VwGH 2012/18/0174

VwGH2012/18/017412.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des CS in W, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 24. März 2010, Zl. SD 1007/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z8;
NAG 2005 §32;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 8 iVm Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes, auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 27. September 2001 unrechtmäßig und ohne im Besitz eines Dokuments zum Nachweis seiner Identität zu sein, in das Bundesgebiet eingereist. Am 1. Oktober 2001 habe er einen Asylantrag gestellt, der in erster Instanz mit Bescheid vom 23. April 2002 abgewiesen worden sei. Dem dagegen erhobenen Rechtsmittel habe der Asylgerichtshof keine Folge gegeben. Dessen Entscheidung sei am 9. Dezember 2009 in Rechtskraft erwachsen. Die dem Beschwerdeführer nach asylrechtlichen Bestimmungen gewährte vorläufige Aufenthaltsberechtigung sei am 9. Dezember 2009 "widerrufen" worden.

Am 18. Juni 2005 sei der Beschwerdeführer in 1210 Wien bei einer von ihm unerlaubt ausgeübten Beschäftigung betreten worden; eine dafür erforderliche arbeitsmarktrechtliche Bewilligung sei nicht vorgelegen. Der Beschwerdeführer habe damals gemeinsam mit anderen indischen Staatsangehörigen einen LKW mit Zeitungsständern und Zeitungen beladen. Es sei auch der Verantwortliche des Unternehmens Y Mediendienste vor Ort gewesen. Nach einer näheren Überprüfung des vorliegenden Sachverhalts habe das Zollamt Wien am 2. Dezember 2005 einen Strafantrag gegen den Verantwortlichen dieses Unternehmens wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) eingebracht. Der Beschwerdeführer habe zwar bestritten, für dieses Unternehmen tätig gewesen zu sein, und ausgeführt, (schon damals) selbständiger Zeitungskolporteur gewesen zu sein. Jedoch sei einer vom 17. Februar 2006 ausgestellten Bestätigung des genannten Unternehmens zufolge der Beschwerdeführer seit 20. Juni 2003 für das Unternehmen als "Sonntagstaschen-Zeitungszusteller" tätig.

In Anbetracht dessen sei davon auszugehen, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 8 iVm Abs. 2 Z 5 (richtig: iVm Abs. 5) FPG erfüllt sei.

Weiters sei der Beschwerdeführer am 7. April 2009 von Polizeibeamten wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung, Beschäftigung eines Arbeitnehmers "ohne Anmeldung", Beschäftigung eines Fremden ohne Beschäftigungsbewilligung, Verdachts der Übertretung des § 111 AVG (gemeint: ASVG) sowie wegen des Verdachts der Übertretung des Güterbeförderungsgesetzes zur Anzeige gebracht worden. Der Beschwerdeführer sei am 4. April 2009 in 1150 Wien zu einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten worden. Dabei sei festgestellt worden, dass das von ihm zu gewerblichen Zwecken genutzte KFZ im Zulassungsschein den Eintrag "zu keiner besonderen Verwendung bestimmt" aufgewiesen hätte. Der Beschwerdeführer habe die Polizeibeamten ausdrücklich gebeten, die Kontrolle schneller durchzuführen, weil er noch Zeitungen zustellen und Zeitungsständer einsammeln müsse. Die beiden weiteren im Fahrzeug angetroffenen indischen Staatsangehörigen hätten angegeben, für den Beschwerdeführer zu arbeiten. Der Beschwerdeführer selbst habe ausgeführt, eine selbständige Erwerbstätigkeit unter der Firma C S KEG auszuüben. Er stelle montags bis freitags für Apotheken Medikamente zu. Am Wochenende arbeite er als Zeitungszusteller, wobei er die diesbezüglichen Aufträge vom Unternehmen M erhalte.

Im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von entgegen den Regelungen des AuslBG erbrachter Arbeit sei die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Die Aufnahme einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit, ohne über die dafür erforderlichen Bewilligungen zu verfügen, könne auch für einen Asylwerber nicht die Erbringung der Tätigkeiten rechtfertigen. Überdies halte sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Es bestehe sohin kein Zweifel, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG gefährde.

Im Rahmen der nach § 66 FPG vorzunehmenden Beurteilung wies die belangte Behörde zunächst darauf hin, dass sich der Beschwerdeführer seit der im September 2001 unrechtmäßig erfolgten Einreise im Bundesgebiet aufhalte. In seinem Herkunftsland lebten seine Eltern, ein Bruder und vier Schwestern. Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Im Bundesgebiet lebe sein Schwager, der "Asylberechtigter" sei. Der Beschwerdeführer verdiene seit 2003 seinen Lebensunterhalt als Zeitungskolporteur. Er beziehe ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 650,--. Seit 1. Jänner 2007 sei der Beschwerdeführer einem vorliegenden Versicherungsdatenauszug aus der Datenbank der österreichischen Sozialversicherung zufolge als selbständig Erwerbstätiger gemeldet.

Es sei im vorliegenden Fall von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei aber dennoch zu bejahen. Der Eingriff sei nämlich zum Erreichen von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, hier konkret zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung von "Schwarzarbeit", dringend geboten. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten dokumentiert, dass er keine Bedenken habe, sich über die für ihn maßgeblichen Rechtsvorschriften hinwegzusetzen. In der Zeit von September 2001 bis Dezember 2009 sei er lediglich vorübergehend zum Aufenthalt in Österreich wegen der Anhängigkeit seines Asylverfahrens berechtigt gewesen. Sein Asylantrag habe sich aber letztlich als unbegründet erwiesen. Es könne von keiner nennenswerten Integration des Beschwerdeführers gesprochen werden. Seiner bisherigen Erwerbstätigkeit, sei sie unselbständig oder selbständig, könne keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, weil die Arbeitstätigkeit in unerlaubter Weise erfolgt sei. Somit stünden den insgesamt nicht besonders ausgeprägten privaten Interessen des Beschwerdeführers die genannten hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interessen gegenüber. Bei Abwägung der gegenläufigen Interessenlagen sei zum Ergebnis zu kommen, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als die öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (25. März 2010) darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles nach den Bestimmungen des FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 richtet.

Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes mit dem Argument, er habe über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 19 Asylgesetz 1997 verfügt, welche gemäß § 75 Abs. 6 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) "als subsidiäre Schutzberechtigung" gelte. Damit verkennt der Beschwerdeführer aber den Regelungsinhalt der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 6 AsylG 2005. Danach gilt einem Fremden, dem am oder nach dem 31. Dezember 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 oder des Asylgesetzes 1997 zugekommen ist oder zuerkannt wurde, der Status des subsidiär Schutzberechtigten als zuerkannt. Eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 wurde dem Beschwerdeführer aber - schon nach dem eigenen Vorbringen - nicht erteilt. Vielmehr weist er selbst darauf hin, dass er während des Asylverfahrens über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 19 Asylgesetz 1997, die ihm einen rechtmäßigen Aufenthalt bloß bis zum Abschluss des Asylverfahrens in Österreich ermöglicht hat, verfügt hat, nicht aber über eine nach § 15 Asylgesetz 1997 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung.

Der Beschwerdeführer bestreitet, einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein und weist darauf hin, dass er im Rahmen der österreichischen Sozialversicherung bereits seit dem 1. Mai 2006 als selbständig Erwerbstätiger gemeldet sei. Damit zeigt er aber keine Unschlüssigkeit der sich auf den Vorwurf der entgegen dem AuslBG ausgeübten unselbständigen Erwerbstätigkeit beziehenden behördlichen Beweiswürdigung auf. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass sich die belangte Behörde in nachvollziehbarer Weise auf eine Erklärung des Unternehmens Y Mediendienste gestützt hat, in der dieses eingeräumt hat, dass der Beschwerdeführer bereits seit Juni 2003 für dieses Unternehmen tätig sei. Vor dem Hintergrund der dem Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Beweiswürdigung bloß eingeschränkt zukommenden Überprüfungsbefugnis kann jedenfalls nicht gesagt werden, die behördliche Beweiswürdigung stelle sich gemessen an diesem Maßstab als mit Rechtswidrigkeit behaftet dar.

Im Übrigen hat die belangte Behörde - ausgehend von ihren Feststellungen zu weiterem Fehlverhalten des Beschwerdeführers - zur Begründung einer von ihm herrührenden, im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG maßgeblichen Gefahr nicht nur die Erfüllung des - eine solche Gefahr indizierenden - Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 8 FPG herangezogen. Sie hat darüber hinaus auch darauf abgestellt, dass er entgegen den gesetzlichen Bestimmungen eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.

Anders als der Beschwerdeführer meint, stand die - von ihm zugestandene - selbständige Erwerbstätigkeit nicht im Einklang mit dem Gesetz, weil es für die hier vorzunehmende Beurteilung nicht allein darauf ankam, dass er über die für die Erwerbstätigkeit notwendige gewerberechtliche Befugnis verfügt hat. Insbesondere ist dem Beschwerdeführer, jedenfalls bezogen auf die Zeit nach Wegfall seiner ihm nach asylrechtlichen Bestimmungen gewährten vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die Bestimmung des § 32 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) entgegenzuhalten. Danach bedarf - mit Ausnahme der Fälle einer (hier nicht vorliegenden) bloß vorübergehenden selbständigen Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs. 1 Z 7 NAG - die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit unbeschadet zusätzlicher Berechtigungen nach anderen Bundes- oder Landesgesetzen der Ausstellung eines Aufenthaltstitels mit entsprechendem Zweckumfang. Ein solcher Aufenthaltstitel wurde dem Beschwerdeführer unstrittig nie erteilt. Dass er über einen Gewerbeschein verfügt hat, ändert somit nichts an der Unrechtmäßigkeit der selbständigen Erwerbstätigkeit aus fremdenrechtlicher Sicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, Zl. 2012/23/0019).

Sohin ist festzuhalten, dass es am Boden der Feststellungen der belangten Behörde zum Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers letztlich keinen Bedenken begegnet, wenn sie davon ausging, im gegenständlichen Fall liege eine von ihm im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung vor.

Der Beschwerdeführer bekämpft die Entscheidung der belangten Behörde aber auch aus dem Blickwinkel des § 66 FPG. Er macht geltend, die belangte Behörde hätte im Hinblick auf die seit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vergangene Zeit ein "diesbezügliches Ermittlungsverfahren" durchführen müssen. Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass es im Verwaltungsverfahren zu einem Verfahrensstillstand von erheblicher Dauer gekommen ist. Er vermag aber nicht aufzuzeigen, welche in der Beschwerde genannten Umstände die belangte Behörde nicht berücksichtigt hätte, zu welchen ergänzenden Feststellungen die belangte Behörde im Falle weiterer Ermittlungen hätte kommen können und weshalb diese geeignet gewesen wären, zu einem anderen Bescheid zu kommen. Von jenen Umständen, die in der Beschwerde geltend macht werden, nämlich dass der Beschwerdeführer einen Gewerbebetrieb führe und aufrecht sozialversichert sei, ist die belangte Behörde ohnedies ausgegangen. Auch strafgerichtlich zu ahndendes Fehlverhalten hat sie ihm nicht vorgeworfen. Soweit sich der Beschwerdeführer auf seinen Schwager, seine Schwester und seine Nichten bezieht, aber in diesem Zusammenhang bloß unsubstantiiert auf seinen hohen Grad der Integration verweist, legt er nicht dar, welche weiteren für die hier vorzunehmende Beurteilung relevanten Sachverhaltselemente bei ergänzenden Ermittlungen zu Tage getreten wären. Die Relevanz des Verfahrensfehlers wird sohin nicht dargetan.

Der Beschwerdeführer hatte im Hinblick auf die - aus seiner Sicht negative - behördliche Beurteilung seines Asylbegehrens von einem nicht gesicherten Aufenthalt auszugehen. Es ist hier aber auch darauf hinzuweisen, dass die erstinstanzliche abweisende Entscheidung im Asylverfahren bereits Ende April 2002 vorlag. Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich wird aber in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt in Österreich auszugehen. Zu Recht hat die belangte Behörde auch darauf hingewiesen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert beizumessen ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 18. Oktober 2012). Zusammengefasst begegnet es sohin keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde der - insbesondere aus beruflichen Gründen - erlangten Integration des Beschwerdeführers kein entscheidungsmaßgebliches Gewicht beigelegt hat. Eine Konstellation, nach der von der Erlassung des Aufenthaltsverbots aus dem Grund des § 66 FPG hätte Abstand genommen werden müssen, liegt hier nicht vor. An dieser Beurteilung ändert auch nichts, wenn man die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Kenntnisse der deutschen Sprache einbezieht.

Es liegt sohin die behauptete Rechtsverletzung nicht vor. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. Dezember 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte