Normen
Abgaben Weitergeltung Verfahrensvorschriften OÖ 1962 §1
AbgEO §14 Abs2
AbgEO §14 Abs4
FAG 1973 §15 Abs1
FAG 1973 §20 Abs6
FAG 1979 §13 Abs3
GewStG §29 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1983:1983170019.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1.) Die mitbeteiligte Partei erklärte und bezahlte in den Jahren 1976 und 1977 überhöhte Lohnsummensteuer von zusammen S 310.824,--, weil von ihr wegen mangelnder Erfahrung mit vergleichbaren Aufträgen irrtümlich unbeachtet geblieben war, daß die betreffenden Lohnsummen bei Bauausführungen im Ausland angefallen waren, deren 12‑Monate übersteigende Dauer (§ 29 Abs. 2 lit. c BAO) schon bei Auftragserteilung feststand (Amtsvermerk vom 11. März 1980, Bl. 5 der Verwaltungsakten). Die mitbeteiligte Partei wurde auf die irrtümliche Erklärung und Abfuhr der Lohnsummensteuer erst nach Ablauf der Frist des § 29 Abs. 2 Gewerbesteuergesetz 1953 (in der Folge: GewStG) zufällig durch ihre Muttergesellschaft aufmerksam und stellte hierauf unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Juni 1980, Slg. 5496/F, einen Antrag um Nachsicht und Rückerstattung des zuviel an Lohnsummensteuer abgeführten Betrages.
2.) Der Gemeinderat der beschwerdeführenden Partei gab mit seinem Bescheid vom 25. März 1982 gemäß § 14 Abs. 2 Abgabeneinhebungsgesetz 1951, BGBl. 87 (in der Folge: AbgEG), in Verbindung mit dem Gesetz über die Weitergeltung von verfahrensrechtlichen Vorschriften (O.Ö.) LGBl. 1961/63, in der Fassung LGBl. 1966/5, dem Antrag der mitbeteiligten Partei mit der Begründung nicht Folge, eine Unbilligkeit liege deshalb nicht vor, weil die mitbeteiligte Partei an der Versäumung der Antragstellung gemäß § 29 Abs. 2 GewStG ein erhebliches Verschulden treffe. Von einem Großunternehmen müsse verlangt werden, daß seine mit den einschlägigen Aufgaben betrauten Angestellten die für ihre Tätigkeit maßgebenden Vorschriften kennen. Außerdem würden jährlich die Erläuterungen zum Ausfüllen der Lohnsummensteuer-Jahreserklärung an die Abgabepflichtigen ausgesandt, in denen ausdrücklich darauf hingewiesen sei, daß nur Lohnsummensteuer für die in der Gemeinde gelegenen Betriebsstätten zu erklären und zu bezahlen sei. Die Überlegungen des von der mitbeteiligten Partei zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes seien hier nicht anwendbar, handle es sich doch im vorliegenden Fall nicht um ein Unternehmen, welches schon seiner Art nach der betreffenden Abgabepflicht nicht unterliege.
3.) Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Vorstellung. Darin vertrat sie den Standpunkt, einem „Freiberufler“, der schon von Gesetzes wegen nicht der Abgabepflicht unterliege, sei nicht weniger schuldhaftes Verhalten beizumessen, als einem an sich steuerpflichtigen Unternehmen, das erstmalig Betriebsstätten im Ausland begründe und die solcherart steuerlich relevant gewordene territoriale Abgrenzung nicht beachte. Auch für qualifizierte Arbeitnehmer sei es nicht ohne weiteres möglich, alle einschlägigen abgabenrechtlichen Bestimmungen zu erfassen. Außerdem verwies die mitbeteiligte Partei, offenbar im Zusammenhang mit der Interessenabwägung, auf die schwierige wirtschaftliche Situation, in der sie und ihre Muttergesellschaft sich wegen der Krisensituation auf dem Stahlsektor befänden.
4.) Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die OÖ Landesregierung als Aufsichtsbehörde (in der Folge: belangte Behörde) der Vorstellung statt und hob den Bescheid des Gemeinderates (I/2) mit der auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juli 1981, Zl. 1849, 1850/59 (der veröffentlichte Teil dieses Erkenntnisses findet sich unter Slg. 2487/F), gestützten Begründung auf, die Rechtsordnung „verabscheue“ nicht nur auf dem Gebiete des Privatrechtes, sondern auch auf dem des öffentlichen Rechts die ungerechtfertigte Bereicherung. Da der Betrag von S 310.824,-- zu Unrecht als Lohnsummensteuer an die beschwerdeführende Partei entrichtet worden sei, wäre die Einbehaltung dieses Betrages gemäß § 14 Abs. 2 AbgEG unbillig. In diesem Punkt sei die Vorstellungswerberin in ihren Rechten verletzt worden.
5.) Die beschwerdeführende Partei behauptet in ihrer Beschwerde inhaltliche Rechtswidrigkeit dieses Bescheides und beantragt deshalb, den angefochtenen Bescheid aufzuheben. Sie erachtet sich nach dem Inhalt ihrer Beschwerdeausführungen in ihrem Recht auf den betreffenden Abgabenertrag und in ihrem Recht auf gesetzmäßige Selbstverwaltung verletzt.
6.) Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, sie und die mitbeteiligte Partei haben Gegenschriften erstattet, in denen die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.) a) Mit seinem Beschluß vom 29. April 1983 (OZ 6) hat der Verwaltungsgerichtshof den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 41 Abs.1 zweiter Satz VwGG 1965 mitgeteilt, daß für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Bescheides unter dem Blickwinkel des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1981, Zlen. 17/1977/79, 17/1978/79, maßgebend sein könnte, ob Rechtsvorschriften darüber, unter welchen Voraussetzungen Steuernachsicht erfolgt, Bestimmungen des Verfahrensrechtes oder materiell-rechtliche Vorschriften sind, und den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu dieser Frage Gehör gewährt.
Die beschwerdeführende Partei hat in ihrer Äußerung die Meinung vertreten, es handle sich um materiell-rechtliche Vorschriften, während die beiden anderen Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sich dahin äußerten, es handle sich um Bestimmungen des Verfahrensrechtes.
b) Wenn Abgaben der im § 6 Abs. 1 unter Z. 1 und 2 angeführten Art ausschließlich den Ländern (Gemeinden) überlassen werden, kann gemäß § 7 Abs. 3 F‑VG 1948 die Bundesgesetzgebung die Überlassung dieser Abgaben davon abhängig machen, daß die Regelung der Erhebung und Verwaltung dieser Abgaben einschließlich ihrer Teilung zwischen Ländern und Gemeinden zur Gänze oder hinsichtlich der Grundsätze (Art. 12 und 15 B‑VG) dem Bund vorbehalten bleibt. Das gleiche gilt hinsichtlich der im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesverfassungsgesetzes vom Bund für Zwecke der Gemeinden erhobenen Abgaben.
Laut § 13 Abs. 1 Z.2 und Abs. 2 FAG 1973, BGBl. 1972/445, war die Gewerbesteuer (Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital und Lohnsummensteuer) eine ausschließliche Gemeindeabgabe; der Bund hob gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. vom selben Besteuerungsgegenstand eine Bundesgewerbesteuer ein, die zugleich mit der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital eingehoben wurde. Die Gewerbesteuereingänge (Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital und Bundesgewerbesteuer) war gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen ab 1. Jänner 1973 dem Bund und den Gemeinden im Verhältnis 50 : 50 zuzuweisen. Gemäß § 15 Abs. 1 FAG 1973 erfolgte die Regelung der Erhebung und Verwaltung der Gewerbesteuer (§ 13 Abs. 1 Z.2) durch die Bundesgesetzgebung mit der Maßgabe, daß bis zum Inkrafttreten einer landesgesetzlichen Regelung aufgrund eines Grundsatzgesetzes des Bundes (Art. 12 und 15 B‑VG) die Regelung des Verfahrens hinsichtlich der Lohnsummensteuer der Landesgesetzgebung insoweit überlassen wurde, als nicht bundesgesetzliche Vorschriften in Kraft stehen. Durch die Sonder- und Schlußbestimmungen des § 20 Abs. 6 FAG 1973 wurden die Länder ermächtigt, Verfahrensvorschriften u.a. auf dem Gebiet der Lohnsummensteuer zu erlassen. Die genannten Bestimmungen des Finanzausgleichsgesetzes 1973 traten mit Ablauf des 31. Dezember 1978 außer Kraft (§ 21 Abs. 1 FAG 1973).
Gemäß § 13 Abs. 1 FAG 1979, BGBl. 1978/673, sind die Bundesgewerbesteuer und die Gewerbesteuer Abgaben vom selben Besteuerungsgegenstand. Von demselben Besteuerungsgegenstand „Gewerbebetrieb“ im Sinne des Gewerbesteuergesetzes, BGBl. 1954/2, erheben gemäß § 13 Abs. 2 FAG 1979 der Bund (Bundesgewerbesteuer) und die Gemeinden (Gewerbesteuer) gleichartige Abgaben. Die Abgabe des Bundes beträgt 150 v.H. des einheitlichen Steuermeßbetrages und wird zugleich mit der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital berechnet, festgesetzt, eingehoben und zwangsweise eingebracht. Neben dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital können die Gemeinden auch noch die Lohnsummen als Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer wählen. Laut Abs. 3 des § 13 FAG 1979 erfolgt die Regelung der Erhebung und der Verwaltung der im Abs. 1 genannten Abgaben durch die Bundesgesetzgebung mit der Maßgabe, daß die Regelung des Verfahrens hinsichtlich der Lohnsummensteuer der Landesgesetzgebung insoweit überlassen wird, als nicht bundesgesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Diese Bestimmungen traten gemäß § 23 Abs. 1 FAG 1979 am 1. Jänner 1979 in Kraft und treten mit Ablauf des 31. Dezember 1984 außer Kraft.
Bei der Gewerbesteuer von der Lohnsumme handelt es sich daher um bundesgesetzlich geregelte, jedoch den Gemeinden gemäß § 7 Abs. 3 F‑VG 1948 überlassene Abgaben; der Bundesgesetzgeber kann dem Bund daher die Regelung der Erhebung und Verwaltung dieser Abgabe zur Gänze oder hinsichtlich der Grundsätze vorbehalten. Von dieser Möglichkeit hat der Bundesgesetzgeber sowohl im Finanzausgleichsgesetz 1973 als auch im Finanzausgleichsgesetz 1979 auf die oben dargestellte Weise Gebrauch gemacht. Darnach ist der Landesgesetzgeber nur zur Erlassung von Verfahrensvorschriften und dies wieder nur insofern ermächtigt, als nicht bundesgesetzliche Vorschriften in Kraft (FAG 1973) bzw. entgegen (FAG 1979) stehen.
Zur Beantwortung der Frage, aus welchem Grund eine derartige Ermächtigung bereits seit der Finanzausgleichsgesetz‑Novelle 1964, BGBl. 1963/263, zum Finanzausgleichsgesetz 1959 notwendig wurde und zur Begründung dafür, daß unter dem klaren Wortlaut „Regelung des Verfahrens“, „Verfahrensvorschriften“ nicht materiell-rechtliche Vorschriften verstanden werden können, wird auf die Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1981, Zlen. 17/1977/79, 17/1978/79, hingewiesen.
c) Gemäß § 1 des Gesetzes vom 15. Dezember 1961 über die Weitergeltung von verfahrensrechtlichen Vorschriften in Angelegenheiten der von Organen des Landes, der Ortsgemeindeverbände und Gemeinden zu erhebenden Abgaben (O.Ö.) LGBl. 1961/63, in der Fassung LGBl. 1966/5, wurde u.a. das Abgabeneinhebungsgesetz 1951, BGBl. 87, soweit als landesgesetzliche Vorschrift in weitere Geltung gesetzt, als es am 31. Dezember 1961 im Zusammenhang mit den Bestimmungen des O.Ö. Abgaben‑Verfahrensgesetzes, LGBl. 1955/45, für das Verfahren in Angelegenheiten der Abgaben, die von Organen des Landes, der Ortsgemeindeverbände und der Gemeinden erhoben werden, in Geltung stand.
Diese. Regelung steht mit den §§ 15 Abs. 1, 20 Abs. 6 FAG 1973, 13 Abs. 3 FAG 1979, jedenfalls insofern in Einklang, als die Bestimmungen des Abgabeneinhebungsgesetzes 1951 nur insoweit als landesgesetzliche Vorschrift „in weitere Geltung gesetzt“ wurden, als es sich um Vorschriften über „das Verfahren in Angelegenheiten der Abgaben“, also nicht um materielles Recht handelt. Was die Lohnsummensteuer anlangt, erweist sich die genannte Rezeption daher schon ihrem Wortlaut nach unter dem Gesichtspunkt der zitierten kompetenzrechtlichen Bestimmungen der Finanzausgleichsgesetze als unbedenklich.
d) Als Rechtsvorschrift, welche für die Beurteilung eines Gesuches um Nachsicht und Rückzahlung von Lohnsummensteuer in Betracht kommt, scheidet § 236 BAO im Hinblick auf den Anwendungsbereich dieses Gesetzes (§ 1 BAO) aus, weil die Lohnsummensteuer nicht durch Abgabenbehörden des Bundes, sondern von den Gemeindebehörden eingehoben wird (§ 11 Abs. 3 F‑VG 1948, §§ 16 FAG 1973, 13 Abs. 5 FAG 1979). Es ist daher zu prüfen, ob die belangte Behörde die Beurteilung des Antrages der mitbeteiligten Partei durch die Gemeindebehörde an § 14 Abs. 2 AbgEG messen durfte. Dies war nach dem Obengesagten (II/1/c) nur dann der Fall, wenn es sich dabei nicht um eine materiell-rechtliche Vorschrift, sondern um eine Verfahrensvorschrift handelt.
e) Mangels anderweitiger Anordnungen ist davon auszugehen, daß auch der Gesetzgeber der Finanzausgleichsgesetze 1973 und 1979 seiner Regelung den in der österreichischen Rechtsordnung ausgeprägten Begriffsinhalt des Verfahrensrechtes (als Gegenstück zum materiellen Recht) zugrunde gelegt hat. Dieser ist daher zur Beurteilung der Frage maßgebend, ob eine Regelung dem formellen oder dem materiellen Recht angehört.
Sowohl die Rechtslehre als auch die Praxis verstehen unter Verfahrensrecht jene Normen, die die Feststellung der Rechtsregeln und deren Durchsetzung zum Inhalt haben, die also den Weg regeln, auf dem aus einer Rechtserscheinung höherer Stufe eine Rechtserscheinung niedrigerer Stufe erzeugt wird (vgl. Gassner, Die verfassungsrechtliche Problematik des § 78 AVG aus der Sicht der Kompetenzverteilung, ÖVA 1969, S.6 und die dort geführten Nachweise).
f) § 14 Abs. 2 AbgEG lautet:
„Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre. Unter der gleichen Voraussetzung können bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten angerechnet und zurückgezahlt werden. Die im einzelnen Fall getroffene Billigkeitsmaßnahme kann bis zum Ablauf der Verjährungsfrist widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen hiezu nachträglich weggefallen sind oder sich als unrichtig erwiesen haben. Für Zahlungen, die auf Grund des Widerrufes zu leisten sind, ist eine Nachfrist von mindestens 8 Werktagen zu setzen.“
§ 14 Abs. 1 leg. cit. sieht eine „Löschung durch Abschreibung fälliger Abgabenschuldigkeiten im Falle endgültiger Aussichtslosigkeit weiterer Exekutionsmaßnahmen und § 14 Abs. 3 eine Abschreibung unter Aussetzung der Einbringung bei vorübergehender Aussichtslosigkeit (oder Unverhältnismäßigkeit der Kosten) vor. Gemäß § 14 Abs. 4 leg. cit. „ist“ der Abgabenanspruch der abgabenberechtigten Körperschaft „mit dem Vollzug der Abschreibung (Abs. 1 bis 3)“ „erloschen“, lebt aber unter bestimmten Voraussetzungen wieder auf, im Falle des Abs. 2, wenn die Nachsicht einer Abgabe widerrufen wird.
Das Abgabeneinhebungsgesetz verwendete in seiner Stammfassung den Begriff der Abschreibung einer Abgabe zur Benennung eines verfahrensrechtlichen Schrittes im Abgabenverfahren, es bezeichnete damit aber auch einen buchungstechnischen Vorgang. Mit der Änderung des Wortlautes des § 14 Abgabeneinhebungsgesetz in seiner Stammfassung durch die Abgabeneinhebungsgesetznovelle BGBl. 1951/11, mit welcher das Gesetz die im Beschwerdefall maßgebliche Fassung seiner Wiederverlautbarung BGBl. 1951/87 erhielt, sollte diese Mehrdeutigkeit des Wortes „Abschreibung“ vermieden und das Wort künftig nur zur Bezeichnung des buchungstechnischen Vorganges verwendet werden. Der aus der (Reichs) Abgabenordnung übernommene Ausdruck „Erlaß“, der in der Stammfassung des Gesetzes verwendet worden war, um die in Billigkeitserwägungen begründete Abstandnahme von der Einhebung einer Abgabe, deren Anrechnung auf andere Abgabenschuldigkeiten oder deren Rückzahlung zu bezeichnen, sollte aus sprachlichen Gründen durch die „das Wesen der Sache besser treffende Benennung „Nachsicht“ ergänzt werden, wobei der Nachsicht noch nicht entrichteter Abgabenbeträge die Bewilligung der Anrechnung oder der Rückzahlung bereits entrichteter Abgabenbeträge gleichgestellt wurde (vgl. die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der Abgabeneinhebungsgesetznovelle, 261 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VI. GP).
Nach der Absicht des historischen Gesetzgebers sollte es sich also - ebenso wie bei den anderen Abschreibungen - bei der durch Abschreibung vorzunehmenden „Nachsicht“, wenn die Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre, und der unter den gleichen Voraussetzungen erfolgenden Anrechnung oder Zurückzahlung bereits entrichteter Abgabenschuldigkeiten um einen Verfahrensschritt handeln, der vorerst nur die Einziehung der Abgabe, bzw. für den Fall, daß die Abgabe schon entrichtet ist, den Stand der kontomäßigen Abrechnung zwischen Abgabenbehörde und Antragsteller, nicht aber den Abgabenanspruch selbst berührt. Daß die mißverständliche Wahl des Wortes „Nachsicht“ - erweckt dieses doch den Eindruck, es solle unmittelbar in das öffentlich rechtliche Schuldverhältnis zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner eingegriffen werden - einer Beurteilung des § 14 Abs. 2 AbgEG (jedenfalls auch) als Verfahrensnorm nicht entgegensteht, wird durch § 14 Abs. 4, leg. cit. deutlich. Danach führt nämlich erst der Vollzug der Abschreibung, also der in Ausführung des Bescheides über den Antrag nach § 14 Abs. 2 AbgEG zu setzende buchungstechnische Vorgang zum Erlöschen des Abgabenanspruches der abgabenberechtigten Körperschaft. Soweit hingegen § 14 Abs. 2 AbgEG regelt, unter welchen Voraussetzungen die Einziehung der Abgabenschuldigkeit (ungeachtet ihres - zunächst - weiteren Bestandes) zu unterbleiben hat oder eine bereits erfolgte Einziehung rückgängig zu machen ist und die Behörde die „Abschreibung“, also den entsprechenden buchungstechnischen Vorgang, durchzuführen hat, handelt es sich um Vorschriften, die (nur) die Durchsetzung des Abgabenanspruches betreffen und daher dem Verfahrensrecht angehören.
Da in diesem Umfang die Vorschrift des § 14 Abs. 2 AbgEG Eingang in das oberösterreichische Landesrecht gefunden hat, - nur diese war von der belangten Behörde anzuwendenden ‑, durfte sie der von der belangten Behörde überprüften Entscheidung des Gemeinderates der beschwerdeführenden Partei zugrunde gelegt werden. Die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluß (II/1/a) von Amts wegen ins Auge gefaßte Möglichkeit einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides hat sich somit nach näherer Untersuchung nicht bewahrheitet.
2.) Die beschwerdeführende Partei macht geltend, selbst wenn die belangte Behörde zu Recht das Vorliegen einer Unbilligkeit angenommen hätte, hätte sie § 14 Abs. 2 AbgEG unrichtig ausgelegt, denn für diesen Fall müßte sie der Abgabenbehörde noch immer die Entscheidung innerhalb des, Ermessensspielraumes unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände offenlassen.
Der beschwerdeführenden Partei kann nicht beigepflichtet werden, daß die belangte Behörde die ihr als Vorstellungsbehörde insofern gezogenen Grenzen durch Eingriff in das Recht der Ermessensübung der Gemeindebehörde überschritten habe. Im angefochtenen Bescheid findet sich nicht der geringste Hinweis für die Äußerung einer Rechtsmeinung, wie im Unbilligkeitsfall die vorzunehmende Ermessensentscheidung zu erfolgen habe. Da der Gemeinderat der beschwerdeführenden Partei die Unbilligkeit verneint und folgerichtig auch zur Ermessensübung keine Aussage gemacht hatte, hätte eine Überprüfung der Ermessensübung durch den Gemeinderat auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes seitens der Vorstellungsbehörde des Gegenstandes entbehrt.
Die betreffenden Ausführungen der Beschwerde gehen daher ins Leere.
3.) Der Behauptung der beschwerdeführenden Partei, die belangte Behörde habe ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weil sie einen Fall der Unbilligkeit als gegeben angenommen habe, ist hingegen beizupflichten.
Die belangte Behörde stützt im angefochtenen Bescheid ihre Rechtsansicht allein auf die Aussage im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juli 1961, Zl. 1849, 1850/59 (I/4), daß die Rechtsordnung nicht nur auf dem Gebiete des Privatrechtes, sondern auch auf dem des öffentlichen Rechtes die ungerechtfertigte Bereicherung „verabscheue“.
Dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes befaßte sich jedoch nicht mit einem Fall der Nachsicht von Abgaben aus dem Grunde der Unbilligkeit; der in ihm ausgedrückte Rechtssatz läßt sich nicht auf derartige im Gesetz besonders geregelte Fälle übertragen und vermag deshalb die Entscheidung der belangten Behörde nicht zu stützen.
Der dem Gemeinderat der beschwerdeführenden Partei zur Entscheidung vorgelegene Sachverhalt entsprach aber auch nicht dem des Beschwerdefalles im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Juni 1980, Slg. 5496/F; in ihm fehlte es an einem Rechtsgrund für die Leistung von Lohnsummensteuer offensichtlich, und zwar deshalb, weil es am Steuergegenstand, nämlich einem Gewerbebetrieb, fehlte (der Beschwerdeführer war Rechtsanwalt). Dies trifft im Beschwerdefall nicht zu. Die mitbeteiligte Partei beruft sich daher zu Unrecht auf dieses Erkenntnis, mit dem im übrigen von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei Fehlen einer Steuerpflicht eine Unbilligkeit nur dann vorliegt, wenn der Abgabepflichtige rechtzeitige Antragstellung gemäß § 29 Abs. 2 GewStG nicht schuldhaft versäumt hat, nicht abgerückt wurde. Im vorliegenden Beschwerdefall ist unbestritten, daß bei der mitbeteiligten Partei ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes vorlag.
Der Unbilligkeitstatbestand stellt auf die Einhebung ab. Erscheint die Vorschreibung unbillig, etwa zufolge unzutreffender Abgabenbescheide, die mit Hilfe der zustehenden Rechtsmittel nicht bekämpft wurden, kann mit Nachsicht nicht vorgegangen werden. Die Versäumung von Rechtsbehelfen kann grundsätzlich nicht im Weg über ein Nachsichtsverfahren geheilt werden, wenn nicht noch weitere besondere Umstände hinzukommen, die nach der besonderen Lage des Falles die Einziehung unbillig erscheinen lassen, wie etwa das Vorliegen eines entschuldbaren Irrtums, der zum Unterbleiben der Ausnützung der Rechtsbehelfe geführt hat. Gleiches gilt auch für die Unterlassung des in § 29 Abs. 2 GewStG vorgesehenen Rechtsbehelfes (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Februar 1961, Slg. 2388/F, und vom 4. April 1974, Zl. 1045/73).
Die Tatsache, daß die mitbeteiligte Partei erstmals mit längerdauernden Bauausführungen im Ausland beauftragt worden war, läßt den Umstand, daß ihre zuständigen Angestellten § 29 Abs. 2 lit. c BAO nicht kannten, sie aber auch, trotz der ungewohnten Aufgabe, rechtlichen Rat zeitgerecht einzuholen unterließen, nicht als Entschuldigungsgrund für die Versäumung des gesetzmäßigen Rechtsbehelfes erkennen. Zu Recht sind daher weder die Gemeindebehörde noch die belangte Behörde von einem entschuldbaren Rechtsirrtum, der die Einhebung der Abgabe als Unbilligkeit erscheinen ließe, ausgegangen.
Die Aufhebung des Bescheides des Gemeinderates der beschwerdeführenden Partei erfolgte daher zu Unrecht, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs.2 lit. a VwGG 1965 aufgehoben werden mußte.
4.) Die Entscheidung über Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a, 48, 49 VwGG 1965, in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. 221.
Wien, am 21. September 1983
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