VwGH 87/03/0195

VwGH87/03/019522.6.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Baumgartner, Dr. Weiss, Dr. Leukauf und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Ortmayr, über die Beschwerde der Stadt Wien, vertreten durch Dr. Christian Schmelz, Rechtsanwalt in Wien I, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 2. Juli 1987, Zl. 226.126-1- II/2-1987, betreffend Aufteilung der Kosten für die Errichtung und den Betrieb von Schrankenanlagen an einer Eisenbahnkreuzung (mitbeteiligte Partei: Österreichische Bundesbahnen in Wien I, Elisabethstraße 9), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
EisenbahnG 1957 §48 Abs3;
EisenbahnG 1957 §49 Abs2;
VwGG §36 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
EisenbahnG 1957 §48 Abs3;
EisenbahnG 1957 §49 Abs2;
VwGG §36 Abs1;

 

Spruch:

Spruchpunkt II des Bescheides des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 2. Juli 1987, Zl. 226.126-1- II/2-1987, wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr entschied mit Bescheid vom 2. Juli 1987 gemäß § 49 Abs. 2 des Eisenbahngesetzes 1957 (EisbG), BGBl. Nr. 60, im Zusammenhalt mit § 8 und 12 der Eisenbahnkreuzungsverordnung 1961, BGBl. Nr. 2, daß die Eisenbahnkreuzungen im km 6,395 mit dem Telefonweg und im km 7,090 mit der Schafflerhofstraße im 22. Wiener Gemeindebezirk der ÖBB-Strecke Stadlau-Marchegg durch Errichtung von Schrankenanlagen mit - im einzelnen näher beschriebenen - Lichtzeichen zur optischen Vorankündigung des Schrankenschließens zu sichern seien (Spruchpunkt I). Weiters sprach der Bundesminister in diesem Bescheid gemäß § 49 Abs. 2, letzter Satz, in Zusammenhalt mit § 48 Abs. 2 EisbG in Befolgung des Gutachtens der Sachverständigenkommission aus, daß hinsichtlich dieser Eisenbahnkreuzungen die Kosten für die erstmalige Errichtung der zuggeschalteten Halbschrankenanlagen vom Träger der Straßenbaulast (Beschwerdeführerin) und die Kosten des Betriebes und der Instandhaltung der beiden Schrankenanlagen (kapitalisiert ca. 3, 5 Millionen Schilling) von der mitbeteiligten Partei zu tragen seien (Spruchpunkt II). Die Spruchpunkte III bis V des angeführten Bescheides sind für das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht von Relevanz. Zur Begründung führte die Behörde, soweit dies für das verwaltungsgerichtliche Verfahren von Bedeutung ist, aus, da eine Einigung bezüglich der Kostentragung zwischen den beteiligten Verkehrsträgern nicht zustande gekommen sei, sei die Sachverständigenkommission gemäß § 48 EisbG gebeten worden, ein Gutachten darüber zu erstatten, wie die Kosten für die erstmalige Errichtung der Schrankenanlagen und für die Erhaltung und Inbetriebhaltung derselben auf die Verkehrsträger aufzuteilen wären. Die Kommission habe folgendes Gutachten erstattet:

"G u t a c h t e n

Die Kommission schlägt vor:

1. Die Kosten der erstmaligen Errichtung der gegenständlichen technischen Kreuzungsschutzanlagen soll der Träger der Straßenbaulast (Stadt Wien) übernehmen.

2. Die Kosten des Betriebes und der Instandhaltung dieser beiden Anlagen (kapitalisiert ca. 3, 5 Mio S) soll das Eisenbahnunternehmen (ÖBB) tragen.

Begründung

Die Errichtung der beiden Anlagen liegt nach Ansicht der Kommission zu einem Drittel im Interesse der Österr. Bundesbahnen und zu zwei Drittel im Interesse der Stadt Wien. Dieser Interessenslage entsprechend wurde der obige Vorschlag erstattet."

Die Entscheidung stütze sich, so wird in der Begründung weiter dargelegt, auf das anstandslose Ergebnis der im Gegenstand am 29. Juli 1986 durchgeführten Ortsverhandlung und auf die im Spruch angeführten Gesetzesstellen sowie auf das schlüssige Gutachten der Sachverständigenkommission, dem im Spruch vollinhaltlich gefolgt worden sei.

Gegen Spruchpunkt II des Bescheides des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 2. Juli 1987 richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Auch die mitbeteiligte Partei beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin durch Spruchpunkt II des Bescheides in ihrem Recht verletzt, daß ihr bei der gegebenen Sach- und Rechtslage für die im Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides genannten Maßnahmen keine Kosten bzw. Kosten nur im gesetzlichen Ausmaß auferlegt werden. Weiters verletze der angefochtene Bescheid das Recht der Beschwerdeführerin auf ein gesetzmäßiges Verfahren. In Ausführung der so bezeichneten Beschwerdepunkte trägt die Beschwerdeführerin vor, das von der Sachverständigenkommission erstattete "Gutachten" entspreche nicht den an ein Sachverständigengutachten zu stellenden Erfordernissen und sei völlig unüberprüfbar. Jeder Befund fehle. Es sei nicht nachvollziehbar, auf Grund welcher objektiven Umstände die Kommission zu der von ihr getroffenen Schlußfolgerung gelange. Die Feststellung, die beiden Anlagen würden "nach Ansicht der Kommission zu einem Drittel im Interesse der ÖBB und zu zwei Drittel im Interesse der Stadt Wien" liegen, reiche weder aus, den Erfordernissen des Eisenbahngesetzes Genüge zu tun, noch werde sie auf irgendeine Weise begründet. Das "Gutachten", lasse jede Auseinandersetzung mit den nach § 48 Abs. 2 EisbG maßgeblichen Kriterien vermissen, weshalb in Wahrheit kein Gutachten im Sinne des § 48 Abs. 3 EisbG vorliege, und auch die belangte Behörde habe sich mit den im § 48 Abs. 2 leg. cit. maßgeblichen Kriterien in der Begründung ihres Bescheides nicht auseinandergesetzt. Im übrigen fehle in dem "Gutachten" jede Aussage zu der nach § 48 Abs. 2 EisbG primären Frage, welche Kosten überhaupt in die Kostenteilungsmasse einzubeziehen seien, welcher Mangel auch dem Spruchpunkt II des Bescheides anhafte. Die nach § 48 Abs. 2 EisbG primär zu treffende Entscheidung, welche Kosten überhaupt in die Kostenteilungsmasse einzubeziehen seien, fehle zur Gänze. Ohne einen solchen Ausspruch bleibe es völlig unbestimmt, welche Kosten die Beschwerdeführerin zu tragen habe. Die belangte Behörde habe auch das Parteiengehör verletzt, weil sie der Beschwerdeführerin das von ihr eingeholte Gutachten der Sachverständigenkommission vor Bescheiderlassung nicht zur Kenntnis gebracht und ihr damit jede Gelegenheit genommen habe, dazu Stellung zu nehmen, obwohl der angefochtene Spruchpunkt II des Bescheides ausschließlich sich auf dieses "Gutachten" stütze. Die Begründung des Spruchpunktes II erschöpfe sich in der wörtlichen und unkritischen Wiedergabe des Gutachtens, was einen Verstoß gegen § 60 AVG darstelle.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Gemäß § 49 Abs. 2 EisbG hat das Bundesministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über die im Einzelfall zur Anwendung kommende Sicherung schienengleicher Eisenbahnübergänge, bei Kreuzungen mit Bundesstraßen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten, bei allen übrigen Straßen nach Anhörung des Landeshauptmannes nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse zu entscheiden. Die Bestimmungen des § 48 Abs. 2 EisbG finden sinngemäß Anwendung. Gemäß § 48 Abs. 2 leg. cit. hat das Bundesministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr in der nach Abs. 1 ergehenden Anordnung - Abs. 1 hat die auf Antrag oder von Amts wegen vorzunehmende Anordnung der baulichen Umgestaltung einer Eisenbahnkreuzung zum Gegenstand - auch zu entscheiden, welche Kosten infolge der technischen Anpassung der baulichen Umgestaltung im verkehrsmäßigen Ausstrahlungsbereich der Kreuzung erwachsen und demgemäß in die Kostenteilungsmasse einzubeziehen sind und in welchem Ausmaß die Verkehrsträger die durch die bauliche Umgestaltung und die durch die künftige Erhaltung und Inbetriebhaltung der umgestalteten Anlagen erwachsenden Kosten zu tragen haben. Diese Festsetzung ist nach Maßgabe der seit Erteilung der Baugenehmigung für die Kreuzung eingetretenen Änderung des Eisenbahn- oder Straßenverkehrs, der durch die bauliche Umgestaltung erzielten Verbesserung der Abwicklung des Eisenbahn- oder Straßenverkehrs, der hiedurch erzielten allfälligen Ersparnisse und der im Sonderinteresse eines Verkehrsträgers aufgewendeten Mehrkosten zu treffen. Gemäß § 48 Abs. 3 EisbG hat sich der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr bei der Kostenfestsetzung des Gutachtens einer Sachverständigenkommission zu bedienen, die aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern besteht.

Die im § 49 Abs. 2 EisbG angeordnete sinngemäße Anwendung des § 48 Abs. 2 leg. cit. bedeutet einerseits, daß die Behörde in einem Verfahren nach § 49 Abs. 2 leg. cit. auch über die mit der im Einzelfall zur Anwendung kommenden Sicherung eines schienengleichen Eisenbahnüberganges verbundenen Kosten und deren Aufteilung auf die Verkehrsträger zu entscheiden hat, und andererseits, daß die Festsetzung, in welchem Ausmaß die Verkehrsträger diese Kosten zu tragen haben, nach den im § 48 Abs. 2 letzter Satz leg. cit. angeführten Kriterien zu treffen ist. Beides (Feststellung der Kosten und deren Aufteilung auf die Verkehrsträger) hat im Spruch der Entscheidung zu erfolgen, mit der über die im Einzelfall zur Anwendung kommende Sicherung eines schienengleichen Eisenbahnüberganges abgesprochen wird (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juni 1982, Slg. 10759/A).

Eine dem Gesetz entsprechende Entscheidung nach § 49 Abs. 2 EisbG liegt demnach nur vor, wenn sie unter anderem die durch die Sicherungsanlage erwachsenden Kosten enthält, das Ausmaß der auf die Verkehrsträger entfallenden Kosten festsetzt und sich in einer der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglichen Art mit den für die Festsetzung des auf die Verkehrsträger entfallenden Kostenanteiles maßgebenden Kriterien schlüssig auseinandersetzt. Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid - wie die Beschwerdeführerin zu Recht einwendet - nicht gerecht. Abgesehen davon, daß dem angefochtenen Spruchpunkt II des Bescheides das Ausmaß der von der Beschwerdeführerin und der mitbeteiligten Partei zu tragenden Kosten nicht zu entnehmen ist, stützte sich die belangte Behörde diesbezüglich lediglich auf das von ihr eingeholte Gutachten der Sachverständigenkommission, das jedoch keine geeignete Grundlage für eine den vorstehend angeführten Erfordernissen entsprechende Entscheidung bildet. Denn dieses Gutachten enthält weder Feststellungen über die mit der in Rede stehenden Sicherungsanlage verbundenen Kosten noch eine Begründung für die darin angeregte Kostenaufteilung auf die Verkehrsträger unter den im § 48 Abs. 2 EisbG angeführten Gesichtspunkten. Es sind ihm nicht einmal die Grundlagen zu entnehmen, auf Grund deren die Kommission zu der von ihr vertretenen Ansicht gelangte, daß die Errichtung der beiden Anlagen zu einem Drittel im Interesse der mitbeteiligten Partei und zu zwei Drittel im Interesse der Beschwerdeführerin liege. Das Gutachten ist daher, was der Beschwerdeführer zu Recht behauptet, nicht nachvollziehbar.

In der von ihr erstatteten Gegenschrift führte die belangte Behörde aus, daß das Gutachten der Sachverständigenkommission "kein bloßes Beweismittel im Sinne des AVG darstellt, das so wie andere Beweismittel (etwa der Zeugenbeweis) ausschließlich der freien Beweiswürdigung unterliegen würde". Der Gesetzgeber habe mit dieser Kommission "eine Kommission besonderer Art geschaffen, deren Funktion weit über den bloßen Sachverständigenbeweis im Sinne des AVG" hinausgehe. Die Entscheidung über die Kostentragung beinhalte ja eine Interessenabwägung, die viel weiterreichender sei und die sogar ganz andere Maßstäbe erfordere als eine Sachverständigentätigkeit im herkömmlichen Sinn. Aus dem Wortlaut des § 48 Abs. 3 EisbG, demzufolge sich die Behörde bei der Kostenfestsetzung des Gutachtens einer Sachverständigenkommission zu bedienen habe, sei vielmehr abzuleiten, daß die Behörde diesem Gutachten auch bei auffälligen Auffassungsunterschieden zwischen einer Partei und der Sachverständigenkommission Rechnung zu tragen habe, weshalb auch mit der von der Beschwerdeführerin behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs keinerlei rechtliche Wirkung verknüpft sei. Nach ihrer Zusammensetzung habe die Kommission "Schiedsgerichtsfunktion".

Mit diesem Vorbringen verkennt die belangte Behörde die Rechtslage. Der Ausdruck "sich zu bedienen" im § 48 Abs. 3 EisbG bedeutet nichts anderes, als daß die Behörde die Kosten nicht ohne Heranziehung des Gutachtens der Sachverständigenkommission festsetzen darf. Der Gesetzgeber ordnete damit ausdrücklich an, daß in der Frage der Kostenfestsetzung die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige - hier durch die Sachverständigenkommission -

im Sinne des § 52 Abs. 1 AVG 1950 notwendig ist. Eine Bindung der Behörde an das Gutachten der Sachverständigenkommission ist daraus aber entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht abzuleiten, ganz abgesehen davon, daß mit einer solchen Auslegung dieser Gesetzesstelle ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt würde (vgl. dazu Friedrich Koja, Die rechtliche Stellung der Codexkommission, in ZfV 1979, S. 94 ff, sowie die in diesem Artikel angeführte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes betreffend "Entscheidungsfreiheit" der obersten Verwaltungsorgane). Ausgehend davon aber stellt das Gutachten der Sachverständigenkommission ein Gutachten im Sinne des § 52 AVG 1950 dar, das so wie andere Beweismittel dem Parteiengehör und der Würdigung durch die Behörde, insbesondere auch auf seine Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin, unterliegt.

Zu den weiteren ausführlichen Darlegungen in der Gegenschrift ist die belangte Behörde darauf hinzuweisen, daß die Begründung des angefochtenen Bescheides in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden kann, weshalb sich auch eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen im einzelnen erübrigt.

Da die belangte Behörde nach den vorstehenden Ausführungen die Rechtslage verkannte, war der Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 2. Juli 1987 im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 22. Juni 1988

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