VwGH 90/02/0198

VwGH90/02/019820.2.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 27. September 1990, Zl. MA 70-10/865/90/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

StVO 1960 §20 Abs1;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §52 Z10a;
StVO 1960 §99 Abs2 litc idF 1976/412;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;
VStG §44a lita;
VStG §44a litc idF 1964/275;
StVO 1960 §20 Abs1;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §52 Z10a;
StVO 1960 §99 Abs2 litc idF 1976/412;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;
VStG §44a lita;
VStG §44a litc idF 1964/275;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe "am 11.5.1989 um

22.20 Uhr in Wien 1., Franz Josefs Kai Höhe Heinrichsgasse in Richtung Urania das Krad W ......... gelenkt und dabei ....... die im Ortsgebiet erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten und dabei unter besonders gefährlichen Verhältnissen mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen Vorschriften dieses Bundesgesetzes verstoßen". Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 begangen. Über ihn wurde eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten zu haben. Er bekämpft lediglich die Qualifizierung der von ihm begangenen Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960. Nach dieser Gesetzesstelle begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer erheblich höheren Strafe zu bestrafen, als dies § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 in Form einer Generalklausel normiert, wer als Lenker eines Fahrzeuges unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes verstößt.

1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Spruch betreffend eine in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 begangene Verwaltungsübertretung jene zum Tatbild dieser Übertretung zählenden konkreten Umstände zu enthalten, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bzw. die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern ausmachen (vgl. das Erkenntnis vom 20. Juni 1990, Zl. 90/02/0035). Diesem Erfordernis wird der Spruch des angefochtenen Bescheides nicht gerecht. Der Umstand, daß die zulässige Höchstgeschwindigkeit "erheblich" überschritten wurde, ist im gegebenen Zusammenhang für sich allein nicht ausreichend. Der angefochtene Bescheid ist daher wegen mangelhafter Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a lit. a VStG inhaltlich rechtswidrig und schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2. Aus Gründen der Verfahrensökonomie sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu folgenden Ausführungen veranlaßt:

Die belangte Behörde begründet die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse zur Tatzeit am Tatort mit dem Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung - sie nahm als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer mit 110 km/h gefahren sei - und mit der Beschaffenheit der Straße.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum gleichlautenden § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 zum Ausdruck gebracht, daß zu dem Verstoß gegen eine Geschwindigkeitsbeschränkung noch ein weiteres, die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse begründendes Sachverhaltselement hinzutreten muß. Als solches kommen insbesondere beeinträchtigte Sichtverhältnisse, ungünstige Fahrbahnbeschaffenheit, starkes Verkehrsaufkommen, der Verlauf und die Breite der Straße, die körperliche und geistige Verfassung des Lenkers, die Beschaffenheit des Fahrzeuges und in Verbindung mit diesen Umständen auch das absolute Ausmaß der eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit in Betracht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Juni 1989, Zl. 89/11/0061).

Dafür, daß die geistige und körperliche Verfassung des Beschwerdeführers, die Beschaffenheit des Fahrzeuges oder die Sicht- oder Witterungsverhältnisse zur Tatzeit die Gefährlichkeit der Verhältnisse insgesamt erhöht hätten, besteht kein Anhaltspunkt; angesichts der Tatzeit ist von Dunkelheit, angesichts des Tatortes von einer ausreichenden Straßenbeleuchtung auszugehen. Was die Beschaffenheit der Straße anlangt, geht die belangte Behörde - wie sie in der Gegenschrift auch einzugestehen scheint - von der unrichtigen Annahme aus, daß in die in Rede stehende, etwa 400 m lange Straßenstrecke Seitengassen einmünden und daß Fußgänger die Fahrbahn betreten könnten. Diese Strecke ist eine Einbahn, weist durchgehend mindestens vier Fahrstreifen auf und verläuft nahezu gerade. Mangels einmündender Straßen ist mit keinem Querverkehr zu rechnen. Es kann auch davon ausgegangen werden, daß keine Fußgänger die Fahrbahn betreten, weil sich auf der linken Seite der Fahrbahn überhaupt kein Gehweg befindet. Das Straßenstück, auf dem der Tatort liegt, weist daher von seiner Beschaffenheit her keine Gefährlichkeit auf.

Was das Verkehrsaufkommen anlangt, führt die belangte Behörde aus, daß "auf diesem doch zentral gelegenen und daher stark befahrenen Straßenstück" auch zur Tatzeit nicht davon ausgegangen werden könne, daß sich außer dem Fahrzeug des Beschwerdeführers (und dem Dienstfahrzeug) keine anderen Fahrzeuge dort befunden hätten. Diese Aussage stimmt zwar mit den Erfahrungen des täglichen Lebens überein und findet im Akteninhalt insofern Deckung, als darin zumindest von einem Kraftfahrzeug die Rede ist, dem gegenüber der Beschwerdeführer den gesetzlich gebotenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe; der Beschwerdeführer hat das Vorhandensein dieses anderen Verkehrsteilnehmers auch nicht bestritten; das in diesem Zusammenhang gegen den Beschwerdeführer durchgeführte Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung nach § 18 Abs. 1 StVO 1960 wurde von der belangten Behörde - ebenso wie jenes wegen Übertretung nach § 11 Abs. 1 StVO 1960 - eingestellt. Daß das Verkehrsaufkommen so beschaffen war, daß es - vor allem im Hinblick auf seine Dichte - zur Gefährlichkeit der Verhältnisse entscheidend beigetragen hätte, kann auf Grund der Feststellungen der belangten Behörde nicht gesagt werden. Ein vor dem Beschwerdeführer fahrendes und ein ihm nachfolgendes Fahrzeug bewirken auf dem gegenständlichen, vier Fahrstreifen in einer Fahrtrichtung aufweisenden Straßenstück keine besonders gefährlichen Verhältnisse.

Es kommt daher auf das Ausmaß der tatsächlich eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit an. Auch wenn eine Geschwindigkeit in der Größenordnung von etwa 110 km/h unter den geschilderten Verhältnissen besonders gefährliche Verhältnisse zu bewirken geeignet wäre, ist für die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe durch seine Fahrweise solche Verhältnisse geschaffen, noch nichts gewonnen. Ob nämlich die Geschwindigkeit des vom Beschwerdeführer gelenkten Fahrzeugs am Tatort wirklich 110 km/h und nicht unwesentlich weniger betragen hat (also etwa die vom Beschwerdeführer eingestandene Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h), ist auf Grund der vom Meldungsleger, einem Sicherheitswachebeamten, vom nachfahrenden Dienstfahrzeug aus vorgenommenen Schätzung nicht mit ausreichender Verlässlichkeit anzunehmen. Das Straßenstück ist - wie bereits gesagt - etwa 400 m lang. Der Beschwerdeführer hatte nach seinen unbestrittenen Behauptungen sowohl an der vor einer Kurve vor dem Straßenstück gelegenen Kreuzung (am Ende des Schottenringes) als auch an der am Ende des Straßenstückes gelegenen Kreuzung Franz Josefs-Kai - Salztorgasse jeweils wegen Rotlichtes angehalten. Er konnte seine Höchstgeschwindigkeit nach Durchfahren der vom Schottenring in den Franz Josefs-Kai führenden Kurve nicht sofort, sondern erst im Verlauf der in Rede stehenden Strecke erreicht haben. Die Anpassung der Geschwindigkeit des ihm folgenden Dienstfahrzeuges mußte entsprechend später erfolgt sein. Für eine verläßliche Schätzung der Fahrgeschwindigkeit von einem in gleicher Geschwindigkeit nachfahrenden Dienstfahrzeug aus ist eine Beobachtungsstrecke von 100 m erforderlich (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Oktober 1990, Zl. 90/02/0122, und vom 19. Dezember 1990, Zl. 90/02/0156). Dazu kommt, daß nach den Ausführungen der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides bei einer Geschwindigkeit von 110 km/h von einem Anhalteweg von 154 m auszugehen ist. All diese Umstände lassen erhebliche Zweifel daran offen, ob die Beweiswürdigung der belangten Behörde in Ansehung der vom Beschwerdeführer eingehaltenen Geschwindigkeit schlüssig ist. Dazu hätte es der Ermittlung näherer Umstände der Schätzung bedurft, insbesondere wie die Beobachtungsstrecke im Verlauf des in Rede stehenden Straßenstückes situiert war.

Was schließlich die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern anlangt, so könnte diese unter den gegebenen Verhältnissen (jedenfalls unter der Annahme einer geringeren Fahrgeschwindigkeit als 110 km/h) in einem bloßen gleichzeitigen Befahren der Straßenstrecke mit anderen Verkehrsteilnehmern nicht erblickt werden. Davon, daß der Beschwerdeführer diese anderen Verkehrsteilnehmer durch Fahrstreifenwechsel oder durch Einhaltung zu geringer Abstände in ihrer Sicherheit beeinträchtigt hätte, kann im Hinblick auf die Einstellung der deswegen eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren nicht ausgegangen werden. Es steht damit auch nicht fest, daß sich andere Straßenbenützer in einer solchen räumlichen Nähe zum Fahrzeug des Beschwerdeführers befunden haben, daß sie auf Grund seiner Fahrweise in Verbindung mit den übrigen maßgeblichen Verhältnissen am Tatort zumindest beeinträchtigt werden konnten (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1990, Zl. 90/02/0001).

3. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil ein Ersatz von Stempelgebühren nur im Ausmaß von S 450,-- (S 240,-- für zwei Beschwerdeausfertigungen, S 120,-- für die Vollmacht und

S 90,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zugesprochen werden konnte.

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