VwGH 2012/23/0017

VwGH2012/23/001712.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der I, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 49, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Jänner 2010, Zl. E1/202.581/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, heiratete am 13. Oktober 2005 in ihrem Heimatland einen österreichischen Staatsbürger. Am 3. November 2005 reiste sie mit einem bis 2. März 2006 gültigen Visum nach Österreich ein. Ihr am 14. Februar 2006 gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23. Mai 2007 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet mangels ausreichender Einkünfte zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne. Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Jänner 2008 abgewiesen. Begründend führte dieser aus, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels während der Gültigkeitsdauer ihres Visums und somit rechtmäßig im Inland eingebracht habe. Auf Grund des illegalen Aufenthalts der Beschwerdeführerin seit Ablauf des Einreisevisums sei jedoch von einem zwingenden Versagungsgrund im Sinne des § 11 Abs. 1 Z 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) auszugehen.

In weiterer Folge wurde dieser Bescheid mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Dezember 2011, Zl. 2008/22/0225, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 21. April 2008 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen eingebrachten Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 7. Jänner 2010 keine Folge gegeben.

In ihren Erwägungen führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich die Beschwerdeführerin seit Ablauf ihres Visums "bzw. zudem nach rechtskräftig negativer Entscheidung des Bundesministeriums für Inneres mit 15. Jänner 2008" unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Deshalb seien die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG gegeben.

Die Beschwerdeführerin sei mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und habe Sorgepflichten für ein am 11. März 2003 geborenes Kind, das mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt habe. Mit der Ausweisung sei daher ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden, der sich jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - als dringend geboten erweise.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei die Beschwerdeführerin rechtens nicht in der Lage, ihren Aufenthalt vom Bundesgebiet aus legalisieren zu können. Zum Zeitpunkt ihrer im Inland erfolgten Antragstellung habe sie vor dem Hintergrund der finanziellen Situation nicht darauf bauen dürfen, sich mit ihrem österreichischen Ehemann und ihrem Kind im gemeinsamen Haushalt im Bundesgebiet niederlassen zu können bzw. hier nach Ablauf ihres Visums verweilen zu dürfen. Die Beschwerdeführerin, die behaupte, mit ihrem österreichischen Ehemann mitversichert zu sein, sei auf Grund eines fehlenden Aufenthaltstitels und eines fehlenden Befreiungsscheines auch nicht als selbsterhaltungsfähig einzustufen. Sie habe in ihrem Heimatland eine achtjährige Schulausbildung genossen und nicht behauptet, dass sie die sozialen Kontakte zu ihren im Heimatland lebenden Angehörigen zur Gänze eingestellt habe.

Vor diesem Hintergrund habe die gemäß § 66 FPG durchgeführte Interessenabwägung zu Ungunsten der Beschwerdeführerin ausfallen müssen, seien doch auch keine Gründe ersichtlich, weshalb die im Inland aufhältigen Familienangehörigen die Beschwerdeführerin nicht für den Zeitraum einer allfälligen Auslandsantragstellung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels in das Ausland begleiten oder dort zumindest besuchen könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG und des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Jänner 2010 geltende Fassung.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass das ihr erteilte Visum mit 2. März 2006 abgelaufen ist und ihr in weiterer Folge kein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Der Beschwerdehinweis auf die lange Dauer des Aufenthaltstitelverfahrens erweist sich im vorliegenden Fall als unbeachtlich, weil auch ein nicht (rechtskräftig) erledigter Erstantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" der Erlassung einer Ausweisung nicht entgegensteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2012, Zl. 2011/23/0289).

Soweit die Beschwerdeführerin unter Verweis auf § 57 iVm §§ 51 bis 56 NAG und auf Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG ein Niederlassungsrecht für Familienangehörige, welche dem österreichischen Staatsbürger "nachziehen", geltend macht, ist ihr zu entgegnen, dass weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der österreichische Ehemann der Beschwerdeführerin von seinem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hätte.

Da somit keine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG bei der Beschwerdeführerin vorliegt, ist die Behörde zutreffend von der Erfüllung des Ausweisungstatbestandes des § 53 Abs. 1 FPG ausgegangen.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2009/21/0156, mwN).

Die Beschwerdeführerin bringt in diesem Zusammenhang vor, dass sie von ihrem österreichischen Ehemann "erhalten" werde und für zwei minderjährige Kinder, geboren am 11. Oktober 2003 und am 3. Februar 2009, unterhalts- und sorgepflichtig sei. Sie wäre gezwungen, mit den beiden "Kleinkindern" das Bundesgebiet zu verlassen und habe im "Ausland" keine persönlichen Bindungen sowie keine Aufenthalts- und Beschäftigungsmöglichkeit.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin im Ergebnis einen relevanten Begründungsmangel auf:

Zunächst ist der belangten Behörde vorzuwerfen, im Rahmen ihrer Interessenabwägung das nach dem Beschwerdevorbringen am 3. Februar 2009 geborene zweite gemeinsame Kind der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes, das ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, nicht berücksichtigt zu haben. Entgegen der in der Gegenschrift der belangten Behörde vertretenen Ansicht ist das diesbezügliche Beschwerdevorbringen angesichts der Dauer des Berufungsverfahrens von etwa einem Jahr und acht Monaten, während der die belangte Behörde keine weiteren Ermittlungen durchgeführt und die Beschwerdeführerin auch nicht zur Stellungnahme betreffend die aktuelle Situation aufgefordert hat, nicht als eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung zu werten.

Zwar hat die belangte Behörde zutreffend den hohen Stellenwert, den die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens hat, im Hinblick auf den nicht rechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin und ihren Verbleib in Österreich auch nach Ablauf des ihr erteilten Visums berücksichtigt. Allerdings musste sich die belangte Behörde am Maßstab des § 66 FPG dennoch mit den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Aufenthalt in Österreich und vor allem auch mit den konkreten Auswirkungen der Ausweisung auf ihre Situation und auf die ihres österreichischen Ehemannes und der beiden österreichischen Kinder entsprechend auseinandersetzen und näher darlegen, aus welchen Gründen sie eine Trennung der Beschwerdeführerin von ihren Familienangehörigen trotz der damit verbundenen Folgen als zumutbar und damit als verhältnismäßig ansieht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2012, Zl. 2011/23/0163, mwN).

In diesem Zusammenhang wäre vor allem auch zu beachten gewesen, dass in den ersten Lebensphasen eines Kindes ein ständiger Kontakt mit der Mutter nicht nur wünschenswert sondern notwendig sein kann. Es wären daher auch unter diesem Gesichtspunkt - insbesondere hinsichtlich des bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht einmal ein Jahr alten zweiten Kindes der Beschwerdeführerin - die konkreten Auswirkungen der Ausweisung der Beschwerdeführerin auf das Kindeswohl bei der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen gewesen (vgl. dazu auch die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes unter Pkt. II.1.3.

seines Erkenntnisses vom 11. Juni 2012, U 128/12).

Den dargelegten Anforderungen entspricht der angefochtene

Bescheid nicht.

Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen

Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. September 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte