VwGH 2012/21/0230

VwGH2012/21/023024.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M K in W, vertreten durch Mag. Margarete Rittler, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Anichstraße 29/3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 25. September 2012, Zl. Senat-FR-12-0090, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

32003L0009 Mindestnormen-RL Aufnahme Asylbewerber Art16;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §29 Abs3 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
GrundversorgungsG Bund 2005 §2 Abs4;
SPG 1991 §38a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32003L0009 Mindestnormen-RL Aufnahme Asylbewerber Art16;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §29 Abs3 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
GrundversorgungsG Bund 2005 §2 Abs4;
SPG 1991 §38a;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Angolas, reiste am 10. August 2012 von Ungarn kommend in das Bundesgebiet ein und wurde nach seiner Ankunft am Wiener Westbahnhof festgenommen. Am 11. August 2012 beantragte er die Gewährung von internationalem Schutz und wurde daraufhin in die Erstaufnahmestelle Ost überstellt.

Am 16. August 2012 erging an ihn die Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005, wonach beabsichtigt sei, diesen Antrag gemäß § 5 AsylG 2005 zurückzuweisen, da seit 14. August 2012 "Dublin Konsultationen" mit Ungarn geführt würden.

Mit sogleich in Vollzug gesetztem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden (BH) vom 20. September 2009 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und der Abschiebung angeordnet.

Begründend führte die BH aus, dass der Beschwerdeführer am 20. September 2012 in Traiskirchen durch die Exekutive festgenommen worden sei. Die Erhebungen hätten ergeben, dass er sich vor der illegalen Einreise nach Österreich in Ungarn aufgehalten bzw. dort bereits einen Asylantrag eingebracht habe. Die Zustimmung Ungarns zur Rückübernahme liege bereits vor. Von der EAST Ost sei am 14. August 2012 gemäß § 27 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden. Es sei daher davon auszugehen, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werde. Der Beschwerdeführer habe sich am Vortag in der Betreuungsstelle Traiskirchen aggressiv verhalten, weshalb er aus dieser verwiesen worden sei. Er sei in Österreich "in keinster Weise" sozial integriert, habe keine Wohnung und auch kein Einkommen sowie keine nahen Familienangehörigen in Österreich. Das aggressive Verhalten des Beschwerdeführers zeige, dass er "in keinster Weise" gewillt sei, sich "an die Gesetze anzupassen". Er sei am Vortag alkoholisiert gewesen, obwohl Alkohol in der Betreuungsstelle Traiskirchen verboten sei. Die Anwendung gelinderer Mittel sei im Fall des Beschwerdeführers auszuschließen. Er könne seinen Aufenthalt in Österreich nicht legalisieren, weshalb die Annahme gerechtfertigt sei, dass er sich dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um die Vollstreckung fremdenpolizeilicher Maßnahmen gegen seine Person zu verhindern oder zumindest wesentlich zu erschweren, weshalb der Zweck der Schubhaft durch gelindere Mittel nicht erreicht werden könne. Die Verhängung der Schubhaft stehe zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis und sei im Interesse des öffentlichen Wohles dringend erforderlich und geboten.

In der dagegen erhobenen Administrativbeschwerde wandte sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen gegen das Vorliegen des Sicherungsbedarfs. Obwohl er zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt habe, sich dem Verfahren und dem Zugriff der Asyl- und Fremdenbehörde zu entziehen und auch keine Verhaltensweisen gesetzt habe, aus denen die Fremdenpolizeibehörde einen gegenteiligen Schluss ziehen hätte können, sei von der belangten Behörde die Schubhaft verhängt worden. Individuelle Gründe, die einen besonderen Sicherungsbedarf rechtfertigen würden, lägen in seinem Fall nicht vor. Die Schubhaft sei daher nicht notwendig und verhältnismäßig. Er wohne in der Betreuungsstelle Traiskirchen und sei für die Behörden erreichbar. Die BH habe die Schubhaftverhängung ausschließlich auf das "Vorliegen einer Zurückweisungs- und Ausweisungsentscheidung im Dublinverfahren" und damit auf die abstrakte Annahme gestützt, dass generell bei Asylwerbern in diesem Verfahrensstadium eine Gefahr des Untertauchens bestünde. Die von der BH im Schubhaftbescheid angeführten Kriterien vermöchten jedoch angesichts der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Schubhaft bezüglich Asylwerbern im Dublinverfahren die Bejahung des individuellen Sicherungsbedarfs im konkreten Fall keinesfalls zu rechtfertigen. Allfälliges (vorgeworfenes) Fehlverhalten dürfe nicht Grund oder Anlass für eine Schubhaftnahme sein. Gelindere Mittel hätten zum Zweck der Sicherung des Ausweisungsverfahrens bzw. der Abschiebung jedenfalls ausgereicht. Deren Anwendung habe die BH jedoch gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, sondern sie vertrete eine nicht nachvollziehbare Rechtsanschauung, die im Endeffekt darauf hinauslaufe, dass das "Dublinverfahren" sowie die Abschiebung durch Aufrechterhaltung der Schubhaft zu sichern seien. Auch die Argumentation bezüglich des Fehlens einer sozialen Integration sei rechtlich völlig verfehlt. Außerdem habe die BH außer Acht gelassen, dass er nach wie vor einen Anspruch auf Grundversorgung habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Beschwerde ab und stellte fest, dass der Schubhaftbescheid vom 20. September 2012 und die Anhaltung des Beschwerdeführers seit dem 20. September 2012 "bis dato" nicht rechtswidrig gewesen seien. In einem weiteren Spruchpunkt stellte sie gemäß § 83 Abs. 4 FPG fest, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vorlägen. Außerdem wurde das Kostenbegehren des Beschwerdeführers abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Schubhaftbescheides der BH und der Administrativbeschwerde aus, der Beschwerdeführer habe bei seiner Einvernahme am 17. September 2012 unter anderem angegeben, nicht nach Ungarn zurückkehren zu wollen, da er dort elf Jahre lang gelebt hätte, jedoch nicht arbeiten hätte können und auch keine Sozialhilfe erhalten hätte. Laut Erhebungen der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer bereits in Ungarn einen Asylantrag eingebracht. Nunmehr liege die Zustimmung Ungarns zur Rückübernahme vor.

Laut Polizeibericht der PI Traiskirchen vom 20. September 2012 habe am 19. September 2012 um 23:05 Uhr der Torposten der Betreuungsstelle Ost um dringende Intervention beim Tor ersucht, da sich dort ein aggressiver Schwarzafrikaner aufhalte, der gesagt hätte, dass er alle und auch die Polizei "killen" werde; ein afghanischer Asylwerber hätte angegeben, dass ihn der Afrikaner mit der Hand ins Gesicht geschlagen und an seiner Kleidung gezerrt hätte. Beim Eintreffen der Polizisten habe sich der offensichtlich alkoholisierte Beschwerdeführer aggressiv verhalten und geschrien, dass er seine Lagerkarte erst vorzeige, wenn die Polizisten ihre Reisepässe zeigen würden. Der Beschwerdeführer sei zusehends aggressiver geworden, indem er weitergeschrien und mit den Händen gestikuliert habe. Trotz mehrmaliger Abmahnung habe er sein aggressives Verhalten nicht eingestellt, woraufhin die Festnahme angedroht worden sei. Er habe schließlich dazu bewogen werden können, auf die Polizeiinspektion mitzukommen, wo er sich weiterhin aggressiv verhalten und die Aushändigung seiner Lagerkarte verweigert habe. In der Folge sei gegen ihn "wegen Übertretung nach dem SPG (aggressives Verhalten) gemäß § 35 Abs. 3 VStG die Festnahme ausgesprochen" worden. Der Beschwerdeführer habe weiters einen hölzernen Bilderrahmen mit Glas und dem Foto eines Afrikaners unter seinem Arm gehalten. Sein weiteres Verhalten sei nicht mehr einschätzbar gewesen, weshalb ihm mit Anwendung von Körperkraft Handschellen am Rücken angelegt worden seien, da ein Angriff auf die Beamten nicht auszuschließen gewesen sei. In der Folge sei er in den Verwahrungsraum verbracht worden, wo ihm die Handschellen gegen 23:50 Uhr wieder abgenommen worden seien. Dort habe er begonnen, erneut aggressiv zu werden, indem er immer wieder mit den Händen gegen die Zellentür geschlagen bzw. daran gerüttelt und mit den Füßen gegen die Zellengitter getreten habe. Nach Durchsicht der mitgeführten Papiere habe seine Identität festgestellt werden können. Da aufgrund seines Verhaltens ein erneuter gefährlicher Angriff wahrscheinlich und eine Rückbringung in die Betreuungsstelle Ost unmöglich gewesen sei, sei er am 20. September 2012 um 00:16 Uhr gemäß § 38a SPG von der Betreuungsstelle Ost weggewiesen worden, und es sei ein Betretungsverbot erlassen worden.

Hierauf habe die BH "gemäß § 39 FPG" die Festnahme des Beschwerdeführers und seine Vorführung im Laufe des 20. September 2012 verfügt. Ab 06:15 Uhr habe er jedoch wieder sein aggressives Verhalten im Verwahrungsraum gezeigt, sodass eine Vorführung in die Räumlichkeiten der Behörde nicht durchführbar gewesen sei. Seine Befragung sei deshalb in den Räumlichkeiten der PI Traiskirchen erfolgt. In der Folge habe die BH über den Beschwerdeführer die Schubhaft verhängt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ein vollstreckbarer Schubhaftbescheid der BH zugrunde gelegen sei, wodurch die formellen Voraussetzungen für seine Inschubhaftnahme vorgelegen seien. Inwieweit dafür jedoch auch die materiellen Voraussetzungen gegeben gewesen seien, sei nun im Einzelfall zu prüfen.

Zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides sei der "Anlassfall nach § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG" gegeben gewesen. Der Beschwerdeführer sei schon vor seiner ersten Asylantragstellung in Österreich in Ungarn, somit einem Unterzeichnerstaat des "Dubliner Übereinkommens", aufhältig gewesen. Die BH sei daher zutreffend von der Anwendbarkeit der zitierten Bestimmung ausgegangen.

Zum Sicherungsbedarf führte die belangte Behörde aus, dass sich der Beschwerdeführer nicht aus freien Stücken einem behördlichen Verfahren gestellt habe, sondern nach seiner per Zug erfolgten illegalen Einreise aus Ungarn auf dem Wiener Westbahnhof durch die Polizei festgenommen worden sei. Bei seiner Einvernahme (am 17. September 2012) habe er angegeben, auf keinen Fall nach Ungarn zurückkehren zu wollen, da es dort keine Arbeit und viele Probleme gäbe, während es in Österreich ruhig wäre und es ihm hier gut ginge. "Eben diese österreichische Ruhe" sei durch den Beschwerdeführer selbst jedoch bereits zwei Tage nach dieser Einvernahme erheblich gestört worden, da er das oben geschilderte, äußerst aggressive Verhalten gesetzt habe, was zur Folge gehabt habe, dass er aus der Betreuungsstelle verwiesen werden habe müssen und demnach nicht mehr über eine Wohnmöglichkeit in Österreich verfüge; darüber hinaus sei der Beschwerdeführer damals alkoholisiert gewesen, obwohl nach der Hausordnung der Betreuungsstelle Traiskirchen dort Alkohol verboten sei.

Das vom Beschwerdeführer gesetzte äußerst aggressive und unkooperative Verhalten lasse Rückschlüsse auf eine negative Gesinnungshaltung gegenüber rechtlich geschützten Werten zu; dieser Umstand allein stelle zwar keinen Grund für die Verhängung einer Schubhaft dar, runde jedoch das "Gesamtbild des Beschwerdeführers" ab, wobei bei einer Gesamtbetrachtung des vom Beschwerdeführer (der zudem in Österreich in keiner Weise sozial oder familiär integriert sei und weder über Wohnung noch Einkommen verfüge) gesetzten Verhaltens davon auszugehen sei, dass dieser offensichtlich nicht gewillt sei, sich an die hierzulande zu beachtenden Rechtsvorschriften zu halten; somit müsse auch das Risiko, dass er sich der beabsichtigten Abschiebung nach Ungarn entziehen werde (zumal er eben über keine Wohnung verfüge, in Österreich in keiner Weise integriert sei und ausdrücklich angegeben habe, nicht nach Ungarn zurückkehren zu wollen), als hoch angesehen werden, weshalb auch die Anwendung eines gelinderen Mittels im vorliegenden Fall nicht in Betracht gekommen sei. Es müsse vielmehr die Gefahr des Untertauchens durch den Beschwerdeführer als realistisch angesehen werden, wobei nur durch die Schubhaft sichergestellt werden könne, dass er sich dem anhängigen Verfahren und fremdenpolizeilichen Maßnahmen nicht entziehen bzw. diese Vorgänge nicht erheblich erschweren oder gar vereiteln werde.

Nach einer sorgfältigen Gesamtabwägung sämtlicher Lebensumstände des Beschwerdeführers sei daher festzustellen gewesen, dass in seinem Fall von der Gefahr das Untertauchens ausgegangen werden müsse und daher die Verhängung der Schubhaft sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft als erforderlich anzusehen gewesen seien, um zu verhindern, dass er sich dem behördlichen Zugriff im Verfahren entziehen werde. Weiters sei festzustellen, dass - zumal die Anhaltung noch nicht unverhältnismäßig lange angedauert habe - die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, wobei im Hinblick auf die vorliegende Zustimmungserklärung seitens Ungarns von einer nicht mehr allzu langen Dauer der Schubhaft auszugehen sei.

Die Abhaltung einer öffentlichen Verhandlung habe gemäß § 83 Abs. 2 Z 3 (gemeint offenbar: Z 1) FPG unterbleiben können, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschienen sei und die Entscheidung binnen einer Woche ergehen habe müssen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 76 Abs. 2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde (Z 1), gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde (Z 2), gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot verhängt worden ist (Z 3) oder auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird (Z 4).

Diesem "gestuften Regime" entsprechend kann in der Phase ab Einleitung des Ausweisungsverfahrens nicht mehr auf die Z 4 des § 76 Abs. 2 FPG zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, VwSlg. 17259 A).

Demgemäß hätten die Behörden mit Blick auf das Fortschreiten des Asylverfahrens nicht auf den Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG, sondern richtigerweise auf jenen des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG abzustellen gehabt. Es ist nämlich unstrittig, dass bereits im Zeitpunkt der Schubhaftverhängung infolge der an den Beschwerdeführer ergangenen Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 über die Vornahme von "Dublin-Konsultationen" von Gesetzes wegen nach § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren (mit dem Ziel der Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005) als eingeleitet galt.

Allein dadurch wurde der Beschwerdeführer - im Hinblick darauf, dass die Z 2 quasi als "Verdichtung" der Z 4 zu verstehen ist - zwar nicht in Rechten verletzt (vgl. abermals das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 30. August 2007).

Die belangte Behörde hat aber das Vorliegen des für alle Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 2 FPG erforderlichen Sicherungsbedarfs nicht ausreichend begründet. Dass der Beschwerdeführer nach der Einreise nicht von sich aus Kontakt mit den Behörden aufgenommen, sondern den Antrag auf internationalen Schutz erst nach seiner Festnahme gestellt hat, kann zwar auf mangelnde Kooperationsbereitschaft bzw. eine erhöhte Gefahr des Untertauchens hindeuten. Sind aber seit der Einreise und Antragstellung - wie im Beschwerdefall - bereits mehrere Wochen verstrichen, so ist in die Beurteilung auch das Verhalten während des in diesem Zeitraum fortschreitenden Asylverfahrens einzubeziehen. Dazu hat die belangte Behörde - abgesehen von der Schilderung der am Abend vor der Inschubhaftnahme gezeigten Aggressionen des Beschwerdeführers - keine Feststellungen getroffen; dass das aggressive Verhalten für sich allein nicht die Verhängung von Schubhaft rechtfertigen konnte, hat die belangte Behörde selbst erkannt. Was aber die mangelnde soziale Integration des Beschwerdeführers betrifft, so hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass es sich dabei in Bezug auf (noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs handelt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0402, mwN). Zum Argument, der Beschwerdeführer verfüge über keine Wohnmöglichkeit, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass er ungeachtet der Wegweisung und des Betretungsverbotes nach § 38a SPG Anspruch auf eine Unterbringung im Rahmen der Grundversorgung hatte, solange ihm diese nicht gemäß § 2 Abs. 4 des Grundversorgungsgesetzes-Bund 2005 vom Bundesasylamt - mit Bescheid - entzogen wurde (vgl. zum sich aus Art. 16 der Richtlinie 2003/9/EG - Aufnahmerichtlinie - ergebenden Gebot, die Grundversorgung nur auf Grund eines rechtsgestaltenden Bescheides zu entziehen oder einzuschränken, auch den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2008, B 2024/07, VfSlg. 18.447).

Im Hinblick darauf, dass schon in der Administrativbeschwerde der Sicherungsbedarf konkret bestritten wurde, hätte die belangte Behörde auch nicht von einem aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt ausgehen und von der ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Dass die kurze - einwöchige - Entscheidungsfrist nicht zum Absehen von der Verhandlung ermächtigt, hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 28. August 2012, Zl. 2010/21/0291, klargestellt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die in dieser Verordnung normierte Pauschalierung die - vom Beschwerdeführer gesondert verzeichnete - Umsatzsteuer bereits umfasst.

Wien, am 24. Jänner 2013

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