VwGH 2012/18/0158

VwGH2012/18/015812.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerden 1. der NV und 2. des XX, geboren am 26. Juni 2004, beide in W, beide vertreten durch Dr. Michael Mohn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zelinkagasse 2, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien je vom 12. Jänner 2010, 1.) Zl. E1/100.876/2009, und

2.) Zl. E1/100.812/2009, jeweils betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art2;
MRK Art3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art2;
MRK Art3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers. Beide sind ukrainische Staatsangehörige.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wurden die beschwerdeführenden Parteien von der belangten Behörde gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ausgewiesen.

In den Begründungen ging die belangte Behörde - im Wesentlichen gleichlautend - davon aus, dass die Erstbeschwerdeführerin am 24. März 2003 unrechtmäßig in Österreich eingereist sei. Am darauffolgenden Tag habe sie einen Asylantrag gestellt. Sie lebe mittlerweile mit dem ukrainischen Staatsangehörigen S in Lebensgemeinschaft. Am 26. Juni 2004 sei der gemeinsame Sohn - der Zweitbeschwerdeführer - geboren worden.

Die Asylverfahren aller drei Personen seien mit 18. November 2008 "rechtskräftig negativ abgeschlossen" worden. Der Asylgerichtshof habe (auch) festgestellt, dass hinsichtlich aller Familienmitglieder die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine zulässig sei.

Seit Abschluss der Asylverfahren hielten sich die beschwerdeführenden Parteien nicht mehr rechtmäßig in Österreich auf. Sie dürften sohin gemäß § 53 Abs. 1 FPG ausgewiesen werden.

Bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG sei hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin auf ihren fast siebenjährigen Aufenthalt in Österreich Bedacht zu nehmen. Die Dauer des Aufenthalts des Zweitbeschwerdeführers, der im Juni 2004 in Österreich geboren sei, betrage fünf Jahre.

Auf Grund des langjährigen inländischen Aufenthalts der beschwerdeführenden Parteien sei im vorliegenden Fall von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in ihr Familien- und Privatleben auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, hier konkret zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses öffentliche Interesse hätten die beschwerdeführenden Parteien verstoßen, indem ihr Aufenthalt seit Abschluss ihrer Asylverfahren unrechtmäßig sei. Das Gewicht der aus ihrem bisherigen Aufenthalt resultierenden persönlichen Interessen werde insofern relativiert, als die beschwerdeführenden Parteien bisher lediglich über vorläufige Aufenthaltsberechtigungen nach asylrechtlichen Bestimmungen verfügt hätten, wobei sich die von ihnen gestellten Asylanträge als unberechtigt herausgestellt hätten.

Es bestünden jeweils familiäre Bindungen lediglich zu Personen (offensichtlich gemeint: zueinander und zum Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater des Zweitbeschwerdeführers), die ebenfalls über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügten und deren Asylverfahren ebenso "rechtskräftig negativ abgeschlossen" worden seien. Die Familiengemeinschaft sei zu einer Zeit begründet worden, als sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus in Österreich bewusst sein mussten. Die Erstbeschwerdeführerin, ihr Lebensgefährte und das gemeinsame Kind könnten das gemeinsame Familienleben in der Ukraine weiterführen. Dass die Erstbeschwerdeführerin seit Jänner 2009 geringfügig beschäftigt sei, führe nicht zu einer nachhaltigen Integration am heimischen Arbeitsmarkt. Schon aus diesem Grund könne hier dahingestellt bleiben, ob die Ausübung der Tätigkeit als "Schwarzarbeit" anzusehen sei.

In der Ukraine hielten sich auch noch der Vater und eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin auf, so dass sie zumindest über eine - wenn auch lose - familiäre Bindung im Heimatstaat verfüge.

Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers führte die belangte Behörde ergänzend aus, dass auch seine Mutter (die Erstbeschwerdeführerin) ausgewiesen werde. Somit stehe einer gemeinsamen Ausreise mit ihr nichts entgegen. Es werde daher auch das Kindeswohl durch die Erlassung der Ausweisung nicht beeinträchtigt. Die Eltern des Zweitbeschwerdeführers verfügten über kein Aufenthaltsrecht und dürften ebenfalls nicht in Österreich bleiben. (Auch der Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater des Zweitbeschwerdeführers wurde - was sich anhand des beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 2011/23/0480 (vormals 2010/18/0343) anhängigen Beschwerdeverfahrens ergibt - von der belangten Behörde mit Bescheid vom 28. April 2010 ausgewiesen).

Wenn die Erstbeschwerdeführerin ausführe, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden, sei darauf hinzuweisen, dass mit der vorliegenden Ausweisung nicht ausgesprochen werde, in welches Land sie auszureisen habe. Im Übrigen sei auf das bereits abgeschlossene Asylverfahren zu verweisen.

In den Berufungen sei vorgebracht worden, der Asylgerichtshof hätte die gegen den Zweitbeschwerdeführer im Asylverfahren erlassene Ausweisung aufgehoben. In seiner diesbezüglichen Begründung - so die belangte Behörde in ihrer Entgegnung - habe der Asylgerichtshof aber festgehalten, dass die Ausweisung deswegen aufgehoben werde, weil über die Zulässigkeit der Ausweisung aller Familienmitglieder die Fremdenpolizeibehörde zu entscheiden haben werde. Somit stehe die den Zweitbeschwerdeführer betreffende Entscheidung des Asylgerichtshofes der Erlassung der gegenständlichen Ausweisungen nicht entgegen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden, die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden wurden, nach jeweils erfolgter Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass in den gegenständlichen Fällen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide (jeweils 22. Jänner 2010) das FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 zur Anwendung kommt.

Die Beschwerden bestreiten nicht die behördlichen Ausführungen, aus denen sich ergibt, dass sich die beschwerdeführenden Parteien seit Abschluss der Asylverfahren nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Es bestehen sohin keine Bedenken gegen die Auffassung der belangten Behörde, im Zeitpunkt der Erlassung ihrer Entscheidungen sei jeweils der die Ausweisung ermöglichende Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt.

Die Beschwerden bekämpfen die angefochtenen Bescheide in ihrer Beurteilung nach § 66 FPG. Dazu wird - wie bereits im Verwaltungsverfahren - in erster Linie das in Österreich bestehende Familienleben und die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in Österreich geltend gemacht.

Es ist allerdings nicht zu erkennen, dass der belangten Behörde bei der Bewertung dieser Umstände ein Fehler unterlaufen wäre. Insbesondere wird in den Beschwerden nicht vorgebracht, dass die Feststellungen zum unrechtmäßigen Aufenthalt (auch) des Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater des Zweitbeschwerdeführers unrichtig wären, oder dass gegen diesen keine aufenthaltsbeendende Maßnahme ergriffen worden wäre. Auch die behördlichen Ausführungen, aus denen sich ergibt, dass davon auszugehen sei, das Familienleben aller drei könne in zumutbarer Weise im Heimatland der beschwerdeführenden Parteien fortgesetzt werden, werden - bezogen auf Art. 8 EMRK - nicht bekämpft. Aus den Beschwerdeausführungen geht aber auch in keiner Weise hervor, dass es dem in Österreich geborenen Zweitbeschwerdeführer - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nicht möglich wäre, in seinem Heimatland, insbesondere etwa wegen fehlender Sprachkenntnisse, Fuß zu fassen (vgl. zur Zulässigkeit der Einbeziehung des Umstandes, dass sich ein Kind in einem "anpassungsfähigen Alter" befindet, die sich ebenfalls u.a. mit in Österreich geborenen Kindern befassenden hg. Erkenntnisse vom 29. Februar 2012, Zlen. 2010/21/0310 bis 0314, und vom 30. August 2011, Zlen. 2010/21/0361 bis 0363).

Vor diesem Hintergrund ist die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden. Anhand der Feststellungen ist nicht ersichtlich, dass die beschwerdeführenden Parteien ein derart maßgebliches Ausmaß an Integration in Österreich erlangt hätten, dass die Erlassung der Ausweisungen sich aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als unzulässig dargestellt hätte.

Bei der Bewertung der Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib in Österreich hat die belangte Behörde aber auch zu Recht im Sinn des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG berücksichtigt, dass auf Grundlage von vorläufigen Aufenthaltsberechtigungen, die den beschwerdeführenden Parteien während des Asylverfahrens zugekommen waren, diese nicht damit rechnen durften, dauernd in Österreich bleiben zu können. Es trifft auch die behördliche Ansicht zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. auch dazu die bereits angeführten Erkenntnisse vom 30. August 2011 und vom 29. Februar 2012, jeweils mwN). Diesem Interesse haben die beschwerdeführenden Parteien insofern zuwidergehandelt, als sie nach - für sie negativem - Abschluss ihrer Asylverfahren das Bundesgebiet nicht verlassen haben.

Soweit in den Beschwerden auf eine Verletzung des Art. 2 oder Art. 3 EMRK im Heimatland abgestellt wird, ist dem entgegenzuhalten, dass das darauf bezugnehmende Vorbringen im hier gegenständlichen Verfahren nicht zu prüfen ist. Dafür stehen eigene - von den beschwerdeführenden Parteien auch angestrengte - Verfahren zur Verfügung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2012, Zl. 2011/18/0011, mwN).

In den Beschwerden wird schließlich - wie bereits in den Verwaltungsverfahren - die den Zweitbeschwerdeführer betreffende Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit der Erlassung einer Ausweisung im Asylverfahren ins Treffen geführt. Dazu hat aber bereits die belangte Behörde zu Recht darauf hingewiesen, dass die in erster Instanz erlassene asylrechtliche Ausweisung nur deswegen vom Asylgerichtshof behoben wurde, weil es zum damaligen Zeitpunkt durch die alleinige Ausweisung des Zweitbeschwerdeführers dazu hätte kommen können, dass dieser ungeachtet seiner Minderjährigkeit das Bundesgebiet ohne seine Mutter zu verlassen gehabt hätte. Diese Trennung - so der Asylgerichtshof - könnte zu einem unzulässigen Eingriff in das nach Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben führen, weshalb über die Frage der Ausweisung aller Familienangehörigen von der Fremdenpolizeibehörde zu befinden sein werde. Vor diesem Hintergrund stand die vom Asylgerichtshof getroffene Entscheidung aber den hier gegenständlichen Ausweisungen jedenfalls nicht entgegen. Dies gilt auch für die im Asylverfahren aus denselben Gründen unterbliebene Ausweisung des Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vaters des Zweitbeschwerdeführers.

Zusammengefasst ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Erlassung der Ausweisungen gegen die beschwerdeführenden Parteien unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in die von dieser Bestimmung geschützten Rechte angesehen hat.

Die behaupteten Rechtsverletzungen liegen daher nicht vor, weshalb die Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen waren.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. Dezember 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte