VwGH 91/08/0149

VwGH91/08/014916.6.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerden des R in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen die auf Grund der Beschlüsse des zuständigen Unterausschusses des Verwaltungsausschusses vom Landesarbeitsamt Steiermark ausgefertigten Bescheide vom 2. Oktober 1991, beide Zl. IVc-7022 B-Mag. Fl/Fe, betreffend Einstellung bzw. Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
AlVG 1977 §12 Abs9;
AlVG 1977 §36 Abs3A litc;
AlVG 1977 §36 Abs3A litf;
B-VG Art7 Abs1;
NotstandshilfeV §5 Abs1;
NotstandshilfeV §5 Abs5;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
AlVG 1977 §12 Abs9;
AlVG 1977 §36 Abs3A litc;
AlVG 1977 §36 Abs3A litf;
B-VG Art7 Abs1;
NotstandshilfeV §5 Abs1;
NotstandshilfeV §5 Abs5;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 23.140,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezieht seit 28. August 1989 Notstandshilfe. Mit Bescheid des Arbeitsamtes Graz vom 13. Juni 1991 wurde dem Beschwerdeführer die Notstandshilfe mangels Notlage ab 1. Jänner 1991 im wesentlichen mit der Begründung eingestellt, er verfüge über ein Einkommen aus Vermietung, welches den Bezug der Notstandshilfe ausschließe. Mit Bescheid des Arbeitsamtes Graz vom 20. Juni 1991 wurde der Beschwerdeführer zum Rückersatz unberechtigt empfangener Notstandshilfe im Gesamtbetrag von S 99.486,-- in monatlichen Raten a S 3.000,-- mit der Begründung verpflichtet, er habe die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum 1. Jänner 1990 bis 31. Dezember 1990 zu Unrecht bezogen, da er über ein Einkommen verfügt habe, welches Notlage ausschließe. Gegen beide Bescheide erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit den angefochtenen Bescheiden gab die belangte Behörde beiden Berufungen nicht Folge. In der jeweiligen Begründung führte die belangte Behörde nach Zitierung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und Wiedergabe des der rechtlichen Beurteilung zugrunde liegenden Sachverhaltes aus, das Arbeitslosenversicherungsgesetz biete keine Legaldefinition des Begriffes "selbständige Erwerbstätigkeit". Im Sinne des Gesetzes könne jedoch davon ausgegangen werden, daß Arbeitslosigkeit nur dann eintrete, wenn eine Tätigkeit beendet werde. Das bedeute, daß im Sinne des AlVG eine Vermietung und Verpachtung einer Liegenschaft nur dann als selbständige Erwerbstätigkeit angesehen werden könne, wenn damit Tätigkeiten (Nebenleistungen wie z.B. die Verabreichung von Frühstück) verbunden seien. Die Vermietung und Verpachtung sei bei der Beurteilung von Arbeitslosigkeit gemäß § 12 AlVG kein Tatbestand, der Arbeitslosigkeit ausschließe und werde nicht als selbständige Erwerbstätigkeit gewertet. Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung seien daher im Sinne des AlVG Einnahmen aus Kapitalbesitz gleichzuhalten und unterlägen nicht den besonderen Regelungen für Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit. In analoger Anwendung der Regelungen für den unselbständig Erwerbstätigen gebe es nach den Bestimmungen der Notstandshilfeverordnung die Möglichkeit, besondere Aufwendungen für die Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung des Einkommens bei der Anrechnung von Angehörigeneinkommen im Rahmen der Freigrenzen zu berücksichtigen, während es für den Arbeitslosen selbst keine Freigrenzen gebe. Die nach dem Einkommensteuergesetz mögliche Berücksichtigung von Rücklagen, Freibeträgen und Sonderausgaben könne bei der Beurteilung von Notlage im Sinn der Bestimmungen des AlVG und der Notstandshilfeverordnung nicht stattfinden, da es nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung sein könne, durch Leistungen, die das ausfallende Erwerbseinkommen ersetzen sollen, Wertsteigerungen von Bestandobjekten zu finanzieren.

Gegen diese Bescheide richten sich die Beschwerden des Beschwerdeführers, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machen.

Die belangte Behörde erstattete Gegenschriften, in denen sie die Abweisung der Beschwerden beantragt, und legte die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges verbundenen Beschwerden erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 AlVG 1977 ist eine der Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) die Arbeitslosigkeit.

Nach § 12 Abs. 1 AlVG 1977 ist arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.

Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b leg. cit. gilt insbesondere nicht als arbeitslos, wer selbständig erwerbstätig ist.

Nach § 12 Abs. 6 lit. c leg. cit. in der Fassung der Novelle BGBl. 1987/615 gilt jedoch als arbeitslos, wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist und daraus ein nach Maßgabe des Abs. 9 festgestelltes Einkommen erzielt, das die in § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt.

§ 12 Abs. 9 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. 1989/364 lautet:

"Das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit wird auf Grund des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem Arbeitslosengeld bezogen wird, festgestellt, wobei dem Einkommen nach § 2 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl. Nr. 400, in der jeweils geltenden Fassung, unter Außerachtlassung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 EStG 1988) die im Einkommensteuerbescheid angeführten Freibeträge und Sonderausgaben sowie die Beträge nach den §§ 9 und 10 EStG 1988 hinzuzurechnen sind. Der Leistungsbezieher ist verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr, in dem Arbeitslosengeld bezogen wurde, binnen zwei Wochen nach Erlassung dem zuständigen Arbeitsamt vorzulegen. Bis zur Erlassung und Vorlage des Bescheides ist die Frage der Arbeitslosigkeit insbesondere auf Grund einer eidesstattlichen Erklärung des Arbeitslosen über die Höhe seines Bruttoeinkommens, einer allenfalls bereits erfolgten Einkommensteuererklärung bzw. eines Einkommensteuerbescheides aus einem früheren Jahr vorzunehmen. Des weiteren hat der Arbeitslose schriftlich seine Zustimmung zur Einholung von Auskünften beim Finanzamt zu erteilen. Für die von den Finanzämtern erteilten Auskünfte gilt die abgabenrechtliche Geheimhaltepflicht des § 48a der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 sinngemäß. Lehnt der Arbeitslose die Abgabe der eidesstattlichen Erklärung bzw. der Zustimmungserklärung ab, ist ein geringfügiges Einkommen nicht anzunehmen. Als monatliches Einkommen gilt ein Zwölftel des sich ergebenden Jahreseinkommens."

Gemäß § 33 Abs. 2 lit. c AlVG ist unter anderem für den Bezug von Notstandshilfe Voraussetzung, daß sich der Arbeitslose in Notlage befindet. Dazu bestimmt § 36 Abs. 2 AlVG folgendes:

"In den nach Abs. 1 zu erlassenden Richtlinien sind auch die näheren Voraussetzungen im Sinn des § 33 Abs. 4 festzulegen, unter denen Notlage als gegeben anzusehen ist. Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen (der Arbeitslosen) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (des Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort u.a.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Weiters sind unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze Bestimmungen darüber zu treffen, inwieweit für den Fall, daß das der Beurteilung zugrunde liegende Einkommen nicht ausreicht, um die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitslosen sicherzustellen, Notstandshilfe unter Anrechnung des Einkommens mit einem Teilbetrag gewährt werden kann. ..."

Gemäß § 36 Abs. 3 A lit. c AlVG ist bei Erlassung der Richtlinien zu beachten, daß das sonstige Einkommen des Arbeitslosen nach Abzug des zur Erzielung des Einkommens notwendigen Aufwandes auf die Notstandshilfe anzurechnen ist.

Nach § 36 Abs. 3 A lit. f leg. cit. ist bei Erlassung der Richtlinien ebenfalls zu beachten, daß bei der Ermittlung des Einkommens aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit - ausgenommen einem Einkommen aus einem land-(forst)wirschaftlichen Betrieb - § 12 Abs. 9 (AlVG) sinngemäß anzuwenden ist.

Gemäß § 5 Abs. 1 Notstandshilfeverordnung BGBl. Nr. 352/1973 in der Fassung BGBl. Nr. 319/1988 lautet:

"Das Einkommen des Arbeitslosen, das er innerhalb eines Monats erzielt, ist nach Abzug der Steuern und sozialen Abgaben sowie des zur Erwerbung dieser Einkommen notwendigen Aufwandes auf die Notstandshilfe, die im Folgemonat gebührt, unter Bedachtnahme auf die folgenden Bestimmungen anzurechnen. Eine Anrechnung von Einkommen aus einer Beschäftigung, ausgenommen nach Abs. 2, sowie von Einkommen gemäß § 6 Abs. 6 findet nicht statt."

Der § 5 Abs. 5 NHVO idF BGBl. Nr. 636/1987 und 429/1990 sieht im übrigen dieselben Berechnungskriterien vor wie sie bereits im § 12 Abs. 9 AlVG normiert sind.

Zunächst ist daher zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer bezogenen Nettoeinkünfte aus Vermietung einer "selbständigen Erwerbstätigkeit" im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. b AlVG bzw. § 5 Abs. 5 NHVO, der unmittelbar anwendbar ist (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1987, Zl. 85/08/0186) zugeordnet werden können, ob daher bei Ermittlung des Einkommens nach § 12 Abs. 6 lit. c und Abs. 9 AlVG bzw. nach § 5 Abs. 5 NHVO vorzugehen ist.

Diese Frage muß auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten beantwortet werden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 1962, Zl. 1528/59).

Unter selbständiger Erwerbstätigkeit ist jedenfalls "Arbeitsleistung" zu verstehen, die die Schaffung von Einkünften an Geld oder sonstigen Gütern bezwecken, wobei es rechtlich belanglos ist, ob dieser Zweck auch regelmäßig erfüllt oder in welchem Ausmaß er erreicht wird (vgl. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 1985, Zl. 83/08/0195 und vom 22. Mai 1990, Zl. 87/08/0294). Zutreffend weist nun die belangte Behörde darauf hin, daß eine Tätigkeit vom Beschwerdeführer in dieser Richtung nicht entfaltet wird. Die mittelbare Nutzung des eigenen Vermögens (z.B. Vermietung des eigenen Hauses) kann daher mangels Vorliegens einer "ausgeübten Tätigkeit" nicht als Erwerbstätigkeit im Sinn des § 12 Abs. 3 lit. b AlVG bzw. § 5 Abs. 5 NHVO gewertet werden (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1954, Zl. 684/53). Es ist daher der Rechtsansicht der belangten Behörde in diesem Punkte beizupflichten. Schon aus diesem Grunde erweist es sich auch als zutreffend, daß die Berechnungskriterien des § 12 Abs. 9 AlVG (bzw. des § 5 Abs. 5 Notstandshilfeverordnung) hier nicht zur Anwendung zu kommen haben. Dennoch erweisen sich die von der belangten Behörde herangezogenen Sachverhaltsgrundlagen für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch als nicht ausreichend.

§ 5 Abs. 1 Notstandshilfeverordnung sieht - wie bereits ausgeführt - die Anrechnung des Einkommens des Arbeitslosen auf die Notstandshilfe nach Abzug der Steuern und sozialen Abgaben sowie des zur Erwerbung dieser Einkommen notwendigen Aufwandes vor. Die von der belangten Behörde mit den angefochtenen Bescheiden bestätigten Bescheide des Arbeitsamtes Graz enthalten demgegenüber keine Feststellungen über die Höhe des in Anrechnung gebrachten Einkommens des Beschwerdeführers in den jeweiligen hier relevanten Zeiträumen. Sollte die belangte Behörde von der aus dem Schreiben vom 5. Juni 1991 ersichtlichen Rechtsmeinung ausgegangen sein, wäre anzumerken, daß die "Nettomieteinnahmen" nicht als solche in Anrechnung zu bringen sind, sondern zu prüfen wäre, inwieweit die geltend gemachten Abzüge hievon "notwendig" iSd § 5 Abs. 1 NHVO sind.

Insoweit der Beschwerdeführer in den Berufungen und in der Beschwerde - offensichtlich auf dem Boden des EStG - mit der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung von Einkünften aus gewerblicher und nichtgewerblicher Vermietung argumentiert, ist ihm vorerst zu entgegnen, daß es, wie bereits ausgeführt wurde, für die Subsumtion von Einkünften aus Vermietung unter die in § 12 Abs. 9 AlVG und § 5 Abs. 5 NHVO gebrauchte Wendung "Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit" nicht darauf ankommt, ob diese Einkünfte aus "gewerblicher" oder "nichtgewerblicher" Vermietung erzielt werden; wesentlich hiefür ist vielmehr, ob diese Einkünfte dem Arbeitslosen aus Arbeitsleistungen (Beschäftigungen) im obgenannten Sinn zufließen. Gegen unterschiedliche Rechtsfolgen leistungsrechtlicher Art je nach Beschäftigung oder Nichtbeschäftigung des Arbeitslosen (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis vom 26. März 1987, Zl. 85/08/0010) bestehen aber vor dem Hintergrund des Zweckes des Arbeitslosenversicherungsrechtes, grundsätzlich nur Personen, die nicht in Beschäftigung stehen, Leistungen zu erbringen, nicht schon an sich verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gebotes der Gleichbehandlung. Solche Bedenken hegt der Verwaltungsgerichtshof aber auch nicht gegen die im Beschwerdefall maßgeblichen im obgenannten Sinn verstandenen Regelungen des § 36 Abs. 3 A lit. f in Verbindung mit § 12 Abs. 9 AlVG und des § 5 Abs. 5 NHVO, weil ja, wie auch bereits dargelegt wurde, § 5 Abs. 1 NHVO (und § 36 Abs. 3 A lit. c ALVG) durch das Gebot einer Berücksichtigung des zur Erwerbung (Erzielung) des Einkommens des Arbeitslosen notwendigen Aufwandes nicht grundsätzlich "eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung" mit sich bringen.

Die angefochtenen Bescheide erweisen sich aus den dargelegten Gründen als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben waren.

Die Kostenentscheidung gründet sich die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. Nr. 104/1991.

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