VwGH 87/16/0110

VwGH87/16/011019.5.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Närr und Mag. Meinl als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Novak, über die Beschwerde des DK in B, vertreten durch Dr. Lothar Schottenhamml, Rechtsanwalt in Wien IV, Karlsgasse 7/7, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 26. Mai 1987, Zl. GA 14 - 1/K - 282/1/86, betreffend Antrag auf Zustellung einer Strafverfügung (Finanzvergehen des versuchten Schmuggels), Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 167 Abs. 1 FinStrG und Zurückweisung eines Einspruches als verspätet, zu Recht erkannt:

Normen

FinStrG §143 Abs1;
FinStrG §56 Abs3;
FinStrG §58 Abs2;
FinStrG §62 Abs2;
FinStrG;
EMRK Art5;
EMRK Art6 Abs3 lite;
EMRK Art6;
SozVersAbk Jugoslawien 1966 Art14 Abs5;
SozVersAbk Jugoslawien 1966 Art4;
ZustG §11 Abs1;
ZustG §12 Abs2;
ZustG §7;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987160110.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Teiles, mit dem die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Abweisung seines Antrages auf Zustellung der Strafverfügung als unbegründet abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.930,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus den vorgelegten Verwaltungsstrafakten ergibt sich im wesentlichen folgendes:

Dem Beschwerdeführer - einem Staatsangehörigen der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (in der Folge: Jugoslawien), der Architekt ist und nach der "Tatbeschreibung" des Zollamtes Nickelsdorf vom 20. März 1986 "nur gering deutsch spricht bzw. lesen kann" und am 24. März 1986 als Verdächtiger von einem Beamten des Zollamtes Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz (in der Folge: Zollamt) unter Beiziehung einer Diplomdolmetscherin für die serbokroatische Sprache vernommen und zum Erlag einer Sicherheitsleistung von S 44.000,-- veranlaßt worden war - wurde am 15. Mai 1986 an seinem Wohnsitz in B die ihn wegen des Finanzvergehens des versuchten Schmuggels als Mittäter nach den §§ 11, 13 und 35 Abs. 1 FinStrG betreffende Strafverfügung des Zollamtes vom 3. April 1986 - ohne Übersetzung (in die angeführte Amtssprache Jugoslawiens) - unter Verwendung eines internationalen Rückscheines persönlich ausgefolgt.

Im nunmehrigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Beantwortung der Frage streitentscheidend, ob (im Sinn der belangten Behörde) trotz der bei der Zustellung (dieser Strafverfügung) unterlaufenen (noch zu erörternden) Mängel sie am 15. Mai 1986 als vollzogen gilt oder (im Sinn des Beschwerdeführers) nicht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 56 Abs. 3 erster Satz FinStrG gelten für Zustellungen das Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 (in der Folge: ZustellG), und sinngemäß die Bestimmungen des 3. Abschnittes der Bundesabgabenordnung (in der Folge: BAO).

Unterlaufen bei der Zustellung Mängel, so gilt sie auf Grund des § 7 ZustellG als in dem Zeitpunkt vollzogen, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.

Gemäß § 11 Abs. 1 ZustellG sind Zustellungen im Ausland nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen oder allenfalls auf dem Weg, den die Gesetze oder sonstigen Rechtsvorschriften des Staates, in dem zugestellt werden soll, oder die internationale Übung zulassen, erforderlichenfalls unter Mitwirkung der österreichischen Vertretungsbehörden, vorzunehmen.

Nach § 106 erster Satz BAO sind Zustellungen im Ausland, die nicht gemäß § 11 ZustellG bewirkt werden, mittels eingeschriebenen Briefes gegen Rückschein zu bewirken.

Auf Grund des Art. 1 des Abkommens zwischen Österreich und Jugoslawien über die administrative Zusammenarbeit in Zollangelegenheiten und über die gegenseitige Unterstützung zur Bekämpfung von Zuwiderhandlungen gegen die Zollvorschriften BGBl. Nr. 289/1979 (in der Folge: Abkommen), werden die Zollverwaltungen der Vertragsparteien im Rahmen dieses Abkommens durch enge Zusammenarbeit den Personen- und Warenverkehr über die gemeinsame Staatsgrenze möglichst erleichtern und einander bei der Bekämpfung von Zuwiderhandlungen gegen die Zollvorschriften unterstützen.

Gemäß Art. 4 Abs. 1 des Abkommens leisten die Zollverwaltungen der Vertragsparteien auf Ersuchen im Sinn des Art. 1 einander Unterstützung zur Verhinderung, Aufdeckung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen. Die Verhaftung von Personen und die Vornahme von Haus- und Personendurchsuchungen sowie die Einhebung von Zöllen, anderen Eingangs- oder Ausgangsabgaben, Geldstrafen und sonstigen Beträgen sind von der Unterstützung ausgenommen.

Nach Art. 4 Abs. 2 des Abkommens ist für die Durchführung der nach diesem Abkommen erforderlichen Maßnahmen das Recht der ersuchten Vertragspartei anzuwenden.

Auf Grund des Art. 14 Abs. 5 des Abkommens findet der schriftliche Verkehr zwischen den Zollverwaltungen der Vertragsparteien in der Regel in der Staatssprache der Republik Österreich und in den Amtssprachen Jugoslawiens statt.

Im allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Abkommens (1105 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIV. GP) wird wegen der im folgenden mehrfach erwähnten anderen Amtshilfeabkommen, neben den Verträgen mit Deutschland und den USA auf den Vertrag mit Ungarn, BGBl. Nr. 237/1978, und auf die Regierungsvorlage betreffend das Abkommen mit Polen (824 der zitierten Beilagen) verwiesen. Gemäß Art. 7 Abs. 4 dieses Vertrages mit Ungarn fand der Schriftverkehr zwischen den Zollverwaltungen in ihrer Staatssprache statt, wobei jeweils eine Übersetzung in die andere Staatssprache anzuschließen war. Art. 14 der zuletzt zitierten Regierungsvorlage sah nach Möglichkeit eine Übersetzung vor. Die Erläuterungen zu Art. 14 der Regierungsvorlage zu den für den vorliegenden Beschwerdefall unmittelbar maßgebenden Abkommen verweisen u.a. angesichts der besonderen Situation des grenzüberschreitenden Verkehrs auf die allen Amtshilfeübereinkommen gemeinsame Regelung über die zu verwendenden Sprachen.

Manhart-Fuchs, Das Österreichische Zollrecht2, II. Teil 3. Band, Wien 1978, S. 2370/76 (Stand 1. Jänner 1981), bemerken zu Art. 14 des Abkommens u.a., den Ersuchen und Mitteilungen sei nach Möglichkeit eine Übersetzung in die Sprache (eine der Sprachen) der anderen Vertragspartei anzuschließen. Die Beifügung einer Übersetzung sei zwar nicht notwendig, aber empfehlenswert - bei in einfacher Sprache abgefaßten Ersuchen, - bei allen auf Ersuchen oder von Amts wegen gegebenen Mitteilungen und Auskünften.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 3. Dezember 1984, G 24/83, u.a., Slg. Nr. 10.291, ausgesprochen, daß der österreichische Vorbehalt zu den Art. 5 und 6 MRK nicht für das FinStrG gilt (und zwar auch nicht mittelbar durch Verweisung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen). Im Lichte dieser Rechtsprechung ist daher die MRK für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren in vollem Umfang anzuwenden (siehe z. B. Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch, Finanzstrafgesetz, Wien 1974 - Stand nach der 9. Lieferung im Jänner 1988, S. 184 Mitte). Im übrigen hat der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 17. Oktober 1985, B 285/85, Slg. Nr. 10.638, dargetan, daß in Finanzstrafsachen entweder die Kompetenz der Finanzstrafsenate zwingend vorgesehen ist oder es in allen anderen Fällen (sowohl bei Finanzvergehen als auch bei Ordnungswidrigkeiten) in die Hand der Parteien gegeben ist, sowohl in erster als auch in zweiter Instanz das Strafverfahren vor einen Senat zu bringen. Nach diesem Erkenntnis sind die Finanzstrafsenate Tribunale im Sinne des Art. 6 MRK.

Gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. e) MRK hat jeder Angeklagte mindestens (englischer Text) - insbesondere (französischer Text) - das Recht, die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann.

Ausgehend von dieser Rechtslage kommt man jedenfalls nach dem Sinn des verfassungskonform zu interpretierenden Art. 14 Abs. 5 des Abkommens zu dem Ergebnis, daß die in Rede stehende Ausfolgung der angeführten Strafverfügung ohne deren Übersetzung in eine der Amtssprachen Jugoslawiens nicht nur gegen § 11 Abs. 1 erster Fall ZustellG verstieß, sondern auch im Hinblick auf die Unvollständigkeit des Schriftstückes im Sinn des § 7 ZustellG - das ZustellG nennt Schriftstück das, was übermittelt werden soll (siehe z.B. Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht, Wien 1983, S. 41 Anmerkung 5 in Verbindung mit S. 23 Anmerkung 7) - eine Heilung des aufgezeigten Zustellmangels nicht zu bewirken vermochte, wobei es im Hinblick auf den Sinn des im vorliegenden Fall zu beachtenden Art. 6 Abs. 3 lit. e) MRK (siehe z.B. Golsong u. a., Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Köln-Berlin-Bonn-München, 1986, Rz 578- 594, insbesondere 584 f und 587 dritter Satz, zu Art. 6) rechtlich unerheblich ist, ob in Jugoslawien eine dem § 12 Abs. 2 ZustellG entsprechende Regelung gilt oder nicht.

Auf Grund der vorstehenden Erwägungen ist der Teil des angefochtenen Bescheides mit dem die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Abweisung seines Antrages auf Zustellung der Strafverfügung als unbegründet abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, und zwar ohne Notwendigkeit einer Wiedergabe und Erörterung des Vorbringens der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zur Frage der Wiedereinsetzung, auf die allein sich im übrigen, und zwar jeweils im Zusammenhang mit einer Zustellung im Inland, die - Unterlassungen wegen sprachlicher Schwierigkeiten als Verschulden wertende - Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 1971, Zl. 1603/71, und vom 15. Jänner 1985, Zlen. 84/04/0234, 0235, beziehen.

Da ein Zustellmangel vorliegt, war die Abweisung der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Abweisung seines Wiedereinsetzungsantrages und die Zurückweisung seines Einspruches - abgesehen von der Begründung (auch die im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides gebrauchten Worte "als verspätet" stellen eine Begründung dar) - im Ergebnis nicht rechtswidrig. In diesem Umfang ist die vorliegende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 19. Mai 1988

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