Normen
AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Oktober 1992 wurde der Antrag des Beschwerdeführers - eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Nationalität - auf Gewährung von Asyl vom 31. Juli 1992 gemäß § 3 Asylgesetz 1991 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer macht unter Bezugnahme auf sein Vorbringen in seinem schriftlichen Asylantrag und seine Angaben bei der niederschriftlichen Vernehmung am 20. August 1992 primär geltend, daß er "als politischer Flüchtling" hätte anerkannt werden müssen. Er habe konkrete Verfolgungshandlungen gegen seine Person behauptet, die entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde "politisch motiviert" seien; es sei "ja auch", wie er ausführlich dargelegt habe, "der Überfall auf die Gendarmeriekaserne ein politisch motiviertes Vorgehen" gewesen, welches entsprechende Repressalien "ausgelöst" habe. Richtig ist, daß der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren zusammenfassend behauptet hat, im Zusammenhang mit seiner, den staatlichen Behörden seines Heimatlandes bekannt gewordenen, Beteiligung an einem Überfall der TKPLM (marxistisch-leninistische-kurdische-türkische Arbeiterpartei) im Jahre 1986 auf einer Gendarmerie- (bzw. Polizei-) Dienststelle, zu dem es auf Grund wiederholter Übergriffe gegen die dortige Bevölkerung gekommen sei und bei dem die anwesenden Gendarmen überwältigt und gefesselt sowie 72 Gewehre "mitgenommen" worden seien, gesucht zu werden.
Die belangte Behörde hat den Angaben des Beschwerdeführers - der sich demnach auch etwa fünf Jahre nach dem geschilderten Vorfall bis zu seiner Ausreise aus der Türkei im Untergrund befunden bzw. unter falschem Namen in einem anderen Bezirk aufgehalten und sich erst dann zur Flucht entschlossen habe, weil seine Familie zu ihm gekommen sei und er befürchtet habe, nunmehr "entdeckt" zu werden - nicht den Glauben versagt, sondern sie vielmehr ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Sie hat aber die Ansicht vertreten, den Ausführungen des Beschwerdeführers könnten keine Hinweise darauf entnommen werden, daß die Maßnahmen, die er in seinem Heimatland zu befürchten habe bzw. denen er ausgesetzt gewesen sei, eine asylbeachtliche Verfolgungsmotivation zugrunde liege. Diese Maßnahmen entsprächen vielmehr dem legitimen Anspruch jeden Staates, kriminelles Unrecht zu verfolgen und zu bestrafen. Wenn die Durchführung eines Strafverfahrens bzw. der Vollzug eines Strafurteiles darauf abziele, ein kriminelles Verhalten zu ahnden, dienten diese Maßnahmen einem solchen legitimen Zweck. Konkrete Verfolgungshandlungen gegen seine Person wegen seiner aktiven Mitgliedschaft zu einer verbotenen politischen Partei habe der Beschwerdeführer nicht behauptet. Die behördliche Ermittlungstätigkeit, die seine Person wegen seiner Teilnahme an einem Raubüberfall auf eine Gendarmerie- bzw. Polizeikaserne betreffe, scheine den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit durchaus zu entsprechen. Der Beschwerdeführer habe kein nachvollziehbares Argument ins Treffen führen können, welches eine politische Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 indizieren würde. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer als politischer Gegner der Regierung von den Ermittlungen betroffen gewesen sei, vermöge an der Rechtmäßigkeit, ihn als Teilnehmer eines Raubüberfalles wegen des mit dieser Tat verbundenen kriminellen Unrechts zu verfolgen, nichts zu ändern. Kein Staat müsse Angriffe auf seinen Bestand und seine äußere oder innere Sicherheit tolerieren. Demgemäß seien Bestimmungen des politischen Strafrechtes, mit denen der Staat seinen Bestand, seine Organe, seine Institutionen und deren Funktionieren schütze, rechtsstaatlich nicht zu beanstanden. Begehe somit eine Person aus politischen Beweggründen ein gemeinstrafrechtliches Delikt und habe sie deswegen eine Strafe zu gewärtigen, so mache die Furcht vor dieser staatlichen Maßnahme einen Asylwerber noch nicht zum Flüchtling. Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers im Asylverfahren hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die staatlichen Maßnahmen darauf abzielten, ihn in seiner Gesinnung zu treffen. Auch seinem Argument, die Polizeistation aus politischen Motiven überfallen zu haben, könne nicht gefolgt werden. Ein Raubüberfall könne in keinem Fall ein taugliches Mittel darstellen, etwaige politische wie soziale Mißstände abzustellen. Die in der Heimat des Beschwerdeführers allgemein herrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen stellten keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 dar, da diesen Umständen grundsätzlich alle Einwohner dieser Region ausgesetzt seien. Die belangte Behörde habe daher nicht feststellen können, daß der Beschwerdeführer sich aus Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde.
Dieser Argumentation der belangten Behörde vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht ohne weiteres beizupflichten, schließt doch der Umstand, daß sich der Beschwerdeführer durch sein Verhalten der Begehung einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat und ihm demnach legitimerweise eine strafrechtliche Verfolgung droht, keineswegs die Annahme aus, es handle sich hiebei auch um eine Verfolgung aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (in Übereinstimmung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründe. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß selbst terroristische Aktivitäten die Anerkennung als Flüchtling nicht von vornherein hindern, sofern nicht der Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt F der Konvention (welcher nunmehr auch im § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 seinen Niederschlag gefunden hat) vorliege (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 29. November 1989, Zl. 89/01/0264, und vom 10. März 1993, Zl. 92/01/0882). Daß letzteres der Fall wäre, hat die belangte Behörde nicht angenommen, und es würden für eine derartige Annahme auch die entsprechenden Feststellungen fehlen. Für die staatlichen Behörden in der Türkei mußte sich der gegenständliche Überfall auf eine Gendarmerie- bzw. Polizeikaserne jedenfalls als eine terroristische Aktivität darstellen, die - in Verbindung mit den allgemein bekannten Verhältnissen in den von Kurden bewohnten Gebieten, wo sich der behauptete Vorfall zugetragen hat, insbesondere auch der Tätigkeit der TKPLM, auf die sich der Beschwerdeführer ausdrücklich bezogen hat - auf politische (allenfalls darüber hinaus ethnische) Beweggründe zurückzuführen war. Die dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung würde daher gegen ihn auch wegen seiner (tatsächlichen oder bloß vermeintlichen) politischen Gesinnung gerichtet sein. Darauf, ob ein derartiger Überfall in keinem Fall als "taugliches Mittel" angesehen werden könnte, "etwaige politische wie soziale Mißstände abzustellen", kommt es bei dieser Beurteilung nicht an; die belangte Behörde hat im übrigen auch gar nicht zu erkennen gegeben, daß ihrer Meinung nach gegen die vom Beschwerdeführer behaupteten Übergriffe gegenüber der Bevölkerung ausreichender Schutz bei (übergeordneten) staatlichen Behörden hätte gefunden werden können. Mit der dem angefochtenen Bescheid beigegebenen Begründung kann daher ohne Durchführung weiterer Ermittlungen und entsprechende Feststellungen nicht das Auslangen gefunden werden (vgl. unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, und vom 17. Juni 1993, Zl. 93/01/0296).
Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
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