äußern.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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