VwGH 93/15/0042

VwGH93/15/004214.9.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger,

Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Mag. Wochner, über die Beschwerde der Dkfm. M in X, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in X, gegen die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheit der Umsatzsteuer und Einkommensteuer für die Jahre 1985 bis 1987, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13;
AVG §37;
BAO §115 Abs1;
BAO §250 Abs1;
BAO §85;
AVG §13;
AVG §37;
BAO §115 Abs1;
BAO §250 Abs1;
BAO §85;

 

Spruch:

Die Berufung der Beschwerdeführerin vom 28. Februar 1990 gegen die vom Finanzamt in wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1985 bis 1987 wird zurückgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 6.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin übte im Streitzeitraum den Beruf eines Steuerberaters aus. Im Anschluß an eine in ihrem Unternehmen durchgeführte abgabenbehördliche Prüfung nahm das Finanzamt Baden mit Bescheiden je vom 27. Dezember 1989 die Verfahren betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Streitjahre gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ unter einem der Beschwerdeführerin nachweislich am 8. Jänner 1990 zugestellte neue Sachbescheide.

Mit Schriftsatz vom 1. Februar 1990 stellte die Beschwerdeführerin das nachfolgend im maßgebenden Teil im Wortlaut wiedergegebene Ansuchen um Verlängerung der Berufungsfrist:

"Ich werde gegen die Wiederaufnahmebescheide auf Grund der Betriebsprüfung (Umsatzsteuer und Einkommensteuer 1985-1987), Berufung einlegen.

Durch die Neuinstallation einer Computeranlage in den letzten Wochen, sowie wegen der damit verbundenen Umstellungs- und Einschulungsarbeiten, war es mir nicht möglich die Berufung fristgerecht auszuarbeiten. Ich ersuche daher das Finanzamt höflichst, die Berufungsfrist um einen Monat zu verlängern."

Mit Bescheid vom 5. Februar 1990 gab das Finanzamt diesem Ansuchen zur Einbringung einer Berufung "gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Einkommen- und Umsatzsteuer 1985-1987" statt und verlängerte die Berufungsfrist bis 1. März 1990.

Mit dem am 1. März 1990 zur Post gegebenen Schriftsatz vom 28. Februar 1990 erhob die Beschwerdeführerin "Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheide auf Grund einer Betriebsprüfung für die Jahre 1985 bis 1987". In weiterer Folge führte sie allerdings aus, daß sich das Rechtsmittel gegen die Nichtanerkennung diverser ausschließlich betrieblich bedingter Ausgaben sowie gegen die Nichtberücksichtigung von Investitionsbegünstigungen für die im Zuge der Betriebsprüfung aktivierten Aufwendungen richte. In der der Berufung beigegebenen gegliederten Begründung wird nicht die amtswegige Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren für die Streitjahre, sondern die Nichtanerkennung als rein betrieblich erachteter Aufwendungen (für Büromaterial, für Fachbücher, für einen Wachhund, für geringwertige Wirtschaftsgüter und für Aushilfen) bei diesen Abgabenfestsetzungen bekämpft.

Gegen die in der Angelegenheit ergangene abweisliche Berufungsvorentscheidung beantragte die Beschwerdeführerin fristgerecht die Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Mit Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat VII, vom 19. April 1991 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die die WIEDERAUFNAHME der Verfahren hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer für die Streitjahre betreffenden Bescheide des Finanzamtes vom 27. Dezember 1989 als unbegründet abgewiesen.

Mit der vorliegenden, am 17. Februar 1993 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Säumnisbeschwerde macht die Beschwerdeführerin die Verletzung der Entscheidungspflicht über ihre Berufung gegen die in wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen UMSATZ- UND EINKOMMENSTEUERBESCHEIDE für die Streitjahre geltend.

Mit der der belangten Behörde am 30. März 1993 zugestellten Berichterverfügung vom 16. März 1993 leitete der Verwaltungsgerichtshof über die Säumnisbeschwerde das Vorverfahren gemäß § 35 Abs 3 VwGG ein. Der belangten Behörde wurde aufgetragen, gemäß § 36 Abs 2 VwGG innerhalb der Frist von drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt.

In ihrer Gegenschrift und in ihrer ergänzenden Äußerung vertritt die belangte Behörde die Rechtsansicht, die Berufung der Beschwerdeführerin vom 28. Februar 1990 habe sich nicht gegen die in wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre gerichtet, "sondern unmißverständlich nur gegen die Wiederaufnahmebescheide". Dies gehe insbesondere aus den Ausführungen auf § 6 f der bereits erwähnten Berufungsentscheidung vom 19. April 1991 hervor. Da die belangte Behörde demnach nicht säumig geworden sei, werde die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde ist unter anderem, daß jene Behörde, der Säumnis zur Last gelegt wird, verpflichtet war, über einen Antrag zu entscheiden. Besteht Entscheidungspflicht über einen Antrag und entscheidet die Behörde hierüber nicht innerhalb der Frist des § 27 VwGG, so ist die Erhebung einer Säumnisbeschwerde zulässig, auch wenn die versäumte Entscheidung nur in einer Zurückweisung des Antrages bestehen konnte (vgl den hg Beschluß eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg Nr 9458/A).

Ob die belangte Behörde im Gegenstand der nunmehrigen Säumnisbeschwerde säumig geworden ist, hängt nach Lage des Falles davon ab, ob die Berufung der Beschwerdeführerin vom 28. Februar 1990 ungeachtet ihrer diesfalls verfehlten Bezeichnung in Wahrheit als gegen die unter einem mit den Wiederaufnahmsbescheiden erlassenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre gerichtet aufzufassen ist. Dies ist bei dem oben wiedergegebenen Inhalt der Berufung aus folgenden Gründen der Fall:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Beurteilung des Charakters eines Anbringens sein wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen läßt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend. Es kommt nicht auf Bezeichnungen und zufällige Verbalformen an, sondern auf den Inhalt des Anbringens, das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes. Ist erkennbar, daß ein Antrag entgegen seinem Wortlaut auf etwas anderes abzielt, kommt es auf die erkennbare Absicht des Einschreiters an (vgl hiezu beispielsweise die hg Erkenntnisse vom 24. April 1985, Zl 85/11/0035, vom 22. Dezember 1988, Zl 87/17/0197, und vom 8. April 1992, Zl 91/13/0123).

Im vorliegenden Fall zielte die BERUFUNG der Beschwerdeführerin vom 28. Februar 1990 nach ihrem Inhalt eindeutig auf Bekämpfung der gegen die in wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen UMSATZ- UND EINKOMMENSTEUERBESCHEIDE für die Streitjahre ab. Da sich aber das dieser Berufung vorangegangene Ansuchen um Verlängerung der Berufungsfrist und der diese Fristerstreckung bewilligende Bescheid ebenso eindeutig lediglich auf WIEDERAUFNAHMSbescheide beziehen, hat die Beschwerdeführerin ihre Berufung gegen die Sachbescheide nach Ablauf der Berufungsfrist, also verspätet, erhoben. Die Berufung der Beschwerdeführerin wäre daher schon vom Finanzamt gemäß § 273 Abs. 1 lit. b BAO zurückzuweisen gewesen. Mangels einer solchen Zurückweisung hätte die belangte Behörde die Berufung gemäß § 278 leg. cit. durch Zurückweisung zu erledigen gehabt. Da sie dieser ihrer Entscheidungspflicht aber nicht innerhalb der Frist gemäß § 27 VwGG nachgekommen ist und auch verabsäumt hat, diesen Bescheid innerhalb der vom Berichter gesetzten Frist nachzuholen, war diese Erledigung von dem an Stelle der belangten Behörde entscheidenden Verwaltungsgerichtshof, auf den die Zuständigkeit zur Entscheidung mit dem ungenützten Ablauf der gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten Frist übergegangen ist, zu treffen.

Aus dem hg Erkenntnis vom 24. Jänner 1990, Zl 86/13/0146, ist für den Rechtsstandpunkt der belangten Behörde schon deswegen nichts zu gewinnen, weil in jenem Fall der Sachverhalt anders als im nunmehrigen Beschwerdefall gelagert war. Damals war nämlich - anders als nunmehr - das nachträgliche Hervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln in der Berufung bestritten worden, weswegen die Frage zu lösen war, ob neben der Berufung gegen einen Wiederaufnahmsbescheid a u c h eine Berufung gegen einen Sachbescheid erhoben worden war; dies konnte mangels ausreichender Anhaltspunkte hiefür nicht angenommen werden; im Beschwerdefall zielte die Berufung dagegen nur auf die Bekämpfung von in wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Sachbescheiden ab. Von "wiederaufgenommenen Bescheiden" ist nur am Beginn der Berufung die Rede, wobei diese Wortwahl auf Grund der Anführung, wogegen sich die Berufung richtet, und der beigegebenen Begründung zweifelsfrei als fehlerhaft zu erkennen ist.

Der Wortlaut des FRISTERSTRECKUNGSANSUCHENS war hingegen auch unter Berücksichtigung der Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe anläßlich des Abschlusses der abgabenbehördlichen Prüfung eine Berufung gegen die Sachbescheide in Aussicht gestellt, nicht undeutlich und gab zu einer Rückfrage bei der Beschwerdeführerin, wie sie bei Zweifeln der Behörde über den Inhalt einer Parteierklärung geboten gewesen wäre (vgl hiezu beispielsweise das hg Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg Nr 11625/A), keinen Anlaß. Auch war der Beschwerdeführerin - im besonderen Maße auf Grund des von ihr ausgeübten Berufes - jedenfalls vor Einbringung ihrer Berufung vom 28. Februar 1990 die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Wiederaufnahmsbescheiden einerseits und in wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Sachbescheiden anderseits sowie eine entsprechende Wortwahl in ihrem Fristerstreckungsantrag zuzusinnen. Da die Beschwerdeführerin an ihre frühere Ankündigung gegenüber Organen der Finanzverwaltung, gegen die in wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Sachbescheide Berufung zu erheben, nicht gebunden ist, stand es ihr frei, von ihrem ursprünglichen Vorhaben Abstand zu nehmen oder es zu modifizieren. Der oben wiedergegebene Wortlaut des Fristerstreckungsansuchens läßt sich jedenfalls nicht als auf die Sachbescheide abzielend verstehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

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