VwGH 2012/21/0088

VwGH2012/21/008811.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des DZ in W, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 20. März 2012, Zl. VwSen-730491/33/Wg/Wu, betreffend Aufenthaltsverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art6 Abs3;
FrG 1993 §20 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §63 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §64 Abs1 Z1 idF 2011/I/038;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
B-VG Art6 Abs3;
FrG 1993 §20 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §63 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §64 Abs1 Z1 idF 2011/I/038;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1953 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina. Er gelangte spätestens 1993 nach Österreich und hatte hier mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter (geboren 1987) zunächst ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht nach § 12 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (in Verbindung mit den dazu ergangenen Verordnungen der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina) inne.

Ab August 1998 verfügte der Beschwerdeführer über Niederlassungsbewilligungen, zuletzt wurde ihm ein Niederlassungsnachweis erteilt.

Beginnend mit dem Frühjahr 2004 wurde der Beschwerdeführer straffällig. Es ergingen deshalb insgesamt drei strafgerichtliche Verurteilungen (insbesondere) wegen Verbrechen nach dem SMG, und zwar am 26. Jänner 2007 zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, am 11. Juli 2008 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten und schließlich am 29. Oktober 2010 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren.

Schon im Hinblick auf das den beiden ersten Verurteilungen zugrunde liegende Fehlverhalten erließ die Bundespolizeidirektion Wels gegen den Beschwerdeführer im Februar 2009 ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot. Den dieses Aufenthaltsverbot bestätigenden Bescheid vom 23. Mai 2011 erklärte die Bundesministerin für Inneres mit Bescheid vom 30. August 2011 gemäß § 68 Abs. 4 Z 1 AVG von Amts wegen für nichtig, weil die bescheiderlassende Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich nicht zuständig gewesen sei.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 20. März 2012 wies dann der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich, die belangte Behörde, die Berufung des Beschwerdeführers gegen das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot nach Durchführung einer Berufungsverhandlung, in der u.a. der Beschwerdeführer und seine Ehefrau vernommen worden waren, gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 63 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) ebenfalls als unbegründet ab.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

1. Die belangte Behörde ging mangels gegenteiliger Übergangsbestimmung zutreffend davon aus, dass der bekämpfte Bescheid auf Basis der Rechtslage nach dem am 1. Juli 2011 in Kraft getretenen FrÄG 2011 zu erlassen und dass die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme konkret an § 63 FPG ("Aufenthaltsverbot für Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel") zu messen war. Sie nahm ferner zutreffend auf § 64 FPG Bezug, und zwar insbesondere auf den Verfestigungstatbestand nach § 64 Abs. 1 Z 1 FPG, der wie folgt lautet:

"Aufenthaltsverfestigung

§ 64. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Ausweisung gemäß § 62 und ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. …"

Der zitierte Verfestigungstatbestand greift nunmehr uneingeschränkt; die gegen den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafen stehen, anders als nach der noch von der erstinstanzlichen Behörde zu beachtenden Vorgängerbestimmung des § 61 Z 3 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011), seiner Anwendung nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. April 2012, Zl. 2011/21/0291).

2. Wie bisher ist aber die Situation "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" in den Blick zu nehmen.

Diese Wendung wurde sowohl zu § 38 Abs. 1 Z 3 Fremdengesetz 1997 als auch zum nachfolgenden § 61 Z 3 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) dahin ausgelegt, dass es auf den Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände ankommt. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keinen Anlass, der gleichlautenden Wortfolge im nunmehrigen § 64 Abs. 1 Z 1 FPG einen anderen Bedeutungsgehalt beizumessen. Hinsichtlich der angesprochenen Möglichkeit der Verleihung der Staatsbürgerschaft ist also darauf abzustellen, wie sich die Verhältnisse vor dem ersten der von der Behörde zulässigerweise für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Betracht gezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen könnten, dargestellt haben. Wenn das Aufenthaltsverbot wie fallbezogen auf strafbares Verhalten des betreffenden Fremden zurückgeführt werden soll, ist mithin entscheidungswesentlich, ob bei Beginn des das Aufenthaltsverbot begründenden strafbaren Verhaltens die Verleihungsvoraussetzungen erfüllt waren (in diesem Sinn zur schon erwähnten Vorgängerbestimmung des § 61 Z 3 FPG etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, Zl. 2009/22/0267, und zum korrespondierenden § 38 Abs. 1 Z 3 Fremdengesetz 1997 grundlegend bereits das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170).

3. Die gebotene vergangenheitsbezogene Betrachtungsweise legt es nahe, auch hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen auf die seinerzeitigen Verhältnisse abzustellen. Bei Beantwortung der Frage, ob die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können, wäre demgemäß auf die im nach dem oben Gesagten maßgeblichen Zeitpunkt geltende Fassung des § 10 Abs. 1 StbG Bezug zu nehmen. Davon ist der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur zu § 61 Z 3 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) etwa in den hg. Erkenntnissen vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0388, vom 24. Februar 2009, Zl. 2008/22/0579, vom 24. September 2009, Zl. 2007/18/0653, und vom 22. Juli 2011, Zl. 2009/22/0179, ausgegangen: Ungeachtet dessen, dass die zugrunde liegenden Bescheide jeweils nach dem 23. März 2006, dem Inkrafttreten der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006, erlassen worden waren, wurde - im genannten Erkenntnis vom 24. September 2009 mit ausdrücklicher Erwähnung dieser Novelle - die davor im Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" in Geltung stehende Fassung des § 10 Abs. 1 StbG für maßgeblich erachtet. In den gleichfalls noch zu § 61 Z 3 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) ergangenen Erkenntnissen vom 20. November 2008, Zl. 2007/21/0058, vom 26. Jänner 2010, Zl. 2009/22/0267, und vom 5. Mai 2011, Zl. 2009/22/0265, hat der Verwaltungsgerichtshof dagegen der Sache nach judiziert, es komme auf die im Entscheidungszeitpunkt geltende Rechtslage im Staatsbürgerschaftsrecht an, was im Erkenntnis vom 20. November 2008 mit § 124 Abs. 1 FPG begründet wurde.

Gemäß dem ersten Satz dieser mit "Verweisungen" überschriebenen Bestimmung sind, soweit im FPG auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze verwiesen wird, diese in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

Bei näherer Betrachtung wird indes § 10 Abs. 1 StbG im Zusammenhang mit dem Verfestigungstatbestand nach § 64 Abs. 1 Z 1 FPG nicht im Sinn des eben genannten § 124 Abs. 1 erster Satz FPG "angewendet", sondern es wird - ähnlich wie etwa in § 53 Abs. 2 Z 1 FPG - im Sinn einer Anknüpfung auf in der Vergangenheit liegende Vorgänge, die im weitesten Verständnis eine rechtliche Wertung erfahren haben, Bezug genommen. Die Bezugnahme auf § 10 Abs. 1 StbG erfolgt zwar nur hypothetisch; es geht darum, ob die Staatsbürgerschaft nach dieser Bestimmung seinerzeit hätte verliehen werden können. Wie schon der Ausschussbericht zu § 20 Abs. 2 des Fremdengesetzes aus 1992 (diese Bestimmung enthielt erstmals einen entsprechenden Verfestigungstatbestand) formuliert, soll jener Fremde erfasst werden, der es - aus welchen Gründen auch immer - unterlassen hat, einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu stellen, obwohl ihm diese ohne weiteres verliehen hätte werden können (869 BlgNR 18. GP 2). Für den hier maßgeblichen § 64 Abs. 1 Z 1 FPG (in der Fassung des FrÄG 2011) vertritt der Verwaltungsgerichtshof daher die Ansicht, dass es gemäß der gewählten vergangenheitsbezogenen Formulierung, die sich insoweit schon in allen genannten Vorgängerbestimmungen fand, bei Beurteilung der Verleihungsvoraussetzungen auf die Fassung des § 10 Abs. 1 StbG im Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" ankommt.

4.1. Die belangte Behörde ist bei ihrer Prüfung des Verfestigungstatbestandes des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG vom eben dargelegten Verständnis der Rechtslage ausgegangen. Sie hat daher einerseits zutreffend auf den Beginn der Straftaten des Beschwerdeführers im Frühjahr 2004 abgestellt und andererseits richtig auf die damals geltende Fassung des § 10 Abs. 1 StbG (vor Inkrafttreten der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005) Bezug genommen. Demnach prüfte sie nach § 10 Abs. 1 Z 1 StbG in der genannten Fassung, ob der Beschwerdeführer im Frühjahr 2004 seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet gehabt hatte. Dabei gelangte sie zu dem Ergebnis, dass das nicht der Fall gewesen sei; zwischen 29. Jänner und 21. Mai 1997 habe nämlich kein Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vorgelegen, weshalb die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG nicht erfüllt gewesen seien und § 64 Abs. 1 FPG der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstehe.

4.2. Sachverhaltsmäßig liegt dieser Beurteilung zugrunde, dass der Beschwerdeführer bei seiner erstmaligen Einreise nach Österreich sowohl über die bosnische als auch über die kroatische Staatsbürgerschaft verfügt habe. Am 1. September 1993 habe er erstmals einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet angemeldet. Er sei dann im November 1993 "als bosnischer de-facto Flüchtling in die Aktion vom BMI, Land OÖ und Caritas, vorbehaltlich Aufenthaltsbewilligung" aufgenommen worden, und es sei dann eine Bewilligung des Aufenthaltsrechtes vom 23. November 1993 bis fortlaufend 30. Juni 1996 im kroatischen Reisepass des Beschwerdeführers ersichtlich gemacht worden.

Am 4. Oktober 1996 sei der Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land mit Folgendem konfrontiert worden:

"Die Verordnung der Bundesregierung zu § 12 Aufenthaltsgesetz … regelt nunmehr den Aufenthalt für kriegsvertriebene Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina. In der angeführten Verordnung ist jedoch definitiv von bosnischen Staatsangehörigen die Rede, die ihre Heimat verlassen mussten und anderweitig keinen Schutz fanden. Da ich jedoch im Besitze eines kroatischen Reisepasses bin, ist es mir jederzeit möglich, nach Kroatien auszureisen, d.h. bin ich einer Verfolgung bzw. Kriegswirren im Staat Bosnien-Herzegowina nicht ausgesetzt. Ferner ist festzuhalten, dass meine Ehefrau und mein Kind früher auf Grund des § 12 Aufenthaltsgesetz als bosnische 'de facto' Flüchtlinge aufhältig waren, nunmehr aber im Besitze von Aufenthaltsbewilligungen (Zweck 'unselbständig erwerbstätig' bzw. 'Familiengemeinschaft') sind. Mir bleibt nach Information also derzeit nur der Weg, vom Ausland aus, bei der österreichischen Vertretungsbehörde, z.B. österreichische Botschaft Zagreb, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu stellen. Ein weiteres Aufenthaltsrecht nach § 12 Aufenthaltsgesetz kommt mir nicht mehr zu, da ich nicht bosnischer Staatsangehöriger bin. Aus diesem Grund werde ich aufgefordert, das österreichische Bundesgebiet zu verlassen und nehme zur Kenntnis, dass ich als kroatischer Staatsangehöriger zur sichtvermerksfreien Einreise als Tourist von maximal 3 Monaten pro Jahr berechtigt bin. Da ich diese Frist heuer bereits erfüllt habe, kann ich frühestens Anfang 1997 wiederum legal nach Österreich einreisen. Für die Ausreise wird mir eine Bescheinigung ausgehändigt, welche ich beim Verlassen des Bundesgebietes der österreichischen Grenzkontrollstelle zu übergeben habe. Ich habe nach Übersetzung durch meine Ehefrau alles verstanden."

Der Beschwerdeführer habe - so die belangte Behörde weiter - gegen die "Aufforderung zur Ausreise" Berufung erhoben, die mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich, zugestellt am 7. Jänner 1997, mangels Vorliegens eines Bescheides als unzulässig zurückgewiesen worden sei. Mit Eingabe vom 7. November 1996 habe der Beschwerdeführer außerdem einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (Aufenthaltszweck "unselbständige Erwerbstätigkeit" bzw. "Familiengemeinschaft mit Tochter/Ehegattin") gestellt.

Mit 29. Jänner 1997 habe der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz an der damaligen Adresse in L abgemeldet und seinen Lebensmittelpunkt nach Bosnien verlegt. Am 21. Mai 1997 sei er zurückgekehrt und habe sich an der Adresse in L neuerlich mit Hauptwohnsitz angemeldet.

In einem Schreiben vom 7. Juli 1997 an das Bundesministerium für Inneres habe die BH Wels-Land - ua. - Folgendes festgehalten:

"… Am 29.1.1997 liegt von (Beschwerdeführer) eine Abmeldung nach Bosnien vor (Meldezettelkopie). Dagegen steht jedoch die Aussage seines Rechtsvertreters, dass sich (Beschwerdeführer) dennoch immer bei seiner Familie aufgehalten hätte. Hinsichtlich seines derzeit ungeklärten Rechts auf Aufenthalt bestehen ebenso Zweifel darüber, ob (Beschwerdeführer) zur Inlandsantragstellung auf Erteilung einer Bewilligung … berechtigt ist. Unter Hinweis auf … wird beiliegende Kopie des Antrags vom 25.6.1997 … zwecks Beurteilung hinsichtlich Aufenthaltsrecht nach § 12 Aufenthaltsgesetz vorgelegt."

Das Bundesministerium für Inneres habe der BH Wels-Land daraufhin mitgeteilt, dass gegen die Dokumentation des vorübergehenden Aufenthaltsrechts "gemäß der Verordnung zu § 12 AufG" keine Bedenken bestünden. Im Reisepass des Beschwerdeführers sei sodann ein entsprechendes Aufenthaltsrecht vom 30. Juli 1997 bis 31. August 1997 (dann verlängert bis 31. Juli 1998) eingetragen worden.

An anderer Stelle des bekämpften Bescheides wird dann noch ausgeführt, die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer am 29. Februar 2012 Gelegenheit eingeräumt, sich zu der am 29. Jänner 1997 erfolgten Ab- bzw. der am 21. Mai 1997 erfolgten Anmeldung zu äußern. Mit Eingabe vom 7. März 2012 habe der Vertreter des Beschwerdeführers daraufhin nach Rücksprache mit seinem Mandanten mitgeteilt, dass dieser 1997 nach Bosnien ausgereist sei, um den bosnischen Reisepass zu erlangen und um so die Möglichkeit zu haben, in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen; seine Niederlassung in Österreich habe er aber nicht aufgegeben und sei umgehend nach Erhalt des bosnischen Reisepasses nach Österreich zu seiner Familie zurückgekehrt.

4.3. "Beweiswürdigend" führte die belangte Behörde aus, es sei strittig, seit wann der Beschwerdeführer ununterbrochen einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet aufweise. Er habe sich mit 29. Jänner 1997 an seinem damaligen Hauptwohnsitz in L abgemeldet, wobei auf dem Meldezettel "verzogen nach Bosnien" vermerkt worden sei. Am 21. Mai 1997 habe er sich erneut im Bundesgebiet an der Adresse in L angemeldet. Die Aufrechterhaltung eines Hauptwohnsitzes bei (vorübergehender) Ortsabwesenheit hänge davon ab, ob der Lebensmittelpunkt am (behaupteten) Hauptwohnsitz auch während dieser Zeit erhalten bleibe. Ob Letzteres der Fall sei, lasse sich nur aus einer kombinierten Betrachtung von objektiven und subjektiven Kriterien beurteilen. In subjektiver Hinsicht erfordere die Aufrechterhaltung des Lebensmittelpunktes am bisherigen Hauptwohnsitz die Beibehaltung des "animus domiciliandi", also der Absicht, den Lebensmittelpunkt weiterhin an diesem Ort zu haben. Werde ein solcher Wille aufgegeben, vermöge auch das Fortbestehen von Lebensbeziehungen zum bisherigen Wohnort einen derartigen Hauptwohnsitz nicht aufrechtzuerhalten. Umgekehrt reiche der bloße Wille, seinen Lebensmittelpunkt an einem Ort zu erhalten, oder die Absicht, (irgendwann) dorthin zurückzukehren, zur Beibehaltung eines Hauptwohnsitzes nicht aus, wenn objektive Anknüpfungspunkte für einen solchen nicht (mehr) gegeben seien. In objektiver Hinsicht setze das Fortbestehen eines Hauptwohnsitzes nämlich voraus, dass zu diesem Ort Beziehungen aufrechterhalten würden, die bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände den Schluss rechtfertigten, eine Person habe an diesem Ort weiterhin ihren Lebensmittelpunkt.

Sodann wird im bekämpften Bescheid auf die Aussage des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung vom 24. Februar 2012, er habe sich in den 90iger-Jahren nach seiner Einreise nach Österreich abgesehen von Urlauben durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten, und auf seine Stellungnahme vom 7. März 2012 verwiesen. Auf Grund dieser Eingabe stehe fest, dass sich der Beschwerdeführer im erwähnten Zeitraum tatsächlich in Bosnien aufgehalten habe. Einzuräumen sei, dass die Ehefrau und die Tochter des Beschwerdeführers während seines Auslandsaufenthaltes weiterhin in L mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe das Bundesgebiet also zu einem Zeitpunkt verlassen, als er in aufrechter Familiengemeinschaft gelebt habe. Diese Familiengemeinschaft sei nach seiner Rückkehr fortgesetzt worden. Zu Beginn des Jahres 1997 sei sein Aufenthaltsstatus allerdings ungeklärt gewesen. Bis zur neuerlichen Bestätigung eines Aufenthaltsrechts am 30. Juli 1997 habe er über kein nachgewiesenes Aufenthaltsrecht verfügt. Am 4. Oktober 1996 habe ihm die BH Wels-Land die Möglichkeit aufgezeigt, vom Ausland aus einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu stellen. Sie habe ihn überdies ausdrücklich auf die Möglichkeit "der sichtvermerksfreien Einreise als Tourist von maximal drei Monaten pro Jahr" hingewiesen. Es liege sehr nahe - so die belangte Behörde resümierend -, dass der Beschwerdeführer im Jänner 1997 nach Zustellung der Berufungsentscheidung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich seinen Lebensmittelpunkt in Österreich aufgegeben habe und nach Bosnien verzogen sei, um dort das Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abzuwarten. Im Mai 1997 habe er offenbar seinen Entschluss geändert und sei nach Österreich zurückgekehrt. Es scheine nicht ausgeschlossen, dass er dabei von der Möglichkeit der sichtvermerksfreien Einreise als Tourist habe Gebrauch machen wollen. Dies setze voraus, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet aufgegeben habe. Ihm sei es sohin nicht gelungen, die mit der polizeilichen Abmeldung verbundene Indizwirkung zu widerlegen. "Bei freier Würdigung der vorliegenden Beweise" werde daher festgestellt, dass der Beschwerdeführer mit 29. Jänner 1997 seinen Hauptwohnsitz an seiner damaligen Adresse in L abgemeldet und seinen Lebensmittelpunkt nach Bosnien verlegt habe. Für die belangte Behörde stehe fest, dass er in der Zeit vom 29. Jänner 1997 bis 21. Mai 1997 keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gehabt habe.

5.1. In seiner Beschwerde tritt der Beschwerdeführer der dem bekämpften Bescheid zugrunde liegenden Annahme, er habe sich von Jänner bis Mai 1997 in Bosnien-Herzegowina befunden, nicht entgegen. Er führt aber aus, dass sich sein Lebensmittelpunkt zu diesem Zeitpunkt nach wie vor in Österreich befunden habe, wo seine gesamte "Kernfamilie" aufhältig gewesen sei, mit der er ein gemeinsames Familienleben geführt habe. Die Ausreise sei lediglich auf Grund einer ungerechtfertigten Aufforderung der Fremdenbehörde erfolgt. Tatsächlich sei ihm ein Aufenthaltsrecht in Österreich zugekommen, welches nach seiner Rückkehr im Reisepass bestätigt worden sei. Allein die Tatsache der polizeilichen Abmeldung auf Grund der zu Unrecht erfolgten Aufforderung durch die Fremdenbehörde, das Land zu verlassen, bedeute nicht, dass er seinen Lebensmittelpunkt nach Bosnien verlegt hätte.

5.2. Diesem Vorbringen ist zunächst zu erwidern, dass die belangte Behörde der polizeilichen Abmeldung ohnehin nur Indizwirkung zuerkannte. Sie hat auch - wenngleich im Rahmen der Beweiswürdigung - jene Gesichtspunkte zutreffend wiedergegeben, auf die es bei (vorübergehender) Ortsabwesenheit bezüglich der Frage der Aufrechterhaltung eines Hauptwohnsitzes ankommt. Dazu kann des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des schon von der belangten Behörde ins Treffen geführten hg. Erkenntnisses vom 21. März 2006, Zl. 2004/01/0266, verwiesen werden.

5.3. Das von der belangten Behörde gewonnene Ergebnis ist letztlich aber nicht stichhaltig begründet.

Zunächst ist festzuhalten, dass die belangte Behörde bei Verneinen eines Hauptwohnsitzes des Beschwerdeführers im fraglichen Zeitpunkt offenkundig nur auf das subjektive Moment Bezug nahm. Sie argumentierte der Sache nach also damit, dass es zu einem Wegfall des "animus domiciliandi" des Beschwerdeführers gekommen sei, was sie im Ergebnis daraus ableitete, dass er der oben wiedergegebenen Belehrung bzw. Aufforderung der BH Wels-Land vom 4. Oktober 1996 erkennbar habe Rechnung tragen wollen. Dabei räumte sie allerdings selbst ein, dass der Beschwerdeführer mit der in Österreich verbliebenen Ehefrau und Tochter in aufrechter Familiengemeinschaft lebte, die er nach seiner Rückkehr fortsetzte. Das spricht gewichtig gegen die Absicht des Beschwerdeführers, den Lebensmittelpunkt in Österreich aufzugeben. Dagegen spricht ferner, dass der Beschwerdeführer einen - im fraglichen Zeitraum nach wie vor offenen - Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt hatte und dass er nur über Druck der BH-Wels-Land bereit war, Österreich zu verlassen. Dass diesem Druck letztlich nach Zurückweisung einer unzulässigen Berufung (gegen die "Ausreiseaufforderung" der BH-Wels-Land) nachgegeben wurde, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in erster Linie rein faktisch zu bewerten, legt aber nicht den Schluss nahe, der Beschwerdeführer habe - wenn auch nur für wenige Monate - die Absicht gehabt, den Lebensmittelpunkt in Österreich aufzugeben. Das wäre nur dann in Erwägung zu ziehen gewesen, wenn Hinweise auf eine andernorts bestanden habende Nahebeziehung existieren würden. Derartiges hat die belangte Behörde aber nicht aufgezeigt. Sie ist auch über die in der Berufungsverhandlung abgegebene Äußerung der Ehefrau des Beschwerdeführers hinweggegangen, es habe mit dem Beschwerdeführer von 1993 bis 2003 eine aufrechte Lebensgemeinschaft bestanden. Wenngleich es sich dabei nur um eine nachträgliche subjektive Einschätzung handelt, legt sie doch nahe, dass "aus Sicht der Familie", was Rückschlüsse auf den "animus domiciliandi" des Beschwerdeführers erlaubt, dessen Lebensmittelpunkt auch zwischen Jänner und Mai 1997 in Österreich lag.

5.4. Nach dem Gesagten hat die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe in Befolgung der Belehrung/Aufforderung der BH Wels-Land vom 4. Oktober 1996 seinen Hauptwohnsitz in Österreich aufgegeben, keine ausreichende Deckung. Daran vermag auch die polizeiliche Abmeldung ungeachtet der ihr zukommenden Indizwirkung nichts zu ändern, weil den gegen die Aufgabe des Hauptwohnsitzes sprechenden Gesichtspunkten im Sinn der obigen Ausführungen größeres Gewicht beizumessen ist.

Davon ausgehend hätte der Beschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005 erfüllt. Bei Erfüllung der weiteren Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG, welche seitens der belangten Behörde nicht mehr geprüft wurden, hätte ihm daher nach der genannten Bestimmung die Staatsbürgerschaft verliehen werden können. Dann erwiese sich die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes im Grund des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG aber als nicht zulässig, weshalb der bekämpfte Bescheid im Ergebnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 11. Juni 2013

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