VwGH 92/12/0282

VwGH92/12/028229.4.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Herberth und Dr. Germ als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Stöckelle, in der Beschwerdesache des Dr. G in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten vom 2. Juni 1992, Zl. 475723/284-VI.1/92, betreffend Aufwandersatz, und über den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
RAO 1868 §10 Abs3;
VwGG §24 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
RAO 1868 §10 Abs3;
VwGG §24 Abs2;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

1. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Beschwerdefrist wird nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer brachte am 7. August 1992 eine Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG beim Verfassungsgerichtshof ein, die mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und dem Eventualantrag auf "Überweisung" an den Verwaltungsgerichtshof verbunden war.

Die Beschwerde richtete sich gegen den Bescheid des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten vom 2. Juni 1992, dem Beschwerdeführer zugestellt am 10. Juni 1992. Nach dem Aufbau der Beschwerdeschrift steht zu Beginn der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der nicht an ein bestimmt bezeichnetes Gericht gerichtet wird. Im Punkt II der Beschwerdeschrift wird die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 B-VG ausgeführt und schließlich der Eventualantrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gestellt.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 15. Oktober 1992, Zl. B 1014/92, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Begründung dieses Beschlusses wird ausgeführt, die (nicht auf das Vorliegen sämtlicher Prozeßvoraussetzungen beurteilte) Beschwerde rüge die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Die Sache sei auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen. Demgemäß sei beschlossen worden, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, ohne daß auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingegangen zu werden brauchte (vgl. in diesem Zusammenhang den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1992, Zl. 88/17/0207).

Vorweg ist aus den im zuletzt zitierten Beschluß genannten Gründen - ohne Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung - über den in der abgetretenen Beschwerde enthaltenen Wiedereinsetzungsantrag abzusprechen. Dies im vorliegenden Fall umso mehr, als der Wiedereinsetzungsantrag nicht ausdrücklich an den Verfassungsgerichtshof gerichtet ist, sodaß vor meritorischer Behandlung der Beschwerde die Prozeßvoraussetzung der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung jedenfalls vom Verwaltungsgerichtshof zu prüfen ist (vgl. auch Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1992, Zl. 92/18/0424 und vom 16. Dezember 1992, Zlen. 92/02/0273 und 0274).

In dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, der angefochtene Bescheid sei ihm am 10. Juni 1992 zugestellt worden. Er habe beabsichtigt, Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG zu erheben und sich deshalb am 22. Juni 1992 an die Rechtsanwaltskammer Wien zur Beigebung eines Anwaltes gemäß § 10 Abs. 3 RAO gewendet. Am 26. Juni 1992 sei das Schreiben des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, mit dem bekanntgegeben worden sei, daß Dr. M mit der Vertretung des Beschwerdeführers beauftragt worden sei, diesem zugestellt worden, doch habe dieses Schreiben das Zustelldatum des anzufechtenden Bescheides nicht enthalten. Bei der Besprechung vom 13. Juli 1992 habe der Rechtsanwalt den Beschwerdeführer gefragt, ob er den Antrag fristgerecht gestellt hätte, was der Beschwerdeführer bejaht habe. Es habe sich aber um ein Mißverständnis dahin gehandelt, daß der Rechtsanwalt - im Gegensatz zum Beschwerdeführer - die "Verfassungsbeschwerde" verbunden mit dem Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwaltes nach § 10 Abs. 3 RAO gemeint hätte, die Antwort des Beschwerdeführers sich aber ausschließlich auf den Antrag an die Rechtsanwaltskammer Wien um Beigabe eines Vertreters bezogen habe. Der Rechtsanwalt sei anläßlich dieser Besprechung irrtümlich davon ausgegangen, daß die Frist zur Erhebung der Beschwerde bereits gewahrt sei und die ihm zur Verfügung stehende Frist zur Ausführung der Beschwerde vom Zeitpunkt der Zustellung der Benachrichtigung der Rechtsanwaltskammer Wien (26. Juni 1992) zu laufen beginne. Einen Tag nach dieser Besprechung habe sich der Rechtsanwalt vorsichtshalber telefonisch beim Verfassungsgerichtshof darüber erkundigt, ob bereits ein Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers anhängig sei, was ihm von der Geschäftsstelle des Verfassungsgerichtshofes mit dem Hinweis auf das anhängige Verfahren, Zl. B 300/92, bestätigt und außerdem der zuständige Referent genannt worden sei. Der Rechtsanwalt habe in der Folge mehrfach versucht, den Referenten zur Übermittlung der beim Verfassungsgerichtshof aufliegenden Unterlagen zu erreichen. Erst am 30. Juli 1992 habe sich bei der telefonischen Besprechung herausgestellt, daß es sich bei der Geschäftszahl B 300/92 nicht um die gegenständliche (beabsichtigte) "Verfassungsbeschwerde" handle, sondern eine andere vom Beschwerdeführer eingebrachte "Verfassungsbeschwerde".

Erst am 30. Juli 1992 sei für den Rechtsanwalt die Annahme weggefallen, daß die Frist zur Einbringung der "Verfassungsbeschwerde" erst mit 26. Juni 1992 zu laufen begonnen habe. Der diesbezügliche Irrtum des Vertreters des Beschwerdeführers beruhe auf einem unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignis. Das hindernde Ereignis beruhe nicht auf einem Versehen des Vertreters - sondern wenn überhaupt - bloß auf einem Versehen minderen Grades des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer sei davon ausgegangen, daß im Falle der Beigebung eines Anwaltes nach § 10 Abs. 3 RAO die Frist für die Beschwerde nach Art. 144 B-VG erst mit der Bestellung des Anwaltes zu laufen beginne.

Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Unkenntnis des Gesetzes, mit der sich übrigens gemäß § 2 ABGB niemand entschuldigen kann, für sich allein nicht als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zu werten, das die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 46 Abs. 1 VwGG bilden könnte (vgl. Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 1947, Slg. N.F. Nr. 180/A, vom 27. April 1983, Zl. 83/01/0149 bis 0190, und Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Februar 1986, Zl. 85/06/0171). Mangelnde Rechtskenntnis oder Rechtsirrtum sind nicht als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG zu werten. Das ergibt ganz allgemein schon die Überlegung, daß die rein subjektive Beurteilung einer bestimmten Rechtslage den Beschwerdeführer niemals hindern kann, sich über die Wirkung eines Bescheides vorsorglich bei Rechtskundigen zu informieren (vgl. auch Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. November 1980, Slg. N.F. Nr. 10309/A, vom 15. Jänner 1985,

Zlen. 84/04/0234, 0235, vom 22. Jänner 1986,

Zlen. 85/09/0284, 0285, u.a.). Dies gilt umso mehr für einen Bundesbediensteten, der - wie der Beschwerdeführer - als rechtskundiger Beamter im Sinne des § 24 Abs. 2 VwGG anzusehen ist.

Der Umstand, daß der Beschwerdeführer infolge seines Rechtsirrtums, durch die Stellung eines Antrages gemäß § 10 Abs. 3 RAO bei der Rechtsanwaltskammer werde die Frist zur Erhebung der Beschwerde gewahrt, diese Frist versäumt hat, kann nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis angesehen werden. Die Unkenntnis bzw. Nichtbeachtung der zur Wahrung einer gesetzlichen Frist erforderlichen Handlungen kann beim Beschwerdeführer keinen bloß minderen Grad des Versehens darstellen (vgl. auch Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juni 1986, Zl. 82/03/0074).

Dem Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers konnte mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 VwGG nicht stattgegeben werden.

Damit war die vorliegende Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen.

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