VwGH 91/11/0076

VwGH91/11/007621.1.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des J K in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 30. April 1991, Zl. I/7-St-K-9115, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §3 litc;
AVG §56;
AVG §6 Abs1;
AVG §66 Abs4;
JN §29;
KFG 1967 §73;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AVG §3 litc;
AVG §56;
AVG §6 Abs1;
AVG §66 Abs4;
JN §29;
KFG 1967 §73;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Zwettl vom 2. Jänner 1991 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, D, E, F und G gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 73 Abs. 2 KFG 1967 mangels Verkehrszuverlässigkeit mit Wirkung ab Zustellung dieses Bescheides für die Dauer von sechs Monaten entzogen und ausgesprochen, daß ihm vor Ablauf dieser Frist der Führerschein nicht ausgefolgt werden darf. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 30. April 1991 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit Verfügung vom 23. Oktober 1991 teilte der Gerichtshof den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit, aus den Aktenvermerken der Bezirkshauptmannschaft Zwettl vom 27. November 1990 und vom 28. Juni 1991 ergebe sich, daß der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz in 1120 Wien, X-Gasse 12/22, und einen Zweitwohnsitz in XY 27 (Verwaltungsbezirk Zwettl), gehabt habe, sowie daß er sich am 5. Dezember 1990 von der zuletzt genannten Adresse abgemeldet und dort seit diesem Tag keinen Wohnsitz mehr gehabt habe. Ausgehend von diesem Sachverhalt wurden die Parteien gemäß § 36 Abs. 8 VwGG aufgefordert, zu folgender - vorläufigen - Rechtsansicht Stellung zu nehmen: Die Aufgabe des Wohnsitzes des Beschwerdeführers im Sprengel der Erstbehörde ab 5. Dezember 1990 habe den Wegfall ihrer örtlichen Zuständigkeit bewirkt und damit die Rechtswidrigkeit ihres Entziehungsbescheides vom 2. Jänner 1991 wegen Unzuständigkeit zur Folge gehabt. Aus diesem Grund wäre der erstinstanzliche Bescheid durch die belangte Behörde ersatzlos zu beheben gewesen. Da er statt dessen bestätigt wurde, sei der angefochtene Bescheid jedenfalls aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Der Beschwerdeführer teilt in seiner Stellungnahme die Auffassung, der Erstbehörde habe die örtliche Zuständigkeit zur Erlassung des Entziehungsbescheides gefehlt. Die belangte Behörde bringt vor, die Aufgabe des Wohnsitzes des Beschwerdeführers im Sprengel der Erstbehörde noch vor Erlassung deren Bescheides sei erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides hervorgekommen. Der Beschwerdeführer habe es entgegen dem Gebot des § 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes unterlassen, die Änderung seiner Abgabestelle unverzüglich der Behörde mitzuteilen. In den von seinem Rechtsvertreter verfaßten Eingaben im Verfahren sei als Anschrift des Beschwerdeführers weiterhin XY 27 angegeben worden. Im Hinblick darauf hätten Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit der Erstbehörde weder bestanden noch bestehen müssen und sei der angefochtene Bescheid nicht, wie vorläufig angenommen, mit Rechtswidrigkeit behaftet. Andernfalls stünde es jedermann frei, durch Verschweigen von zuständigkeitsrelevanten Tatsachen oder durch bewußt unrichtige Angaben über den Wohnsitz rechtswidrige Bescheide zu provozieren und sodann deren Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof zu erwirken.

Die Anhörung der Parteien hat nichts ergeben, was den Verwaltungsgerichtshof zum Abgehen von seiner vorläufigen Rechtsansicht veranlassen könnte. Im Verfahren betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung ist - mangels einer Regelung im KFG 1967 - gemäß § 3 Z. 3 AVG jene Behörde örtlich zuständig, in deren Sprengel der Betreffende seinen Wohnsitz hat (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 1986, Zl. 86/11/0042). Gemäß § 6 Abs. 1 AVG hat die Behörde ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Die Unzuständigkeit ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen, daher auch von der Berufungsbehörde in Ansehung der Unterinstanz. Durch Unterlassen der Geltendmachung des Wegfalls der Zuständigkeit einer Behörde durch eine Partei wird die Zuständigkeit nicht aufrechterhalten. Die in § 29 JN vorgesehene Rechtswirkung der "perpetuatio fori" ist im Verwaltungsverfahren nicht vorgesehen (vgl. zum ganzen Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, Rz 82, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Auf dem Boden dieser Rechtslage ist davon auszugehen, daß ab 5. Dezember 1989 die örtliche Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Zwettl zur Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers nicht mehr gegeben war. Ihr Entziehungsbescheid vom 2. Jänner 1991 war aus diesem Grunde mit Rechtswidrigkeit behaftet. Dieser Bescheid wäre daher aufgrund der dagegen erhobenen Berufung ersatzlos zu beheben gewesen (vgl. Walter-Mayer, a.a.O. Rz 547; Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Oktober 1981, Slg. Nr. 10.581/A). Da er statt dessen bestätigt wurde, ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet.

Daran vermag das Vorbringen der belangten Behörde nichts zu ändern. Die Nichtbeachtung der Mitteilungspflicht nach § 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes hat lediglich zur Folge, daß unter den Voraussetzungen des Abs. 2 dieses Paragraphen (von der zuständigen Behörde verfügte) Zustellungen an der bisherigen Abgabestelle durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorgenommen werden können. Das Gesetz sieht nicht etwa das Weiterbestehen der örtlichen Zuständigkeit der Behörde für die Dauer des anhängigen Verfahrens vor. Die Zuständigkeit der Behörde hängt nach dem Gesetz allein von den hiefür maßgebenden objektiven Gegebenheiten, nicht jedoch davon ab, ob diese der Behörde bekannt oder (verschuldet oder unverschuldet) unbekannt sind. Daran vermag auch die von der belangten Behörde erwähnte Möglichkeit, daß eine Partei durch Verschweigen wesentlicher Tatsachen oder durch falsche Angaben über den Wohnsitz rechtswidrige Bescheide "provoziert" und in der Folge deren Aufhebung begehrt, nichts zu ändern.

Die Auffassung des Beschwerdeführers in seiner "Gegenäußerung" vom 23. Dezember 1991, es habe infolge Aufgabe seines Wohnsitzes in Niederösterreich auch der belangten Behörde die örtliche Zuständigkeit (zur Entscheidung über seine Berufung) gefehlt, ist nicht berechtigt. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Landeshauptmann von Niederösterreich über eine Berufung gegen einen Entziehungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Zwettl entschieden. Dazu war er sowohl örtlich als auch sachlich zuständig. Letzteres folgt aus § 123 Abs. 1 erster Satz KFG 1967, wonach für die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Amtshandlungen in zweiter Instanz der Landeshauptmann zuständig ist. Die örtliche Zuständigkeit des Landeshauptmannes von Niederösterreich ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, daß über eine Berufung gegen den Bescheid einer Unterbehörde abzusprechen war, deren Amtssprengel im Bereich des Landes Niederösterreich liegt. Zuständige Berufungsbehörde für eine Kraftfahrbehörde erster Instanz (Bezirksverwaltungsbehörde, Bundespolizeibehörde) ist der Landeshauptmann jenes Landes, in dem sich der Amtssprengel der betreffenden Unterbehörde befindet. Ob die Zuständigkeit der Unterbehörde gegeben war, ist hiebei ohne Belang. Deren allfällige Unzuständigkeit - aus welchem Grund immer - ist in diesem Zusammenhang nur insofern von Bedeutung, als sie zur ersatzlosen Behebung des unterinstanzlichen Bescheides zu führen hat.

Aus dem vorhin angeführten Grund war der angefochtene Bescheid, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen eingegangen werden muß, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer für die Beschwerde nur der Pauschbetrag von S 11.120,-- und für Stempelmarken der Betrag von S 420,-- (S 360,-- für die Beschwerde und S 60,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) gebühren. Weitere Beilagen waren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich.

Für die Schriftsätze des Beschwerdeführers vom 28. November 1991 und vom 23. Dezember 1991 gebührt kein Ersatz von Schriftsatzaufwand, weil dieser nur für die Einbringung der Beschwerde vorgesehen ist. Ersatz von Stempelgebühren wurde für den ersteren Schriftsatz nicht begehrt, für den letzteren gebührt er deshalb nicht, weil er zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich war; die dort enthaltenen Ausführungen hätten bereits im ersten Schriftsatz vorgebracht werden können.

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