VwGH 89/09/0083

VwGH89/09/008318.10.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberrat Dr. Novak, über die Beschwerde des Dr. PW in A, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 17. April 1989, GZ 22/11‑DOK/89, betreffend Abweisung des Verlangens auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung über diebeantragte Einstellung des Disziplinarverfahrens, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §39 Abs2
AVG §73 Abs1
AVG §73 Abs2
BDG 1979 §105
BDG 1979 §111 Abs1
BDG 1979 §118 Abs1
BDG 1979 §119
BDG 1979 §123
BDG 1979 §124
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1989090083.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 460,‑‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Kommissär in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; seine Dienststelle ist das Finanzamt G.

Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen auf Grund der vom dienstvorgesetzten Vorstand des Finanzamtes Gmunden erstatteten Disziplinaranzeige vom 30. März 1988 am 29. Juli 1988 beschlossen, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 2 des Beamten‑Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979), das Disziplinarverfahren einzuleiten.

Gegen diesen ‑ dem Beschwerdeführer am 8. August 1988 zugestellten - Bescheid erhob er zunächst am 17. September 1988 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Die Behandlung dieser Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit dem Beschluß vom 11. Oktober 1988, B 1581/88, gemäß Art. 144 Abs. 2 B‑VG abgelehnt und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Mit Verfügung vom 1. Dezember 1988 forderte der Verwaltungsgerichtshof den Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 34 Abs. 2 VwGG auf, die vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung abgetretene Beschwerde durch Vorlage einer Vollmacht und einer weiteren Ausfertigung der Beschwerde zu ergänzen.

Mit dem dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers am 9. Feber 1989 zugegangenen Beschluß vom 19. Jänner 1989, Zl. 88/09/0160, wurde das Beschwerdeverfahren gemäß §§ 34 Abs. 2 und 33 Abs. 1 VwGG eingestellt, weil der Beschwerdeführer es verabsäumt hatte, innerhalb der ihm für eine Mängelbehebung eingeräumten Frist auch die für den Bundesminister für Finanzen vorgesehene dritte Ausfertigung der seinerzeit beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde beizubringen.

Mit an die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen gerichtetem Schreiben vom 29. November 1988 hatte der Beschwerdeführer die Einstellung des Disziplinarverfahrens beantragt.

Mit der an die belangte Behörde gerichteten Eingabe vom 8. Feber 1989 machte der Beschwerdeführer den Übergang der Entscheidungspflicht geltend. Diese Entscheidungspflicht sei insbesondere aus seiner Selbstanzeige vom 15. April 1988 erwachsen, die nicht nur auf eine allenfalls erforderliche Einleitung, sondern auch (selbstverständlich) auf eine Erledigung des Verfahrens abgezielt habe.

Die belangte Behörde hat diesen Antrag mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 17. April 1989 unter Berufung auf § 73 AVG 1950 abgewiesen. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Sachverhaltes und Verwaltungsgeschehens, soweit für die Beschwerde von Relevanz, ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei im erstinstanzlichen Verfahren eines amtswegig eingeleiteten Disziplinarverfahrens nur ein förmlich und ausdrücklich gestellter Antrag des Beschuldigten auf Einstellung des Disziplinarverfahrens ein der Entscheidungspflicht der Disziplinarbehörde unterliegender Antrag gemäß § 73 Abs. 1 AVG 1950. Mit Rücksicht darauf, daß der Beschwerdeführer einen förmlichen und ausdrücklichen Antrag auf Einstellung des Disziplinarverfahrens erst am 29. November 1988 gestellt habe, habe die sechsmonatige Frist des § 73 Abs. 1 AVG 1950 erst an diesem Tage zu laufen begonnen und demnach am 29. Mai 1989 geendet. Den Selbstanzeigen des Beschwerdeführers komme für die gegenständliche Entscheidung keine Bedeutung zu. Die Selbstanzeige vom 1. Juli 1986 habe keine Unterschrift aufgewiesen und sei seinerzeit nicht einmal der Dienstbehörde vorgelegt worden und habe kein Faktum enthalten, das Gegenstand des laufenden Disziplinarverfahrens sei. Die Selbstanzeige vom 15. April 1988 enthalte kein neues Faktum, sondern erstrecke sich lediglich auf die dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Vorwürfe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Von der Möglichkeit, zur Beschwerde eine Gegenschrift zu erstatten, machte sie keinen Gebrauch.

Der Gerichtshof hat durch einen gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem gesamten Vorbringen in dem Recht auf Sachentscheidung durch die belangte Behörde verletzt. Er führt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit aus, er habe bereits im Administrativverfahren darauf hingewiesen, daß er am 15. April 1988 eine Selbstanzeige erstattet habe. Diese habe sich nicht nur auf die Einleitung des Disziplinarverfahrens erstreckt, sondern habe auch auf die Herbeiführung einer bescheidmäßigen Entscheidung durch die Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe abgestellt, daß der Beschwerdeführer unschuldig sei. Es habe sohin kein Hindernis bestanden, diese Disziplinarselbstanzeige so zu verstehen, wie sie gemeint gewesen sei, nämlich als Antrag auf bescheidmäßige Erledigung mit dem Inhalt, daß der Beschwerdeführer unschuldig sei. Diesem Anbringen sei mit Erlassung eines rechtskräftigen Einleitungsbeschlusses noch nicht entsprochen worden. Solcherart habe es keines neuerlichen Antrages des Beschwerdeführers auf Einstellung des Verfahrens bedurft. Wenn sich die belangte Behörde auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes berufe, in der dargelegt werde, daß amtswegig eingeleitete Disziplinarverfahren (vorerst) nicht der Entscheidungspflicht unterlägen, so gehe diese Argumentation ins Leere, weil zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens eine Selbstanzeige des Beschwerdeführers vorgelegen sei.

Diesem Vorbringen bleibt es verwehrt, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu erweisen.

Nach S 73 Abs. 1 und 2 AVG 1950, der im gegenständlichen Fall gemäß den §§ 105 und 119 BDG 1979 anzuwenden ist, sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften - wie hier - nichts anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8 AVG 1950) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen, den Bescheid zu erlassen. Wird der Partei innerhalb dieser Frist der Bescheid nicht zugestellt, so geht gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit der Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Oberbehörde einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit der Frage der Einstellung des Disziplinarverfahrens nach § 118 Abs. 1 BDG 1979 befaßt und zuletzt in seinem Erkenntnis vom 23. November 1983, Zlen. 83/09/0120, 0121, Slg. Nr. 11235/A, ‑ unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung dargetan -, daß im erstinstanzlichen Verfahren eines amtswegig eingeleiteten Disziplinarverfahrens nur ein förmlich und ausdrücklich gestellter Antrag des Beschuldigten auf Einstellung des Disziplinarverfahrens ein der Entscheidungspflicht der Disziplinarbehörde unterliegender Antrag gemäß § 73 Abs. 1 AVG 1950 ist.

Ein an die Dienstbehörde gerichteter und auf § 111 Abs. 1 gestützter Antrag eines Beamten auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst (Selbstanzeige) kann prozessual nicht in einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 BDG 1979 umgedeutet werden, wenn ‑ wie im Beschwerdefalle - der Dienstvorgesetzte schon vorher Disziplinaranzeige erstattet hat und in Ansehung der den Gegenstand dieser Anzeige bildenden Tatbestände gegen den Beschwerdeführer von der Disziplinarkommission das Disziplinarverfahren eingeleitet wurde.

Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hat der Beschwerdeführer erstmals mit Schriftsatz vom 29. November 1988 „um umgehende Einstellung des Verfahrens ersucht“.

Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, den bei ihr am 9. Feber 1989 eingebrachten Devo1utionsantrag als verfrüht gestellt zurückzuweisen. Dadurch, daß die belangte Behörde diesen Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen und nicht zurückgewiesen hat, wurde der Beschwerdeführer in keinem subjektiven materiellen Recht verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof räumt dem Beschwerdeführer ein, daß Disziplinarverfahren ihrer Natur nach mit der gebotenen Beschleunigung durchzuführen sind. Jede vermeidbare Verzögerung des Verfahrens setzt den Beschuldigten einem Eingriff und einer Belastung aus, die fühlbar schwerer sind als im Falle der ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens. Abgesehen von dem allgemein dienstlichen Interesse, rasch Klarheit über einen disziplinären Verdacht zu gewinnen, erfordert die Verwirklichung des Disziplinarrechts im öffentlichen Interesse eine beschleunigte Verfahrensabwicklung.

Wegen verfrühter Stellung des Devolutionsantrages ist aber der angefochtene Bescheid nicht mit der der belangten Behörde vom Beschwerdeführer vorgeworfenen Rechtswidrigkeit belastet.

Die Beschwerde ist daher unbegründet und deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Wien, am 18. Oktober 1989

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