Normen
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1;
AVG §69 Abs2;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1;
AVG §69 Abs2;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 25. August 1991 verstorbene Ehegatte der Beschwerdeführerin bezog seit langem eine Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG) entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 % (als Dienstbeschädigung i.S.d. § 4 KOVG waren der Verlust des rechten Oberschenkels, ein Stecksplitter in der rechten Lunge und eine basale Rippenfellverwachsung anerkannt).
Am 30. Jänner 1991 hatte der Ehegatte der Beschwerdeführerin (Versorgungsberechtigte) den Antrag auf Zuerkennung einer Pflegezulage nach § 18 KOVG gestellt, weil er seit "vorigem Sommer durch Krankheit und dauernde Bettlägerigkeit schwerstbehindert" sei und seit September neben seiner Gattin eine zusätzliche Pflegerin (Tag und Nacht) benötige.
Nach Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens (Hausbesuch am 4. April 1991) gab das Landesinvalidenamt diesem Antrag mit Bescheid vom 23. April 1991 keine Folge. Es liege zwar Hilflosigkeit vor, diese sei jedoch ausschließlich durch akausale Leiden (Zustand nach Entfernung der rechten Niere bzw. Prostataoperation) verursacht.
Der gegen diesen Bescheid am 17. Juni 1991 eingebrachten Berufung, in der neuerlich auf die Hilfslosigkeit des Versorgungsberechtigten hingewiesen wurde, war ein Schreiben des Hausarztes angeschlossen. Darin führte dieser aus, die Hilflosigkeit (Bettlägerigkeit) sei primär durch das Fehlen des rechten Beines bedingt und der Versorgungsberechtigte sei erst sekundär durch das Prostataleiden geschwächt. Eine Pflegezulage sei "sicher indiziert".
Im Berufungsverfahren beauftragte die belangte Behörde - nach Einholung der Krankengeschichte - neuerlich einen ärztlichen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Berechtigung der Pflegezulage. Das Gutachten, das ebenfalls nach erfolgtem Hausbesuch erstattet wurde, datiert vom 9. September 1991. Nach Darstellung des Befundes wird im Gutachten die Beurteilung getroffen, der Versorgungsberechtigte sei praktisch ständig bettlägerig, er benötige für sämtliche lebensnotwendigen Verrichtungen ständige "Pflege und Wartung". Diese Pflegebedürftigkeit sei jedoch zur Gänze auf das schwere akausale Leiden (Tumorkachexie mit allgemeiner Schwäche bei Neoplasma der Prostata und der Nephrostoma links) zurückzuführen, der Dienstbeschädigung komme hiebei keine zusätzliche Bedeutung zu.
Nach Erklärung zur Fortsetzung des Verfahrens nach dem Tode des Versorgungsberechtigten gemäß § 48a Abs. 2 KOVG übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Sachverständigengutachten am 3. Dezember 1991 zur allfälligen Stellungnahme. In einer niederschriftlichen Stellungnahme vom 12. Dezember 1991 bezog sich die Beschwerdeführerin auf den jahrelangen Leidenszustand ihres Ehegatten und führte dazu u.a. aus, daß dieser bereits seit Jahren wegen der Beinamputation rechts und der Schwächung des linken Fußes auf die ständige Benützung des Rollstuhles angewiesen und völlig unbeweglich gewesen sei. Auch ohne Berücksichtigung der Tumorerkrankung sei er aufgrund der Kriegsverletzung und "wahnsinniger Phantomschmerzen rund um die Uhr pflegebedürftig" gewesen.
Mit Bescheid vom 19. März 1992 gab die belangte Behörde dem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 48a Abs. 2 KOVG statt, der Berufung jedoch keine Folge. Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten werde als schlüssig erkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrundegelegt. Demnach sei die seinerzeit bestandene Pflegebedürftigkeit des Versorgungsberechtigten vor allem durch die schweren akausalen Leiden verursacht gewesen.
Mit Schriftsatz vom 19. November 1992 brachte die Beschwerdeführerin beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland betreffend den "Bescheid der Schiedskommission vom 19.03.1992" einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein. Die "Kriegsleiden" für die Dienstbeschädigung seien nicht in vollem Umfang berücksichtigt, "so wie es hätte werden müssen:
Hofrat B hat bereits seit 1974, d.h. seit oder vor seiner Pensionierung, so schwere Belastungschäden erhalten, die nicht nur sein amputiertes rechtes Bein und den Stumpf betrafen, sondern sehr schwere Erkrankungen am verbliebenen linken Bein bis hinauf in die Beckengegend und den Nieren bewirkten, sodaß die GRUNDRENTE unter Berücksichtigung der MITTELBAREN Dienstbeschädigung erhöht hätte werden müssen und die GLEICHWERTIGKEIT der Leiden gegeben war und daher zur Zuerkennung der Pflegezulage führen hätte müssen.
Nur seine sonstige beste Kondition und eiserner Wille liessen ihm diese TOTALBEHINDERUNG das Leben noch wert erscheinen. Erst lange nachher, nämlich 1990, kam die Erkrankung der Prostata hinzu.
Ich ersuche daher aus dem dargelegten Grunde um die Wiederaufnahme des Verfahrens."
Diesem Antrag war ein Schreiben des Hausarztes vom 18. November 1992 angeschlossen, in dem dieser auf die jahrzehntelange Behandlung des Versorgungsberechtigten wegen "Überlastungsschäden seines verbliebenen linken Beines" hinwies. Noch in seiner aktiven Zeit (ca. 1974) habe der Versorgungsberechtigte tageweise wegen dieser Schäden und wegen "Stumpfwunden" seine Prothese nicht verwenden und deren Abheilung abwarten müssen. Aus diesen Gründen sei der Patient in den letzten Lebensjahren weder geh- und stehfähig gewesen und habe deshalb ständig bettlägerig betreut werden müssen.
Am 8. März 1993 wurde weiters eine Stellungnahme des den Versorgungsberechtigten behandelnden Primararztes vorgelegt. Auch damit werde nachgewiesen, daß die körperliche Bewegungseinschränkung nicht auf die urologische Erkrankung, sondern auf die Beinamputation im Zusammenhang mit dem fortgeschrittenen Alter und der ständigen Überlastung des zweiten Beines zurückzuführen gewesen sei. In der mit 1. März 1993 datierten Bestätigung des Primararztes ist davon die Rede, daß der Versorgungsberechtigte seit 1989 wegen eines Prostatakarzinoms in Behandlung gewesen sei. Mit Ausnahme der letzten Wochen vor seinem Tod sei die urologische Erkrankung (das Prostatakarzinom) nicht für die Bewegungseinschränkung des Patienten "verantwortlich gewesen".
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. Juli 1993 wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 19. März 1992 abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 4 AVG i.V.m. § 95 KOVG ab. Die Beschwerdeführerin habe mit Antrag vom 19. November 1992 die Wiederaufnahme begehrt, weil nunmehr Beweismittel vorgelegt werden könnten, die die Pflegebedürftigkeit bezeugten. Es seien ein "Befundbericht" des praktischen Arztes und ein Krankenhausbericht beigebracht worden. Die für eine Wiederaufnahme des Verfahrens geltend zu machenden rechtserheblichen neuen Tatsachen oder Beweismittel dürften nicht neu entstanden, sondern nur neu hervorgekommen sein. Die dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beigefügten ärztlichen Atteste datierten vom 18. November 1992 und vom 1. März 1993 und hätten somit nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt bestanden; sie stellten daher keine neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel i.S.d. § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG dar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG i.V.m. § 86 Abs. 1 KOVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß § 95 KOVG binnen einem Monat von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmegrund Kennntis erlangt hat, beim zuständigen Landesinvalidenamt einzubringen.
Eine positive Entscheidung über einen auf § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG gestützten Wiederaufnahmeantrag setzt demnach u.a. voraus, daß in dieser Bestimmung näher qualifizierte "neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen" und der Antragsteller seinen Antrag innerhalb der im § 95 KOVG normierten subjektiven Frist stellt. Neu hervorgekommene Tatsachen sind nur solche, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden; erst nach Abschluß des Verfahrens entstandene Tatsachen sind nicht neu hervorgekommen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 13. November 1990, 89/08/0041, m.w.N.). "Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, auch wenn es sich um "innere Vorgänge" handelt, nicht aber Rechtsänderungen oder spätere Gutachten über die Tatsachen (auch NICHT NEUE SCHLUßFOLGERUNGEN aus UNVERÄNDERTEN BEFUNDTATSACHEN), ebenso nicht das nachträgliche Erkennen, daß im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Verfahrensmängel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen ist oder die Unkenntnis der Gesetzeslage (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 1991, 91/03/0101, und vom 19. Februar 1992, 90/12/0224, m.w.N.).
In der Beschwerde wird vorgebracht, daß die "neu hervorgekommenen Beweismittel" nicht die vorgelegten Bestätigungen seien, sondern der Inhalt der Krankengeschichte. Diese habe zwar schon früher existiert, der "Inhalt dieser Geschichte war jedoch für einen medizinischen Laien nicht erkennbar". Die Behörde wäre verpflichtet gewesen, Erhebungen darüber zu pflegen, wann die behaupteten "Tatsachen bzw. Beweismittel" der Beschwerdeführerin bekannt geworden seien. Erst durch die Bestätigungen habe sich "klar ergeben", daß die Pflegebedürftigkeit durch die Kriegsverletzungen verursacht gewesen sei und nicht durch das Prostatakarzinom. Für einen medizinischen Laien werde es "immer schwierig sein, die Kausalität von Kriegsverletzungen einerseits und 40 Jahre später auftretenden Krankheitsbildern andererseits festzustellen".
Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschwerdeführerin die zu § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG bestehende Rechtslage. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Wiederaufnahmeantrag nicht nur den Wiederaufnahmegrund, sondern auch Angaben über die Rechtzeitigkeit der Erhebung des Begehrens und damit auch den Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Wiederaufnahmegrundes seitens des Antragstellers datumsmäßig oder sonst genau bestimmbar zu enthalten. Fehlen diese Angaben im Wiederaufnahmeantrag ist dieser - ohne weitere Erhebungspflicht der Behörde - wegen inhaltlicher Mängel zurückzuweisen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Mai 1990, 90/09/0071, und vom 18. März 1993, 92/09/0212, m.w.N.).
Selbst wenn dem - auch hinsichtlich des geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes keineswegs klar formulierten - Antrag vom 19. November 1992 das in der Beschwerde dargelegte Verständnis beizumessen wäre, wonach der "Inhalt der Krankengeschichte" (wobei hier auch nach der Beschwerdeschrift weiterhin unklar bleibt, ob hier nicht doch wiederum nur die aus unveränderten Befundtatsachen gezogenen Schlußfolgerungen gemeint sind) das neu hervorgekommene Beweismittel sein sollte, hätte die Behörde diesen Antrag wegen fehlender Angaben über dessen Rechtzeitigkeit zurückweisen müssen. Dadurch, daß die belangte Behörde den Antrag - wenn auch unter nach dem Beschwerdevorbringen unrichtiger Annahme der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe - meritorisch erledigt hat (anstatt ihn zurückzuweisen), wurde die Beschwerdeführerin daher insgesamt in keinem Recht verletzt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. März 1989, 88/11/0143).
Die Beschwerde, deren Antrag auf "Stattgabe des Wiederaufnahmeantrages, in eventu Aufhebung und Zurückverweisung an die belangte Behörde" im übrigen gemäß § 28 Abs. 1 Z. 6 i.V.m. § 42 Abs. 2 VwGG verfehlt war, war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG i.V.m. Art. I B Z. 4 und 5 der gemäß ihrem Art. III Abs. 2 anzuwendenden Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
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