VwGH 2013/16/0068

VwGH2013/16/006829.5.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und Hofrat Dr. Thoma sowie Hofrätin Mag. Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über den Antrag des Dipl. Ing. R in W, vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mölkerbastei 10/5, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der mit Verfügung vom 16. November 2012, Zl. 2012/16/0206, gesetzten Frist zur Mängelbehebung, den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §34 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs3;
VwGG §46 Abs4;
VwGG §46 Abs6;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs3;
VwGG §46 Abs4;
VwGG §46 Abs6;

 

Spruch:

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln wird abgewiesen;

2. die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Zunächst wird in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 9 VwGG auf den Beschluss vom 24. Jänner 2013, Zl. 2012/16/0206, verwiesen. Dieser wurde dem damaligen Beschwerdevertreter und nunmehrigen Einschreiter am 14. Februar 2013 zugestellt.

In dem am 5. April 2013 am Wege der Telekopie eingebrachten "Berichtigungsantrag infolge Mängelbehebung der Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG" beantragte der Einschreiter, der Verwaltungsgerichtshof möge den eingangs genannten Beschluss vom 24. Jänner 2013 aufheben, das verwaltungsgerichtliche Verfahren einleiten und im Übrigen einen dort näher formulierten Sachverhalt und eine sich daraus ergebende Rechtsfrage dem EuGH zur Entscheidung vorlegen.

Mit Verfügung vom 16. April 2013 trug der Verwaltungsgerichtshof dem Antragsteller die Verbesserung seiner Eingabe unter Hinweis darauf auf, dass das VwGG keinen solchen "Berichtigungsantrag" kenne.

Mit dem innerhalb der gesetzten Frist eingebrachten, als "Mängelbehebung

Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG Antrag auf aufschiebende Wirkung

Antrag die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen"

titulierten Schriftsatz begehrt der Antragsteller offenbar die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der mit Verfügung vom 16. November 2012 gesetzten Verbesserungsfrist unter Wiederholung seines im "Berichtigungsantrag" vom 5. April 2013 erstatteten Vorbringens, in dem er im Wesentlichen den Standpunkt einnahm, dem in Rede stehenden Mängelbehebungsauftrag fristgerecht nachgekommen zu sein. Es seien die Beschwerdepunkte und -gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit des zur Zl. 2012/16/0206 angefochtenen Bescheides gestützt habe, ausgeführt und ein entsprechendes Begehren gestellt worden. Vor diesem Hintergrund könne dem Wiedereinsetzungswerber, vertreten durch seinen Rechtsvertreter, keine auffallende Sorglosigkeit vorgeworfen werden und sei dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben:

"Die Formvorschriften für eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde dürfen nicht derart überspannt werden, dass die Behandlung einer Beschwerde, aus welcher sich die Beschwerdepunkte, die Beschwerdegründe und das Begehren eindeutig aus der Beschwerde als Ganze ergeben, abgelehnt wird. Liegt ein Formgebrechen (dh ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Form von Beschwerden) vor, das die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung der Beschwerde nicht zu hindern geeignet ist, dann ist das Verfahren fortzuführen.

Der Beschwerdeführer hat auch beantragt eine mündliche Verhandlung gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 VwGG durchzuführen. Auch wenn diese nur selten stattfindet, wäre eine solche angebracht, um den Rechtsschutzinteressen zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Einstellung des (Vor)verfahrens aufgrund eines Formgebrechens, das die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung der Beschwerde nicht zu hindern geeignet ist, steht im Widerspruch zum Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art 6 EMRK und Art 47 EU Grundrechte Charta.

Art 47 EU Grundrechte Charta garantiert, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht wahrzunehmen. Rechte, die von unmittelbar anwendbarem Unionsrecht garantiert werden, müssen in einem innerstaatlichen Verfahren durchsetzbar sein und dürfen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).

Nach Art. 6 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich gehört wird. Daraus ist abzuleiten, dass jedenfalls dann, wenn eine Verhandlung beantragt wird, grundsätzlich ein Anspruch auf Durchführung einer

öffentlichen mündlichen Verhandlung besteht ... Daraus ist

ebenfalls abzuleiten, dass die Formvorschriften für eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht derart überspannt werden dürfen, dass die Behandlung einer Beschwerde, aus welcher sich die Beschwerdepunkte, die Beschwerdegründe und das Begehren eindeutig ergeben, abgelehnt wird.

Abgabenverfahren fallen nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK. Aus Art. 47 GRC ist jedoch ein Recht auf ein faires Verfahren und Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch in Fällen abzuleiten, in denen ein solches Gebot mangels Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK nicht unmittelbar aus diesem folgt. Angesichts dessen, dass Art. 47 GRC ein Grundrecht anerkennt, das sich nicht nur aus der EMRK, sondern auch aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, ist er ebenso bei der Auslegung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu berücksichtigen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann dabei im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren dann unterbleiben, wenn das Vorbringen erkennen läßt, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten läßt. Es ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung etwa dann erforderlich, wenn der Sachverhalt zu ergänzen oder die Beweiswürdigung mangelhaft ist.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof ist dann eine mündliche Verhandlung erforderlich, wenn sie zur Klärung der Entscheidungsgrundlagen notwendig ist.

In diesem Zusammenhang ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR zum Gebot der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren auch maßgeblich, welche Bedeutung und Notwendigkeit eine Verhandlung nicht nur für die Beweiserhebung und Beweiswürdigung, sondern auch für die Lösung von Rechtsfragen hat.

Die Einstellung des Verfahrens aufgrund eines Formgebrechens, das die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung der Beschwerde nicht zu hindern geeignet ist und das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde nicht geklärt erscheint oder sich aus der Beschwerde Fragen ergeben, die ohne mündliche Verhandlung nicht geklärt werden können, stehen nicht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, weil damit das Parteiengehör als kardinale Voraussetzung eines jeden fairen Verfahrens unwiderruflich verletzt wird (vgl. VfGH U 466/11?18, U 1836/11?13 vom 14. März 2012)."

Aus all diesen Gründen werde der Antrag gestellt, der Verwaltungsgerichtshof möge seinen Beschluss vom 24. Jänner 2013 aufheben und das verwaltungsgerichtliche Verfahren einleiten.

Unter einem führt er die Beschwerde gegen den zur Zl. 2012/16/0206 angefochtenen Bescheid - nunmehr unter Formulierung eines anders lautenden "Beschwerdepunktes" - aus.

Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei nach § 46 Abs. 1 VwGG auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach Abs. 3 leg. cit. ist der Antrag beim Verwaltungsgerichtshof in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet nach Abs. 6 leg. cit. keine Wiedereinsetzung statt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stecken die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist den Rahmen für die Prüfung der Frage ab, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 8. September 2010, Zl. 2010/16/0099, mwN).

Den darnach für die Prüfung der Frage des Vorliegens eines Wiedereinsetzungsgrundes maßgeblichen Behauptungen des Antragstellers kann schon deshalb nichts darüber entnommen werden, ob und aus welchem Grund im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG er an der Verbesserung der seinerzeitigen Bescheidbeschwerde gehindert war, weil er in seinem Antrag der Sache nach nur den Standpunkt vertritt, dem Verbesserungsauftrag vom 16. November 2012 ohnehin nachgekommen zu sein, und die dem Beschluss vom 24. Jänner 2013 zugrunde gelegte Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes als unrichtig rügt. Damit behauptet er jedoch keinerlei Ereignis im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG, das ihn an der rechtzeitigen Vornahme einer Verfahrenshandlung, namentlich an der Befolgung des Verbesserungsauftrages vom 16. November 2012 gehindert hätte, zumal er auch jegliche Behauptung darüber schuldig bleibt, wann (wenn nicht spätestens mit der Zustellung des Beschlusses vom 24. Jänner 2013) ein Hindernis im Sinne des § 46 Abs. 3 VwGG fristauslösend entfallen sein sollte.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 4 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss abzuweisen.

Damit war die unter einem nachgeholte Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 29. Mai 2013

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