VwGH 92/02/0263

VwGH92/02/02638.6.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Stoll, Dr. Waldner, Dr. Bernard, DDr. Jakusch, Dr. Baumann, Dr. Kratschmer und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 30. Juni 1992, Zl. UVS-03/16/01624/92, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art7 Abs1;
StVO 1960 §23 Abs1;
StVO 1960 §23 Abs2;
StVO 1960 §23 Abs3;
StVO 1960 §24 Abs1;
StVO 1960 §24 Abs3 litb;
StVO 1960 §24 Abs3;
StVO 1960 §55 Abs8 idF 1986/105;
StVO 1960 §9 Abs7;
StVONov 13te;
VStG §1;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwRallg;
EMRK Art7 Abs1;
StVO 1960 §23 Abs1;
StVO 1960 §23 Abs2;
StVO 1960 §23 Abs3;
StVO 1960 §24 Abs1;
StVO 1960 §24 Abs3 litb;
StVO 1960 §24 Abs3;
StVO 1960 §55 Abs8 idF 1986/105;
StVO 1960 §9 Abs7;
StVONov 13te;
VStG §1;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 30. Juni 1992 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug schuldig erkannt, am 18. Juli 1991 an einem bestimmten Ort in Wien einen dem Kennzeichen nach bestimmten Anhänger "außerhalb der Bodenmarkierungen, nämlich in der Einfahrt des genannten Hauses" abgestellt zu haben. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 9 Abs. 7 StVO 1960 begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem verstärkten Senat im Sinne des § 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG erwogen:

Entgegen dem Beschwerdevorbringen vermag der Verwaltungsgerichtshof einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 31 VStG nicht zu erblicken. Es trifft nämlich nicht zu, daß der Vorwurf, es sei ein "Anhänger" vorschriftswidrig abgestellt worden, erstmals im angefochtenen Bescheid erhoben wurde. Es wurde vielmehr bereits im Ladungsbescheid vom 19. November 1991 dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, "der Anhänger" sei quer vor der Hauseinfahrt abgestellt gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag aber auch der Argumentation des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe ihm mit der Bezeichnung des Tatortes "in der Einfahrt des Hauses" einen Tatort zur Last gelegt, der auf Privatgrund liege, nicht zu folgen. Zwar ist die von der belangten Behörde getroffene Wortwahl grammatikalisch verunglückt, doch ist aus dem gegebenen Zusammenhang, insbesondere aus dem Hinweis auf vorhandene Bodenmarkierungen erkennbar, daß als Tatort "vor der Einfahrt des genannten Hauses" gemeint ist.

Gemäß § 9 Abs. 7 StVO 1960 haben dann, wenn die Aufstellung der Fahrzeuge zum Halten oder Parken durch Bodenmarkierungen geregelt wird, die Lenker die Fahrzeuge dieser Regelung entsprechend aufzustellen. Hiebei sind nach Maßgabe des zur Verfügung stehenden Platzes mehrere einspurige Fahrzeuge in eine für mehrspurige Fahrzeuge bestimmte Fläche aufzustellen.

Der Anhänger, dessen Aufstellung dem Beschwerdeführer im Sinne des § 44a Z. 1 VStG zur Last gelegt wurde, stand parallel zum Fahrbahnrand vor einer Hauseinfahrt. Seitlich der Hauseinfahrt war durch Bodenmarkierungen das "Schrägparken" angeordnet. Der Anhänger berührte den von den Bodenmarkierungen erfaßten Fahrbahnteil nicht.

Zur Frage, ob § 9 Abs. 7 StVO 1960 auf einen Sachverhalt wie diesen überhaupt anzuwenden ist, wurde in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausdruck gebracht, daß Bodenmarkierungen das Verhalten von Fahrzeuglenkern dort, wo sich die Bodenmarkierungen befinden, zwingend regeln; außerhalb der Bodenmarkierungen sei kein Platz für das Halten und Parken; das Halten und Parken außerhalb der Bodenmarkierungen sei verboten (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 1969, Zl. 1042/69, sowie daran anschließend die Erkenntnisse vom 28. April 1976, Zl. 2036/75, vom 30. September 1976, Zl. 2024/75, vom 11. September 1981, Zl. 02/3186/79, sowie vom 20. April 1989, Zl. 88/18/0346). Daraus wurde der Schluß gezogen, daß ein Lenker, der sein Fahrzeug ganz oder teilweise (vgl. das zitierte Erkenntnis vom 28. April 1976) auf einer Fahrbahnstelle, die unmittelbar neben einem durch Bodenmarkierungen zum Halten und Parken gekennzeichneten Fahrbahnteil lag - aber eben "außerhalb der Bodenmarkierung" -, zum Halten oder Parken abstellte, eine Übertretung nach § 9 Abs. 7 StVO 1960 zu verantworten habe. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf eine Fahrbahnseite, die keine Bodenmarkierungen aufweist, die aber einer durch Bodenmarkierungen gekennzeichneten Fahrbahnseite gegenüberliegt, wurde verneint (vgl. die Erkenntnisse vom 22. Oktober 1982, Slg. Nr. 10.867/A, und vom 2. Februar 1983, Zl. 81/03/0115). Dazu im offensichtlichen Gegensatz wurde im Erkenntnis vom 10. Oktober 1980, Slg. Nr. 10.261/A, die Anschauung vertreten, daß außerhalb des durch Bodenmarkierungen gekennzeichneten Bereiches das allgemeine Regime der StVO 1960 für das Halten und Parken - in concreto die §§ 23 Abs. 2 und 24 Abs. 1 lit. d - gelte.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag die Rechtsprechung insofern nicht aufrecht zu erhalten, als sie auch ein Verhalten nach § 9 Abs. 7 StVO 1960 unter Strafe gestellt sieht, bei dem der durch Bodenmarkierungen gekennzeichnete Teil der Fahrbahn vom abgestellten Fahrzeug überhaupt nicht berührt wird. Dem Wortlaut des § 9 Abs. 7 StVO 1960 ist derartiges nicht zu entnehmen. Dort, wo sich Bodenmarkierungen befinden, wird, wenn die Bodenmarkierungen nicht nur das zum Ausdruck bringen, was gesetzlich angeordnet ist, sie somit rechtlich überflüssig sind und lediglich informativen Charakter besitzen, die Aufstellung von Fahrzeugen abweichend vom Gesetz in verbindlicher Weise geregelt. Es kann damit durch Bodenmarkierungen das Aufstellen von Fahrzeugen an Stellen verboten werden, wo es nach dem Gesetz erlaubt wäre (etwa durch Zickzacklinien gemäß § 55 Abs. 4 zweiter Satz i.V.m. § 24 Abs. 3 lit. a StVO 1960, allenfalls durch Sperrflächen im Sinne des ersten Satzes des § 55 Abs. 4 i.V.m. § 24 Abs. 1 lit. m leg. cit.). Es kann mit Bodenmarkierungen umgekehrt das Halten und Parken erlaubt werden, wo es nach dem Gesetz verboten wäre (etwa auf Gehsteigen, in der Mitte von Plätzen oder gemäß § 24 Abs. 2 StVO 1960 abweichend von den dort genannten gesetzlichen Verboten; vgl. auch das Erkenntnis vom 20. November 1986, Zl. 86/02/0133). Es kann auch nur die Art der Aufstellung abweichend von der allgemeinen Regelung des § 23 Abs. 2 StVO 1960 vorgeschrieben werden (etwa durch Anordnung des sogenannten "Schrägparkens"). Die normative Wirkung der Bodenmarkierungen - bzw. der ihre Anbringung regelnden Verordnung (wie sie seit der Aufhebung des § 55 Abs. 8 in der Fassung der 13. Novelle durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28. September 1989, VfSlg. 12157/1989, wieder in Ansehung von Bodenmarkierungen, mit denen ein Verbot oder Gebot zum Ausdruck gebracht wird, erforderlich ist) - erstreckt sich in örtlicher Hinsicht nur auf den Bereich, der von den Bodenmarkierungen (zumindest teilweise) umschlossen ist. Der Lenker, der sein Fahrzeug von der so geschaffenen Ordnung abweichend aufstellt, handelt der Bodenmarkierung und damit dem § 9 Abs. 7 StVO 1960 zuwider. Außerhalb des genannten Bereiches gelten hingegen, sofern nicht eine andere Verordnungsbestimmung kundgemacht ist, die gesetzlichen Regeln für das Halten und Parken von Fahrzeugen, also die gesetzlichen Verbote nach § 24 Abs. 1 und 3 StVO 1960, im übrigen die Abs. 1 und 2 des § 23.

Es handelte sich bei der gegenteiligen bisherigen Rechtsprechung um eine verpönte, über den Wortsinn hinausgehende Auslegung. Die dieser Rechtsprechung zugrundeliegende Differenzierung in Fälle, in denen das Ende eines durch Bodenmarkierungen gekennzeichneten Fahrbahnbereiches bedeutet, daß dort das Halten und Parken nach § 9 Abs. 7 StVO 1960 verboten ist, und in solche, in denen dort das Aufstellen von Fahrzeugen nach den allgemeinen Regeln erlaubt sein soll, muß abgelehnt werden; dies widerspräche dem Gebot, daß insbesondere Strafbestimmungen möglichst unzweideutig zu sein haben und bei Normadressaten so wenig Zweifel wie möglich entstehen lassen dürfen.

Das bedeutet im vorliegenden Fall, daß in dem - von den das Schrägparken anordnenden Bodenmarkierungen ausgesparten - Bereich vor der Hauseinfahrt mangels anderer Verordnungsregeln das für solche Bereiche geltende allgemeine Regime der StVO 1960 (hier § 23 Abs. 3 und § 24 Abs. 3 lit. b) herrschte.

§ 9 Abs. 7 StVO 1960 in Verbindung mit den neben dem Einfahrtsbereich angebrachten Bodenmarkierungen entfaltete dagegen im Bereich vor der Hauseinfahrt keine Rechtswirkungen. Das Verhalten des Beschwerdeführers, nämlich das Abstellen eines Fahrzeuges vor der Einfahrt außerhalb des durch Bodenmarkierungen gekennzeichneten Fahrbahnteiles, verstieß damit nicht gegen den als verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a Z. 2 VStG herangezogenen § 9 Abs. 7 StVO 1960. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Vorlage nur einer Abschrift des angefochtenen Bescheides erforderlich war.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

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