VwGH 2013/08/0280

VwGH2013/08/028011.6.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter und Richterinnen, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des A G in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 7. November 2013, Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2013, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1 Z3;
AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §8;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs8;
AVG §52;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht seit 2009 im Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung.

Am 18. Juni 2013 wurde ihm von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) niederschriftlich der Auftrag erteilt, an der - auch im Betreuungsplan vom selben Tag vorgesehenen - Maßnahme "Berufliches Kompetenzzentrum" beim Berufsförderungsinstitut Niederösterreich (im Folgenden: BFI NÖ) teilzunehmen, da seine persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zur Vermittlung am Arbeitsmarkt nicht ausreichten.

Das vom BFI NÖ erstellte, dem Beschwerdeführer ausgehändigte Informationsblatt über diese Wiedereingliederungsmaßnahme lautet auszugsweise wie folgt:

"Kursziel

Durchführung eines Berufsorientierungskurses unter Berücksichtigung arbeitsmedizinischer und psychologischer Gutachten. Abklärung und Austestung der gesundheitlichen Situation der Teilnehmerinnen bzw. Miteinbezug aller bereits erhobenen Befunde, Erhebung relevanter Berufshindernisgründe und Erarbeitung eines realistischen Berufsweges.

Kursinhalte

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

1. Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer u.a. bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Gemäß § 9 Abs. 8 AlVG haben, wenn im Zuge von Maßnahmen des Arbeitsmarktservice Arbeitserprobungen stattfinden, diese Arbeitserprobungen den in den Richtlinien des Verwaltungsrates geregelten Qualitätsstandards zu entsprechen. Arbeitserprobungen dürfen nur zur Überprüfung vorhandener oder im Rahmen der Maßnahme erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten sowie der Einsatzmöglichkeiten in einem Betrieb eingesetzt werden und eine diesen Zielen angemessene Dauer nicht überschreiten. Bei Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt hat das Arbeitsmarktservice der arbeitslosen Person die Gründe anzugeben, die eine Teilnahme an einer derartigen Maßnahme als zur Verbesserung der Wiederbeschäftigungschancen notwendig oder nützlich erscheinen lassen, soweit diese nicht auf Grund der vorliegenden Umstände wie insbesondere einer längeren Arbeitslosigkeit in Verbindung mit bestimmten bereits zB im Betreuungsplan (§ 38c AMSG) erörterten Problemlagen, die einer erfolgreichen Arbeitsaufnahme entgegen stehen, als bekannt angenommen werden können. Eine Maßnahme zur Wiedereingliederung kann auch auf die persönliche Unterstützung bei der Arbeitssuche abzielen.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG verliert eine arbeitslose Person, wenn sie ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während deren Krankengeld bezogen wurde.

Gemäß § 38 AlVG sind diese Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

2. Die belangte Behörde hat die Sperre der Notstandshilfe im Wesentlichen auf den Umstand gestützt, dass sich der Beschwerdeführer geweigert habe, während des Informationstages des BFI NÖ am 22. Juli 2013 die Zustimmungserklärung zur Weitergabe seiner im Zuge des "Beruflichen Kompetenzzentrums" erhobenen arbeitsmedizinischen und arbeitspsychologischen Testergebnisse an die BerufsorientierungstrainerInnen und SozialpädagogInnen des BFI NÖ und zur Entbindung der ÄrztInnen und PsychologInnen von der Verschwiegenheitspflicht zu unterzeichnen. Mit dieser Weigerung gehe die Weigerung der Teilnahme an der konkreten Wiedereingliederungsmaßnahme einher.

Diese Beurteilung erweist sich aber als nicht schlüssig:

Eine Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dient - wenngleich nicht in derselben berufsbezogenen Weise wie eine Nach(Um)schulung - der im konkreten Fall jeweils erforderlichen Verbesserung von Kenntnissen und Fähigkeiten des Arbeitslosen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb zu diesem Zweck die Übermittlung von gesundheitsbezogenen Daten erforderlich sein sollte. Soweit sich die belangte Behörde darauf beruft, es gehe darum, "aufgrund der vorhandenen Ressourcen unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen einen realistischen Berufsweg

für den Teilnehmer ... zu erarbeiten", ist ihr entgegen zu halten,

dass es sich dabei um keine Verbesserung von Kenntnissen oder Fähigkeiten des Arbeitslosen handelt (siehe dazu auch unten Punkt 3.). Die Verschaffung von - wenn auch unter Umständen nützlichen - Daten für das AMS wäre kein zulässiger Zweck einer - unter der Sanktion des § 10 AlVG stehenden - Wiedereingliederungsmaßnahme (vgl. schon das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0042).

Auch im Rahmen der Überprüfung der Arbeitsfähigkeit nach § 8 Abs. 2 AlVG ist im Übrigen keine Zustimmung des Arbeitslosen zur Übermittlung von Daten vorgesehen. Vielmehr hat das AMS sicherzustellen, dass es auch ohne eine solche Zustimmung zu den entsprechenden Daten über das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung gelangt. Dabei hat das AMS insbesondere die Möglichkeit, nach Maßgabe des AVG medizinische Sachverständige heranzuziehen, die als amtliche oder nichtamtliche Sachverständige Hilfsorgane der Behörde sind, sodass ihre Gutachten der Behörde selbst ohne weiteres zur Verfügung stehen, ohne dass datenschutzrechtliche Fragen entstehen können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. November 2011, Zl. 2008/08/0119, mwN).

Die Tatsache, dass das AMS mit dem BFI NÖ einen Dienstleistervertrag im Sinn der §§ 10 und 11 DSG 2000 abgeschlossen hat, ändert entgegen der Ansicht der belangten Behörde nichts an der Unzulässigkeit des zwingenden Abverlangens einer Zustimmungserklärung. Die Vereinbarung zwischen dem AMS und dem BFI erlaubt dem BFI bestimmte Datenverwendungen für das AMS als Auftraggeber - soweit dies gesetzlich, insbesondere durch § 25 AMSG, gedeckt ist -, führt aber nicht dazu, dass vom Arbeitslosen verlangt werden kann, der Weitergabe von (sensiblen) Daten durch Dritte an das AMS und/oder das BFI zuzustimmen.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid daher schon dadurch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, dass sie die Unterzeichnung der Zustimmungserklärung als zwingende Voraussetzung für die Teilnahme an der Wiedereingliederungsmaßnahme gewertet und dem Beschwerdeführer die Verweigerung der Unterzeichnung als Vereitelung der Maßnahme angelastet hat.

3. Was den Inhalt der Maßnahme betrifft, ist zudem darauf hinzuweisen, dass im Zuge von Maßnahmen zwar - nach § 9 Abs. 8 AlVG - auch Arbeitserprobungen zur Überprüfung vorhandener oder im Rahmen der Maßnahme erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten sowie der Einsatzmöglichkeiten in einem Betrieb stattfinden können. Darüber hinaus ist aus dem Gesetz aber keine durch eine Sanktion nach § 10 AlVG erzwingbare Maßnahme zur Überprüfung von Kenntnissen und Fertigkeiten ableitbar. Die Zuweisung zu einer Maßnahme setzt vielmehr voraus, dass eine Problemlage besteht, also etwa Kenntnisse und Fertigkeiten, die für eine Vermittlung in zumutbare Beschäftigungen notwendig (oder nützlich) sind, fehlen. Dies ist aber vom AMS zu prüfen. Eine Beiziehung von Dritten in diesem Zusammenhang erscheint zwar nicht ausgeschlossen, eine Verweigerung der Teilnahme an einer Maßnahme zum Zweck der Feststellung einer allfälligen "Problemlage" durch einen Arbeitslosen ist aber nicht nach § 10 AlVG sanktionierbar. Die Ermittlung der für die Zuweisung einer Maßnahme erforderlichen Sachverhaltsvoraussetzungen kann auch nach der Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 nicht selbst Gegenstand einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2010, Zl. 2009/08/0105, mwN).

Auch ärztliche Untersuchungen sind kein zulässiger Inhalt einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, sondern haben unter den Voraussetzungen des § 8 AlVG (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 11. September 2008, Zl. 2007/08/0049) bei objektiven Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit stattzufinden.

4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf die Verfahrensrügen des Beschwerdeführers eingegangen werden musste.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Ein gesonderter Ersatz der "Einschreibegebühr" ist nicht vorgesehen. Die Eingabengebühr war im Hinblick auf die gewährte Verfahrenshilfe nicht zu entrichten.

Wien, am 11. Juni 2014

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