VwGH 2012/22/0111

VwGH2012/22/011118.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Alexander Fuchs, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 7, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 28. März 2012, Zl. 146.777/13-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs3 Z2;
FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs3 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Ghana, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 22. Juni 2003 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Seitdem halte er sich hier auf. Er sei bislang noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich gewesen.

Am 23. Juni 2003 habe er einen Asylantrag eingebracht. Das Asylverfahren sei "allerdings negativ beschieden" worden. Im Zuge der Bearbeitung des Asylantrages habe das Bundesasylamt auch festgestellt, dass der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2001 unter einem anderen Namen einen Asylantrag eingebracht habe.

Auf Grund des unerlaubten Aufenthalts in Österreich habe die Bundespolizeidirektion Linz gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 11. Februar 2008 eine Ausweisung erlassen. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen.

Der Beschwerdeführer lebe im gemeinsamen Haushalt mit seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehefrau. Er habe keine Sorgepflichten.

Der gegenständliche Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei im Inland gestellt worden. Die Ausreise aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung sei dem Beschwerdeführer aber jedenfalls zumutbar. Er habe durch die illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt fremdenrechtliche Bestimmungen grob missachtet. Die Eheschließung habe am 19. Dezember 2005 stattgefunden, somit zu einem Zeitpunkt, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei. Die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Einwanderungsbestimmungen seien höher zu bewerten als das private Interesse des Beschwerdeführers an der Zulassung der Inlandsantragstellung. Dem nach § 21 Abs. 3 NAG gestellten Zusatzantrag sei sohin nicht stattzugeben. Da der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels während des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gestellt worden sei, sei sein Antrag abzuweisen.

Bei der Entscheidung sei auch berücksichtigt worden, ob die österreichische Ehefrau bei Nichtgewährung des Aufenthaltstitels de facto gezwungen wäre, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Dazu habe der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er im Falle seiner Ausreise das Familienleben nicht fortsetzen könnte, er kranken- und sozialversichert wäre, er eine Berufsausbildung zum Schweißer abgelegt hätte und - was er auch mit entsprechenden Unterlagen belegt habe - über ein eigenes Einkommen verfügen würde.

Es bestehe - so die belangte Behörde in ihrer Beurteilung - aber kein Hinweis darauf, dass sich die Ehefrau des Beschwerdeführers in einer Ausnahmesituation befinde, die dazu führen würde, dass sie gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, falls dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel erteilt werde. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergebe sich bloß der Wunsch nach einem gemeinsamen Familienleben in Österreich. Es lägen dem Begehren nach dem gemeinsamen Familienleben in Österreich auch wirtschaftliche Überlegungen zugrunde. Der bloße Wunsch nach einem Zusammenleben in Österreich oder die wirtschaftlichen Überlegungen rechtfertigten aber nicht die Annahme eines "de facto-Zwanges" im oben genannten Sinn.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 12. Juni 2012, Zl. B 479/12-3, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG (das NAG stand im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 112/2011 in Geltung) vorgenommene Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK und verweist in diesem Zusammenhang - wie bereits im Verwaltungsverfahren - auf seine österreichische Ehefrau und die sonst für seine Integration sprechenden Umstände. Dieses Vorbringen ist berechtigt.

Schon anhand der Feststellungen der belangten Behörde zur Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich, seiner durch Vorlage von Lohnbestätigungen nachgewiesenen Erwerbstätigkeit und der aufrechten Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin seit dem Jahr 2005 kann sich der Verwaltungsgerichtshof der Beurteilung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer könnte keinen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels geltend machen und demnach wäre auch die Inlandsantragstellung nicht zuzulassen, nicht anschließen. Den angeführten, zu Gunsten des Beschwerdeführers zu wertenden Umständen steht im vorliegenden Fall lediglich der auf die Anhängigkeit eines Asylverfahrens gegründete - unsichere - Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers gegenüber, dem aber bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine ausschlaggebende Bedeutung, die bei der Abwägung zu einem anderen Ergebnis führen könnte, mehr zuzumessen ist. Insbesondere ist einmal mehr im Hinblick auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darauf hinzuweisen, dass der familiären Bindung an einen österreichischen Ehepartner großes Gewicht beizumessen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, Zl. 2008/22/0287, mit Hinweis auf die schon zum Fremdengesetz 1997 ergangene gleichlautende Rechtsprechung, weiters etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0635, vom 24. April 2012, Zl. 2008/22/0742, und vom 19. Oktober 2011, Zl. 2009/22/0053).

Die belangte Behörde hat aber zudem verkannt, dass sie bei ihrer Beurteilung auch hätte berücksichtigen müssen, dass seit der mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) geänderten Rechtslage infolge der Bestimmung des § 65b Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Ausweisung eines Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers, selbst wenn letzterer sein ihm unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, nur aus den in § 66 FPG genannten Gründen zulässig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 2012, Zl. 2011/18/0255). Stellt sich nach der gemäß dieser Bestimmung vorzunehmenden Beurteilung eine Ausweisung trotz des (allfälligen) unrechtmäßigen Aufenthalts als nicht zulässig dar, so kann nicht gesagt werden, dem unrechtmäßigen Aufenthalt könne bei der im Sinn des Art. 8 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung (noch) ein derartiges Gewicht beigemessen werden, sodass es gerechtfertigt wäre, die Inlandsantragstellung nicht zuzulassen und den begehrten Aufenthaltstitel zu versagen.

Fallbezogen kann daran auch die im Jahr 2008 gegen den Beschwerdeführer erlassene Ausweisung nichts ändern, weil eine solche nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wirkungslos werden kann, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen für die Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK maßgeblich zu Gunsten des Fremden verschieben (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. April 2012, Zl. 2009/22/0269, mwN), was hier zutrifft.

Dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 66 FPG erfüllt gewesen wären, hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage allerdings nicht geprüft.

Allerdings hätte die belangte Behörde schon aus den oben genannten Gründen dem bisherigen unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers bei der Interessenabwägung nicht jene herausragende Bedeutung beimessen dürfen, wie sie dies im angefochtenen Bescheid getan hat.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das sich auf die Aufwendungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren sowie die Umsatzsteuer beziehende Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Ersatz solcher Aufwendungen im Gesetz keine Deckung findet. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass der in der VwGH-Aufwandersatzverordnung festgelegte Pauschalsatz die Umsatzsteuer umfasst.

Wien, am 18. Oktober 2012

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