VwGH 88/03/0111

VwGH88/03/011114.12.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Weiss und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Dr. Schmidt, über die Beschwerde des EF in S, vertreten durch Dr. Anton Schiessling, Rechtsanwalt in Rattenberg, Hassauerstraße 72, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 28. März 1988, Zl. IIIa2-2300/4, betreffend Übertretung des Tiroler Jagdgesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2
AVG §59 Abs1
JagdG Tir 1983 §36 Abs2
JagdG Tir 1983 §70 Abs1
JagdGDV Tir 02te 1983 §1 Abs3
JagdRallg
VStG §31 Abs1
VStG §31 Abs2
VStG §44a
VStG §44a lita
VStG §44a litb
VStG §44a Z1
VStG §44a Z2
VStG §48 Abs1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1988030111.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer einer "Verwaltungsübertretung nach § 70 Abs. 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 2 Tiroler Jagdgesetz 1983 in der Fassung LGBl. Nr. 60 (kurz TJG 1983)" schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er am 25. Oktober 1987, nachmittags, als Jagdausübungsberechtigter der Eigenjagd Ö in dieser Jagd einen Steinadler erlegt habe, obwohl diese Wildart keine Jagdzeit habe und einer ganzjährigen Schonzeit unterliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit Beschluß vom 21. September 1988 gab der Verwaltungsgerichtshof den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 41 Abs. 1 VwGG folgende vorläufige Rechtsansicht bekannt:

"Gemäß § 44a lit. b VStG 1950 hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, zu enthalten. Zufolge dieser Bestimmung hat der Beschuldigte ein Recht darauf, daß im Spruch die richtige Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt wurde, genannt wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat, auch wenn dies vom Beschwerdeführer nicht eingewendet worden ist, zu prüfen, welche Norm als Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, gemäß § 44a lit. b VStG 1950 in den Spruch des Straferkenntnisses aufzunehmen ist (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens3, 723, und die dort zitierte Judikatur). Nach der neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. Nr. 11.525/A) kommt es dabei nicht auf jene Vorschrift an, die einen Verstoß gegen die Gebots- oder Verbotsnorm als Verwaltungsübertretung erklärt. Der Anordnung des § 44a lit. b VStG 1950 wird durch die Anführung derjenigen Norm im Spruch als verletzte Verwaltungsvorschrift entsprochen, unter die die Tat nach § 44a lit. a leg. cit. zu subsumieren ist, ohne daß es der Zitierung der Vorschrift, die einen Verstoß gegen die Gebots- oder Verbotsnorm als Verwaltungsübertretung erklärt, bedürfte.

§ 70 Abs. 1 TJG 1983 sieht vor, daß Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 30.000,-- oder mit Arrest bis zu sechs Wochen zu bestrafen sind. Diese Bestimmung enthält keinen selbständigen Straftatbestand, sondern stellt sich als jene Norm dar, auf die die Behörde die Verhängung der Strafe zu stützen hat. Auf dem Boden der oben dargestellten Rechtslage scheidet sie als verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a lit. b VStG 1950 aus.

§ 36 Abs. 2 TJG 1983 ordnet an, daß außerhalb der festgesetzten Jagdzeit alle Wildarten zu schonen sind (Schonzeit). Diese Bestimmung enthält zwar eine Gebotsnorm; sie bedarf jedoch der Determination durch eine auf Grund des § 36 Abs. 1 TJG 1983 zu erlassende Verordnung, mit der die Jagdzeit für die einzelnen Arten der jagdbaren Tiere festgesetzt wird. Als solche Verordnung erging die Zweite Durchführungsverordnung zum Tiroler Jagdgesetz 1983, LGBl. Nr. 62/1983, (2. DVO) deren § 1 Abs. 3 anordnet, daß u.a. Steinadler ganzjährig zu schonen sind. Gegen diese Verordnung wurde somit mit der im Beschwerdefall als erwiesen angenommenen Tat verstoßen. Als verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a lit. b VStG 1950 wäre daher richtig § 1 Abs. 3 der 2. DVO in Verbindung mit § 36 Abs. 2 TJG 1983 anzuführen gewesen.

Da es die belangte Behörde unterlassen hat, im Spruch des Bescheides § 1 Abs. 3 der 2. DVO als verletzte Verwaltungsvorschrift zu zitieren, könnte der angefochtene Bescheid nach vorläufiger Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet sein."

Während sich der Beschwerdeführer dieser Rechtsansicht anschloß, trat ihr die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme entgegen. Die von der belangten Behörde vorgebrachten Einwände sind jedoch aus folgenden Gründen nicht geeignet, den Verwaltungsgerichtshof zu einem Abgehen von der im Beschluß vom 21. September 1988 vertretenen Rechtsansicht zu veranlassen:

Wenn die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof eine "rein formalistische Betrachtungsweise" unterstellt, die dem Geist der Verwaltungsverfahrensgesetze fremd sei und "wohl einem in diesem Sinne übertriebenen Formalismus Tür und Tor öffnen" würde, so läßt sie außer acht, daß es sich bei der Bestimmung des § 44a lit. b VStG 1950 um eine zwingende gesetzliche Anordnung handelt, die dem Beschuldigten ein Recht darauf einräumt, daß ihm im Spruch des Straferkenntnisses die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, richtig und vollständig vorgehalten wird (vgl. unter anderem das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juli 1979, Slg. Nr. 9898). Selbst wenn dem "Gebot der Konkretisierung und Individualisierung im Beschwerdefall jedenfalls so ausreichend entsprochen ist, daß für den Beschwerdeführer einerseits kein Zweifel bestehen kann, welcher Verwaltungsübertretung er für schuldig erkannt wurde und andererseits nicht die geringste Gefahr besteht, daß er wegen derselben strafbaren Handlung ein weiteres Mal einer Bestrafung ausgesetzt ist", wird dem Gebot des § 44a lit. b VStG 1950 dann nicht entsprochen, wenn die durch die Tat verletzte Verwaltungsvorschrift nicht unter Zitierung der entsprechenden Norm im Spruch angeführt wird. Ein diesbezüglich unrichtiger oder unvollständiger Ausspruch im Spruch kann durch Ausführungen in der Begründung des Straferkenntnisses nicht ersetzt werden. Es genügt auch nicht, wenn im Spruch zwar der Wortlaut der übertretenen Bestimmung, nicht aber deren "Fundstelle" angegeben wird.

Ein weiteres Indiz, das der vorläufigen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes entgegengehalten werden könne, sei, so führte die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme weiter aus, daß § 7 der 2. DVO normiere, daß Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieser Verordnung (also auch gegen § 1 Abs. 3) nach § 70 TJG 1983 zu bestrafen seien. Dem ist die neuere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach es bei der Zitierung der Verwaltungsvorschrift nach § 44a lit. b VStG nicht auf jene Vorschrift ankommt, die einen Verstoß gegen die Gebots- oder Verbotsnorm als Verwaltungsübertretung erklärt (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. Nr. 11525). Schließlich verwies die belangte Behörde darauf, daß gemäß § 36 Abs. 1 TJG 1983 ja nur die Jagdzeiten für die einzelnen Arten der jagdbaren Tiere durch Verordnung festzulegen seien, hingegen außerhalb festgesetzter Jagdzeiten gemäß Abs. 2 der zitierten Bestimmung alle Wildarten zu schonen seien. Nachdem für den Steinadler eine Jagdzeit überhaupt nicht festgesetzt sei, sei er im Sinne der Bestimmung des § 36 Abs. 2 zu schonen bzw. dürfe im Sinne dieser Bestimmung nicht bejagt werden. Eine gesonderte Anführung des Steinadlers im § 1 der 2. DVO als ganzjährig geschontes Tier habe daher keinen über die Regelung des § 36 Abs. 2 TJG 1983 hinausgehenden normativen Gehalt, sondern sei eine nochmalige der Vollständigkeit dienende Klarstellung. So gesehen sei als verletzte Norm der § 36 Abs. 2 leg. cit. anzusehen. Dem vermag der Verwaltungsgerichtshof insofern nicht beizustimmen, als sich die Bestimmung des § 1 Abs. 3 der 2. DVO schon ihrem Wortlaut nach ("Folgende Wildarten sind ganzjährig zu schonen: ...Steinadler....") eindeutig als Gebotsnorm darstellt. Ob der normative Gehalt dieser Vorschrift auch aus dem Regelungszusammenhang anderer Bestimmungen erschlossen werden könnte, ist angesichts des Vorhandenseins dieser Norm nicht entscheidend. Der früheren Rechtslage und der Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 3 der 2. DVO kommt in diesem Zusammenhang entgegen der Ansicht der belangten Behörde keine Bedeutung zu. Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch nicht zu erkennen, daß - wie die belangte Behörde meint - "viele Vorstellungen über die inhaltliche Gestaltung und Klarheit der Rechtsvorschriften unnotwendig" wären, wenn sich die vom Verwaltungsgerichtshof vorläufig geäußerte Rechtsansicht durchsetzte. Ob das Verbot der Bejagung von Steinadlern dem Beschwerdeführer "in einer dem § 5 VStG 1950 völlig entsprechenden Weise" bekannt war, ist entgegen der Auffassung der belangten Behörde gleichfalls für die Frage der Einhaltung der Vorschrift des § 44a lit. b VStG 1950 belanglos.

Der Verwaltungsgerichtshof hält daher an der im Beschluß vom 21. September 1988 geäußerten Rechtsansicht fest. Dies hat zur Folge, daß der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der gesamte Schriftsatzaufwand mit dem Pauschalbetrag von S 9.270,-- abgegolten wird und der Ersatz von Stempelgebühren nur im erforderlichen Ausmaß zugesprochen werden kann.

Wien, am 14. Dezember 1988

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