VwGH 2012/06/0134

VwGH2012/06/013420.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des W, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 22, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 21. Juni 2012, Zl. BHBR-I-3300.00-2012/0007, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Marktgemeinde H Immobilienverwaltungs GmbH & Co KG, 2. Marktgemeinde H), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §8;
BauG Vlbg 2001 §26 Abs1 litc;
BauG Vlbg 2001 §8 Abs1;
BauRallg;
RPG Vlbg 1996 §14 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §59 Abs1;
AVG §8;
BauG Vlbg 2001 §26 Abs1 litc;
BauG Vlbg 2001 §8 Abs1;
BauRallg;
RPG Vlbg 1996 §14 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 10. März 2009 beantragte die erstmitbeteiligte Partei (Bauwerberin) die Erteilung einer Baubewilligung für den Abbruch des bestehenden Gebäudes und die Errichtung eines öffentlichen Gebäudes für zwei Kinderbetreuungsgruppen und Musikproberäumlichkeiten im Bereich der zweitmitbeteiligten Marktgemeinde. Das Baugrundstück ist im Flächenwidmungsplan als Baufläche/Kerngebiet ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstückes und erhob während der mündlichen Verhandlung folgende Einwendungen gegen das Bauvorhaben: Sowohl durch die Musikschulproberäume als auch den Kinderspielplatz entstünden ortsunübliche, unzumutbare und der Widmung der betreffenden Grundstücke widersprechende Lärmbelästigungen, die auch gesundheitsgefährdend seien; das Bauvorhaben sei nur dann bewilligungsfähig, wenn größere Abstände zum Grundstück des Beschwerdeführers festgelegt würden; die Regenabflussverhältnisse würden gravierend verändert, sodass ein unzulässiger verstärkter Regenabfluss auf das Grundstück des Beschwerdeführers zu erwarten sei.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Marktgemeinde vom 21. September 2009 wurde das Bauvorhaben unter Vorschreibung zahlreicher Nebenbestimmungen genehmigt. Die Einwendungen des Beschwerdeführers hinsichtlich unzulässiger Belästigungen und Gefährdungen wurden abgewiesen, weil sie durch die Vorschreibungen der vom lärmtechnischen Amtssachverständigen (vom 16. Juni 2009) vorgeschlagene Auflagen ausgeschlossen werden könnten. Konkret wurden folgende Auflagen des lärmtechnischen Amtssachverständigen vorgeschrieben:

"1. Alle Bauteile müssen genügend Schutz gegen Lärm von außen und gegen das Entstehen und Fortleiten des Lärmes im Inneren des Gebäudes bieten und den Anforderungen der BTV und OIB Richtlinie 5 sowie ÖNORM B 8115 "Schallschutz und Raumakustik im Hochbau" entsprechen. Auf Verlangen sind entsprechende Bestätigungen und Prüfprotokolle von befugten Fachfirmen oder befugten Personen vorzulegen.

2. Sämtliche öffenbare(n) Fenster der Musikproberäume sind während des Probenbetriebes geschlossen zu halten. Diese dürfen zu Lüftungszwecken nur geöffnet werden, wenn in den einzelnen Räumen kein Betrieb herrscht.

3. Sämtliche nach außen führende(n) Verglasungen inklusive Rahmen und Wandanschlüsse sind schalltechnisch derart auszuführen, dass diese im eingebauten, geschlossenen Zustand ein bewertetes Schalldämmmaß von mindestens 40 dB aufweisen. Entsprechende Nachweise einer hiezu befugten Fachperson sind nach Fertigstellung der Behörde zu übergeben.

4. Geräusche von Außenluftansaug- und Fortluftausblasöffnungen von Lüftungsanlagen sind z. B. durch den Einbau von Schalldämpfern derart zu begrenzen, dass diese in ihrer Gesamtheit an der zur jeweiligen Öffnung nächstgelegenen eigenen Grundstücksgrenze einen A-bewertenden Beurteilungspegel im Sinn der Ö-Norm S 5004, Ausgabe 1998, von 31 dB während der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr und 39 dB während der Zeit von 06.00 bis 22.00 Uhr nicht überschreiten. Entsprechende Nachweise einer hierzu befugten Fachperson sind nach Fertigstellung der Behörde zu übergeben.

5. …"

Zu der Einwendung betreffend die geänderten Regenabflussverhältnisse verwies die Baubehörde erster Instanz auf das Gutachten des Amtssachverständigen (vom 8. April 2009), worin dieser ausführte, dass die Planung auf ein halbjähriges Regenereignis dimensioniert sei; die Schmutzwasser- und Oberflächenwasserhausanschlüsse seien bei einem öffentlichen Regenwasserkanalprojekt mitberücksichtigt worden und entsprächen dem Stand der Technik; die derzeitige Situation werde wesentlich verbessert.

In seiner Berufung vom 5. Oktober 2009 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, es sei nicht ausreichend, die Ableitung der Niederschlagsgewässer nur auf ein halbjähriges Regenereignis abzustellen, weil es immer wieder auch zu stärkeren Regenereignissen komme. Der lärmschutztechnische Amtssachverständige habe sich auf veraltete technische Regelwerke (ÖAL-Richtlinie Nr. 3, Ausgabe 1996, ÖNORM S 5004, Ausgabe 1998, ÖAL-Richtlinie Nr. 28, Ausgabe 1988) gestützt. Er hätte vielmehr die 2008 neu erschienene ÖAL-Richtlinie Nr. 3 und statt der ÖAL-Richtlinie Nr. 28 die ÖNORM Iso 9613-2 verwenden müssen. Auch die ÖNORM S 5004 vom 1. Dezember 2008 enthalte aktuellere Messvorschriften. Entgegen der Ansicht des lärmschutztechnischen Amtssachverständigen sei Kinderlärm nicht ortsüblich; diesbezüglich hätten konkrete Ermittlungen der Lärmwerte erfolgen müssen. Die Auflage des lärmschutztechnischen Amtssachverständigen, wonach alle Fenster der Musikproberäume während des Probenbetriebes geschlossen zu halten seien, widerspreche einer Auflage des Bautechnikers, wonach bei Sanitärräumen und Aufenthaltsräumen durch Öffnen von Fenstern für eine ausreichende Belüftung zu sorgen sei. Die Lärmmessung des lärmschutztechnischen Amtssachverständigen sei am 19. Februar 2009 erfolgt; an diesem Tag hätten besonders lärmintensive Aktivitäten im Bereich des Baugrundstückes ("gumpiga Donnerstag") stattgefunden. Die Lärmmessungen seien daher nicht repräsentativ, der Lärmpegel sei normalweise um 10 dB geringer. Die Lärmmessungen seien auch um 01.41 Uhr abgebrochen worden. Darüber hinaus seien die Auflagen zu wenig konkret.

Die Berufungsbehörde holte eine ergänzende Stellungnahme des lärmtechnischen Amtssachverständigen vom 21. Oktober 2009 ein, in der dieser zu dem Beschwerdevorbringen Stellung nahm. Bei der ÖAL-Richtlinie Nr. 3, Ausgabe 2008, handle es sich um eine Verfahrensanweisung, die kaum erprobt sei, weshalb er aus Vorsicht weiterhin die bestens erprobte Ausgabe 1998 einbinde; die ÖNORM S 5004, Ausgabe 2008, sei an die ÖAL-Richtlinie Nr. 3, Ausgabe 2008, angeglichen worden; der Anpassungswert für informationshaltige Geräusche sei jedoch mit plus 5 dB gleich geblieben; die Beurteilungszeiträume Tag/Abend/Nacht seien angepasst worden, was im vorliegenden Fall jedoch unerheblich sei, weil die Geräusche als durchgehend angesetzt worden seien; diesbezüglich könne ein Nachteil weder für die Nachbarschaft noch für die Bauwerberin gesehen werden. Nach den Ergebnissen und Schlussfolgerungen eines Berichtes des Umweltbundesamtes liegen beim Vergleich der ÖAL-Richtlinie Nr. 28 und der ÖNORM Iso 9613-2 die Standardabweichung der ÖNORM Iso 9613-2 um 1 dB schlechter, weil diese unklare Vorgaben zur Modellierung der Schallemissionen mache; daher sei als sichere, erprobte und weniger fehlerbehaftete Methode der Schallausbreitungsberechnung die ÖAL-Richtlinie Nr. 28 zu Grunde gelegt worden. Bei den Umgebungslärmmessungen seien Störungen ("gumpiga Donnerstag") vom ständig anwesenden Sachverständigen markiert und bei der Auswertung ausgeblendet worden. Die Ergebnisse seien daher repräsentativ für übliche Wochentage.

Die Berufungsbehörde richtete mit Schreiben vom 4. Februar 2010 weitere ergänzende Fragen an den lärmtechnischen Amtssachverständigen, die dieser mit Schreiben vom 11. März 2010 beantwortete. Darin führte er aus, dass nach der ÖAL-Richtlinie Nr. 3, Ausgabe 2008, eine Heranziehung inhaltlicher Beurteilungskriterien entfallen könne, wenn für ein Projekt die Einhaltung der planungstechnischen Grundsätze nachgewiesen worden sei. Dies sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Im Endeffekt wäre das Ergebnis bei Anwendung der ÖAL-Richtlinie Nr. 3, Ausgabe 2008 - zumindest soweit dies lärmtechnisch beurteilbar sei - dasselbe gewesen.

Mit Schreiben vom 26. Mai 2010 legte der Beschwerdeführer eine schalltechnische Stellungnahme von Dipl. Ing. W. vom 20. Mai 2010 vor. Darin führte dieser in Bezug auf die Schallimmissionsmessungen des Amtssachverständigen vom 20. Februar 2009 und sein Gutachten vom 16. Juni 2010 aus, vor allem in den Abendstunden von 19.00 Uhr bis 22.00 Uhr könne es im Sommer zu unzulässigen Schallpegeln aus dem Bereich Kinderspielplatz kommen. Es gebe offensichtlich keine definierten Betriebszeiten für die Musikproberäume, daher sei eine Belästigung durch Musikübungsgeräusche auch von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr Früh und an Sonn- und Feiertagen möglich. Es sollte daher eine Einschränkung des Musikprobenbetriebes beispielsweise von 8.00 Uhr bis 22.00 Uhr erfolgen. Hinsichtlich der Lüftungsanlage wäre zu prüfen, ob Musikgeräusche (insbesondere tiefe Frequenzen) über die Lüftungsanlage entweichen könnten. Die Beurteilungspegel für die vier Immissionspunkte seien nicht nachvollziehbar und die für die Berechnung notwendigen Angaben, wie Fensterflächen und Entfernungen der schallabstrahlenden Flächen zum jeweiligen Immissionspunkt, fehlten.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 11. Februar 2011 nahm der Amtssachverständige zum Vorbringen des Privatsachverständigen Dipl. Ing. W. Stellung.

Daraufhin brachte die Bauwerberin mit Schreiben vom 6. Juni 2011 folgende Antragsänderung ein:

"1. Ausmaß der Kinderspielflächen

Die Fläche für den Kinderspielplatz wird in Richtung Norden mit der südseitigen Gebäudekante abschließen.

Der Zugang zum Kinderspielplatz der Kinderbetreuung befindet sich gemäß den Plan- und Beschreibungsunterlagen auf der Westseite des Gebäudes.

2. Spielplatzwidmung

Der Spielplatz wird weiters ausschließlich der im Gebäude situierten Kinderbetreuungsstätte mit einer maximalen Zahl von 30 Kindern dienen, steht sohin nicht der Allgemeinheit als "öffentlicher Spielplatz" zur Verfügung. Die Öffnungszeiten des Spielplatzes reichen somit auch nicht über die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungsstätte hinaus. Ein Betrieb auf dem Spielplatz in den Abendstunden kann somit ausgeschlossen werden.

3. Einschränkung des Musikprobenbetriebs

Der Musikprobenbetrieb im Gebäude wird zeitlich nie länger als bis 01.30 Uhr dauern; eine derartige Einschränkung der Betriebszeiten geht für die Bauwerberin somit in Ordnung.

4. ..."

In der dazu vom Beschwerdeführer übermittelten schalltechnischen Stellungnahme von Dipl. Ing. W. vom 22. Juli 2011 kritisierte dieser u.a., dass die Betriebszeiten der Kinderbetreuungsstätte nicht definiert seien und nicht sichergestellt sei, dass der Kinderspielplatz nicht auch zu anderen Zeiten und - mangels örtlicher Einschränkung - auf das gesamte Grundstück ausgedehnt werde; es sei zwar das Ende des Musikprobenbetriebes mit 01.30 Uhr festgelegt, nicht jedoch dessen Beginn; auf Grund der unterschiedlichen Umgebungsgeräusche und der Musikgeräusche werde eine Einschränkung der Betriebszeit in den geplanten Proberäumen auf 22.00 Uhr empfohlen; die Immissionsberechnungen des lärmtechnischen Amtssachverständigen seien in näher konkretisierten Punkten nicht nachvollziehbar.

Mit Bescheid vom 15. März 2012 gab die Berufungskommission der zweitmitbeteiligten Marktgemeinde der Berufung des Beschwerdeführers insofern Folge, als die lärmschutztechnische Auflage dahingehend ergänzt wurde, dass während des Probenbetriebes auch die Türen der Musikproberäume geschlossen zu halten seien. Im Übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben und die von der Bauwerberin mit Schreiben vom 6. Juni 2011 beantragten Änderungen hinsichtlich des Ausmaßes der Kinderspielflächen, der Spielplatzwidmung und der Einschränkung des Musikprobenbetriebes bis längstens 01.30 Uhr bestätigt.

Hinsichtlich der Einwendungen betreffend eine unzureichende Ableitung von Niederschlagswässern verwies die Berufungsbehörde auf eine ergänzende Stellungnahme des Amtssachverständigen vom 20. April 2009, in der dieser abschließend ausführte, es könne davon ausgegangen werden, dass eine entsprechend dimensionierte Oberflächenwasserableitung des Gebäudes gegeben sei. Zu dieser ergänzenden Stellungnahme habe der Beschwerdeführer trotz ausdrücklich eingeräumter Möglichkeit keine Stellungnahme abgegeben. Das Berufungsvorbringen habe keine Unschlüssigkeiten oder Unvollständigkeiten der eingeholten fachkundigen Stellungnahmen aufgezeigt, weshalb kein Grund zur Annahme bestehe, an dieser zu zweifeln.

Zum Berufungsvorbringen betreffend das lärmschutztechnische Amtssachverständigengutachten verwies die Berufungsbehörde im Wesentlichen auf die ergänzenden Stellungnahmen des Sachverständigen vom 23. Dezember 2009 und 11. März 2010. Auf Grund dieser ergänzenden Stellungnahmen gehe die Berufungsbehörde davon aus, dass die vom Amtssachverständigen angewendeten technischen Regelungswerke weder technisch überholt seien noch in concreto dem Berufungswerber zum Nachteil gereichten. Da das verfahrensgegenständliche Grundstück im Kerngebiet liege, stelle eine Kinderbetreuungseinrichtung und ein dieser zugeordneter Kinderspielplatz keinen aus dem Ortsüblichen herausfallenden Verwendungszweck dar. Es sei daher zu Recht von im Rahmen der Widmungskategorie üblichen Lärmimmissionen ausgegangen worden, weshalb das Einholen eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Zumutbarkeit der Immissionen der Kinderbetreuungseinrichtung nicht erforderlich gewesen sei. Laut Stellungnahme des schalltechnischen Amtssachverständigen vom 11. Februar 2011 liege der maximal zu erwartende Schalldruckwert des Kinderlärms auch bei Berücksichtigung denkmöglicher Pegeladditionen unverändert bei 52 dB und somit unter dem von der WHO empfohlenen Grenzwert von 55 dB, sodass von keiner Gesundheitsgefährdung ausgegangen werden könne. Auch hinsichtlich der Musikproberäumlichkeiten sei zu Recht von im Rahmen der Widmungskategorie ortsüblichen Lärmimmissionen auszugehen, weshalb es sich erübrige, zur Frage der Zumutbarkeit der aus den Musikproberäumlichkeiten zu erwartenden Immissionen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Außerdem sei der Musikprobenbetrieb durch die Antragsänderung der Bauwerberin für die Nachtzeit definitiv mit 01:30 Uhr begrenzt worden. Da die Bauwerberin in ihrer Antragsänderung einen Spielplatzbetrieb für den Abend ausgeschlossen habe, sei eine zeitliche Einschränkung nicht erforderlich, weil die Verwendung dieser Einrichtung zur Tageszeit weder ortsunübliche Immissionen noch Gesundheitsgefährdungen erwarten lasse.

In der Vorstellung vom 4. April 2012 wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Im Baubewilligungsbescheid sei die Betriebszeit der Kinderbetreuungsstätte nicht eingeschränkt worden, weshalb ein Betrieb in den Abendstunden nicht ausgeschlossen werden könne. Auch der Musikprobenbetrieb sei nur bis längstens 01:30 Uhr begrenzt, der Beginn der Übungstätigkeit sei jedoch offen. Die vom Lärmschutztechniker vorgeschlagene Auflage, dass alle Bauteile genügend Schutz gegen Lärm von außen und gegen das Entstehen und Fortleiten des Lärms im Inneren des Gebäudes bieten und den Anforderungen der BTV und ÖIB Richtlinie 5 und der ÖNORM B 8115 entsprechen müssten, sei nicht ausreichend bestimmt. Die Bauteile müssten auch genügend Schutz gegen das Fortleiten des Lärms von innen nach außen, insbesondere im tiefen Frequenzbereich (Bass) bieten. Das Bauschalldämmmaß von 40 dB gelte laut ÖNORM bei einer Frequenz von 500 Hz. Insbesondere die Blasmusik umfasse jedoch einen Frequenzumfang von 40 Hz bis 4 KHz; im Tieffrequenzbereich (unter 125 Hz) betrage die Schalldämmung der Fenster nur noch 24 dB, sodass Tiefenfrequenzen nur schwer "zu bändigen" seien. Daher würden Musikproberäume jeweils im Keller (Bunker) oder in großer Entfernung zu bewohnten Objekten errichtet.

Mit dem angefochtenen Bescheid (vom 21. Juni 2012) wies die belangte Behörde die Vorstellung des Beschwerdeführers vom 4. April 2012 ab. Zu einer eventuellen Gefährdung durch Oberflächenwässer verwies sie auf die Stellungnahmen des Amtssachverständigen vom 8. und 20. April 2009, an deren Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit kein Zweifel bestehe. Dem sei der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Der Beschwerdeführer sei daher in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf Schutz vor Gefährdung durch Oberflächenwasser im Sinn des § 4 Abs. 3 Vorarlberger Baugesetz nicht verletzt.

Da das gegenständliche Baugrundstück als "Baufläche Kerngebiet" gewidmet sei, seien die von zwei Kinderbetreuungsstätten und Musikproberäumlichkeiten ausgehenden Immissionen, sofern sie sich im Rahmen des in der Widmungskategorie üblichen Ausmaßes hielten, als zumutbar anzusehen. Vom geplanten Gebäude seien keine das ortsübliche Ausmaß übersteigenden Beeinträchtigungen der Nachbarn zu erwarten. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Öffnungs- und Betriebszeiten der geplanten Musikproberäumlichkeiten und der Kinderbetreuungsstätten nicht dezidiert angegeben worden seien. Der Privatsachverständige Dipl. Ing. W. habe keine Zweifel an der Vollständigkeit, Richtigkeit und Nachvollziehbarkeit der ergänzenden Stellungnahme des Amtssachverständigen vom 11. Februar 2011 aufkommen lassen können.

Im erstinstanzlichen Verfahren sei auch eine Stellungnahme des Gemeindearztes vom 22. Juni 2009 eingeholt worden, wonach eine gesundheitsgefährdende Lärmbelästigung auszuschließen sei. Diese Stellungnahme sei dem Beschwerdeführer nachweislich übermittelt worden.

Zu dem Vorwurf der mangelnden Konkretisierung der lärmschutztechnischen Auflagen führte die belangte Behörde aus, durch den Berufungsbescheid sei die lärmschutztechnische Auflage dahingehend ergänzt worden, dass die Fenster der Musikproberäume zu Lüftungszwecken nur geöffnet werden dürften, wenn kein Betrieb herrsche. Darüber hinaus sei der Musikprobebetrieb zeitlich bis 01:30 Uhr begrenzt. Diese Auflagen seien geeignet, den Schutz des Nachbarn vor einer eventuellen Lärmbelästigung zu gefährden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen "Rechtswidrigkeit, bzw. wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften".

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im vorliegenden Fall ist das Vorarlberger Baugesetz (BauG), LGBl. Nr. 52/2001, in der Fassung LGBl. Nr. 29/2011, anzuwenden. Dessen § 4 Abs. 3, § 8 Abs. 1 und § 26 Abs. 1 lauten (auszugsweise):

"§ 4

Baugrundstücke, Erschließung, Naturgefahren

(1) ...

(3) Ein Baugrundstück darf nur so bebaut werden, dass weder das Bauwerk selbst noch Nachbargrundstücke durch Lawinen, Wasser, Vermurungen, Steinschlag, Rutschungen u.dgl. gefährdet werden. …

§ 8

Immissionsschutz

(1) Bauwerke, ortsfeste Maschinen und sonstige ortsfeste technische Einrichtungen dürfen keinen Verwendungszweck haben, der eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung des Nachbarn erwarten lässt. Ob eine Belästigung das ortsübliche Ausmaß übersteigt, ist unter Berücksichtigung der Flächenwidmung am Standort des Bauvorhabens zu beurteilen.

(2) …

§ 26

Nachbarrechte, Übereinkommen

(1) Der Nachbar hat im Verfahren über den Bauantrag das Recht, durch Einwendungen die Einhaltung der folgenden Vorschriften geltend zu machen:

a) § 4 Abs. 3, soweit mit Auswirkungen auf sein Grundstück zu rechnen ist;

  1. b)
  2. c) § 8, soweit mit Immissionen auf seinem Grundstück zu rechnen ist;

    d) …"

    Kerngebiete sind gemäß § 14 Abs. 2 Vorarlberger Raumplanungsgesetz in der Fassung LGBl. Nr. 28/2011 Gebiete in zentraler innerörtlicher Lage, die vornehmlich für Gebäude für Verwaltung, Handel, Bildungs- und andere kulturelle und soziale Einrichtungen, sonstige Dienstleistungen und Wohnungen bestimmt sind. Andere Gebäude und Anlagen sind zulässig, wenn der Charakter als Kerngebiet nicht gestört wird.

    Der Beschwerdeführer wiederholt sein bisheriges Vorbringen, dass die Auslegung der Entwässerung für das Bauprojekt auf ein halbjähriges Regenereignis unzureichend sei. Die Entwässerung müsse so dimensioniert werden, dass auch bei starken Regenabflüssen (zumindest für dreijährige Ereignisse) keine Wassereintritte beim Nachbargrundstück entstünden. Der Amtssachverständige habe sich mit der Situation der Nachbarn überhaupt nicht auseinandergesetzt. Seine Aussage, dass eine ausreichend dimensionierte Oberflächenabwasserleitung des Gebäudes eingeplant werden müsse, sei vollkommen unbestimmt und die darauf aufbauende Auflage im Berufungsbescheid unter Punkt D 7 jedenfalls unbestimmt, nicht vollstreckbar und daher zum Schutz des Beschwerdeführers nicht geeignet.

    Am Immissionspunkt West komme es zu einer Überschreitung des Umgebungsgeräuschpegels um 4 dB bzw. - bezogen auf den im Messbericht vom 20. Februar 2009 dokumentierten Umgebungsgeräuschpegel von 43 dB pro Tag - um 9 dB. Bei der Messung am 20. Februar 2009 sei eine Schneedecke von 30 cm und bei der Messung am 21. Dezember 2009 eine solche von 10 cm gelegen. Die Ergebnisse seien daher für ca. drei Viertel des Jahres nicht repräsentativ. In der schneelosen Jahreszeit müsste der Umgehungsgeräuschpegel vermutlich um mindestens 2 dB verringert werden. Daher sei davon auszugehen, dass gesundheitsgefährdende Beeinträchtigungen auf Grund der Mangelhaftigkeit des Amtssachverständigengutachtens und der diesem zugrunde liegenden Messungen nicht hervorgekommen seien. Der Musikprobenbetrieb sei auch nur bis 01:30 Uhr beschränkt, dessen Beginn sei jedoch nicht festgelegt worden. Dies sei insbesondere auf Grund des besonders tiefen Frequenzbereiches der Musikinstrumente bedenklich, was im Amtssachverständigengutachten überhaupt nicht berücksichtigt worden sei. Auch der Hinweis im Privatgutachten, das Bauschalldämmmaß von 40 dB betrage auf Grund des Frequenzumfanges insbesondere der Blasmusik de facto nur 24 dB, sei im Amtssachverständigengutachten nicht behandelt worden. Die entsprechende Auflage sei zu unbestimmt. Auch das bisherige Vorbringen hinsichtlich der überholten technischen Regelwerke wurde in der Beschwerde wiederholt.

    Zur Frage der Beeinträchtigung durch Oberflächenwässer ist Folgendes auszuführen:

    In dem Gutachten vom 8. April 2009 führte der Amtssachverständige für Schutzwasserbau aus, das Grundstück befinde sich im östlichen Bereich, der laut Gefahrenzonenplan der Wildbach- und Lawinenverbauung im Überflutungs- und Überschwemmungsbereich liege. Der gesamte Bereich des Dorfplatzes und die unterliegenden Bereiche seien durch Bachaustritte gefährdet. Es müsse somit mit Überflutungen von Teilen des Grundstückes gerechnet werden. Grundsätzlich führe eine Baumaßnahme im hochwassergefährdeten Gebiet zur Veränderung der Abflussverhältnisse und zum Verlust von Retentionsraum. Ob dadurch eine höhere Gefährdung der Nachbarn verursacht werde, könne auf Grund der vorliegenden Unterlagen nicht beurteilt werden. Die Retentionsanlagen Ost und Hauptschule seien auf ein fünfjähriges Niederschlagsereignis dimensioniert, die Retentionsanlage West lediglich auf ein 0,5 jähriges Ereignis. Dennoch werde durch die Maßnahme bei einem fünfjährigen Niederschlagsereignis die Abflussmenge laut Projekt um ca. 60 % verringert.

    In der ergänzenden Stellungnahme vom 20. April 2009 führte der Amtssachverständige aus, es sei eine neue Entwässerung im Dorfzentrum - und auch für das Gebiet des Kinderhauses (Retention West) - geplant und mit dem gegenständlichen Vorhaben abgestimmt. Dieses neue Trennsystem entspreche dem Stand der Technik und verbessere die Situation gegenüber dem derzeitigen Stand wesentlich. Das Regenwasser des Kinderhauses werde an einer Stelle an der östlichen Seite des Gebäudes in einen Schacht eingeleitet. Von dort aus werde es zuvor retendiert, bis es schlussendlich in den Bergerbach abgeführt werde. Es könne davon ausgegangen werden, dass eine entsprechend dimensionierte Oberflächenabwasserleitung des Gebäudes gegeben sei.

    Aus diesen Aussagen geht nicht nachvollziehbar hervor, warum für das gegenständliche Bauvorhaben, das im Überflutungs- und Überschwemmungsbereich liegt und grundsätzlich einen Verlust von Retentionsraum darstellt, eine Retentionsanlage ausreichend dimensioniert sein soll, die nur über ein Zehntel der Kapazität der beiden übrigen Retentionsanlagen verfügt. Es mag zutreffen, dass bei Realisierung der geplanten neuen Entwässerung im Dorfzentrum für das gegenständliche Bauvorhaben eine derart geringe Kapazität für das Retentionsbecken ausreicht. Durch den Hinweis auf eine andere Planung - deren Realisierung auch hinsichtlich des Zeithorizontes nicht konkretisiert wurde - ist jedoch nicht nachvollziehbar, ob sichergestellt ist, dass das Grundstück des Nachbarn nicht durch Wasser gefährdet wird (§ 26 Abs. 1 lit. a und c iVm § 4 Abs. 3 und § 8 Abs. 1 BauG).

    Der Amtssachverständige für Schutzwasserbau formulierte am Ende seines Gutachtens vom 8. April 2009 folgenden Hinweis:

    "In der Planung ist auf eine entsprechend dimensionierte Oberflächenableitung (Hangwässer, Straßenwässer, etc.) unter Berücksichtigung der Gegebenheiten zu achten. Eine Verschlechterung der Hochwassersituation darf durch diese Baumaßnahme für Unterlieger/Nebenlieger bzw. Anrainer nicht entstehen."

    Diesen Hinweis übernahm die Baubehörde erster Instanz als Auflage D 7 in ihren Bescheid vom 21. September 2009. Sofern der Beschwerdeführer rügt, diese Auflage sei nicht ausreichend bestimmt und nicht vollstreckbar, ist er im Recht (vgl. hinsichtlich der Bestimmtheit von Nebenbestimmungen die in Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz II, Rz 37 ff, insbesondere Rz 39 zu § 59 AVG zitierte hg. Judikatur).

    Nebenbestimmungen sind in der Regel untrennbar mit dem Hauptinhalt des Bescheides verbunden und die Rechtswidrigkeit einer Nebenbestimmung oder auch nur eines Teiles derselben zieht die Rechtswidrigkeit des gesamten Bescheides nach sich, sodass lediglich die Aufhebung des gesamten Bescheides in Betracht kommt (vgl. die bei Hengstschläger-Leeb, a.a.O., Rz 23 zu § 59 AVG zitierte hg. Judikatur).

    Bereits das Beschwerdevorbringen betreffend eine Beeinträchtigung durch Oberflächenwässer ist somit zielführend.

    Auch das Ermittlungsverfahren hinsichtlich der lärmtechnischen Auswirkungen des gegenständlichen Vorhabens ist mangelhaft. Zwar ist der belangten Behörde zuzustimmen, dass die von Kinderbetreuungseinrichtungen und Kinderspielplätzen typischerweise ausgehenden Immissionen grundsätzlich in einem als "Baufläche Kerngebiet" gewidmeten Bereich von Nachbarn hinzunehmen sind (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 9. November 2011, Zl. 2011/06/0125, zum Steiermärkischen Baugesetz). Mit dem bereits im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argument, dass die Bauteile infolge des besonderen Frequenzumfanges beispielsweise von Blasmusik statt eines Bauschalldämmmaßes von 40 dB nur ein solches von 24 dB aufwiesen, setzten sich die Behörden des Verwaltungsverfahrens nicht erkennbar auseinander. Für den Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht nachvollziehbar, dass Schallimmissionen aus den Musikproberäumlichkeiten während der Nachtstunden als ortsüblich anzusehen sind.

    Von der Baubehörde erster Instanz wurde zwar der Gemeindearzt beigezogen; dieser gab seine Stellungnahme jedoch auf Basis des lärmtechnischen Gutachtens vom 16. Juni 2009 ab; zu den weiteren Ermittlungsergebnissen während des Verwaltungsverfahrens wurde er laut vorliegendem Verwaltungsakt nicht mehr beigezogen. Er äußerte sich insbesondere nicht zu der Frage, ob Lärmimmissionen im tiefen Frequenzbereich während der Nachtstunden zu einer gesundheitsgefährdenden Lärmbeeinträchtigung führen könnten.

    Auch aus dem Blickwinkel des Schallschutzes (§ 26 Abs. 1 lit c iVm § 8 Abs. 1 BauG) ist die Beschwerde somit berechtigt.

    Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid bereits wegen der vorrangig wahrzunehmenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Auf das übrige Beschwerdevorbringen war damit nicht mehr einzugehen.

    Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

    Wien, am 20. Juni 2013

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