VwGH 2012/15/0036

VwGH2012/15/003619.12.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der I GmbH in Salzburg, vertreten durch die Quintax gerlich-fischer-kopp SteuerberatungsgmbH in 5020 Salzburg, Rainbergstraße 3a, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Salzburg, vom 29. Dezember 2011, Zl. RV/0876-S/09, betreffend Sicherstellungsauftrag gemäß § 232 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §232 Abs1;
BAO §232;
BAO §280;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Zuge einer bei der beschwerdeführenden GmbH für den Zeitraum 2000 bis 2007 durchgeführten Außenprüfung sowie einer Umsatzsteuernachschau für Jänner bis Juni 2008 gelangte das Finanzamt zur Auffassung, dass Einnahmen unvollständig erfasst worden seien. Die Überprüfung "schwerpunktmäßig ausgewählter" Kunden habe ergeben, dass eine Reihe von Kundenzahlungen auf ein bislang nicht als betrieblich deklariertes Bankkonto gegangen sei, wobei die zugrunde liegenden "Ausgangsrechnungen in den fortlaufenden Ausgangsrechnungen nicht enthalten seien". Andererseits seien "ungeklärte Barmittelzuflüsse" von rund 800.000 EUR in das Betriebsvermögen der Beschwerdeführerin erfolgt.

Das Finanzamt nahm eine Schätzung vor und erließ mit Bescheid vom 31. August 2009 gegenüber der Beschwerdeführerin einen Sicherstellungsauftrag gem. § 232 BAO für Umsatz-, Körperschaft- und Kapitalertragsteuer der Jahre 2000 bis 2008 von zusammen 377.730,26 EUR. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, die Erschwerung der Einbringung der Abgaben sei zu befürchten, weil weder die Beschwerdeführerin noch deren Geschäftsführer Harald F noch deren Gesellschafterin Hermine F über ausreichendes inländisches Vermögen verfügten. Es sei anzunehmen, dass die Steuernachforderung voraussichtlich nicht entrichtet werden könne. Weiters bestehe aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung der dringende Verdacht, dass von den Verantwortlichen der Beschwerdeführerin Umsätze nicht erklärt worden seien, sodass eine gewerbsmäßige Abgabenhinterziehung vorliege.

Durch die unvollständige Vorlage der Buchhaltungsunterlagen sowie das Nichtdeklarieren von betrieblichen Bankkonten liege ein schwerwiegender Aufzeichnungsmangel vor, der die Annahme, dass sich die Abgabepflichtige der Vollstreckung der noch festzusetzenden Abgaben zu entziehen trachte, ebenfalls rechtfertige.

Zugleich erließ das Finanzamt einen Sicherstellungsauftrag an den Geschäftsführer der Beschwerdeführerin Harald F, und zwar betreffend die gleichen Abgabennachforderungen von insgesamt 377.730,26 EUR (Bescheid vom 31. August 2009). In der Bescheidbegründung wird darauf hingewiesen, dass Harald F mit Haftungsbescheid vom 28. August 2009 gemäß § 9 iVm § 80 BAO zur Haftung für diese Abgabenschulden der Beschwerdeführerin herangezogen worden sei. Die weitere Bescheidbegründung entspricht jener des an die Beschwerdeführerin ergangenen Sicherstellungsauftrages.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen den an sie ergangenen Bescheid Berufung. Der Sicherstellungsauftrag sei rechtswidrig, weil die tatbestandmäßig geforderte Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung im gegenständlichen Fall nicht vorliege. Da Abgabenbescheide nicht ergangen seien, habe die Beschwerdeführerin gar keine Möglichkeit gehabt, die Abgaben allenfalls zu entrichten. Die Behauptung, eine Steuernachforderung sei voraussichtlich nicht einbringlich und könnte von der Beschwerdeführerin oder Harald F nicht entrichtet werden, sei völlig unbegründet und falsch. Dem Finanzamt sei bekannt, dass die Beschwerdeführerin über erhebliches Vermögen und insbesondere über Kundenforderungen verfüge. Der Geschäftsführer Harald F und die Gesellschafterin hätten (konkret angeführtes) Vermögen, insbesondere Liegenschaftsvermögen von erheblichem Ausmaß. Die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung sei unter Bedachtnahme auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu beurteilen. Abgabenhinterziehung und Mängel in der Buchführung seien keine Umstände, die für sich allein eine Sicherstellung rechtfertigen könnten. In jedem Fall bedürfe es einer Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Lage der Beschwerdeführerin.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. In der Bescheidbegründung wird zunächst erläutert, aus welchen Gründen die Abgabenbehörde im gegenständlichen Fall gezwungen gewesen sei, die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege zu ermitteln. Es bestehe der dringende Verdacht, dass Abgaben in Höhe von 377.730,26 EUR hinterzogen worden seien.

Im Weiteren führt die belangte Behörde aus, Sicherstellungsaufträge setzten eine Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung der betreffenden Abgaben voraus. Diese liege vor, wenn aus der wirtschaftlichen Lage und den sonstigen Umständen des Einzelfalles geschlossen werden könne, dass nur bei raschem Zugriff der Abgabenbehörde die Abgabeneinbringung voraussichtlich gesichert erscheine.

Im gegenständlichen Fall habe das Finanzamt von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Beschwerdeführerin ausgehen müssen, wie sie sich während der Prüfung dargestellt hätten. Aus den bruchstückhaft vorhandenen Unterlagen sei bei sachgerechter Würdigung ersichtlich gewesen, dass die Beschwerdeführerin nicht über ein ausreichendes Vermögen verfüge, um die Steuernachforderung von über 300.000 EUR entrichten zu können. Die in der Berufung eingewendeten Kundenforderungen reichten nicht zur Abdeckung der Abgabennachforderung aus. Dazu komme, dass die im Eigentum der Beschwerdeführerin gestandenen zwei Wohnungen in H. in den Jahren 2004 und 2005 verkauft worden seien.

Wenn aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung der dringende Verdacht bestehe, dass von den verantwortlichen Organwaltern der Beschwerdeführerin Umsätze nicht erklärt worden seien und dadurch eine gewerbsmäßige Abgabenhinterziehung begangen worden sei, und wenn schwerwiegende Aufzeichnungsmängel vorlägen und betriebliche Bankkonten nicht deklariert worden seien, so sei zu befürchten, dass sich die Abgabepflichtige auch der Vollstreckung der noch festzusetzenden Abgaben zu entziehen trachte.

Aus den in der Begründung des Sicherstellungsauftrages dargestellten Umständen ergebe sich die Besorgnis, dass die Abgabeneinbringung bei dessen Erlassung gefährdet und wesentlich erschwert gewesen sei.

 

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 232 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung zu begegnen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, liegt eine Gefährdung oder Erschwerung iSd § 232 Abs. 1 BAO vor, wenn aus der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen und den besonderen Umständen des Einzelfalles geschlossen werden kann, dass nur bei raschem Zugriff der Abgabenbehörde die Abgabeneinbringung voraussichtlich gesichert erscheint. Für eine Gefährdung bzw. wesentliche Erschwerung sprechen etwa drohende Insolvenzverfahren, Exekutionsführung von dritter Seite, Auswanderungsabsicht, Vermögensverschiebungen ins Ausland oder an Verwandte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, 97/15/0030, VwSlg 7377/F, mwN). Dasselbe gilt beispielsweise für (laufende) Zahlungserleichterungsansuchen eines notleidenden Unternehmens und Berufungen gegen die solche Anträge abweisenden Bescheide, wenn in ihnen nicht dargelegt wird, dass keine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgaben besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2011, 2008/13/0224).

Im Falle von Gesamtschuldverhältnissen muss die Gefährdung und wesentliche Erschwerung iSd § 232 BAO bei allen Gesamtschuldnern gegeben sein (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2401 f; Ritz, BAO4, § 232 Tz 4).

Der Annahme der Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung einer Abgabenschuld müssen entsprechende Tatsachenfeststellungen zugrunde liegen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 1997, 95/15/0057, und vom 30. Oktober 2001, 96/14/0170).

Zwar hat sich das Verfahren über eine Berufung gegen einen Sicherstellungsauftrag auf die Überprüfung zu beschränken, ob im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides, mit dem die Sicherstellung angeordnet worden ist, die erforderlichen Voraussetzungen gegeben waren. Gemäß § 280 BAO ist aber bei der Entscheidung über die Berufung gegen einen Sicherstellungsauftrag auf im Berufungsverfahren der Behörde zur Kenntnis gelangte neue Tatsachen und Beweise - welche sich allerdings auf die Überprüfung der Frage zu beschränken haben, ob im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Sicherstellungsauftrages die dafür erforderlichen Voraussetzungen objektiv gegeben waren - Bedacht zu nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1997, 95/15/0057).

Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid zutreffend aus, dass sie bei Beurteilung der Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung auf die Umstände, insbesondere auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, abstellen muss, wie sie bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Sicherstellungsauftrages gegeben waren. Dabei war die belangte Behörde allerdings nicht auf die im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung "bruchstückhaft vorhandenen Unterlagen" beschränkt. Sie hätte vielmehr uneingeschränkt auf Tatsachen, die ihr im Zuge des Berufungsverfahrens zur Kenntnis gelangt sind, Bedacht nehmen müssen, soweit diese im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Sicherstellungsauftrages objektiv bereits gegeben waren (vgl. Ritz, BAO4, § 232 Tz 11).

In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass das Finanzamt mit Haftungsbescheid vom 28. August 2009 den Geschäftsführer der Beschwerdeführerin, Harald F, zur Haftung für jene Abgaben, die auch dem gegenständlichen Sicherstellungsauftrag zugrunde liegen, herangezogen hat. Mit der Geltendmachung der Haftung ist der Haftende gemäß § 7 Abs. 1 BAO zum Gesamtschuldner geworden. Die Gefährdung oder wesentliche Erschwerung muss im Falle von Gesamtschuldverhältnissen bei allen Gesamtschuldnern gegeben sein.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides enthält keine Tatsachenfeststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin und zur Einbringlichkeit der Abgaben beim Gesamtschuldner. Es fehlen damit Feststellungen, aufgrund derer die Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung der Abgabenschuld beurteilt werden könnte. Die Bescheidbegründung geht auch auf den Großteil des in der Berufung zu dieser Frage erstatteten Sachverhaltsvorbringens nicht ein.

Der angefochtene Bescheid ist sohin mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 19. Dezember 2013

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